Zeitschrift EE

 nt 04 | 2021 Gebäudesimulation

Mikroklimasimulationen als Beitrag zur Anpassung an die Klimakrise

Klima ist nicht gleich Klima. Aufgrund von Bebauung, fehlender Vegetation, Schadstoffemissionen und Abwärme ist das Klima in Städten und Gemeinden oft anders als im ländlichen Umland. Konkret führen diese Unterschiede zu einer niedrigeren Luftfeuchtigkeit, zu anderen Windgeschwindigkeiten und vor allem zu höheren Temperaturen. Letztere werden durch den Klimawandel im wahrsten Sinne des Wortes nochmal stark angeheizt.

Foto: Weatherpark GmbH

Um auf diese Entwicklung bei Planungen reagieren zu können, wird der Bedarf an Simulationen des Mikroklimas immer größer. Darunter sind Computerberechnungen von unterschiedlichen meteorologischen Phänomenen in meist rechteckigen Untersuchungsgebieten von einigen 100 m Seitenlänge zu verstehen. Unter die betrachteten Phänomene fallen unter anderem die Temperatur, Kaltluftströme oder Windeffekte. Gemeinsam haben diese Phänomene, dass sie das Wohlbefinden der Menschen – positiv oder negativ - beeinflussen. Die Simulationen dienen als Grundlage für die Verbesserung der Aufenthaltsqualität auf Freiflächen.

Stadtklimanalyse

Am Beginn einer stadtklimatologischen Expertise steht meistens eine gesamtstädtische Betrachtung. Oftmals kann dafür auf eine so genannte Stadtklimaanalyse zurückgegriffen werden. Diese beinhaltet eine räumliche Analyse der thermischen und dynamischen Aspekte des Stadtklimas. Kartendarstellungen bieten einen stadtweiten Überblick von Bereichen mit Überwärmung und Bereichen, die als Ausgleichsräume dienen. Letztere sind Grünräume in Siedlungsnähe, die das Mikroklima im verbauten Gebiet verbessern. Außerdem sind in einer Klimaanalysekarte die relevanten Windsysteme eingetragen. Dahinter steckt ein vordefinierter Ablauf, der aus zahlreichen unterschiedlichen GIS-basierten Datenquellen den Klimaüberblick berechnet. So fließen zum Beispiel Landnutzung, Orographie (die beschreibende Darstellung des Reliefs der Erdoberfläche), Bebauungsdichte und Vegetationsanteil in die objektive – das heißt nicht vom Bearbeitenden abhängige – Analyse ein. Das Verfahren ist in einer Richtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) festgehalten.

Abbildung: Eine umfassende Analyse des Stadtklimas basiert auf zahlreichen Eingangsparametern: Landnutzung, Gebäudevolumen und Vegetationsverteilung (oben v.l.n.r.) sowie Hangneigung, Kaltflussabfluss und Windstatistik (unten v.l.n.r.). Quelle: Weatherpark GmbH

Aus der Klimaanalysekarte ist grundsätzlich ablesbar, welche stadtklimatologischen Themen an einem bestimmten Bauplatz relevant sind – und welche nicht. Damit lassen sich jene Fragestellungen definieren, die für eine angenehme Aufenthaltsqualität im Freien berücksichtigt werden müssen. Letztendlich geht es um die Gesundheit und auch den Komfort der Menschen. Einige dieser Fragestellungen lassen sich mit Hilfe von Simulationen mit mikrometeorologischen Computermodellen quantifizieren, indem sozusagen die Lupe angesetzt wird und man einen Bereich von Interesse mit hoher Genauigkeit betrachtet. So können zum Beispiel die nächtliche Entstehung von Kaltluft, deren Weg in die Stadt und die positive, kühlende Wirkung in den Siedlungsräumen in einem Kaltluftabfluss-Modell berechnet werden. Nicht nur bestehende Gebäude, sondern vor allem auch geplante Projekte können simuliert und bewertet werden. Ziel ist dabei einerseits, die Entstehungsorte von Kaltluft zu schützen, und andererseits die Strömungen nicht durch neue Gebäude zu behindern.

Eine zentrale Rolle bei der Planung urbaner Freiflächen spielt nicht die gemessene, sondern die gefühlte Temperatur, die ein wichtiger Aspekt der Freiflächenqualität ist. Luftfeuchtigkeit, Windverhältnisse, Lufttemperatur und Sonnenstrahlung bestimmen, wie wir uns im Freien fühlen. Der Klimawandel sorgt gerade im Sommer dafür, dass Hitzestress ein immer häufigeres Problem wird. Ab dem Zeitpunkt, wo der Körper mehr Energie aufnimmt als er abgeben kann, empfinden wir Stress. Mikroklimasimulationen der genannten Einflüsse auf das Wohlbefinden, schon während der Planung von Freiräumen, helfen für nachhaltig komfortable Verhältnisse zu sorgen.

Strömungsfeldsimulationen

Zeitgemäße Simulationsmodelle bestehen im Kern aus einer Strömungsfeldsimulation („CFD-Modell“). Dabei werden Windrichtung und -geschwindigkeit in einem dreidimensionalen Modellraum berechnet. In diesem Raum sind Gebäude, der Boden, Vegetation und die Luft enthalten. Neben dem Wind sind in den Differentialgleichungen Terme zur Physik der anderen Wohlfühl-Parameter berücksichtigt. Entscheidend ist dabei die Interaktion der Modellvariablen zwischen den Randflächen (Boden und Wände) und der Luft. Zentrale Modellvariablen sind neben dem dreidimensionalen Windvektor die Temperatur, die Feuchte, die Dichte und die Strahlung. Entscheidend sind dabei die Flüsse in die und aus den Randflächen (z. B. Bodenwärmestrom, Strahlungsfluss, latente und fühlbare Wärmeflüsse).

Die Klimaanalysekarte zeigt einen Überblick des Wiener Stadtklimas. Dargestellt werden Gebiete mit Überwärmung (orange-rot) oder Kühlpotenzial (grün-blau) sowie dynamische Aspekte wie Kaltluftsysteme (Schraffur), die eine Verbindung zwischen kühlen und warmen Bereichen schaffen. Quelle: Weatherpark GmbH

Die Simulationen laufen in der Regel für typische Hitzewellentage über 48-72 Stunden. So sind Angaben über den Verlauf der mikrometeorologischen Parameter tagsüber und in der Nacht möglich. Für jeden Zeitschritt werden dreidimensionale Lösungsfelder der Modellvariablen berechnet. Die Lösungen werden mit einem Näherungsverfahren ermittelt, da mathematisch exakte Lösungen nicht erzielbar sind. Am Ende wird aus den Modellvariablen ein Maß für die gefühlte Temperatur ermittelt (z. B. die PET, die Physiologische Äquivalent-Temperatur), die auf Karten in zweidimensionalen Schnitten dargestellt wird.

Der Grundriss einer Straße mit angrenzenden Häusern (grau) zeigt, wie ein Mensch die Temperatur an einem heißen Sommertag empfindet. Die Rot- und Orangetöne stehen für ein Maß des Hitzestress (PET). Die grünen Kreise zeigen Baumstandorte, die sich positiv auf das Hitzeempfinden auswirken (gefühlt um bis zu 15°C geringere Temperatur). Quelle: Weatherpark GmbH

Die räumliche Verteilung der Komfortverhältnisse auf den Freiflächen zwischen den Gebäuden ermöglicht nun dem geschulten Auge die Interpretation und Ableitung der zu erwartenden Belastungen für den Organismus. Abzulesen sind die Aufheizung tagsüber und der damit verbundene Hitzestress sowie die Abkühlung in der Nacht, die Auskunft über die Schlafqualität liefert. Besonders wertvoll sind in diesem Zusammenhang Vorher-Nachher-Vergleiche von unterschiedlichen Planständen. So können zum Beispiel Varianten mit und ohne Hitzeschutzmaßnahmen verglichen werden. Die Wirkungsweise von unterschiedlichen Maßnahmen wird dabei quantifiziert. So kann ermittelt werden, wie viel Grad Abkühlung an gefühlter Temperatur welche Hitzeschutzmaßnahme bringt. Diese Angaben sind wertvolle Inputs für PlanerInnen um die Hitzebelastung zu reduzieren.

Interpretation mikroklimatischer Modelle

An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass die korrekte Verwendung mikroklimatischer Modelle und die Interpretation der Ergebnisse die Beteiligung von ExpertInnen voraussetzt. Die Vernetzung der Disziplinen (Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung, Stadtklimatologie) ist der Schlüssel zu einer integrativen Planung von hoch qualitativen Freiflächen, die gut angenommen werden und in der Folge belebt sind.

Die große Anzahl an wissenschaftlichen Papers, die jedes Jahr zu diesen Themen erscheint, zeigt, dass die Entwicklung von Mikroklimamodellen noch lange nicht zu Ende ist. Große Herausforderungen der nächsten Jahre sind etwa die physikalisch sinnvolle Berücksichtigung von bewegtem Wasser (Brunnen, Nebelduschen) als Kühlungsmaßnahmen oder die Überbrückung der Lücke zwischen Mikro- und Mesoklimamodellen. Viel Aufwand fließt dabei in das Zusammenführen dieser beiden Simulationsansätze, die so genannte Kopplung der Modelle. Denn auf der einen Seite werden die großräumigen meteorologischen Vorhersagemodelle immer genauer, auf der anderen Seite werden mit Mikroklimamodellen immer größere Bereiche simuliert.

Zur Anpassung an die unvermeidbaren Folgen des Klimawandels gibt es viele Schrauben, an denen wir drehen können. Insbesondere der richtige „Maßnahmen-Mix“ führt zu positiven Effekten. Mikrosimulationen sind dabei ein wertvolles Werkzeug zur Maximierung der Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen.

Autoren

Matthias Ratheiser und Wolfgang Gepp, Stadtmeteorologen und Geschäftsführer der Weatherpark GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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