Zeitschrift EE

 nt 04 | 2021 Gebäudesimulation

Der steirische Abwärmekataster 2021 – Potenziale industrieller Abwärme

Der steirische Abwärmekataster wurde als Teil der Klima- und Energiestrategie Steiermark 2030 (KESS) von einem Konsortium rund um AEE INTEC erstellt und zeigt, dass Abwärme aus Industrie und Gewerbe von mehr als 7 TWh pro Jahr technisch nutzbar anfallen. Der Kataster bildet die Grundlage für weiterführende Projekte zur Umsetzung dieser Potenziale und ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung.

Ausgangssituation

Zur Erreichung der Klimaziele ist es nicht nur notwendig, erneuerbare Energien effizient ins Energiesystem zu integrieren. Essentiell ist es auch, durch Effizienzmaßnahmen den Bedarf der eingesetzten Primärenergie signifikant zu reduzieren und anfallende Abwärme sinnvoll im Energiesystem zu nutzen. Die Steiermark kann dabei mit dem hohen Anteil an Industrie- und Gewerbebetrieben auf ein entsprechend hohes Potenzial zugreifen, wie der Abwärmekataster 2012 (Schnitzer Hans, Schmied Johannes, Titz Michaela, Jägerhuber Paul, Enzi Claudia, Filzwieser Paul: Abwärmekataster Steiermark - Endbericht. Technische Universität Graz, 2012) bereits gezeigt hat. Allerdings werden viele Abwärmequellen derzeit noch nicht genutzt bzw. sind vorhandene Potenziale im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmensgrößen sowie im unteren Temperaturbereich bis 50 °C nicht erfasst. Genau hier setzte die Erstellung des Abwärmekatasters 2021 an. Das Land Steiermark (Abteilung 15 – Energie, Wohnbau und Technik) beauftragte ein Konsortium (AEE INTEC, Lehrstuhl für Energieverbundtechnik der Montanuniversität Leoben und e-think energy research) mit der Identifikation sowie qualitativen und quantitativen Erhebung verfügbarer Abwärmequellen der Steiermark in Industrie- und Gewerbebetrieben. Das technisch nutzbare Potenzial wurde ermittelt und bereits genutzte Potenziale identifiziert. Um die Umsetzung von konkreten Projekten zu fördern, wurde die Dateneinbindung in das Geografische Informationssystem (GIS) Steiermark (Digitaler Atlas Steiermark) vorbereitet und ein Konzept sowie Lastenheft für eine „Abwärme-Kontakt-Plattform“ entwickelt.

Erhebung der Abwärmepotenziale

Basierend auf der Expertise des Projektteams, das auch in der internationalen Forschungskooperation zum Thema industrielle Abwärmenutzung der Internationalen Energieagentur (IEA IETS Annex XV - Industrial Excess Heat Recovery) vertreten ist, wurden für die Erhebung der Abwärmepotenziale drei Methoden gewählt:

  1. Veröffentlichungsbasierte Erhebung: Für energieintensive Industriebetriebe (große Unternehmen) wurde anhand verfügbarer Umweltberichte, Emissionsdatenbanken und anderen öffentlich zugänglichen Quellen eine Energie- und Stoffbilanz erstellt und daraus das Abwärmepotenzial bilanziell abgeleitet (Bottom-up-Methode).
  2. Fragebogen-basierte Erhebung: An sämtliche produzierende Betriebe der Steiermark wurde ein Fragebogen zur Erhebung des Abwärmepotenzials verschickt und die so erhaltenen Daten ausgewertet. Dabei standen vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen im Fokus (Bottom-up-Methode).
  3. Statistische Kennzahlenerhebung: Als Ergänzung der Bottom-up-Methoden wurden aus verfügbaren statistischen Daten und Informationen je Sektor und Unternehmen Kennzahlen abgeleitet, wobei vor allem Unternehmen der energieintensiven Industrie bewertet wurden (Top-down-Methode)

Die Erhebungen wurden durch Recherchen zu bereits umgesetzten Nutzungen von Abwärme ergänzt. Für die Erhebung und vor allem die Auswertung ist es essentiell, zwischen dem theoretischen und technischen Abwärmepotenzial zu unterscheiden. Dabei wird das theoretische Potenzial durch Berücksichtigung technischer Einschränkungen wie z. B. minimale Temperaturdifferenzen im Wärmetauscher, starke Verunreinigungen oder Betriebssicherheit reduziert. Die Wirtschaftlichkeit einer etwaigen Umsetzung wurde für das technische Potenzial nicht berücksichtigt. Für die Abwärmequellen wurden drei Temperaturbereiche definiert: 100 °C. Weiters wurden insgesamt fünf Kategorien der anfallenden Abwärmepotenziale definiert: Ab-/Kühlwasser, Abluft Maschinenkühlung, Kondensation, Produktwärme + Hallenabluft und Rauchgas.

91 Prozent des Abwärmepotenzials ungenutzt

Das gesamte technische Abwärmepotenzial in der Steiermark beträgt 7,58 TWh pro Jahr. Davon sind 0,70 TWh/a bereits genutzt (9 Prozent) und 6,88 TWh/a (91 Prozent) noch ungenutzt. Dieses Potenzial kann insgesamt 194 ungenutzten Abwärmequellen in 120 Firmen zugeordnet werden. In 39 Firmen wurden 52 genutzte Abwärmequellen identifiziert. Die größten ungenutzten technischen Abwärmepotenziale befinden sich in der Papierindustrie (3,34 TWh/a), Metallerzeugung (2,20 TWh/a) und Glas- und Keramikindustrie (0,76 TWh/a). Die restlichen Branchen kommen gemeinsam auf 0,58 TWh/a.

Sektorzuordnung der ungenutzten und genutzten technischen Abwärmepotenziale. Quelle: AEE INTEC

Der Großteil (76 Prozent; 5,71 TWh/a) der technischen Abwärmepotenziale liegt bei Temperaturen unter 50 °C, 11 Prozent über 100 °C (0,85 TWh/a) und der Rest liegt zwischen 50 und 100 °C (13 Prozent; 1,00 TWh/a) vor. Im Temperaturbereich über 100 °C findet man die Abwärme vor allem als Produktwärme/Hallenabluft sowie Rauchgas. Abwärme zwischen 50 und 100 °C findet sich in den Kategorien Produktwärme/Hallenabluft, Rauchgas sowie Kondensation und Ab-/ Kühlwasser. In allen Kategorien findet sich Abwärme bei Temperaturen unter 50 °C (vor allem als Ab-/ Kühlwasser). In diesem Temperaturbereich liegt ein großes Nutzungspotenzial durch die sinnvolle Kombination der Abwärme mit Niedertemperatursenken und/oder dem Einsatz entsprechender Technologien zur Temperaturanhebung vor. Das Potenzial der Rauchgaskondensation wurde der Abwärmekategorie Kondensation zugewiesen.

Technisches Abwärmepotenzial (ungenutzt und genutzt) nach Abwärmekategorie und Temperaturbereich. Für Top-down-Analysen wurde keine AbwärmeKategorisierung vorgenommen. Quelle: AEE INTEC

Insgesamt zeigt sich ein sehr großes technisches Potenzial, das einem Anteil von 14 Prozent am gesamten steirischen Endenergieeinsatz (52,40 TWh) entspricht. Verglichen mit dem Bedarf des Wärmesektors könnten bilanziell 29 Prozent des benötigten Wärmeendenergiebedarfes von 25,78 TWh gedeckt werden.

Abwärmepotenziale im GIS Steiermark

Zur weiteren Nutzung und Visualisierung der erhobenen Daten wurde das GIS Steiermark als Plattform genutzt. Dabei werden die Daten mit den bereits verfügbaren landesweiten Fach- und Basiskarten verbunden. Die folgende Abbildung zeigt die auf die Geodatenbank zugreifende Visualisierung der Standorte mit ungenutzten Abwärmepotenzialen.

Standorte mit ungenutztem Abwärmepotenzial in der Steiermark – Visualisierung im GIS Steiermark. Quelle: AEE INTEC

Die Darstellung und Visualisierung der Abwärmepotenziale sind ein Teil der Herausforderung, konkrete Projekte zu initiieren der andere. Deshalb wurde im Projekt eine Abwärme-Kontakt-Plattform konzipiert. Nach Erstellung eines Konzepts wurde ein Lastenheft definiert sowie Nutzergruppen, Nutzermodi, Nutzerbereich, Funktionalitäten, Schnittstellen und Anforderungen festgelegt. Mithilfe der Plattform können die für eine Umsetzung relevanten Stakeholder in Kontakt treten. Dazu zählen potenzielle Abwärme-AnbieterInnen und -AbnehmerInnen sowie PlanerInnen und ProjektentwicklerInnen.

Ungenutztes Abwärmepotenzial heben

Die industrielle Abwärmenutzung in der Steiermark spielt bereits eine große Rolle. Vierzehn FernwärmeAuskoppelungen zeugen von der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit. Allerdings zeigt sich auch das enorme ungenutzte Potenzial in praktisch allen Branchen und Sektoren – 91 Prozent werden noch nicht genutzt! Um dieses Potenzial zu heben, braucht es neben technologischen Ansätzen zur Nutzung von Niedertemperaturabwärme eine weite Verbreitung der erhobenen Daten über die Einbindung in den Digitalen Atlas Steiermark und der AbwärmeKontakt-Plattform. Organisatorische Innovationen und Investitionsförderungen durch Bund und Land wurden als probate Mittel identifiziert, die schlussendlich auch in eine effiziente Energieraumplanung einfließen werden. Der entwickelte Abwärmekataster zeigt nicht nur die Potenziale, sondern liefert auch die methodische Grundlage für eine Aktualisierung der Daten durch laufende Erhebungen.

Weitere Informationen

Öffentlicher Kurzbericht https://www.aee-intec.at/awkst-abwaermekataster-steiermark-p278

Digitaler Atlas Steiermark https://gis.stmk.gv.at/wgportal/atlasmobile (Abwärmepotenziale online Ende 2021)

Autor*innen

Dipl.-Ing. Wolfgang Gruber-Glatzl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Rebecca Krainz BSc. ist Mitarbeiterin des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Jürgen Fluch ist Leiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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