Zeitschrift EE

02 | 2023 Energiewende für Städte und Gemeinden

Pionierstädte der Klimaneutralität – gemeinsam die Herausforderungen meistern

Helmut Strasser, Nina Mostegl

Städte als wichtige Partner bei der Erreichung der Klimaziele

Der Klimaschutz zählt zu den politischen Schwerpunkten der Europäischen Union. Ziel ist es, durch wirksame Klimaschutzmaßnahmen das Ausmaß des Klimawandels zu begrenzen und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Mit dem Klimaübereinkommen von Paris hat sich 2015 auch Österreich dazu bekannt, die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius bzw. möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Im Einklang damit hat die österreichische Bundesregierung im Regierungsübereinkommen 2020-2024 die Klimaneutralität bereits mit dem Jahr 2040 festgelegt.

Pioniergroß- und Pionierkleinstädte in Österreich. Quelle: Klima- und Energiefonds

Städte sind die wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Zentren unserer Welt, gleichzeitig aber auch Verursacher von etwa 75 Prozent der globalen CO2-Emissionen und 78 Prozent des Energiekonsums. In urbanen Räumen wohnen 75 Prozent der europäischen Bevölkerung - Tendenz steigend. Diese Zahlen zeigen die Bedeutung von Städten im Kampf gegen den Klimawandel. Städte agieren schon heute nicht nur als Planer, Investoren und Betreiber der klimaneutralen Infrastruktur von morgen, sondern verfügen auch über wesentliche Instrumente zur Gestaltung und Umsetzung der Klimaneutralität. Daher nehmen sie bei der Erreichung der Klimaziele eine zentrale Rolle ein.

Technologische Innovation allein ist nicht genug

Die Dekarbonisierung unseres Wirtschaftens erfordert einen grundlegenden und beschleunigten Umbau der Energie- und Mobilitätssysteme. Dazu sind auf der einen Seite die bereits vorhandenen und etablierten Technologien zur Steigerung der Energieeffizienz, die Nutzung erneuerbarer Energieressourcen und die Stärkung des Umweltverbundes rasch in die breite Anwendung zu bringen. Auf der anderen Seite braucht es auch die weitere Entwicklung und Optimierung von technologischen Innovationen wie z. B. bei der Strom- und Wärmespeicherung, der Fernkälte-Technologie, der Kopplung von Strom und Wärme oder der E-Ladeinfrastruktur.

Neben den Technologien verlangt die Transformation des Energie- und Mobilitätssystems aber vor allem in Städten auch „Innovationen der anderen Art“, wie geeignete rechtliche Rahmenbedingungen und eine große und breite Unterstützung durch die Bevölkerung, Wirtschaft und andere Akteur*innen, auf die Städte selbst oft nur bedingt Einfluss haben. Städte können jedoch ihre internen Abläufe, Entscheidungs- und Planungsgrundlagen so ausgestalten, dass sie die Klimaneutralität ins Zentrum rücken und somit die Umsetzung gegenläufiger Maßnahmen und Projekte vermeiden. Diese Verankerung der Klimaneutralität in allen Entscheidungs- und Planungsprozessen ist ein wesentlicher Schlüssel zur Beschleunigung der Dekarbonisierung, erfordert aber ein breites Verständnis der Zusammenhänge, Wechselbeziehungen und Co-Benefits sowie ein ebenen-, sektoren- und abteilungsübergreifendes Arbeiten. Dazu fehlen oft die Ressourcen und Kapazitäten.

Städte werden zu Pionieren und Vorbildern

Im Bewusstsein dieser Herausforderungen haben sich die Städte Wien, Graz, Salzburg, Klagenfurt, Linz, Innsbruck, Villach, St. Pölten und Dornbirn bereits 2021 auf Initiative des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Technologie und Innovation (BMK) auf den Weg gemacht, Potenziale, Strategien, Maßnahmen und Finanzierungsoptionen für eine klimaneutrale Stadt auszuarbeiten. Diese „FIT4UrbanMission“ unterstützte auch die Teilnahme der Stadt Klagenfurt an der Europäischen Mission „100 Climate-Neutral Cities by 2030“.

Anknüpfend an diese Initiative startete das BMK in Zusammenarbeit mit dem Klima- und Energiefonds die Mission „Klimaneutrale Stadt“, die es österreichischen Städten ermöglicht, strukturiert und im Austausch miteinander die Entwicklung, Umsetzung, Multiplikation und Skalierung von Lösungen anzugehen. In der Mission werden innovative Städte zu Pionieren der Klimaneutralität und tragen so zur Erreichung der Klima- und Energieziele in Österreich bei. Unter dieser Mission bündeln das BMK und der Klima- und Energiefonds nunmehr ihre Programme und Angebote, mit dem Ziel die strategische und organisatorische Entwicklung in Städten zu finanzieren und nationale und europäische Förderangebote und Initiativen intensiv zu nutzen (Nationale FTIInitiativen, Umsetzungsförderung, Europäische City Mission, etc.).

Pionier-Großstädte

Die Pionier-Großstädte (>50.000 Einwohner*innen) schließen über eine öffentlich-öffentliche Kooperation einen Partnerschaftsvertrag mit dem BMK ab und können darüber neue Kapazitäten für die Umsetzung von drei Ambitionsniveaus schaffen. In der Ambition „Governance“ sollen alle relevanten Entscheidungen, Strategien, Prozesse, Maßnahmen und Strukturen in den Städten auf die Erreichung der Klimaneutralität ausgerichtet werden. Durch Verwaltungsinnovation wird die kommunale Organisationsstruktur weiterentwickelt und die Stadt kann Allianzen mit Unternehmen, Forschungseinrichtungen und der Zivilgesellschaft anstreben. Die Ambition „Umsetzung“ bezieht sich auf die Einrichtung von klimaneutralen Quartieren. Dabei ist die Größe nicht ausschlaggebend, sondern die erreichten Synergien, die Anzahl der Maßnahmen und deren Replizier-, Skalier- und Übertragbarkeit. Die Bearbeitung der Themen Energie, Mobilität und Kreislaufwirtschaft steht im Vordergrund. In der dritten Ambition soll eine „Lernumgebung“ für andere Städte, Kommunen und Bundesländer geschaffen werden. Das Lernen findet zwischen den Pionierstädten und dem BMK, mit weiteren interessierten Städten und auf europäischer Ebene statt. Die Pionierstädte nutzen darüber hinaus Synergien mit anderen nationalen, europäischen und internationalen Initiativen und sollen sich an zahlreichen Innovationsprojekten beteiligen.

Abbildung zu Öffentlich- öffentliche Partnerschaft und Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung

Finanzierung strategischer Bedarfe in Städten zur Erreichung von drei Ambitionsniveaus. Quelle: BMK/SIR

Die ersten sechs Pionierstädte stehen mit Graz, Innsbruck, Klagenfurt, St. Pölten, Villach und Wien bereits fest. Bis zu vier weitere Städte bewerben sich noch für eine Pionierstadt-Partnerschaft.

Auftaktveranstaltung mit den Pionier-Großstädten in Graz im April 2023. Foto: Stadt Graz/Fischer

Pionier-Kleinstädte

Die Pionier-Kleistädte beteiligen sich über das Förderprogramm „Leuchttürme für resiliente Städte 2040“ des Klima- und Energiefonds an der Mission, in dem sie „Klimaneutralitätsfahrpläne“ erstellen sollen. Die Fahrpläne umfassen Visionen, Sektorziele, Maßnahmen für die identifizierten Sektoren sowie einen Umsetzungs- und Finanzierungsplan. Darüber hinaus sollen die Verwaltungsstrukturen analysiert und der für die Umsetzung des Fahrplans notwendige Kapazitätsaufbau vorbereitet werden. Während der Entwicklung sollen Erfahrungen und Wissen mit den Groß- und den anderen Kleinstädten ausgetauscht und Synergien genutzt werden.

Die ersten 13 Pionier-Kleinstädte sind Feldkirch, Bregenz, St. Johann in Tirol, Vöcklabruck, Steyr, St. Veit an der Glan, Bruck an der Mur, Kapfenberg, Gratwein-Straßengel, Feldbach, Tulln, Baden und Wiener Neustadt. In der zweiten Jahreshälfte soll eine zweite Ausschreibung für Kleinstädte zur Verfügung stehen.

Die Weichen sind gestellt

Im Rahmen der Mission „Klimaneutrale Stadt“ stellen sich nun die ersten neunzehn Städte aktiv den Herausforderungen zur Erreichung der Klimaneutralität. Sie entwickeln Strategien, setzen Maßnahmen um, bauen Kapazitäten auf und passen ihre Verwaltungsstrukturen an. Darüber hinaus werden sie an zahlreichen (FTI-)Projekten zur Steigerung der Energieeffizienz, des Einsatzes erneuerbarer Energien sowie zur nachhaltigen urbanen Mobilität im Schulterschluss zwischen Forschung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft arbeiten. Die Weichen sind somit für die ersten Städte gestellt. Jedenfalls wird es zukünftig wichtig sein, Lösungsbausteine und das generierte Wissen über die geschaffene Lernumgebung weiteren Städten zur Verfügung zu stellen, um in die breite Anwendung zu kommen.

Die Mission „Klimaneutrale Stadt“ setzt somit durch den impactorientierten Ansatz neue Impulse in der österreichischen (FTI-)Förderlandschaft, welche hoffentlich auch durch die relevanten Forschungs-, Wirtschafts- und andere Akteur*innen aufgegriffen werden.

Stellungnahme

"Die Mission „Klimaneutrale Stadt“ setzt durch den impactorientierten Ansatz neue Impulse in der österreichischen FTI-Landschaft. Städte werden zu Pionieren der Klimaneutralität und tragen durch die Entwicklung, Umsetzung, Multiplikation und Skalierung von Lösungen zur Erreichung der Klima- und Energieziele in ganz Österreich bei. Pionierstädte entwickeln zahlreiche FTI-Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz, des Einsatzes erneuerbarer Energien sowie zur nachhaltigen urbanen Mobilität. In realen Quartieren wird im Schulterschluss zwischen Forschung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und der öffentlichen Verwaltung Klimaneutralität in Städten umgesetzt."

Henriette Spyra, Leiterin der Sektion III „Innovation und Technologie“ des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Foto: Luiza Puiu

Autor*innen

Dipl.-Ing. Helmut Strasser ist Leiter des Fachbereichs Energie und Klimaschutz im SIR-Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Nina Mostegl, MRM (Planning) ist Leiterin des Städtemanagements Klimaneutrale Stadt im SIR-Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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