Zeitschrift EE

02 | 2023 Energiewende für Städte und Gemeinden

Ein Plan für den Klimaschutz: Die Stadtgemeinde Gleisdorf legt Ziele und Maßnahmen fest

Franz Mauthner, Regina Höfler, Christian Fink

Die Stadtgemeinde Gleisdorf hat in Zusammenarbeit mit dem Forschungsinstitut AEE INTEC und dem Büro Verkehrplus - Prognose, Planung und Strategieberatung GmbH einen umfassenden Klimaschutzplan erarbeitet, der Ziele und Leitsätze im Bereich Klimaschutz neu definiert. Im September 2022 hat der Gemeinderat einen Grundsatzbeschluss gefasst, um die Ziele des Klimaschutzplans weiterzuverfolgen und somit einen wichtigen Schritt in Richtung Klima- und Umweltschutz zu machen.

Abbildung

Leitsätze des Klimaschutzplans Gleisdorf

Die Vision sieht vor, den Ausstieg aus fossilen Energieträgern aktiv voranzutreiben und bis 2040 weitestgehend umzusetzen. Der Klimaschutzplan identifiziert und bewertet vor diesem Hintergrund Handlungsansätze und konkrete Maßnahmen für die Umsetzung inklusive zeitlicher Priorisierung. Der Fokus liegt dabei auf Aktivitäten im Wirkungsbereich der Stadtgemeinde Gleisdorf sowie deren verbundener Unternehmen. Darüber hinaus werden Möglichkeiten identifiziert, um Private und Gewerbetreibende zu motivieren, im Bereich Klima- und Umweltschutz aktiv zu werden.

Leitsätze des Klimaschutzplans Gleisdorf

Inhaltlich und methodisch baut der Klimaschutzplan auf einer umfassenden Statuserhebung und räumlichen Analyse des Gebäudebestandes, der vorhandenen leitungsgebundenen Infrastruktur Fernwärme, Erdgas und Strom, des Energiebedarfes sowie der lokalen erneuerbaren Energiepotenziale auf. In Arbeitsgruppen mit allen relevanten Ausschüssen und Stakeholdern der Stadtgemeinde wurden mit Bezugnahme auf diese Wissensgrundlage mehr als 80 Handlungsansätze für den planvollen Umstieg auf erneuerbare Energieträger identifiziert und in einen Maßnahmenkatalog aufgenommen. Zur Ermittlung von messbaren Zielen wurden schließlich für die Energiesektoren Raumwärme, Strom, Mobilität und Prozesswärme an die örtlichen Gegebenheiten angepasste Szenarien definiert und Absenkpfade für Energie und Treibhausgasemissionen bis 2030 bzw. 2040 ermittelt. Im Ergebnis wurde für die Stadtgemeinde Gleisdorf für das ambitionierte Szenario eine mögliche Reduktion der Treibhausgasemissionen um bis zu 81 Prozent bis 2040 im Vergleich zum Referenzjahr 2020 festgestellt.

Sektor-Ziele des Klimaschutzplans Gleisdorf. THG-Emissionen… Treibhausgasemissionen, KWK … Kraft-Wärme-Kopplung, MIV … motorisierter Individualverkehr; ÖPNV…öffentlicher Personen-Nahverkehr

Methodik bei der energietechnischen Statusanalyse

Für die Stadtgemeinde Gleisdorf wurde aufbauend auf einer umfassenden räumlichen Bestandserhebung und Analyse eine Energie- und Ökobilanz für die Energiesektoren Raumwärme, Strom, Mobilität und Prozesswärme im Referenzjahr 2020 erstellt. Daten mit Raumbezug wurden in einer Datenbank abgespeichert und sind über ein Web-GIS abrufbar. Bei der sektoralen Betrachtung waren aufgrund der verfügbaren Informationen unterschiedliche methodische Ansätze erforderlich:

Zu den Bestandsgebäuden in Gleisdorf liegen aus dem Projekt GEL S/E/P1 eine Vielzahl an Informationen vor, aus denen die Energieträgerverteilung nach Heizungsart im Gemeindegebiet sowie die Endenergiebedarfe und Treibhausgasemissionen für den Raumwärmesektor objektgenau ermittelt wurden [Methodenbeschreibung siehe Götzlich et al. 2021]. Zur Analyse und Bilanzierung des Stromsektors wurden hingegen Messdaten vom örtlichen Stromnetzbetreiber Feistritzwerke STEWEAG GmbH herangezogen, auf deren Basis je Katastralgemeinde die jährlichen Stromverbräuche nach Nutzungskategorien (Gemeinde, Gewerbe, Haushalt, Landwirtschaft, Straßenbeleuchtung) sowie die jährlichen Stromeinspeisungen ins Netz (PV, Wasserkraft) ermittelt wurden. Letztere Information wurde dazu verwendet, die elektrische Einspeiseleistung und Modulfläche der installierten PV-Anlagen sowie auch die bilanzielle Eigenerzeugungsquote im Gemeindegebiet (ca. 8 Prozent im Referenzjahr) abzuschätzen. Der Erdgasverbrauch für Prozesswärme in der Industrie wurde differenziert nach Nieder-, Mittel- und Hochtemperaturanwendungen im Zuge von Energieaudits bei den relevanten Unternehmen ermittelt. Der Energieverbrauch im Bereich Mobilität ist schwierig zu messen und umfasst den Personenverkehr als auch die Gütermobilität. Das Projekt Energiemosaik Austria2 diente hier als Datengrundlage. Alle untersuchten Energiesektoren wurden zu einer Gesamtbilanz für das Referenzjahr 2020 zusammengeführt. Nachfolgende Abbildung zeigt diesen Status quo in Form der Endenergiebilanz differenziert nach Energiesektoren und Energieträgern sowie in Form der Ökobilanz mit den CO2-äquivalenten Treibhausgasemissionen pro Jahr. Der Endenergiebedarf der Stadtgemeinde Gleisdorf betrug demnach im Referenzjahr 292 GWh (davon 48 Prozent für Raumwärme, 22 Prozent für Strom, 19 Prozent für Mobilität und 11 Prozent für Prozessgas). Die jährlichen THG-Emissionen beliefen sich auf rund 63 200 t CO2-Äquivalente und der Anteil erneuerbarer Primärenergie lag bei 27 Prozent.

Energiebedarf nach Sektoren und Endenergie Aufbringung nach Energieträger

CO2e-Emissionen nach Energieträger

Methodik bei der Szenario-Entwicklung und Analyse

Bei der Entwicklung der Szenarien wurden zwei Pfade, moderat und ambitioniert, definiert, die jeweils die lokale Energieinfrastruktur als auch lokale erneuerbare Potenziale und prognostizierte Entwicklungen in Bezug auf Klima, Bevölkerung, BIP, Neubau und Nachverdichtung berücksichtigt.

Beim Raumwärmesektor wurden Szenarien für den Neubau und die Gebäudesanierung sowie die schrittweise Umstellung der Raumwärmeversorgung auf erneuerbare Energieträger bis 2040, wie im Stufenplan des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes EWG 212/ME3 vorgesehen, zugrunde gelegt. Beim Stromsektor wurde der Mehrbedarf durch Elektromobilität und Wärmepumpenheizungen im Zeitverlauf sowie auch die schrittweise Dekarbonisierung des europäischen Strommixes berücksichtigt. Basierend auf räumlichen Analysen zu Dach- und Freiflächeneignung für PV-Installationen wurden unterschiedlich ambitionierte PV-Ausbauszenarien zugrunde gelegt sowie der Einsatz von KWK-Technologie in der Fernwärmeversorgung und der Industrie unterstellt. Die größten Energieeinsparungspotenziale birgt der Sektor Mobilität. Insbesondere eine Verlagerung des motorisierten Individualverkehrs (MIV) in Richtung Umweltverbund (Fuß, Rad, Mitfahrzentralen, Car-Sharing, öffentlicher Personennahverkehr - ÖPNV) ist mit direkten Einsparungen verbunden und wurde in einer Größenordnung von 20-30 Prozent berücksichtigt. Ein technologischer Wechsel des verbleibenden MIV vom Verbrennungsmotor in Richtung Elektromobilität führt aufgrund der höheren Effizienz zu weiteren Energieeinsparungen, erhöht aber den zukünftigen Strombedarf und stellt somit neben dem PV-Ausbau und der zunehmenden Anzahl an Wärmepumpen in der Raumwärmeversorgung hohe Anforderungen an die zukünftige Stromnetzinfrastruktur. Insgesamt wurde in den Szenarien angenommen, dass bis 2040 60-70 Prozent des verbleibenden MIV elektrifiziert ist. Die Szenario-Annahmen zur Dekarbonisierung des gasversorgten Prozesswärmesektors umfassen die vollständige Substitution von fossilem Erdgas im Niedertemperaturbereich (<80°C), sowie die teilweise Substitution von fossilem Erdgas mit erneuerbarem Dampf (vorzugsweise als KWK) und / oder synthetischem („grünem“) Gas im Mittel- und Hochtemperaturbereich (>200°C). Die Ergebnisse des ambitionierten Szenarios als Energie- und Ökobilanzen für die Jahre 2030 und 2040 sind ebenfalls in der vorangehenden Abbildung dargestellt: Die in den Szenarien berücksichtigten Maßnahmen resultieren in Endenergieeinsparungen in der Höhe von 34 Prozent bis 2040 (vor allem Gebäudesanierung und Heizungstausch, Verlagerung und Elektrifizierung der Mobilität). Der verbleibende Endenergiebedarf kann entsprechend dem Szenario bis 2040 zu 81 Prozent mittels erneuerbarer Primärenergieträger bereitgestellt werden.

Operationalisierung der Maßnahmen und Ziele des Klimaschutzplans in der Stadtgemeinde

Neben einem Maßnahmenplan wurde im Projekt eine Organisations- und Prozessstruktur zur Umsetzung der Maßnahmen auf kommunaler Ebene erarbeitet und erprobt. Den Kern dieser Struktur bilden zwei neue interdisziplinäre Gremien (Board und Arbeitsgruppe), in denen lokale Akteur*innen der Energiewende und Verwaltung vernetzt und von einer Klimaschutzbeauftragten koordiniert werden. Intention ist es, alle Beschlusssachen des Gemeinderates zu Beginn auf ihre Klimarelevanz hin zu prüfen und bei positiver Prüfung weiterführende Schritte entsprechend den Festlegungen im Klimaschutzplan in die Wege zu leiten. Das Board dient hierbei als Entscheidungsgremium, von dem Aufgaben an die Arbeitsgruppe zur operativen Bearbeitung delegiert werden. Die Klimaschutzbeauftrage koordiniert die Maßnahmenplanung, Erfolgskontrolle und Vernetzung innerhalb und außerhalb der Stadtgemeinde und treibt die Entwicklung neuer Projekte, Ideen und Finanzierungsmöglichkeiten voran.

Die erarbeiteten Leitziele, Maßnahmen und Strukturen im Klimaschutzplan der Stadtgemeinde Gleisdorf bilden ein solides Fundament, das den beschleunigten Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe anleitet und so einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet.

Stellungnahme

"Mit der Finanzierung unserer größtenteils auf fossilen Energieträgern aufgebauten Energieversorgung fließen jährlich Millionen Euros in ausländische Regionen ab, anstatt damit auf Energieeffizienz und heimische Energieressourcen mit maximaler Wertschöpfung und Versorgungssicherheit zu setzen. Die Stadt Gleisdorf hat sich per Gemeinderatsbeschluss zur notwendigen Transformation des Energiesystems bekannt und setzt den gemeinsam mit AEE INTEC und zahlreichen Stakeholdern erstellten kommunalen Klimaschutzplan nun Stück für Stück um."

Christoph Stark, Bürgermeister der Stadt Gleisdorf. Foto: Karl Schrotter

Autor*innen

Dipl.-Ing. Franz Mauthner, MSc ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Dipl.-Ing. Regina Höfler, BSc ist Mitarbeiterin des Bauamtes der Stadt Gleisdorf. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ing. Christian Fink ist Geschäftsführer von AEE INTEC.

Weiterführende Informationen

Götzlich, L., Mauthner F., et al.: Gebäudemodell für die räumliche Energieplanung, AGIT – Journal für Angewandte Geoinformatik, 7-2021, doi:10.14627/537707011, Salzburg (2021) Download https://gispoint.de

  1. Im Projekt GEL S/E/P – Spatial Energy Planning for Energy Transition werden digitalen Datengrundlagen für Energieraumplanung in Steiermark, Salzburg und Wien erarbeitet. Die Ergebnisse stehen den steirischen Gemeinden über das GIS Steiermark zur Nutzung in der Örtlichen Entwicklungsplanung zur Verfügung. Weitere Informationen: https://www.waermeplanung.at/
  2. https://www.energiemosaik.at/intro
  3. Erneuerbare-Wärme-Gesetz – EWG (212/ME) - Ministerialentwurf Gesetz vom 14.06.2022: https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/212#tabUebersicht?selectedStage=100
Top of page