Zeitschrift EE

02 | 2023 Energiewende für Städte und Gemeinden

Dekarbonisierung von Städten durch die Beteiligung von Stakeholdern und Bürger*innen

Isabella Weichselbraun, Barbara Hammerl

Es gibt verschiedene Strategien, wie Städte die Energiewende forcieren und nachhaltige Konzepte und Planungen in die Umsetzung bringen können. Egal ob im Bereich Verkehr und Mobilität, Städtebau und Sanierungen oder Begrünungen, in allen Bereichen können Städte Anreizsysteme setzen, um die Dekarbonisierung zu beschleunigen.

Zu beachten gilt: Stadtentwicklung ist ein Zusammenspiel und eine Einbindung vieler Akteur*innen. Graz hat in den letzten Jahren gezeigt, wie die Energiewende gemeinsam mit Bürger*innen, Unternehmen und Verwaltung funktionieren kann.

Workshop mit Gewerbetreibenden der Zinzendorfgasse zur Umgestaltung. Foto: StadtLABOR GmbH

Smart City Strategie der Stadt Graz

Städte können Anreizsysteme und auch rechtliche Vorgaben schaffen, um Bauträger und auch Privatpersonen zu motivieren, sich mit nachhaltiger Energieversorgung zu beschäftigen und umzusetzen. Dieser Top-Down Ansatz mit Festlegungen und Verordnungen bildet einen Rahmen für nachhaltige Entwicklungen in der Stadt und gibt eine Richtung vor.

Mit dem Bekenntnis der Stadt Graz zu einer Smart City Strategie wurden Abkommen getroffen, die energieeffiziente und ressourcenschonende Stadtteile unterstützen.

Zusätzlich können städtebauliche Vertragsmodelle, die im Zuge des Bebauungsplan- oder Bauverfahrens zwischen der Stadt und den Grundeigentümer*innen abgeschlossen werden dafür sorgen, dass sich Bauträger an der nachhaltigen Entwicklung ihres Gebäudes oder Umfeldes beteiligen.

„Die Verträge treffen liegenschaftsbezogene Festlegungen entsprechend den stadtplanerischen Vorgaben (etwa Stadtentwicklungskonzept, Rahmenplan, Flächenwidmungsplan) und den fachplanerischen Erfordernissen insbesondere der Infrastruktur, Erschließung, Gestaltung und Mobilität. Damit soll die für die Stadt(teile) erforderliche Infrastruktur, Daseinsvorsorge, Baulandqualität sowie Siedlungsentwicklung gewährleistet werden“1.

Im Brauquartier Puntigam wurden beispielsweise zwischen C&P Immobilien AG und der Stadt Graz Mobilitätsverträge abgeschlossen, die den Bauträger verpflichteten, unter anderem die Fahrradmobilität (Qualitative Abstellplätze, Fahrradservicetage, Fahrradserviceboxen) zu stärken oder den Bewohner*innen Ticket-Ermäßigungen zur Förderung des öffentlichen Verkehrs bereitzustellen. Durch eine frühzeitige Einbindung von Stakeholdern konnte für das Brauquartier Puntigam eine nachhaltige Energieversorgung eingerichtet werden. Die Abwärme der Brauerei Puntigam versorgt Wohnungen und Betriebe mit Wärme.

Weitere Tools, um die Energiewende zu forcieren, können Förderungen sein, die von Städten an Hauseigentümer*innen oder Bauträger ausbezahlt werden.

Die Stadt Graz bietet beispielsweise immer wieder finanzielle Unterstützungen für Erstberatungen für Bauwerksbegrünungen an oder fördert die Entsiegelung von Vorgärten.

Diese Maßnahmen können als langfristige Strategie von den Städten vorgeschrieben werden und bilden einen Rahmen für eine klimawandelangepasste Stadt.

Energiewende mit Bauträgern

Damit die Energiewende gelingen kann, müssen sich auch wichtige Stakeholder und Akteur*innen, welche Städte aktiv planen und mitgestalten, mit der Energiewende beschäftigen.

Es gibt Projekte, in welchen Bauträger versuchen, das Thema Klimaneutralität und Klimawandelanpassung zu forcieren. Innerhalb der ÖWG-Wohnbau gibt es verstärkte Bemühungen und auch Zielsetzungen im Bereich Klimaschutz. Beim Projekt Reallabor Gebäude – Gebäude als Reallabor für klimaneutrales, bedarfsgerechtes und leistbares Wohnen – werden Dekarbonisierung der Wärme- und Stromversorgung, grüne und blaue Infrastruktur, Materialökologie, sparsamer Umgang mit der Ressource Boden, Klimaschutz auf Bewohner*innenebene, Mobilität oder Lebenszyklusbeobachtungen genau betrachtet und überlegt, wie diese Komponenten in Zukunft bei Bauvorhaben bzw. Sanierungen berücksichtigt werden können.

Ziel des Projektes ist es, Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung bei Sanierungs-/Bestandserweiterungs- und Nachverdichtungsprojekten strategisch zu verankern und für ein konkretes Pilot-Objekt im urbanen Raum ein umfassendes, klimaneutrales Sanierungskonzept zu entwickeln, das in weiterer Folge auch umgesetzt wird.

Reallabor Gebäude: Exkursion mit dem Projektteam zu Sanierungsobjekten. Foto: StadtLABOR GmbH

Dabei spielt auch die frühzeitige Einbindung der Bewohner*innen eine große Rolle und die Bewusstseinsbildung für langfristige Veränderungen des Nutzer*innenverhaltens.

Energiewende mit Bürger*innen

Städte sind für Menschen gemacht, die dort qualitätvoll wohnen, arbeiten und leben wollen. Ohne die Einbindung von Bürger*innen kann die Energiewende auf Dauer nicht gelingen. Nicht nur, dass ein Umdenken und eine Verhaltensänderung bei jedem und jeder einzelnen von uns notwendig sind, auch die Entscheidungen von Seiten der Politik, Verwaltung oder Planer*innen müssen von den Menschen akzeptiert und mitgetragen werden.

Daher werden auch bei energierelevanten Stadtentwicklungen immer öfter Bürger*innen und Unternehmen beteiligt.

Veränderungen im direkten Wohn- und Lebensumfeld erzeugen immer wieder Unsicherheiten bei den Menschen und können so zu Konflikten führen. Durch eine transparente Informationsarbeit, Aufklärung und Miteinbindung wird die Akzeptanz der Bewohner*innen gegenüber Sanierungsvorhaben und Nachverdichtungsprozessen in ihrem direkten Wohnumfeld gestärkt.

Bürger*innenversammlung und Infoabend mit Planer*innen und der Stadt Graz. Foto: StadtLABOR GmbH

Die Vorteile:

  • Lokales Wissen und Vor-Ort-Erfahrungen der Bewohner*innen fließen in die Sanierungskonzepte ein
  • Stärkung der Identifikation mit dem Sanierungsvorhaben und Verständnis für Umbauten bei Bewohner*innen
  • Kosten- und Zeitersparnis durch die Vermeidung möglicher Konflikte
  • Positives Image des Unternehmens am Wohnungsmarkt
  • Stärkung der Hausgemeinschaft und Verbesserung der Dialogkultur zwischen Nachbar*innen und Hausverwaltung

Beim Projekt Reallabor werden an einem Standort in der Billrothgasse die Bewohner*innen mittels Fragebögen befragt, persönliche Gespräche geführt und punktuell Infoabende abgehalten. Im Zuge der Sanierungen sollen für die Bewohner*innen Ansprechpersonen zur Verfügung stehen, um Fragen, Anliegen und Bedarfe schnell klären oder erkennen zu können.

Eine weitere Einbindung und Möglichkeit zur Mitgestaltung bietet die Teilnahme an einem Ideenwettbewerb. Bei diesem werden alle Bewohner*innen der ÖWG Wohnungen in Österreich eingeladen, durch ihre Ideen attraktive Grün- und Freiflächen und Gemeinschaftsflächen mitzugestalten. Die Ideen können über eine digitale Plattform zeit- und ortsunabhängig hochgeladen und im Anschluss vom Projektteam der ÖWG gesichtet werden. So bekommen die Bewohner*innen die Möglichkeit, ihr Lebensumfeld aktiv zu beeinflussen. Sie schlüpfen in die Rolle der Ideenbringer*innen, Co-Entwickler*innen, Test- und Feedbackpersonen und das Gebäude wird zum Reallabor – zum Experimentier- und Möglichkeitsraum.

Digitale Ideenplattform: Ideenwettbewerb zum Projekt Reallabor Gebäude auf Stadt.Land.Ideen. Quelle: StadtLABOR GmbH

Verkehr und Mobilität

Ein weiterer Beteiligungsprozess findet in der Stadt Graz im Bereich „Verkehr und Mobilität“ statt. Mit der Neugestaltung der Zinzendorfgasse in eine Begegnungszone bekennt sich die Stadt zur sanften Mobilität, fördert nachhaltige und grüne Mobilitätsformen und schafft attraktive Aufenthaltsflächen für die Menschen in der Umgebung.

Von Juni 2022 bis Dezember 2022 wurde für die Umgestaltung der Zinzendorfgasse eine große Beteiligungskampagne von der Stadt Graz organisiert. Man hat Akteur*innen, welche in der Zinzendorfgasse arbeiten, leben und studieren gut ins Boot geholt und versucht, für alle Zielgruppen Lösungen zu finden.

Auch hier galt: Können alle Akteur*innen von Anfang an eine Strategie der Stadt mitverfolgen und werden sie eingebunden, steigt die Akzeptanz gegenüber der Veränderungen und die Menschen sind eher bereit, einen Teil zur Lösung beizutragen.

Fazit

Die Energiewende wird nur im Einklang mit den verschiedenen Akteur*innen, die Städte planen, gestalten und beleben, erreicht werden können. Der direkte Einbezug der Menschen in den Entwicklungs und Planungsprozess nachhaltigerer Städte, Wohn und Aufenthaltsräume ist wichtig, um den Sprung zu einer klimaschonenden Umgebung zu schaffen und langfristige Veränderungen hervorzurufen und zu leben.

Autor*innen

Mag.a Barbara Hammerl, CSE ist Geschäftsführerin von StadtLABOR - Innovation für urbane Lebensqualität GmbH und LandLABOR – LL Projektentwicklungs GmbH und in den Bereichen Innovations- und Transformationsprozesse im urbanen Kontext, sowie Partizipation, Mediation, Stakeholdereinbindung und Beteiligungsdesigns tätig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Isabella Weichselbraun, BA ist Projektmanagerin in der StadtLABOR – Innovation für urbane Lebensqualität GmbH und ist in den Bereichen Beteiligung, Stakeholdereinbindung und Öffentlichkeitsarbeit, sowie nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung tätig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

  1. Stadt Graz - Stadtbaudirektion (2018): Städtebauliche Verträge in Graz. S. 2 https://www.graz.at/cms/dokumente/10329556_8095573/e6ed2ca9/Folder-Vertrag_A4-text_druckbogen.pdf
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