Zeitschrift EE

02 | 2023 Energiewende für Städte und Gemeinden

Energiedienstleistungen weiter gedacht

Basak Falay, Gerald Schweiger

Im August 2022 wurde Kalifornien von einer Hitzewelle heimgesucht, die das Stromnetz überlastete und den Staat dazu veranlasste, die Bewohner zum Energiesparen aufzufordern, um Stromausfälle zu vermeiden1. Dieses Ereignis verdeutlicht, welchen erheblichen Einfluss elektrische Geräte in Haushalten auf das Energiesystem haben können.

Foto: AdobeStock

Nutzen von „Demand Response“ und modellprädiktiven Regelungen für Kund*innen und Energieversorger

Die Einbeziehung der Verbraucher*innen in die Reduzierung ihres Verbrauchs ist eine Strategie, die als „Demand Response“ (DR) bezeichnet wird und von den Versorgungsunternehmen nicht nur zur Vermeidung von Stromausfällen eingesetzt wird. Dadurch bietet sich Energieversorgungsunternehmen auch die Möglichkeit, Energieeinsparungen zu erzielen, von denen die Verbraucher*innen ebenso wie die Gesellschaft profitieren2.

Moderne Heizungssysteme beinhalten ein gewisses Maß an Demand Response-Funktionalitäten, indem sie intelligente Thermostate verwenden, die die Temperatur automatisch auf der Grundlage von Echtzeit-Netzbedingungen und Präferenzen der Nutzer*innen anpassen können. Intelligente Heizungstechnologien verbessern die Energieeffizienz, sorgen für kosteneffizientes Heizen und eine bessere Integration erneuerbarer Wärmequellen in das Heizungsnetz. Herkömmliche Regelungstechnik passt die Wärmeversorgung an das Wetter und die Tageszeit an, während modellprädiktive Regelungen (MPC) Vorhersagen über den künftigen Bedarf und das künftige Angebot ermöglichen, um die Leistung von Energiesystemen zu optimieren und so die Effizienz des Systems zu steigern, Energiekosten zu senken und Umweltauswirkungen zu verringern.

Sowohl Demand Response als auch modellprädiktive Regelungen zielen darauf ab, die Zuverlässigkeit und Flexibilität von Energiesystemen zu verbessern und gleichzeitig Vorteile für die Kund*innen und Energiedienstleister beziehungsweise Energieversorgungsunternehmen zu schaffen. Diese Strategien kommen als Energiedienstleistungen den beteiligten Stakeholdern und der Gesellschaft zugute, beziehen sich jedoch nicht nur auf Energie oder Energieträger an sich, sondern fassen den Begriff Energiedienstleistungen weiter und beziehen Leistungen wie die Nutzung von künstlicher Intelligenz oder die Entwicklung von Algorithmen mit ein3. Angesichts steigender Inflation und schwankender Erdgaspreise brauchen Kund*innen mehr denn je erschwingliche Energielösungen, die durch diese Strategien erreicht werden sollen.

Nutzung von künstlicher Intelligenz in Energiesystemen

Energiedienstleistungen können die Energie- und Brennstoffkosten auf Großhandelsebene senken, indem sie die Nachfrage von kostspieligen Spitzenlastressourcen auf kostengünstigere Zeiten verlagern. Die Schaffung effizienterer Systeme durch Optimierung des Betriebs reduziert auch den CO2-Ausstoß. Um diese Vorteile von Energiedienstleistungen nutzen zu können, ist die Modellierung der Energiesysteme entscheidend. Modelle geben Einblick in Kosten, Nutzen und Kompromisse, die mit verschiedenen Systemkonfigurationen und Strategien verbunden sind. Sie helfen beispielsweise dabei, die potenziellen Auswirkungen verschiedener Strategien zur Eindämmung des Klimawandels zu verstehen und die damit verbundenen Risiken zu bewältigen. Sie erlauben ferner, große Datenmengen schnell und effizient aufzubereiten und zu bewerten und sie dann anwenderorientiert zu visualisieren, zum Beispiel zur Bewertung des aktuellen Betriebes eines Nahwärmenetzes.

In letzter Zeit hat sich das Modellierungsparadigma dank der Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) von White-Box- zu Black-Box-Modellierungen verschoben. White-Box-Modelle ermöglichen eine detaillierte Modellierung des Systems, sind aber sehr rechenintensiv. Black-Box-Modelle erfordern weniger Fachwissen und können schneller und kostengünstiger entwickelt werden. Allerdings kann es schwierig sein, die Ergebnisse des Modells zu interpretieren und zu validieren. KI-Algorithmen können dazu beitragen, die Leistung von Energiesystemen zu optimieren, indem sie Echtzeitdaten analysieren, Muster erkennen, Vorhersagen treffen und auf der Grundlage dieser Vorhersagen Entscheidungen treffen. Dies kann zu besserem Energiemanagement und geringerem Energieverbrauch führen. Künstliche Intelligenz kann auch Wartungskosten senken, indem sie die Wartung der Geräte plant.

Der Zyklus von Energiedienstleistungen. Quelle: AEE INTEC

AEE INTEC arbeitet in zwei Projekten (NextHyb4 und NextGES5) an der Bereitstellung verbesserter Energiedienstleistungen durch die Einbeziehung von KI. In Zusammenarbeit mit der Universität Aarhus, dem Pacific Northwest National Laboratory und der Technischen Universität Graz wurde eine Übersicht über verschiedene Möglichkeiten zur Konzeptionierung von Modellen dynamischer Systeme mit neuronalen Netzen erstellt, einschließlich neuronaler ODEs6, die physikalische Abbildung der Systeme mittels neuronaler Netze. Sie zeigt, dass ein neuronales Netz-Modell leicht auf ein anderes übertragen werden kann und die Algorithmen frei modifiziert werden können7. Diese Flexibilität macht es jedoch schwierig, konkrete Leitlinien für die Auswahl eines Modelltyps für eine bestimmte Anwendung zu definieren. Daher sollte in den Modellierungsprozess das Wissen über physikalische Prozesse mit einbezogen werden. In einem anderen Beitrag wird ein Arbeitsablauf für eine preiswerte White Box eines Sonnenkollektors erstellt, der über einen polynomialen8 Merkmalsatz trainiert wurde. Die Ergebnisse zeigen gute Genauigkeit, und das Modell bildet das physikalische Verhalten gut ab9. Wenn Black-Box-Modelle in einer Systemsimulation verwendet werden, sind Co-Simulationstechniken zur Kopplung verschiedener Simulatoren notwendig. In einer Übersichtsarbeit wurden systematisch Techniken, Standards, Werkzeuge und Anwendungen der Co-Simulation im Bereich der Gebäude und intelligenten Energiesysteme analysiert10. Die Ergebnisse zeigen, dass das „Functional Mock-up Interface“ der wichtigste Standard für die Co-Simulation ist11. Im Rahmen des Projekts NextHyb wurde ein Framework für die datengesteuerte Modellgenerierung und CoSimulation entwickelt, das in Python und Dymola implementiert wurde. Derselbe Rahmen wird auch in einer Studie verwendet, in der ein physikalisches Modell des Heizungssystems eines Gebäudes, das in Modelica implementiert ist, mit einem maschinellen Lernmodell eines geschichteten Warmwasserspeichers, das in Python implementiert ist, ko-simuliert wird12. Neben der Entwicklung dieser Black-BoxModelle für Energiesysteme zur Nutzung für modellprädiktive Regelungen und zur Fehlerdiagnose wird auch an der maßgeschneiderten Visualisierung für Gemeinden und Wohngebäude gearbeitet.

Visualierungsdashboard für Gemeinden. Quelle: AEE INTEC

Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, den Energiesektor und die zugrunde liegende Wertschöpfungskette zu verändern, aber es scheint eine erhebliche Lücke zwischen der KI-Forschung und der Anwendung im Energiebereich zu geben. Unklare Vorschriften für den Datenzugriff, das Fehlen einer für KI geeigneten IoT-Infrastruktur in Energiesystemen, unausgereifte Standards und unsichere Geschäftsmodelle behindern die volle Ausschöpfung des KI-Potenzials.

Autor*innen

Basak Falay, MSc ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Priv.-Doz. Dr. Gerald Schweiger, PhD leitet die Gruppe „Intelligent Buildings and Energy Systems“ am Institut für Softwaretechnologie der Technischen Universität Graz. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

  1. https://www.latimes.com/california/story/2022-08-31/california-heat-wave-likely-to-spur-flex-alerts-for-energy-grid
  2. E. Mahboubi-Moghaddam, M. Nayeripour, J. Aghaei, A. Khodaei and E. Waffenschmidt, "Interactive Robust Model for Energy Service Providers Integrating Demand Response Programs in Wholesale Markets," in IEEE Transactions on Smart Grid, vol. 9, no. 4, pp. 2681-2690, July 2018, doi: 10.1109/TSG.2016.2615639.
  3. Kalt G., Wiedenhofer D., Görg C., Haberl H., Conceptualizing energy services: A review of energy and well-being along the Energy Service Cascade, Energy Research & Social Science, Volume 53, 2019, Pages 47-58, ISSN 2214-6296, https://doi.org/10.1016/j.erss.2019.02.026.TSG.2016.2615639
  4. https://www.aee-intec.at/nexthyb2-next-generation-hybrider2-modellierung-fuer-die-analyse-und-optimierung-integrierter-intelligenter-energiesysteme-p298
  5. https://www.zukunftsfonds.steiermark.at/cms/beitrag/12851426/145290866/#tb2
  6. ODE – Ordinary Differential Equations
  7. Christian Legaard, Thomas Schranz, Gerald Schweiger, Ján Drgoňa, Basak Falay, Cláudio Gomes, Alexandros Iosifidis, Mahdi Abkar, and Peter Larsen. 2023. Constructing Neural Network Based Models for Simulating Dynamical Systems. ACM Comput. Surv. 55, 11, Article 236 (November 2023), 34 pages. https://doi.org/10.1145/3567591
  8. Polynomial bezeichnet in der Mathematik einen Ausdruck, der aus Variablen und Koeffizienten besteht, die durch einfache Operationen wie Addition, Subtraktion und Multiplikation verbunden sind.
  9. S. Wilfling, M. Ebrahimi, Q. Alfalouji, G. Schweiger and M. Basirat, "Learning Non-linear White-box Predictors: A Use Case in Energy Systems," 2022 21st IEEE International Conference on Machine Learning and Applications (ICMLA), Nassau, Bahamas, 2022, pp. 507-512, doi: 10.1109/ICMLA55696.2022.00082.
  10. Alfalouji, Q., Falay, B., Gomez C., Schweiger, G. (2022). Co-Simulation for buildings and smart energy systems a taxonomic review, Simulation Modelling Practice and Theory
  11. Wilfling, S., Falay, B., Alfalouji, Q., Schweiger, G. (2022). A Dymola-Python framework for data-driven model creation and co-simulation. In Linköping Electronic Conference Proceedings. Asian Modelica Conference 2022, Tokyo, Japan, November 24-25, 2022. Linköping University Electronic Press. https://doi.org/10.3384/ecp193165
  12. Falay B., Wilfling S., Alfalouji Q., Exenberger J., Schranz T., Legaard C.M., Leusbrock I., Schweiger G. (2021). Coupling physical and machine learning models: case study of a single-family house. In Linköping Electronic Conference Proceedings. 14th Modelica Conference 2021. Linköping University Electronic Press. https://doi.org/10.3384/ecp21181335
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