Zeitschrift EE

 04 | 2023 Serielles Sanieren

Serielles Sanieren als Schlüsseltechnologie für die Wärmewende

Deutschland steckt im Sanierungsstau: Rund drei Viertel der 21 Millionen deutschen Gebäude sind entweder gar nicht oder nur unzureichend gedämmt, werden mit Gas oder Öl beheizt und verbrauchen bis zu fünfmal mehr Energie als heutzutage technisch möglich ist. Um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen, müssen rein rechnerisch rund 1 800 Gebäude pro Tag energetisch modernisiert werden.

Energiesprong International. Foto: Fabrice Singevin

Mit herkömmlichen Verfahren ist diese Mammutaufgabe nicht zu schaffen. Gefragt sind innovative Lösungen, die die energetische Modernisierung im Bestand auf breiter Ebene vorantreiben. Statt kleinteiliger Einzelleistungen unterschiedlichster Gewerke setzt die serielle Sanierung auf digitale Planung, industrielle Vorfertigung und standardisierte Prozesse. Fassaden-, Dach- und Energiemodule werden in smarten Sanierungsfabriken vorgefertigt und auf der Baustelle nur noch montiert. Mit diesem innovativen Sanierungskonzept können bis zu 40 Prozent aller deutschen Bestandsgebäude schnell, einfach und bezahlbar auf den klimaneutralen NetZero-Standard gebracht werden.

Die zu sanierenden Gebäude in Erlangen vor der Sanierung. Foto: dena | Nico Gorsler

Der Bestand ist der zentrale Hebel für die Erreichung der Klimaziele im Gebäudesektor. Ob Baumaterialien, CO2 oder Energie – aus jedem Euro, der in den Bestand investiert wird, resultiert ein Vielfaches an Einsparund Klimaeffekten. Die bislang realisierten Energiesprong- Projekte haben gezeigt, dass sich selbst Worst-Performing-Buildings mit seriellen Sanierungslösungen energetisch auf Neubau-Niveau bringen lassen. Doch das innovative Sanierungskonzept kann noch mehr: Es macht ineffiziente Gebäude nicht nur zu Energiesparern (90 Prozent Primärenergieeinsparung), sondern auch zu Energieproduzenten (NetZero-Standard), CO2-Speichern (Verwendung nachwachsender Rohstoffe) und Materiallagern (Zirkuläres Bauen). Damit hat das serielle Sanieren großes Potenzial, sich zu einer Schlüsseltechnologie für die Wärmewende im Bestand zu entwickeln.

Die Gebäude in Erlangen nach der seriellen Sanierung Foto: dena | Nico Gorsler

Serielles Sanieren nimmt Fahrt auf

Nach erfolgreicher Pilotphase auf europäischer Ebene sehen wir auch in Deutschland eine Dynamik und Aufbruchsstimmung, die Mut macht. 49 serielle Sanierungsprojekte wurden fertiggestellt, 25 sind im Bau, 146 weitere befinden sich in unterschiedlichen Planungs- und Vorbereitungsphasen. Mittlerweile ist die nächste Stufe der Marktentwicklung erreicht – der Sprung von Piloten zu Portfolios. Bis 2027 will die Gewobau Erlangen 6 000 Wohneinheiten seriell sanieren. Weitere Wohnungskonzerne sind dabei, die in den Pilotprojekten gewonnenen Erkenntnisse sukzessive auf die Sanierung größerer Bestände zu übertragen. Parallel dazu erweitert die Bauwirtschaft ihre Kapazitäten.

Backpacker in der Fassade ersetzen die Strangsanierung. Foto: dena | Nico Gorsler

Aus einer unkonventionellen Idee hat sich ein innovatives Marktsegment entwickelt, das mit einem Sanierungsvolumen von über 100 Mrd. Euro attraktive Geschäftschancen entlang der gesamten Wertschöpfungskette eröffnet. Das Netzwerk ist auf rund 300 engagierte Akteure gewachsen. Aufbauend auf den Erfahrungen der Pilotphase und verstärkt durch die Förderung denken, planen und realisieren 28 Gesamtlösungsanbieter, 150 Zulieferer, 60 Architektur- und Planungsbüros sowie 50 Wohnungsunternehmen Sanierung neu. Große Player wie Saint-Gobain, Knauf, Sto, Vaillant, Vonovia und LEG sind in die serielle Sanierung eingestiegen und senden mit ihrem Engagement ein wichtiges Signal in den Markt. Erste Gigafabriken zur industriellen Herstellung vorgefertigter Elemente sind in konkreter Planung.

Attraktive Förderung gibt Rückenwind

Laut dem Klimaschutzgesetz müssen die CO2-Emissionen im Gebäudebereich bis 2030 um 45 Prozent sinken (von 120 auf 67 Millionen Tonnen pro Jahr). Parallel dazu muss der Heizenergiebedarf aufgrund der begrenzten Verfügbarkeit erneuerbarer Energien deutlich reduziert werden. Bislang wurden die Einsparziele im Gebäudesektor dreimal in Folge verfehlt. Grund dafür ist die viel zu niedrige Sanierungsrate von einem Prozent, die selbst bei einer Sanierung auf Nullenergieniveau nur zu einer jährlichen CO2-Einsparung von einem Prozent führt. Um die Klimaneutralität im Gebäudesektor bis 2045 zu erreichen, ist eine Verfünffachung der Sanierungsquote notwendig. Da sich weder Fachkräfte noch Fördermittel verfünffachen lassen, müssen die zur Verfügung stehenden Ressourcen so effizient wie möglich eingesetzt werden. Serielles Sanieren eröffnet hier die Chance, mit der gleichen personellen und finanziellen Ausstattung mehr energetische Sanierungen in kürzerer Zeit umzusetzen. Bei schnellem Markthochlauf könnten so bis 2045 mindestens 25 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden.

Am 12.7.2023 informierte sich Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck im LEG Reallabor über das innovative Sanierungsverfahren. Foto: LEG / Peter Weihs

Wie jede Innovation ist auch das serielle Sanieren anfangs noch teurer als eine konventionelle energetische Modernisierung. Die für neue Technologien typischen Kostennachteile werden durch die 2021 gestartete Bundesförderung Serielles Sanieren (Fokus Entwicklung) sowie die 2023 im Rahmen der Novellierung der Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) eingeführten Boni für Serielles Sanieren und Worst Performing Buildings (Fokus Realisierung) ausgeglichen. Mit Tilgungszuschüssen von bis zu 45 Prozent und zinsgünstigen KfW-Krediten, die 2 bis 3 Prozent unter den marktüblichen Konditionen liegen, ist das serielle Sanieren bei deutlich schnellerer Umsetzung in etwa auf dem Kostenniveau konventioneller energetischer Modernisierungen. Damit hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) die Weichen für eine breite serielle Sanierungswelle gestellt.

Antworten auf die Herausforderungen von morgen

Mit der geplanten EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) dürfte sich der Sanierungsdruck in Zukunft weiter erhöhen. Im März sprach sich das EU-Parlament für eine konkrete Sanierungspflicht ineffizienter Gebäude aus: Bis 2030 müssen Wohngebäude mindestens Klasse E und bis 2033 Klasse D erreichen. Nichtwohngebäude und öffentliche Gebäude müssen diese Energieeffizienzklassen bereits drei Jahre früher erreichen. Nach Angaben der EU-Kommission würde die erste Sanierungswelle rund 30 Millionen Gebäude in den Mitgliedstaaten betreffen. Zudem sieht die EPBD den Ausstieg aus fossilen Heizungssystemen vor: Öl- und Gasheizungen sollen ab 2024 nicht mehr subventioniert und ab 2040 nicht mehr betrieben werden. Allerdings wurde diese Vorgabe durch die Einführung einer Ausnahme für „Hybridsysteme“ erheblich aufgeweicht. Auch, wenn die Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Europäischer Kommission und den EU-Mitgliedsstaaten sowie die Einigung zwischen Rat und Parlament noch ausstehen, ist die Richtung klar.

Foto: dena / Jörg Parsick-Mathieu

Vor diesem Hintergrund bieten serielle Sanierungslösungen bereits heute Antworten auf die Herausforderungen von morgen. Mit ihrer Hilfe lassen sich Gebäude schnell, bezahlbar und mieterfreundlich von der schlechtesten auf die beste Energieeffizienzklasse bringen. Alle bislang umgesetzten Projekte haben einen energetischen Sprung von G oder H nach A gemacht – ein Effizienzniveau, das einem hochmodernen Neubau entspricht. Ein wichtiger Baustein des Energiesprong-Prinzips ist der NetZero-Standard: Über Photovoltaik auf dem Dach und bei höheren Gebäuden auch Teilen der Fassade erzeugen die Gebäude im Jahresdurchschnitt mindestens so viel erneuerbare Energie, wie die Bewohnenden für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom benötigen. Nahezu alle Projekte haben deutlich besser performt als geplant und erzeugen wesentlich mehr Solarstrom als benötigt wird. Die hohen Energieeinsparungen von bis zu 90 Prozent und günstige Preise für den Mieterstrom kompensieren die Modernisierungsumlage, sodass die Mieterinnen und Mieter im Idealfall unterm Strich nicht mehr zahlen als vorher. Somit eröffnet das serielle Sanieren neue Perspektiven für die klima- und sozialverträgliche Transformation des Gebäudebestandes.

Autorin

Ariane Steffen ist Kommunikationsexpertin im Energiesprong-Team der dena. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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