Zeitschrift EE

 04 | 2023 Serielles Sanieren

Nahwärmeverbund 4.0 macht Biomasseheizwerke zukunftsfit

Die Nutzung von Biomasse-Nahwärme ist ein wichtiger Teil der österreichischen Klimapolitik und trägt maßgeblich zur Erreichung der energiepolitischen Ziele bei. Darüber hinaus schafft sie Arbeitsplätze, lokale Wertschöpfung und nachhaltige Infrastruktur, und erhöht damit auch die Attraktivität als Industriestandort und Lebensraum. Derzeit sind in Österreich etwa 2 500 Biomasseheizwerke und 170 Biomasse- KWK-Anlagen in Betrieb. Die ältesten Heizwerke sind mittlerweile rund 35 Jahre alt und ein Großteil der Anlagen ist älter als 10 Jahre, weshalb hoher Bedarf an Renovierung und Modernisierung besteht1, 2.

Nahwärmeverbund 4.0-Workshop bei der Mitteleuropäischen Biomasse-Konferenz 2023 in Graz. Foto: Klaus Paar, GET

Um Modernisierungsbedarf zu erkennen und technoökonomisch bewerten und priorisieren zu können, ist ein solides Benchmarking ein wichtiges Element. Insgesamt erfordert die Bearbeitung dieser Themen eine enge Zusammenarbeit zwischen Technik und Wirtschaftswissenschaft.

Das Projekt „ACR-Nahwärmeverbund 4.0“

Der Nahwärmeverbund entwickelte in den letzten Jahren maßgeschneiderte und in der Praxis anwendbare F&EI3-Dienstleistungen für Heizwerk- bzw. Wärmenetzbetreiber*innen. Diese Dienstleistungen werden für einen markt- und zielgerichteten Knowhow- Transfer aus der F&E in die Praxis für KMU in der Branche angeboten und betreffen folgende drei Hauptbereiche: "Analyse und Benchmarking", "Analyse regionaler Auswirkungen" und "Advanced Data Analyses und Digitalisierung"

Analyse und Benchmarking

Zur Analyse des Ist-Stands von Nahwärmesystemen wurde ein „Erst-Check“ entwickelt, der mittels weniger Eingabedaten wie Netzdaten (Trassenlängen, Temperaturniveau), Wärmeerzeugungsanlagen, Brennstoffeinsatz, Jahreswärmeproduktion ein erstes Benchmarking vornimmt und Optimierungspotenziale erkennen lässt. Ferner wurde ein Portal zur Online-Datenerhebung programmiert, das interessierten KMUs die Möglichkeit bietet, Daten für eine semi-automatisierte Detailauswertung hochzuladen, welche im Rahmen der durch den Nahwärmeverbund 4.0 angebotenen Dienstleistungen verfügbar ist – mit dem Vorteil, dass die erhobenen Daten sofort in elektronischer Form vorliegen und über eine Software- Schnittstelle tiefer gehenden Analysen zugeführt werden können.

Außerdem wurde im Nahwärmeverbund 4.0 ein neuartiges, alle relevanten Einflussfaktoren wie erzeugte Wärmemengen je Kessel und Brennstoffart, betrieblicher Stromverbrauch, Personalkosten, Wärmeverbrauch der Kunden simultan umfassendes Benchmarking erarbeitet. Dazu wurden verfügbare Daten von Heizwerken verwendet, um mit Hilfe der multivarianten Methode der Data Envelopment Analysis die Kosteneffizienz und die technische Effizienz einer repräsentativen Stichprobe von österreichischen Biomasseheizwerken abzuschätzen. Im Zuge dieser Effizienzanalyse wurden Best Practice-Anlagen identifiziert, für die folgende Aussagen zutreffen:

Wärmeerzeugung:

  • Kapital- und Investitionskosten tendenziell niedriger als beim Durchschnitt.
  • Hoher Jahresnutzungsgrad und minimale Wärmeverluste der Wärmeerzeugung.

Wärmeverteilung:

  • Kapital- und Investitionskosten neigen dazu, niedriger zu sein.
  • Hoher Jahresnutzungsgrad (geringe Wärmeverluste) bei Wärmeverteilung.

Gesamtanlage:

  • Jahresnutzungsgrad der Gesamtanlage ist in der Regel höher als der Durchschnitt.
  • Wärmekosten tendenziell niedriger als der Durchschnitt.

Dies ermöglicht die Bewertung einzelner Einflussfaktoren spezifischer Heizwerke im Vergleich zu einem gesamtösterreichischen Benchmark. Aus den Ergebnissen wurden Kosten- und Ressourceneinsparungspotentiale von Nahwärmesystemen errechnet und eine techno-ökonomische Beurteilung der untersuchten Anlagen durchgeführt.

In der folgenden Grafik sind Beispiele von ausgewählten Kennzahlen im Vergleich zu den Werten der effizientesten Anlagen und dem Durchschnitt aller untersuchten Anlagen dargestellt. Die Kennzahlen beziehen sich sowohl auf die Gesamtanlage (GA) als auch auf die Wärmeerzeugung (WE) und -verteilung (WV).

Wärmekosten, spezifischer Stromverbrauch und Wärmeverluste in Bezug auf Erzeugung (WE) und Verteilung (WV) einer spezifischen Anlage im Vergleich mit der effizientesten Anlage und dem Durchschnitt. Da die Benchmark-Anlagen der unterschiedlichen Jahre variieren, ist ein Vergleich über die Jahre nur eingeschränkt möglich. Quelle: IWI

Die Vergleichbarkeit über die Jahre ist nur eingeschränkt möglich, da jedes Jahr ein anderes Sample untersucht wurde und daher auch die Benchmark- Anlagen nicht immer die gleichen sind. Dies zeigt bereits, dass einwandfreie Datenqualität essenziell für ein adäquates Benchmarking ist.

Analyse regionaler Auswirkungen

Im Rahmen des Projekts wurden auch die regionalen Auswirkungen auf Wertschöpfung, Beschäftigung und die nachhaltige Entwicklung von Biomasse-Nahwärme analysiert. Diese Analyse zeigte in der KEM-Region Hartberg, dass, obwohl rund 53 Prozent des Heizenergieverbrauchs durch fossile Energieträger und 47 Prozent durch feste Biomasse gedeckt werden, die direkte regionale Wertschöpfung aus Wartung und Betrieb inkl. Brennstoffbereitstellung der biogenen Anlagen bei 3,8 Mio. Euro pro Jahr liegt, jene aus Wartung und Betrieb der fossilen Anlagen bei 0,5 Mio. Euro. Das biogene System sichert 31 regionale Vollzeitäquivalente, das fossile 4,2. Der Geldabfluss aus der Region beträgt 0,9 Mio. Euro durch biogene Energieträger, 7,2 Mio. Euro durch fossile. Die CO2- Emissionen durch Bioenergie liegen bei 1 600 Tonnen/ Jahr - durch fossile bei 58 500 Tonnen/Jahr (siehe Tabelle 1). Ein Ausbau des Biomasseanteils zur Wärmebereitstellung auf 100 Prozent würde sich somit positiv auf die regionale Beschäftigungssituation auswirken (6,5 Mio. Euro regionale Wertschöpfung jährlich), den jährlichen Geldabfluss durch Wartung und Betrieb reduzieren und auch die CO2-Emissionen stark verringern.

Tabelle 1: Berechnete CO2-Emissionen für die KEM-Region Hartberg (Basis Heizenergieverbrauch) für die Szenarien Status quo, 100 Prozent Biomasse und 100 Prozent fossil (in Tonnen pro Jahr) Quelle: KOV

Advanced Data Analyses und Digitalisierung

Zur Organisation und Strukturierung der Daten von Biomasseheizwerken wurde ein Softwaretool mit Schnittstellen zu anderen Systemen geschaffen, wie z. B. dem Open Source-Paket R4. Ziel war es, Schnittstellen zu möglichst vielen Monitoring-Systemen von verschiedenen Herstellern und Systemarchitekturen im laufenden Betrieb zu implementieren, um eine umfassende teil- oder vollautomatische Datenverarbeitung und Analyse zu ermöglichen und Arbeitszeit einzusparen. Das Tool erstellt standardisierte Diagramme, um die Ergebnisse zu veranschaulichen. Es wurde eine Kombination von R und dem Datenvisualisierungstool Grafana5 entwickelt (siehe nachfolgende Abbildung). Die Grafiken schaffen eine Entscheidungsgrundlage für Netzaus- und -umbauten. Im Rahmen konkreter Aufträge bietet der Nahwärmeverbund 4.0 einen Data Management- und Digitalisierungsleitfaden für Anlagenbetreiber als Teil einer Digitalisierungsdienstleistung an.

Verlauf von Kesselleistung und Abgastemperauren über einen Wintertag, visualisiert mit Grafana. Quelle: GET

Auf Basis validierter Nahwärme-Messdaten von Abnehmern wurden anonymisierte und skalierbare Simulationsdatensätze von Verbräuchen gesammelt und aufbereitet. Diese können in einer Vielzahl von Simulationsprogrammen eingesetzt werden, um „typische“ Nahwärmenetze (diverse Gebäudetypen wie Ein- und Mehrfamilienhäuser, Schulen, Büros, usw.) abzubilden. Diese Profile erlauben eine effiziente und effektive Planung von Neu- und Ausbauten von Nahwärmenetzen und ermöglichen die richtige Dimensionierung von Erzeugungsleistungen und die Berücksichtigung von genügend Ausbaupotenzial.

Technische F&EI-Konzepte

Typische Problemstellungen der Praxis wurden gesammelt und mögliche Lösungen in Form von technischen F&EI – Konzepten erarbeitet, ein F&EI-Portfolio erstellt sowie eine F&EI-Roadmap abgeleitet. Das F&EI-Portfolio6 steht als Handout potenzieller technischer und nicht-technischer Dienstleistungen des Nahwärmeverbundes 4.0 zur Verfügung. Die F&EIRoadmap bildet für das Konsortium einen internen Leitfaden relevanter Fragestellungen für Forschung, Entwicklung und Innovation im Bereich Biomasseheizwerke und themennaher Randbereiche, sowie bei Schnittstellen mit verwandten Disziplinen.

Zusammenfassung

Der Nahwärmeverbund 4.0 ist durch eine nachhaltige interdisziplinäre Kooperation zwischen den technischen und wirtschaftswissenschaftlichen Partnern gekennzeichnet. Gemeinsam entwickelte F&EI-Dienstleistungen werden KMUs in der Branche zur Verfügung gestellt und schaffen für diese einen Wettbewerbsvorteil.

Der Nahwärmeverbund 4.0 stellt eine zentrale Anlaufstelle für KMUs im Bereich Biomasse-Heizwerke dar, sowohl bei der Umsetzung als auch bei der wissenschaftlichen Bearbeitung von praxisrelevanten Fragestellungen, und liefert somit wertvolle Unterstützung in der Weiterentwicklung und Modernisierung der Branche.

Literatur

  1. Schrammel, H.; Metz, S.; Tertschnig, W. & Lamers, G. 2015. Effiziente Biomasse-Nahwärme. Qualitätsmanagement für Heizwerke. Wien: BMLFUW.
  2. Österreichischer Biomasse Verband 2023, Basisdaten 2023 Bioenergie
  3. F&EI steht für Forschung, Entwicklung, und Innovation
  4. The R Project for Statistical Computing, https://www.r-project.org/, Zugriff: 10.10.2023
  5. Grafana Labs, https://grafana.com/ Zugriff: 10.10.2023
  6. https://www.aee-intec.at/nahwaermeverbund-40-forschungsverbund-fuer-nahwaerme-digitalisierung-waermenetz-technologien-techno-oekonomische-bewertung-von-fei-massnahmen-p255

Autor*innen

Dipl.-Ing. Michael Salzmann und Dipl.-Ing. Christian Ramerstorfer sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. Ingo Leusbrock ist Leiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Mag. Dr. Bernhard Mahlberg ist Researcher am Industriewissenschaflichen Institut - IWI und Projektleiter des Nahwärmeverbund 4.0. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Mag.a Andrea Frank-Stocker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Industriewissenschaftlichen Institut - IWI, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. Richard Zweiler ist Geschäftsführer der Güssing Energy Technologies GmbH (GET). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. (FH) Klaus Paar ist Institutsleiter der Güssing Energy Technologies GmbH (GET). Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ing. Josip Zekic ist IT-Techniker beim Österreichischen Kachelofenverband. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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