Zeitschrift EE

01 | 2024 Grüne Treibstoffe

Alternative Kraftstoffpfade für die Hochsee-Schifffahrt

Global gesehen ist die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks der Hochsee- und Containerschifffahrt, die vor allem für Waren und Gütertransfer eingesetzt werden, eine wichtige Maßnahme zur Eindämmung des Klimawandels und der Verschmutzung der Meere. Derzeit werden für den Hauptantrieb immer noch minderwertige Schweröle, sowie Mischungen von Schwerölen mit Dieselölen genutzt. Obwohl durch erste Maßnahmen der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) eine Obergrenze für den Schwefelgehalt dieser mineralölbasierten Treibstoffe existiert (Schwefelgehalt <0.5%)1 ist ein Wechsel der Kraftstoffe und Antriebstechnologie für eine vollständige Dekarbonisierung des Seeschiffsektors für eine nachhaltige Entwicklung zwingend nötig.

Der Einsatz einer Festoxid-Brennstoffzelle (engl. Solid Oxide Fuel Cell - SOFC) und die Nutzung erneuerbarer Treibstoffe wie grüner Wasserstoff, Ammoniak, oder Methanol können eine vielversprechende und zukunftsweisende Alternative zur mineralölbasierten Schifffahrt sein. Entscheidend für diese Transformation ist jedoch die Entwicklung eines geeigneten Technologiekonzepts, die Kenntnis über mögliche Kraftstoffpfade und die Evaluierung der Machbarkeit, wie etwa die Bereitstellung der erforderlichen Kraftstoffmengen und -qualitäten, sowie die Kenntnis der Abhängigkeiten innerhalb der Kraftstoffpfade.

Hauptkomponenten eines Kraftstoffpfades

Europäisches Forschungsprojekt FuelSOME

Im EU Horizon Projekt FuelSOME2 wird die Nutzbarmachung erneuerbarer Kraftstoffpfade sowie die Machbarkeit eines flexiblen, skalierbaren und für mehrere Brennstoffe geeigneten Energieerzeugungssystems auf Basis von Festoxid-Brennstoffzellen, speziell für die Langstreckenseeschifffahrt, untersucht. Dazu wurde ein Projektkonsortium aus erfahrenen Expert*innen aus Forschung und Industrie aus sieben europäischen Ländern gegründet.

Im ersten Projektjahr wurde durch AEE INTEC ein Technologiekonzept sowie eine modulare Berechnungsstruktur erarbeitet, um die Kraftstoffpfade für Wasserstoff, Ammoniak und Methanol abbildbar und berechenbar zu machen und verschiedene Anwendungsfälle zu vergleichen und zu simulieren.

Kraftstoff-Produktionsmethoden

Wasserstoff kann durch verschiedene Prozesse hergestellt werden, die entweder auf thermochemischen, elektrolytischen, biologischen oder katalytischen Reaktionen basieren. Einige dieser Prozesse werden bereits erfolgreich industriell zur Kraftstoffproduktion angewendet und weisen einen hohen Technologie-Reifegrad (engl. Technology Readiness Level - TRL) auf, andere sind noch theoretische Überlegungen oder Technologien im Labormaßstab. Ammoniak kann durch thermochemische, katalytische Reaktionen erzeugt, oder durch Stripping rückgewonnen werden. Die vorherrschende Produktionsmethode basiert auf einer elektrothermochemischen Reaktion (Haber-Bosch-Synthese). Aufgrund des hohen Energiebedarfs der Primärsynthese von Ammoniak werden Stripping-Technologien aus Sekundärquellen wie Industrieabwässern oder industriellen Nebenprodukten als Rohstoff für die Ammoniakerzeugung immer interessanter.

Methanol wird mithilfe von Synthesegas (Reformgas aus Erd- und Biogas oder anderen Vergasungstechnologien) synthetisiert oder durch die Vergasung von Kohle oder Biomasse hergestellt. Methanol unterscheidet sich von Wasserstoff und Ammoniak vor allem dadurch, dass der enthaltene Energieträger Wasserstoff an Kohlenstoff gebunden ist und auch in konventionellen Verbrennungsmotoren als Zusatz verwendet werden kann.

Bereitstellungspfade für erneuerbare Kraftstoffe

Multikraftstoff-Festoxid-Brennstoffzellensysteme bieten gegenüber Einkraftstoffsystemen viele Vorteile und sind daher für den Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe attraktiv. Die Fähigkeit, mehrere Kraftstoffe wie Wasserstoff, Ammoniak und Methanol aufzunehmen, sorgt für mehr Flexibilität und verringert die Abhängigkeit von einer einzigen Kraftstoffquelle oder Kraftstoffproduktionstechnologie, wodurch die Widerstandsfähigkeit und Vielseitigkeit des Antriebssystems deutlich erhöht wird. Darüber hinaus ermöglicht der Hochtemperaturbetrieb von Festoxid-Brennstoffzellensysteme bei 800-1000°C eine Kraft-Wärme-Kopplung und verbessert die Gesamtsystemeffizienz, indem die erzeugte Wärme zum Beispiel für die Beheizung von Räumen oder den Warmwasserbedarf auf dem Schiff genutzt wird. Durch unterschiedliche Reaktionskinetik der einzelnen Kraftstoffe weisen die Festoxid-BrennstoffzellenSysteme verschiedene Effizienzen auf. Hier wurden vom Unternehmen AVL List GmbH erste System-Simulationen durchgeführt, die im Laufe des Projektes weiter optimiert und in realen Testphasen bestätigt werden müssen. Mit den in der Tabelle 1 gelisteten Werten konnten Kraftstoffpfade berechnet werden.

Tabelle 1: SOFC-System-Effizienzen verschiedener Kraftstoffe (SOFC – Solid Oxide Fuel Cell). Quelle: AVL

Für die Machbarkeitsbeurteilung anhand von Leistungsindikatoren (engl. Key Performance Indicator - KPI) zur Bereitstellung der Multikraftstoffe sind Berechnungstools notwendig, um die am besten geeigneten Kombinationen von Rohstoffen, Produktionsmethoden, Transport, Lagerung, Bereitstellung und Betankung ausfindig zu machen.

Es wurde daher eine modulare Berechnungsstruktur aufgebaut und KPIs entwickelt, die es ermöglichen, gezielt diverse Anwendungsfälle durchzurechnen und zu vergleichen. Für eine erste Veranschaulichung der Berechnungsmethodik und Anwendbarkeit der Modelle für unterschiedliche Kraftstoffpfade wurde eine exemplarische Schiffsflotte für einen mittelgroßen europäischen Hafen angenommen (1 200 Schiffe, durchschnittlich 30,5 MW Antriebsleistung pro Schiff, 720 Volllaststunden der Schiffe). Mit den unterschiedlichen SOFC-System-Effizienzen ergeben sich die zu betankenden Kraftstoffmengen, die in weiterer Folge durch verschiedene Kraftstoffpfade bereitgestellt werden können. Die folgende Abbildung zeigt beispielsweise den Herstellpfad von Ammoniak mit Langzeit-Speicherung in ehemaligen Gaslagerstätten und Pipeline-Transport.

Kraftstoffpfad für Ammoniak – Transport via Pipeline, mit Langzeit-Speicherung. Quelle: AEE INTEC

In einem weiteren Schritt wurden drei Use Cases berechnet: (i) Grüne-Wasserstoff-Produktion mithilfe von Protonen-Austausch-Membran (PEM)-Elektrolyse, (ii) Ammonium-Produktion durch Haber-Bosch-Synthese basierend auf (i) und (iii), Methanol-Produktion durch Biogas-Umwandlung.

KPIs zur Berechnung der Kraftstoffpfade

Die erneuerbaren Kraftstoffpfade der MultikraftstoffFestoxid-Brennstoffzellensysteme für die Schifffahrt wurden anhand von vier KPIs bewertet: Kraftstoffdurchschnittskosten auf Vollkostenbasis (Euro/MWh), Treibhausgasemis sionen (Tonnen CO2-equ/Jahr, ohne graue Treibhausgasemissionen), Well-to-Wheel-Effizienz (kWh Energieinput / kWh Energieverbrauch des Antriebs)3 und gewichteter Technologie-Reifegrad (TRL 1-9; wobei die Gewichtung auf den Investitionskosten basiert, gerechnet über den gesamten Kraftstoffpfad).

Erste Vergleiche der drei oben genannten Anwendungsfälle ergaben, dass die Kraftstoffdurchschnittskosten auf Vollkostenbasis für Wasserstoff mit 108 Euro/MWh am geringsten ausfielen, ebenso wie die Treibhausgasemissionen (26,4 Megatonnen CO2-equ/Jahr) und die Well-to-Wheel-Effizienz (28 Prozent) (Tabelle 2). Lediglich der gewichtete Technologie-Reifegrad schnitt für Wasserstoff am schlechtesten ab, was größtenteils auf Probleme bei der Speicherung zurückzuführen ist.

Tabelle 2. Kraftstoffpfade anhand errechneter Leistungsindikatoren im Vergleich. Es wurden drei Anwendungsfälle gegenübergestellt. Quelle: AEE INTEC

Ausblick

Zur Zeit wird die Methode verfeinert und in einem Open Source Python-Software-Paket implementiert. Gemeinsam mit zwei Hafenbetreibern in West- und Südeuropa werden die konkreten Kraftstoffpfade berechnet und die notwendige Infrastruktur vordimensioniert. Für die Kraftstoffpfade wird von Projektpartnern eine ökologische und soziale Lebenszyklusanalyse durchgeführt. Mit den Ergebnissen werden die Berechnungslogiken weiterentwickelt und die Erfahrungen im Zuge von Schulungen und Workshops mit relevanten Stakeholdern geteilt.

Weitere Informationen

  1. IMO (2020) https://www.imo.org/en/MediaCentre/HotTopics/Pages/Sulphur-2020.aspx
  2. https://fuelsome.eu
  3. Die Well-to-Wheel-Efficiency beschreibt die gesamte Effizienzkette vom Energieeinsatz bis zum tatsächlichen Antrieb von Fahrzeugen. „Wheel" bezieht sich auf die Schiffantriebsenergie. „Well" auf den notwendigen Energieeinsatz entlang des Kraftstoffpfads. https://de.wikipedia.org/wiki/Well-to-Wheel

Funded by the European Union

Autoren

Dipl.-Ing. Dr. Christoph Höfer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Gruppe „Wasser- und Prozesstechnologien“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Wolfgang Gruber-Glatzl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Kommentar

"Das Projekt FuelSOME ist ein vielschichtiges Projekt, das Wissen von unterschiedlichen Expertengruppen erfordert. Unsere Partner arbeiten nicht nur an der Brennstoffzellen-Technologie, sondern auch an der Kraftstoff-Infrastruktur, der Lebenszyklusanalyse und technisch-wirtschaftlichen Aspekten zur Dekarbonisierung des maritimen Sektors. Gute Zusammenarbeit ist von entscheidender Bedeutung, um ein ganzheitliches Bild des gesamten Konzepts zu gewinnen."

Vikrant Venkataraman, Development Engineer Hydraulics, Instrumentation and Test Systems, AVL List GmbH. Foto: AVL

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