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Multifunktionale Prüfbox

Von Christian Fink, Alexander Goritschnig, Karl Höfler, Reinhard Pertschy, Thomas Ramschak, Daniel Rüdisser, Waldemar Wagner, Tobias Weiß

Hintergrund

Ausgehend von Bestrebungen zur Steigerung der Energieeffizienz sowie des Anteils erneuerbarer Energieträger im Gebäudebereich[1] ist in den letzten Jahren ein steigender Trend zu neuen und komplexeren Fassadensystemen festzustellen. Sowohl der Aufbau der Fassaden als auch deren Funktionalität werden immer vielschichtiger, dadurch werden auch die damit verbundenen  Energie- und Massenströme durch die Gebäudehülle immer komplexer. Eine genaue energetische Abbildung dieser Ströme, etwa im Rahmen von Gebäudesimulationen, ist jedoch Voraussetzung um diese aktiven oder passiven Gewinne gerade bei nahe Null- oder Plusenergiegebäuden optimal nutzen zu können und deren Wechselwirkung mit der Gebäudetechnik zu beschreiben.

Abbildung: Explosionszeichnung der Fassadenprüfboxen. Quelle: AEE INTEC

Für Standardkomponenten sind in den letzten Jahrzehnten die Prüf- und Berechnungsmöglichkeiten sehr verfeinert worden. Diese Untersuchungsmöglichkeiten konzentrieren sich jedoch meist auf die Analyse einer spezifischen Eigenschaft des Bauteils.

Bei innovativen Bauweisen werden die Eigenschaften von Bauteilen von mehreren Parametern systemisch beeinflusst, etwa vom Mikroklima, der Haustechnik, dem Nutzerverhalten in Bezug auf weitere Bauteile oder die Behaglichkeit im Innenraum. Diese Abhängigkeiten können mit den üblichen Prüfmethoden meist nicht abgebildet werden, da diese ja in der Regel speziell auf die Ausschaltung aller möglichen weiteren Einflussfaktoren hin optimiert wurden.

In den meisten Fällen ist es zielführend, das Verhalten der Komponenten im Gesamtkontext unter möglichst realen Bedingungen zu untersuchen. Auf diese Weise kann das komplexe Verhalten und Zusammenspiel der einzelnen Parameter in einem praxisrelevanten Wertebereich untersucht werden. Es gilt, Prüfungen der tatsächlichen Elemente, mit realen Abmessungen, unter realen Witterungsbedingungen und mit konkreter konstruktiver- und gebäudetechnischer Anbindung durchzuführen.

Bislang gibt es europaweit kaum geeigneten Prüf-Infrastrukturen, welche es auf jeweils unterschiedliche Weise gestatten, integrale Untersuchungen durchzuführen. Bei diesen Einrichtungen werden unter möglichst realen Bedingungen bei jedem Prüflauf gleichzeitig viele Erkenntnisse hinsichtlich verschiedener Eigenschaften gewonnen,  z. B. Energiebedarf, Behaglichkeit, Lichtlenkung, Luftdurchlässigkeit, Witterungs­beständigkeit, solarer Eintrag, Dauerfunktion, dynamisches Verhalten etc.

Für diese Untersuchungen ist ein flexibler, ausreichend großer, real bewitterter Prüfstand notwendig, welcher über eine Vielzahl an messtechnischen Laboreinrichtungen verfügt. AEE INTEC und das österreichische Institut für Baubiologie und –ökologie haben diese Herausforderung angenommen und erstmals in Österreich eine Prüfeinrichtung mit rotierbaren, energetischen Zwillingsräumen für Freiversuche an Fassadenelementen und Fenstern errichtet.

Fotos: Errichtung der Prüfboxen am Labordach von AEE INTEC. Quelle: AEE INTEC

Anwendungsbereiche

Die Anwendungsgebiete können prinzipiell in zwei Bereiche unterteilt werden.

Im ersten Bereich geht es darum, dass unter Berücksichtigung der Einflussfaktoren  Umwelt und Nutzerverhalten das Verhalten von scheinbar einfachen Bauteilen schnell recht komplex und schwer darstellbar wird. Sehr relevante und vermeintlich einfache Fragestellungen, etwa bezüglich des Energieeintrags, der Blendung, der Innenraum-Behaglichkeit etc. können hier meist nur mit Hilfe von Untersuchungen unter Realbedingungen beantwortet werden. Als Beispiel können etwa beschattete Glasfassaden genannt werden: Dynamisch sich ändernde Umweltbedingungen (Einstrahlung, Wind etc.) werden auf komplexe Weise von der Fassade „transformiert“ und führen zu sich ebenso dynamisch ändernden Innenraumbedingungen.

Den zweiten wichtigen Anwendungsbereich bilden komplexe Fassaden- und Konstruktionselemente. Zur Erreichung der ambitionierten Klimaziele gibt es einen neuen Trend hin zu integrierten, multifunktionellen Fassaden- und Konstruktionselementen. Hierbei wird im Neubau, aber insbesondere auch bei der Sanierung angestrebt, verstärkt gebäudetechnische Funktionen in die Fassade zu integrieren, z. B. Sonnenkollektoren, Versorgungsleitungen, Wärmepumpen, Bauteilaktivierungen, Kühlsysteme und Photovoltaik-Module.

Die hierbei auftretenden Fragestellungen sind vielschichtig und betreffen sehr unterschiedliche Bereiche, etwa Ästhetik, Schutz vor Umwelteinflüssen, Statik, Energieumwandlung, Energiespeicherung, Energieverteilung, Auswirkungen auf die Behaglichkeit usw. Derzeit werden in der thermischen Sanierung von Altbauten noch wenig vorgefertigte Fassaden- und Gebäudetechnikmodule bzw. -komponenten eingesetzt. Konzepte und erste Umsetzungen von großflächigen, vorgefertigten Fassadenmodulen gibt es jedoch sowohl in Leichtbau- als auch in Massivbauausführung. Die nötigen Gebäudetechnikkomponenten werden hierbei entweder ohne Abstimmung auf die spezifischen Eigenheiten der thermisch sanierten Gebäude erneuert und kostenintensiv eingebaut oder, - im häufigeren Fall - von der Sanierung ausgeklammert und im ursprünglichen Zustand belassen. Eine mögliche Umsetzung mittels Integration der Gebäudetechnik in die vorgefertigten Fassadenelemente wird oft gar nicht in Betracht gezogen, insbesondere auch deshalb nicht, da eine vorlaufende Überprüfung der Praxistauglichkeit unter weitgehend realen Bedingungen kaum möglich ist.

Geplante Prüfungen

Ab Herbst 2017 sollen verschiedene Fassadentypen mit thermisch aktivierten Bauteilen und aktiven Haustechnikkomponenten sowie Lüftungskonzepte  unter realen Umweltbedingungen geprüft werden. Dabei werden von AEE INTEC und dem österreichischen Institut für Baubiologie und –ökologie verschiedene Fassadenelemente und deren Auswirkungen auf die dahinterliegenden Räume unter denselben Randbedingungen miteinander verglichen. Gemessen werden neben klassischen Bauteilkennwerten und energetischen Parametern (Strom-, Heiz- und Kühlbedarf) gleichzeitig auch die Auswirkungen auf die Behaglichkeit und den Innenraum. So wird untersucht, wie sich unterschiedliche Kombinationen von Fassaden-, Fenster- und Haustechnik unter verschiedenen Nutzungsszenarien auswirken. Die Innenraumparameter wie Lufttemperatur, Luftfeuchte, Strahlungstemperatur und Luftgeschwindigkeit werden hierfür an unterschiedlichen Messpunkten aufgezeichnet und ausgewertet. Die Messungen werden in einem eigens entwickelten Verfahren mit einer Gebäudesimulation gekoppelt, was einerseits eine wesentlich umfangreichere Analyse und Interpretation der Messergebnisse und andererseits eine dynamische Echtzeit-Steuerung des Versuchsablaufes („hardware-in-the-loop“) gestattet. Dieser Prozess erlaube es quasi per Knopfdruck den Wandaufbau zu wechseln, z. B. von Stahlbeton auf  Leichtbau. Das thermische Verhalten des Wandaufbaus wird dann realistisch nachgebildet.

Konstruktion, Aufbau, Messtechnik

Die Prüfbox wird durch eine Massivholzkonstruktion gebildet, deren U-Werte im Bereich von 0,10 W/m²K liegt. Im Gegensatz zum üblichen Aufbau einer Gebäudehülle lässt sich diese in zwei unterschiedlichen Ebenen temperieren. Die außenliegende Aktivierung dient dazu, den Wärmestrom aus dem Innenbereich in allen Flächen – außer der Prüfebene – zu neutralisieren. Hierdurch wird quasi eine „unendlich starke“ Dämmung realisiert, da keine nennenswerten Wärmeverluste aus dem Innenbereich mehr auftreten. Die innere Aktivierungsebene dient einerseits der exakten Bestimmung des Energieeintrags (oder –verlustes) und anderseits der Simulation des gewünschten realen Verhaltens des gewählten Aufbaus.

Sowohl im Innenbereich, als auch im Bereich des Prüflings und im Außenbereich stehen eine große Anzahl an unterschiedlichen Messsensoren zur Verfügung, um bei jedem Messvorgang möglichst viele Forschungsfragestellungen gleichzeitig beantworten zu können.

Abbildung: Dynamische thermische Simulation des Prüfbox-Wandaufbaus mit den beiden aktiven Ebenen

Ausblick

Durch den Aufbau dieser neuartigen Forschungsinfrastruktur entsteht ein Kompetenzzentrum für Forschung und Industrie, für die Untersuchung komplexer, gebäudetechnikintegrierter Fassadenlösungen, Fenster- und Sonnenschutzentwicklungen,  und die gesamtheitliche Analyse des Fassadeneinflusses auf den dahinterliegenden Raum. Bei den beteiligten Instituten werden  umfassende Kompetenzen aufgebaut, neue Geschäftsfelder  erschlossen und eine attraktive Dienstleistung für die Wirtschaft geschaffen.

Literatur

  1. EU, “Directive 2010/31/EU of the European Parliament and of the Council of 19 May 2010 on the energy performance of buildings (recast),” Off. J. Eur. Union, pp. 13–35, 2010.

Autorenbeschreibung

Dipl.-Ing. Dr. Karl Höfler ist Leiter, Dipl.-Ing. Daniel Rüdisser und Dipl.-Ing. Tobias Weiß sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Bauen und Sanieren“ bei AEE  INTEC.

Ing. Waldemar Wagner ist Leiter und Dipl.-Ing. Reinhard Pertschy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Messtechnik“ bei AEE  INTEC.

Prok. Ing. Christian Fink ist Leiter, Dipl.-Ing. Thomas Ramschak und Dipl.-Ing. Dr. alexander Goritschnig sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Thermische Energitechnologien und hybride Systeme“.

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