Zeitschrift EE

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2011-03

Energiezukunft

Um den globalen Temperaturanstieg aufgrund des Klimawandels auf 2°C zu begrenzen, forderte der Rat der Europäischen Union (2009) alle Verhandlungsparteien der Klimakonferenz in Kopenhagen auf, sich das 2°C Ziel zu eigen zu machen. Die Industrieländer müssten ihre Treibhausgas-Emissionen um mindestens 80 % bis 95 % bis 2050 gegenüber dem Niveau von 1990 absenken. Dies impliziert den Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung. Die im Wege des Klima- und Energiefonds für das Lebensministerium durchgeführte Studie untersucht, ob und unter welchen Rahmenbedingungen im Zeithorizont 2050 eine 100 prozentige Versorgung Österreichs mit eigenen erneuerbaren Energieträgern möglich ist.

Energieautarkie für Österreich 2050

Von Wolfgang Streicher *

Energieautarkie wurde in diesem Zusammenhang weiters wie folgt definiert: Energie-austausch mit anderen Ländern ist zwar in Zeiträumen von Tagen bis Wochen möglich, bleibt aber per Saldo über das Jahr gesehen Null. Pumpspeicherkraftwerke und andere Stromspeicher übernehmen keine saisonale Speicherfunktion für Österreichs Nachbarländer. Die landwirtschaftlich genutzte Fläche für Nahrungsmittel- und Futterproduktion bleibt konstant. Außerdem bleibt der Rucksack an grauer Energie, den Österreich über Produktimporte netto bezieht, unberücksichtigt bzw. unverändert.
In die Analyse sind weitestgehend nur solche Technologien einbezogen, die bereits heute bekannt sind. Neue Technologien, seien es neue Energietechnologien oder Effizienzsteigerungen bei bekannten Technologien über das heute denkbare Maß hinaus, könnten helfen, ein höheres Potential an erneuerbaren Energieträgern zu erschließen und den Energiebedarf noch weiter zu senken, ohne das es zu Einbußen bei den Energiedienstleistungen (Energiedienstleistungen sind Leistung, für die neben Energieträgern auch Sachkapital eingesetzt wird. Beispiele sind etwa die Nachfrage nach Beleuchtung, Transport von Personen und Gütern, nach warmen Wasser oder warmen bzw. gekühlten Räumen, nach stationärem Antrieb von Motoren oder nach hohen Temperaturen zum Schmelzen von Metall.) kommt.
Es wurden zwei mögliche Szenarien für das Jahr 2050 dargestellt:
Im Konstantszenario liegt der Bedarf an Energiedienstleistungen und die gesamte Bruttowertschöpfung der Industrie auf dem Niveau von 2008.
Das Wachstumsszenario unterstellt ein jährliches Wachstum dieser Energiedienstleistungen bzw. der Bruttowertschöpfung in der Industrie um 0,8 % p.a., das entspricht einem Anstieg bis 2050 um knapp 40 % gegenüber 2008.
Der Endenergiebedarf für die definierten Energiedienstleistungen ergibt sich für 2050 damit zum einen aus einer Erhöhung der Effizienz (= Energieeinsparung) von Technologien, zum andern durch eine Verschiebung hin zu verbrauchsärmeren Technologien.

Abbildung 1: Nutzung 2008, Bedarf für die Szenarien Konstant und Wachstum für 2050 sowie technisches Potential Erneuerbarer Energieträger Quelle: Streicher, W., Haas, R., Hausberger, S., Oblasser, S., Schnitzer, H., Steininger, K., Tatzber, F., Titz, M., Heimrath, R., Kalt, G., Damm, A., Wetz, I (2010), Energieautarkie für Österreich 2050, Feasibility Study, im Auftrag des österreichischen Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (Lebensministerium), abgewickelt über den Klima- und Energiefonds, Auftragsnummer B068644

Abbildung 2: Endenergiebedarf nach Sektoren für 2008 und die Szenarien Konstant und Wachstum für 2050 Quelle: siehe Abbildung 1

Tabelle 1: Potenziale einer solarthermischen Wärmebereitstellung in Österreich

Theoretisches Potenzial a
332 200 PJ/a
92 300 TWh/a
Technisches Flächenpotenzial
Dachflächen
114 km²
 
Fassadenflächen
52 m²
 
Nutzbare Fleiflächen
20 km²
 
Technisches Angebotspotenzial ( 50% der Flächen, Rest für PV)e
 
Dachflächen b
42 - 85 PJ/a
11,2 - 23,6 TWh/a
Fassadenflächenc
15 - 30 PJ/a
4,2 - 8,3 TWh/a
Nutzbare Fleiflächend
23 - 32 PJ/a
6,4 - 8,9 TWh/a
Summe
80 - 147 PJ/a
22,2 - 40,8 TWh/a
Wärmenachfrage 2006
Trinkwarmwasser
43 PJ/a
11,9 TWh/a
Raumwärme
246 PJ/a
68,3 TWh/a
Prozesswärme 100 °C
30 PJ/a
8,3 TWh/a
Summe
320 PJ/a
88,9 TWh/a
Gewähltes Angebotspotenzial
120 PJ/a
33 TWh/a

Gewähltes Technisches Nachfragepotenzial
40 % der Gebäude-Niedertemperatur-nachfrage im Jahr 2050 plus Industrie NT Bedarf (5,4 PJ im Konstant Szenario und 7,6 PJ im Wachstums Szenario

 

Konstantszenario:
17,4 TWh/a
Wachstumsszenario:
20,7 TWh/a

a gesamtes solares Strahlungsangebot über der Gebietsfläche Österreichs

b spezifischer jahresmittlerer Kollektorenergieertrag solarthermischer Systeme in den Wärmespeicher zwischen 750 und 1 500 MJ/(m²•a) ohne Berücksichtigung von Speicherverlusten

c spezifischer jahresmittlerer Kollektorenergieertrag solarthermischer Systeme in den Wärmespeicher zwischen 560 und 1 125 MJ/(m²•a) ohne Berücksichtigung von Speicherverlusten

d spezifischer jahresmittlerer Kollektorenergieertrag solarthermischer Systeme in den Wärmespeicher zwischen 1 100 und 1 550 MJ/(m²•a) ohne Berücksichtigung von Speicherverlusten e unter der Annahme von einer 50% Nutzung, der Rest für Photovoltaik

Herausforderung Mobilität

Im Bereich der privaten Mobilität wird die Verbrauchsreduktion durch eine Verlagerung des Modal Splits und eine starke Verringerung des Flottenverbrauchs erreicht. Der verbleibende PKW-Verkehr müsste fast vollständig elektrisch bewältigt werden. Damit werden die knappen möglichen Mengen an verfügbaren heimischen Kraftstoffen aus erneuerbaren Rohstoffen für schwere Nutzfahrzeuge und Maschinen in Land- und Bauwirtschaft frei, wo eine Elektrifizierung deutlich schwieriger wäre. Der Flottenverbrauch wird mit 3 Liter/100 km bzw. 0,12 kWh/km angenommen. Zusätzlich wäre auch noch eine starke Verlagerung auf öffentlichen Verkehr und nichtmotorisierten Individualverkehr notwendig (knapp 50% im Konstant-, bzw. über 60% im Wachstumsszenario). Im Bereich des Güterverkehrs erfolgen eine Verringerung des Flottenverbrauchs und eine fast vollständige Verlagerung des Straßenfernverkehrs auf die Schiene bzw. Schifffahrt. Ähnliches gilt für den Flugverkehr. Insgesamt ergibt sich hieraus für das Konstantszenario eine Verringerung des Energiebedarfs für Mobilität um über 70%, im Wachstumsszenario um etwa 2/3.

Gebäude halbieren ihren Energiebedarf bis 2050

Im Gebäudebereich geht durch die thermische Sanierung der durchschnittliche Heizenergiebedarf bis 2050 von derzeit etwa 144 kWh/m²•a auf 61 kWh/m²•a im Konstantszenario und 49 kWh/m²•a im Wachstumsszenario zurück. Der Kühlbedarf wird trotz des Klimawandels aufgrund der besseren Gebäudehüllen als leicht fallend angenommen. Der Strombedarf für Wohn- und Dienstleistungsgebäude wird sich bis 2050 insgesamt um knapp 20% (Konstantszenario) bzw. 7% (Wachstumsszenario) reduzieren. Damit sinkt der Gebäudeenergiebedarf um 51% im Konstant-, bzw. um 44 % im Wachstumsszenario. Die Beheizung des Gebäudebereichs erfolgt im Wachstumsszenario fast ausschließlich mit einer Kombination aus Wärmepumpe und Solarthermie – auf diese Weise kann die vorhandene Biomasse für Mobilität und Industrie bereit gestellt werden.

Die Industrie reduziert um 35%

Im Produktionsbereich wird – in Anlehnung an die Vorgaben der Energieeffizienzrichtlinie der EU – von einer Effizienzverbesserung von 1% p.a. ausgegangen, damit reduziert sich der Energiebedarf im Konstantszenario um 35%. Im Wachstumsszenario sinkt der Energiebedarf trotz der jährlich um 0,8% steigenden Bruttowertschöpfung um 2% gegenüber 2008.

Biomasse und Wasserkraft decken mehr als die Hälfte des Energiebedarfs

Insgesamt verringert sich der Endenergiebedarf 2050 damit gegenüber 2008 um über 50% auf knapp 500 PJ (Konstantszenario) bzw. knapp 40% auf 640 PJ (Wachstumsszenario).
Nur wenn der Energiebedarf mittels Effizienzsteigerungen und intelligenter Energienutzung derart deutlich gesenkt wird, kann Energieautarkie erreicht und Österreich vollständig mit heimischer erneuerbarer Energie versorgt werden. Biomasse und Wasserkraft decken in beiden Szenarien deutlich mehr als die Hälfte des Energiebedarfs: Im Konstantszenario wird die Biomassenutzung von 216 PJ im Jahr 2008 um 13% auf 244 PJ ausgeweitet und die Stromproduktion aus Wasserkraft von derzeit 38 TWh auf knapp 45 TWh ausgebaut. Die Windkrafterzeugung steigt um mehr als das fünffache auf über 13 TWh, Photovoltaik trägt mit 16 TWh über 500-Mal mehr zur Stromproduktion bei als 2008. Auch die Wärmenutzung aus Solarthermie (Zuwachs um den Faktor 10) und Wärmepumpen (Faktor 8) erhöht sich gegenüber dem Basisjahr markant.
Im Wachstumsszenario werden die erneuerbaren Energiepotenziale noch stärker ausgeschöpft: Die Biomasseproduktion erhöht sich um 36% auf 293 PJ und schöpft damit 95% des verfügbaren Potenzials aus. Die Wasserkraft wird auf fast 50 TWh ausgebaut und nutzt damit knapp 90% des mit 56 TWh/a angegebenen ausbauwürdigen Potenzials. Das Windkraftpotenzial ist mit über 14 TWh/a, das Photovoltaikpotenzial mit fast 20 TWh/a ebenso zu 80 bzw. 85% genutzt. Ähnliches gilt für die Nutzung von Solarthermie (75 PJ). Das nutzbare Potential der oberflächennahen Geothermie (68 PJ) ist durch den Strombedarf der zur Nutzbarmachung erforderlichen Wärmepumpen limitiert. Zusätzlich leistet in diesem Szenario als weitere erneuerbare – und aus heutiger Sicht noch als extrem teuer zu bewertende – Energiequelle die „Tiefe Geothermie“ mit 71 PJ einen deutlichen Beitrag zur Deckung des Energiebedarfs.

Energieautarkie für Österreich 2050 ist machbar,

wenn unter den eingangs dargestellten genannten Technologieannahmen die Nachfrage nach Energiedienstleistungen höchstens im angenommenen moderaten Ausmaß wächst, allerdings ist der Spielraum für eine Versorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieträgern relativ klein.
Die für Energieautarkie notwendigen Rahmenbedingungen werden in dem durch Umweltminister Berlakovich ins Leben gerufenen „Ökoteams der besten Köpfe“ im Hinblick auf Ökonomie, Recht, Infrastruktur und Energieeffizienz genauer analysiert werden. Klar ist aber, dass ein solcher Umstieg engagierte, klare und eindeutige politische Entscheidungen auf allen Ebenen erfordert. Das betrifft u.a. ökonomische Instrumente (z.B. Energiepreise), Vorschriften, Infrastrukturinvestitionen (v.a. im Bereich Mobilität, Stromnetzinfrastruktur, Energiespeicher), verstärkte Energieforschungsanstrengungen, etc. Weiters müsste diese Entwicklung seitens der Bevölkerung unterstützt werden durch Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen und durch einen gesellschaftlichen Wertewandel.

Weitere Informationen:
Die Studie kann unter http://umwelt.lebensministerium.at/article/articleview/86784/1/1467/ heruntergeladen werden.

Abbildung 3: Endenergiebedarf der Gebäude 2008 und für die beiden Szenarien für 2050 (WW: Warmwasser, WP: Wärmepumpe) Quelle: siehe Abbildung 1

Abbildung 4: Energieflussbild Österreich 2050 mit Energieautarkie für ein Wachstum der Energiedienstleistung mit 0,8%/a Quelle: siehe Abbildung 1

*) Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Wolfgang Streicher arbeitet an der Universität Innsbruck am Institut für Konstruktion und Materialwissenschaften – Arbeitsbereich Energieeffiziente Gebäude, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]

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