Zeitschrift EE

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2005-04: Nachhaltige Energieregionen

Energieregionen

Die Lage an der süd-östlichen Peripherie Österreichs und die Distanz zu großen Städten wirkten sich nachhaltig auf die Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung der Region aus.
Die klein strukturierten Flächen machten das wirtschaftliche Betreiben von Land- und Forstwirtschaft unmöglich. Auch als Wirtschaftsstandort war der Bezirk Güssing aufgrund seiner Abgeschiedenheit und der schlechten Infrastruktur uninteressant.

Das Modell Güssing

Von Alexandra Kopitar*

Da sich deshalb kaum Betriebe in der Region ansiedelten und zusätzlich die Arbeitsplätze in der Land- und Forstwirtschaft wegfielen, kam es zu einem drastischen Arbeitsplatzmangel. Dies führte im Bezirk wiederum zu hohen Auspendlerraten (ca. 70%) und Abwanderung. Im Vergleich dazu hat die Stadtgemeinde Güssing eine Auspendlerrate von 43 %. Vor allem die qualifizierte Abwanderung war und ist nach wie vor ein großes Problem der Region. All diese Entwicklungen führten zu einer Überalterung der Gesellschaft.
Gleichzeitig stellten immer mehr Menschen ihre Energieversorgung auf Erdöl um, sodass in der Region 6,2 Mio. € für Energieimporte ausgegeben wurden und die Region verließen während lokale Ressourcen ungenutzt blieben.
In der Stadt Güssing wurden diese Gefahren erkannt und beschlossen, diesen Kreislauf zu durchbrechen und in ein nachhaltiges System umzuwandeln. Dies wurde durch den absoluten Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung und somit die Nutzung lokaler Ressourcen für die Energieversorgung der Stadt erreicht. Hauptgründe für diese Entscheidung waren zusammenfassend ökonomische. Heute ist die Stadt Güssing eine „energieautarke Stadt“ mit dynamischer Wirtschaftsentwicklung.

Energieautarke Stadt

Die Stadtgemeinde Güssing setzte sich 1988 zum Ziel die jährlich 6,2 Mio. € für Importe von Öl, Strom und Kraftstoffen durch die Energieerzeugung aus heimischen Rohstoffen zu ersetzen. Vor allem Holz wird dazu verwendet.
Der Grundsatzbeschluss der Stadtgemeinde Güssing „100 % Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung“ erfolgte im Jahre 1990. Das Energiekonzept beinhaltet die optimale Wärmedämmung an allen öffentlichen Gebäuden (neue Fenster, Vollwärmeschutz und Umbau von Heizungen) (Koch R., 2003; P. Vadasz, 2003). Zunächst erfolgte der Bau der Nah- und Fernwärmeanlagen und des Biomassekraftwerks (BKW).
Die Ziele die Wertschöpfung in der Region zu steigern und Arbeitsplätze zu schaffen sowie der Umweltschutzgedanke durch CO2-Reduktion spielten eine wesentliche Rolle. Der Bau der Anlagen Rapsmethylester-, Fernwärme- und das Biomassekraftwerk trugen zur Entwicklung des Biomassezentrums bei.
Die Ideen und Initiativen gingen von einem kleinen Personenkreis innerhalb der Gemeinde aus. Der Beitritt zur EU und die Ziel 1 Finanzmittel trugen zur Entwicklung „Energieautarke Stadtgemeinde Güssing“ bei. Erreicht wurde die Schaffung von rund 1000 Arbeitsplätzen in über 50 Unternehmen.
Das Heizöl wurde durch Holz für die Wärmeerzeugung ersetzt. Der Burgenländische Forst besteht zu 64,6 % aus Nadelholz, dessen Absatz zu 100 % in die Industrie (Papierindustrie und Sägewerke) erfolgt. 35,4 % sind des Forstes betreffen Laubholz, das zum Teil als Energieholz verwertet wird.
Die Stadtgemeinde Güssing ist heute das Biomassezentrum Österreichs. In den vorangegangenen Jahren schritten die Initiativen zum Einsatz erneuerbarer Rohstoffe für die Energieversorgung mit dem Bau der technischen Anlagen voran. Synergieeffekte wie die Gründung des Europäischen Zentrums für erneuerbare Energie (EEE), Betriebsansiedlungen, „Ökoenergiebesucher“ u.v.m. entstanden.
Heute ist die Entwicklung in Güssing noch einige Schritte weiter. Mit dem Bau des Biomassekraftwerkes, das eine Forschungs- und Demonstrationsanlage ist, wurde erstmals die Möglichkeit von Arbeitsplätzen im Bereich der Wissenschaft vor Ort geschaffen.
Biomasse wird als zukünftig bedeutender regenerativer Energieträger angesehen. In vielen Regionen fallen eine Fülle von biogenen Roh- und Reststoffen in unterschiedlicher Menge und Qualität an. Diese zumeist energiereichen Stoffe könnten zur Energiebereitstellung genutzt werden, wenn geeignete Technologien angewendet werden. Die Biomasse-Vergasung stellt eine geeignete Möglichkeit dar, aus Biomasse eine Reihe von wichtigen Produkten herzustellen (H.Hofbauer, 2005). Diese Aktivitäten werden nachfolgend beschrieben, weil sie ein wichtiger Teil der Regionalentwicklung im ländlichen Raum sind. Derzeit verbleiben in der Stadtgemeinde Güssing 13,6 Mio. € an regionaler Wertschöpfung aufgrund des Einsatzes regenerativer Rohstoffe für die Energieproduktion von Wärme, Strom und Treibstoffen. Das ist ein Plus von 13,0 Mio. € für eine Leistung von 185.500 MWh.
Mit dem Konzept „Modell Güssing – energieautarke Stadtgemeinde“ und der Errichtung der ersten Anlagen (1989 RME) und mit den Errichtungen der Fernwärme und des Biomassekraftwerkes Güssting wurde wesentliche Entwicklungsschritte für die Stadtgemeinde gesetzt.

Fernwärme Güssing

Durch den Betrieb der Fernwärmeanlage und des Biomassekraftwerks Güssing wird der Strom- und Wärmebedarf der Stadt gedeckt. Die Anlage wurde 1996 in Betrieb genommen und versorgt die Stadt Güssing, sowie das Industriegebiet Nord und die Ortsteile Krottendorf, Glasing und Tobaj mit Wärme. Rohstoffe für die Verbrennungsanlage sind Holz aus den Wäldern der Region sowie Restholz der Güssinger Holzindustrie.

Forschungsnetzwerk

Das Biomassekraftwerk Güssing wurde mit dem Ziel errichtet, die Stromerzeugung aus Biomasse in kleinen, dezentralen Kraftwerken zu ermöglichen und so die Stadt Güssing dauerhaft mit Strom und Wärme zu versorgen.
Um dieses Projekt von der Idee bis zur Umsetzung zu realisieren schlossen sich Planer, Errichter, Anlagenbetreiber und Wissenschafter zum Kompetenznetzwerk Renet-Austria zusammen. Aufgrund des offenen Netzwerkes wurde diese Vernetzung um den Bereich der biologischen Vergasung erweitert. Ziel von Renet war und ist die Entwicklung von wirtschaftlich und technisch ausgereiften Systemen der Kraft-Wärme-Koppelung auf Basis der Biomassevergasung.

Prozessbeschreibung

Der Prozess der Biomassevergasung erfolgt über zwei miteinander verbundene Wirbelschichtsysteme, dem Vergasungs- und dem Verbrennungsteil. Im Vergasungsteil wird die Biomasse bei ca. 850° unter Zuführung von Wasserdampf vergast. Durch das Verwenden von Wasserdampf als Vergasungsmedium an Stelle von Luft entsteht in Güssing ein stickstoff- und teerarmes Produktgas mit hohem Heizwert. Die Hauptkomponenten dieses Gases sind Wasserstoff, Kohlenmonoxid und Methan.
Vereinfacht ausgedrückt ergeben sich zwei getrennte Gasströme: der Rauchgas- und der Produktgasstrom. Der Rauchgasstrom entspricht dem bei konventionellen Verbrennungsanlagen. Die bei der Kühlung des Rauchgasstroms entstehende Wärme wird als Fernwärme genutzt. Nach Kühlung und Reinigung des Produktgases wird das Gas dem Gasmotor zugeführt. Dieser wandelt die chemische Energie des Produktgases in elektrische um und die Abwärme des Motors wird wiederum als Fernwärme genutzt. Dadurch lassen sich Wirkungsgrade von 25% elektrisch und 80% Gesamtwirkungsgrad erzielen. Absolut gesehen werden im Biomassekraftwerk Güssing 2 MW Strom und 4,5 MW Wärme erzeugt. Das reicht aus um den Strombedarf und gemeinsam mit zwei Fernheizwerken den Wärmebedarf der Stadt Güssing zu decken. Der Stromverbrauch der Stadtgemeinde Güssing liegt bei 19,4 GWh inklusive Industrie. Der Brennstoffverbrauch (Waldhackgut) beträgt 2,2 to/h.
Der Betrieb läuft, trotz des hohen lokalen Holzpreises bereits wirtschaftlich. Entscheidend für die Wirtschaftlichkeit solcher Anlagen sind geeignete Rahmenbedingungen, die durch die seit Beginn des Jahres 2003 geltende Ökostromverordnung, in Österreich gegeben sind (C. Brunner, A. Kopitar, 2003, S 125-131).
Derzeit erfolgt die Prozessoptimierung um noch höhere Wirkungsgrade zu erreichen. Außerdem ergeben sich durch die günstigen Eigenschaften des Produktgases weitere Anwendungsmöglichkeiten, die in der Abbildung 1 dargestellt ist. Eine regionale Energiezentrale zur Herstellung von vier wesentlichen Energieträgern unseres Energiesystems auf nachhaltiger Basis soll geschaffen. Durch die Nutzung von vorhandenen Infrastrukturen (Wärmenetz, Stromnetz, Gasnetz, Tankstellensystem für flüssige Treibstoffe) sollte deren Einführung wesentlich erleichtert werden. (H.Hofbauer, 2005, Europäisches Zentrum für erneuerbare Energie, 2003, Aichernig, 2003)

Abbildung 1: Anwendungsmöglichkeiten für das Produktgas aus der Biomassevergasung

Zusammengefasst findet Forschung und Entwicklung in Güssing im Bereich der Biomasse statt. Waldhackgut, Sägespäne, Gras, Klee und Mais bilden die Grundlage. In den folgenden Absätzen sehen sie eine Kurzbeschreibung der laufenden Forschungsarbeiten am Beispiel erneuerbarer Kraftstoffe aus Biomasse.

Forschung und Entwicklung

Das erzeugte Synthesegas (Produktgas) ist stickstofffrei und hat einen vergleichsweise hohen Gehalt an Wasserstoff, was günstig für die Herstellung einer Reihe von Syntheseprodukten ist. Wenn man aus einem Synthesegas von einem Standort aus mehrere Produkte erzeugen kann (Strom, Wärme, Treibstoffe, Gas), dann nennt man das Polygeneration.

Laufende Forschungsarbeiten

Laufende Forschungsarbeiten finden derzeit im Bereich der Biological Synthetic Natural Gas (Bio-SNG) Produktion statt. Dies erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Paul Scherer Institut aus der Schweiz. Die Produktion startete im Herbst 2004. Derzeit läuft ein Langzeitversuch zum Nachweis der vollen Funktionstüchtigkeit. Das gewonnene Methan aus dem Synthesegas soll für den Betrieb von Kraftfahrzeugen oder für die Einspeisung ins Erdgasnetz verwendet werden.
Ein weiterer Forschungsbereich ist die Produktion von Fischer Tropsch Synthese. Durch eine Drucksynthese unter Verwendung von geeigneten Katalysatoren werden langkettige Molekühle (=Fischer Tropsch Diesel) produziert. Neben dem angestrebten FT-Diesel fallen weitere wertvolle Nebenprodukte wie z.B. FT Wachse an (H.Hofbauer, 2005, S 1-16)

Ausbeuten an Treibstoff, Flächenausbeute und Erlösstruktur

Die derzeitigen Ausbeuten an Treibstoff basieren auf den Erfahrungen der Forschung im Zusammenhang mit dem Biomassekraftwerk durchgeführt von der TU Wien, Institut für Verfahrenstechnik unter der Leitung von Professor Hermann Hofbauer und lauten wie folgt: aus ca. 5 kg Holz erhält man 1 l Treibstoff und aus 3 kg Holz 1 m3 Bio SNG. Bezogen auf die Flächenausbeute erhält man aus dem Wald 7,5 to Trockensubstanz pro Hektar pro Jahr (Durchschnitt). Daraus kann 1.500 Liter pro Hektar pro Jahr Fischer Tropsch Diesel gewonnen werden. Im Vergleich dazu weist man bei Ackerland 15 bis 25 to Trockensubstanz pro Hektar pro Jahr für Kurzumtrieb oder Miscanthus aus und gewinnt 4.000 Liter pro Hektar pro Jahr an Treibstoffen. Im Vergleich dazu hätte man beim Biodiesel nur einer Ausbeute von 1.500 Liter pro Hektar und Jahr. Für eine Beimischmenge von 5,75 % Biotreibstoff (vorgeschriebene Beimischmenge von Biodiesel ab 2008) werden ca. 400.000 Tonnen pro Jahr und einer Fläche von 120.000 Hektar (1.200 km2) benötigt.

Kosten und Erlösstruktur

Die Kosten für Treibstoffe aus Holz bei Polygeneration betragen 16 €/MWh (1,6 cent/kWh = 70 €/to), die Wärmeerlöse betragen 20 €/MWh (2,0 cent/kWh Marktpreis), die Stromerlöse umfassen 130-160 MW/h (13-16 cent/kWh je nach Leistung), FT Treibstoff aus Holz umfassen 1,0 €/Liter (0,8-1,€/Liter), für Bio-SNG 0,65 €/m3 (0,55-0,8 €/m3). Die Erlösstruktur umfasst 10 % Wärme, 47 % FT Treibstoff und 43 % Strom.
Ein weiterer wichtiger Forschungsschwerpunkt in Güssing ist Kühlen mit Sonnenenergie, das im Projekt Sunsorber abgewickelt wird.

Kühlen mit Sonnenenergie

Hier wird eine Kühlanlage für Einfamilienhäuser entwickelt. Über einen so genannten Adsorptionsprozess kann statt Strom Wärme aus Sonnenkollektoren als Antriebsenergie verwendet werden. Das Prinzip: Wasser verdampft unter geringem Druck und entzieht dadurch Wärme, es wird kalt. Der Dampf wird von einem speziellen Material (Silikagel) aufgenommen und nach dessen Sättigung durch Wärme wieder abgegeben. Durch Kondensation wird die Energie an die Umgebung abgegeben, das Wasser ist wieder flüssig und der Kreislauf beginnt von vorne.

Ergebnisse der Aktivitäten

Über all die Jahre wurde Wissen und Erfahrung gesammelt. Das Ziel ist, dieses Wissen aus dem Anlagenbau, der Entwicklung und Umsetzung von Energiekonzepten, dem nationalen und internationalen Projektmanagement, den Forschungsergebnissen usw. an Interessierte weiterzuvermitteln.
Deshalb wurde bereits im Jahre 1996 das Europäische Zentrum für Erneuerbare Energie gegründet (Abbildung 2). Der Zweck war die Koordination und die Betreuung von Besuchern der technischen Anlagen. Aus dem anfangs gegründeten Verein wurde eine Tochterfirma, die Europäisches Zentrum für erneuerbare Energie Güssing GmbH gegründet. Die Aufgaben der 15 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen umfassen nationales und internationales Projektmanagement in den Bereichen Erneuerbare Energie, Kultur und Tourismus, Beschäftigungs- und Bildungsmaßnahmen.

Abbildung 2: Technologiezentrum für Erneuerbare Energie in Güssing

In unmittelbarer Zukunft folgt die Umsetzung des Themenschwerpunktes „Erneuerbare Energie und Weiterbildungsmöglichkeiten“ für Berufstätige. In Form von Tagungen, Seminaren und Symposien erfolgt die Weitergabe von Know How durch „Experten“ aus der Planung, Umsetzung und Wissenschaft.

Weiterbildungszentrum

Aus diesem Grund wurden im Zuge des Leader Plus Projektes 1. Österreichisches Weiterbildungszentrum für Erneuerbare Energie“ Tagesseminare mit Fach-vorträgen und Besichtigungsmöglichkeiten entwickelt, deren erstes Seminar Ende Oktober 2005 stattfand. Weitere Seminare folgten im November und als Abschlussveranstaltung findet am 15. und 16. Dezember ein zweitägiges Symposium zum oben beschriebenen Best-Practice-Beispiel für „Polygeneration“ in Güssing statt. Namhafte Vortragende aus Wissenschaft konnten als Referenten gewonnen werden (nähere Informationen finden Sie unter www.eee-info.net).

Zusammenfassung

Das Modell Güssing gilt als Erfolgsmodell und ist international als Energie- bzw. Biomassezentrum anerkannt. Ausgehend vom Rohstoff Holz wurden die Ziele wie Regionalentwicklung, Arbeitsplatzbeschaffung und Forschung und Entwicklung nachhaltig umzusetzen, durch viele Initiativen, Projekte und den Mut zum Handeln erreicht. Wir begrüßen Sie recht herzlich im Europäischen Zentrum für erneuerbare Energie Güssing GmbH, wo wir Sie über weitere Details informieren.

Abbildung 3: Forschungsarbeiten am Technologiezentrum für Erneuerbare Energie in Güssing

Abbildung 4: BKW Güssing bei Nacht

Abbildung 5: Internationale Delegation bei der Besichtigung des BKW Güssing

Literatur

C. Brunner, A. Kopitar, 2004: „Energie aus Biomasse in Güssing“, Geographisches Jahrbuch Burgenland, S 125 – 136.
H. Hofbauer, 2005: „Forschung auf dem Gebiet Erneuerbarer Kraftstoffe aus Biomasse am Standort Güssing, unveröffentlichter Aufsatz, S 1-16.

*) Maga. Alexandra Kopitar ist Projektkoordinatorin im Europäischen Zentrum für Erneuerbare Energie Güssing GmbH, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.eee-info.net. [^]

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