Zeitschrift EE

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2005-04: Nachhaltige Energieregionen

Energieregionen

Neckarsulm ist ein positives Beispiel einer Kommune, die sich konsequent für kommunale Energiepolitik und ökologische Energieversorgung einsetzt. Vor allem auf dem Gebiet der Solarenergie gehört Neckarsulm zu den führenden Städten in Deutschland.

Energie-Strategie der Stadt Neckarsulm

Von Boris Mahler und Ursula Knapp*

Die Stadt Neckarsulm hat bereits vor fünf Jahren ein Förderprogramm im Bereich Klimaschutz ins Leben gerufen, mit dem sie ein Zeichen für Energieeinsparung und Umweltvorsorge setzte. Dazu wurde ein Bürgerbüro als Anlaufstelle für Energieberatung errichtet. Hier werden die Bewohner informiert, zu Sanierungsmaßnahmen und dem Einsatz regenerativer Energien ermutigt und über Fördermöglichkeiten informiert. Gefördert werden Wärmedämmmaßnahmen bei Altbauten wie die Dämmung des Daches, der Außenwand und der Einbau von Wärmeschutzverglasung. Weitere Fördermittel stellt die Stadt bei der Nutzung von regenerativer Energie durch Solaranlagen, PV-Anlagen, der Installation von Wärmepumpen und Biomassefeuerungsanlagen zur Verfügung.
Die Stadt geht mit gutem Beispiel voran: Es gibt kein neueres städtisches Gebäude, das nicht mit einem Energiekonzept bereits in der Planungsphase energetisch optimiert wurde.

Abbildung 1: Übersichtsplan der Stadt Neckarsulm mit den Versorgungsgebieten der Nahwärmeinseln

Solarbundesliga

Die Förderung der Stadt macht sich in einer Vielzahl von privat installierten Solar- und Photovoltaikanlagen bemerkbar. In der Solarbundesliga, einem Wettstreit um die höchste Dichte von Solar- und Photovoltaikanlagen zwischen mittlerweile ca. 800 deutschen Städten und Gemeinden, erreichte Neckarsulm mit einer Einwohnerzahl von 27.000 in diesem Jahr Rang drei in der Kategorie der Kommunen zwischen 10.000 und 100.000 Einwohnern. Mit einer aktuellen Fläche von 0,3 m² thermische Sonnenkollektoren (entspricht einer installierten Leistung 0,21 MWth) und 43,6 W Photovoltaik pro Einwohner besitzt Neckarsulm 20 mal so viel m² Sonnenkollektoren bzw. 10 mal so viel W Photovoltaik wie der Bundesdurchschnitt in Deutschland.
Die Stadt Neckarsulm ist nicht nur um die Steigerung der Energieeffizienz von einzelnen Gebäuden, sondern ganzer Stadtteile bemüht. Die Energieversorgung zahlreicher Gebäude erfolgt über Wärmeinseln mit Kraft-Wärme-Kopplung. Wärmeversorgungsanlagen an zentraler Stelle versorgen die Gebäude einzelner Stadtteile mit Wärme über Nahwärmenetze. Dabei wurden besondere Pilotprojekte realisiert.

Pilotprojekt „Langzeitwärmespeicher“

Ein Beispiel für eine effiziente Nahwärmeversorgung ist der Stadtteil Amorbach, der zu 50 % solar beheizt wird. Im Rahmen eines europaweiten Pilotprojektes wurde in diesem Stadtteil eine solar-unterstützte Nahwärmeinsel errichtet, die Wärme für Raumheizung und Warmwasserbereitung für über 900 Haushalte liefert. In das System sind 7.500 m² Sonnenkollektoren (5.250 kWth)integriert. Die Wärme, die in den Sommermonaten nicht sofort zur Heizung oder Brauchwasser-Erwärmung benötigt wird, wird in einem „Langzeit-Erdsondenwärmespeicher“ gespeichert und im Winter nutzbar gemacht. Das Wasser in den Sonnenkollektoren, die auf den Dächern der Häuser, freistehend auf einem Parkplatz und an einem Lärmschutzwall installiert sind, wird auf bis zu 80 °C erhitzt und durch U-förmige Erdsonden mehr als 30 m tief in den Boden geleitet. Dabei wird Wärme an das Erdreich abgegeben. Im Winter kann die gespeicherte Wärme wieder entnommen werden. Hierzu wird kaltes Wasser in die Sonden geleitet, wo sich das Wasser durch die solar erzeugte „Erdwärme“ wieder erhitzt.
Das Projekt wurde 1995 begonnen und sukzessive mit der Erweiterung des Wohngebietes vergrößert. Dazu wurde der Erdsondenwärmespeicher in mehreren Stufen ausgebaut und zusätzliche Kollektorfelder installiert.
Der Verbrauch an fossilen Brennstoffen ist bei diesem Konzept um rund 50 % geringer als bei herkömmlicher Wärmeversorgung und leistet somit einen beträchtlichen Beitrag zur Senkung des Kohlendioxidausstoßes.

Abbildung 2: Amorbach: Blick auf die Mehrfamilienhäuser mit Sonnenkollektoren

Pilotprojekt „Biomasse-Heizkraftwerk“

Neben der solarunterstützten Nahwärmeversorgung im Stadtteil Amorbach verstärkte die Stadt Neckarsulm in einem zweiten Pilotprojekt durch den Einsatz eines modernen Biomasse-Heizkraftwerks ihren Einsatz zum Klimaschutz auf kommunaler Ebene. Das Kraftwerk wurde von den Stadtwerken als neue Heizzentrale im Gewerbegebiet „Trendpark Süd“ errichtet. Verbrannt werden hier unbehandelte Holzhackschnitzel aus der Region.
Das im Februar 2004 in Betrieb genommene Biomasseheizwerk mit 6 MWth Leistung und einer ORC-Anlage mit 1 Mwel ist eine wirtschaftlich, technisch und ökologisch interessante Lösung zur kombinierten Wärme- und Stromerzeugung aus heimischen erneuerbaren Energieträgern. Pro Jahr können hier 48.000 m³ Holzhackschnitzel verbrannt werden. Das entspricht einer Einsparung von 3,7 Mio. Liter Heizöl bzw. 5.000 t CO2. Mit diesem Projekt wird ein wesentlicher Beitrag zur nachhaltigen Energiepolitik und Reduktion der CO2-Emissionen geleistet. Zusätzlich werden regionale Arbeitsplätze geschaffen und das Ökosystem Wald entlastet.
Ein rein thermischer Zusatzkessel, der mit Erdgas betrieben und nur in den Wintermonaten benötigt wird, fängt die Spitzen beim Wärmeverbrauch auf. Für den Durchschnittsbedarf reicht jedoch die Biomasse als hauptsächlicher Energielieferant aus.
Das Konzept der Stadt ist inzwischen vielfach ausgezeichnet worden: 1998 erhielt die Stadt Neckarsulm den Deutschen Solarpreis und 1999 den Umweltpreis des Landes Baden-Württemberg für das Engagement im Bereich nachhaltiger Energieversorgung.

„Energy in Minds“

Anfang Juni ist in Neckarsulm der offizielle Startschuss für das Projekt „Energy in Minds“ der Europäischen Union gefallen. Im Rahmen des europaweiten Förderprojekts soll der Anteil fossiler Energieträger und der Ausstoß von Kohlendioxid in den vier teilnehmenden Partnerstädten in fünf Jahren um weitere 20 bis 30 % gesenkt werden. Zu diesem Zweck hat die Solarstadt NSU mit drei weiteren europäischen Kommunen ein Konsortium gebildet, um als Vorreiter in Europa erneuerbare Energien zu fördern und konkrete Energiesparmaßnahmen umzusetzen.
Teilnehmende europäische Städte sind außer Neckarsulm in Deutschland, die Energieregion Weiz-Gleisdorf in Österreich, Falkenberg in Schweden und Zlin in Tschechien. Neben diesen Städten nehmen Gornji Grad in Slowenien und die Region Turin in Italien als Beobachterstädte an dem Projekt teil. So wie Neckarsulm bei der Nutzung der Solarenergie sind auch die übrigen Projektpartner führend auf dem Gebiet regenerativer Energiesysteme und rationeller Energieverwendung.
Ein wichtiger Bestandteil des Projektes ist der Wissensaustausch und die Zusammenarbeit der europäischen Partner untereinander und somit der Austausch von Erfahrungen und bereits vorhandenem Wissen.

Beteilung der Bevölkerung

Um erneuerbare Energien zu fördern, Energiesparmaßnahmen umzusetzen und so letztlich 20 bis 30 % weniger Energie zu verbrauchen, arbeiten in Neckarsulm im Rahmen von „Energy in Minds“ drei Partner zusammen: die Stadt, die Stadtwerke und die Solar- & Energie Initiative. Die Koordination übernimmt das Steinbeis Transferzentrum für Energie-, Gebäude- und Solartechnik in Stuttgart.
Da die Neckarsulmer Privathaushalte mit einem Anteil von 61 % am Endenergieverbrauch das größte Einsparpotenzial besitzen, ist die aktive Teilnahme der Bevölkerung gefragt. Daher ist die Steigerung des Energiebewusstseins und die Sensibilisierung der Bevölkerung für Energiefragen eine wichtige Voraussetzung zur erfolgreichen Durchführung des Projektes. Zu diesem Zweck wird die Solar- & Energie Initiative ausgebaut und ein jährlich stattfindender „Energie-Tag“ eingeführt. Zur weiteren Information und Wissensvermittlung der Öffentlichkeit dient die Energie-Plattform im Internet www.energy-in-minds.de. Darüber hinaus sind verschiedene konkrete Maßnahmen geplant.

Abbildung 3: Biomasseheizkraftwerk Trendpark: Greifer für Holzhackschnitzel

Maßnahmen

Im Bereich der erneuerbaren Energien sollen zusätzlich zu den bereits installierten 14.000 m2 (installierte Leistung: 9.800 kWth)weitere 2.500 m2 Kollektorflächen (installierte Leistung: 1.750 kWth)entstehen. Zusätzlich ist die Installation neuer Photovoltaikanlagen mit einer Gesamtleistung von 500 kWp geplant. Um zukünftig den Einsatz von Holzpellets zu vereinfachen, soll eine Infrastruktur für Holzpellets geschaffen werden. Ca. 20 Heizungsanlagen privater Haushalte sollen im Rahmen des Projektes durch CO2 neutrale Holzpellet-Heizungen ersetzt werden. Des weiteren soll durch eine Netzerweiterung im Gewerbegebiet „Trendpark Süd“ die Effizienz der Nahwärmeversorgung verbessert werden.
Auch Energiesparmaßnahmen an Gebäuden dienen dem Projektziel. Zunächst soll ein Energiecheck für etwa 10 bis 20 % aller Gebäude das vorhandene Einsparpotenzial verdeutlichen. Danach werden etwa 200 Häuser und Wohnungen in dem Maß energetisch saniert werden, dass die Anforderungen der Energieeinsparverordnung um mindestens 30 % unterschritten werden und somit zum Erreichen des Neubaustandard führt. Hierbei kann die Stadt die bislang schon für Klimaschutzmaßnahmen gewährte Förderung dank der Aufnahme in das EU-Programm intensivieren.
Des weiteren werden im Rahmen des Projekts innovative Energietechnologien getestet, weiterentwickelt und ausgewertet. Dadurch werden neue Erkenntnisse erworben, die zur Optimierung dieser Produkte führen. In Neckarsulm wird als Pilotprojekt eine solarbetriebene Klärschlamm-Trocknungs-Anlage realisiert und ein Feldversuch mit Holzpellet-betriebenen Stirling Motoren durchgeführt.

Finanzierung

Für die Finanzierung sämtlicher Maßnahmen im Rahmen des Projekts „Energy in Minds“ sind Kosten in Höhe von insgesamt 5,6 Millionen Euro vorgesehen. Damit sind in Neckarsulm in den kommenden fünf Jahren die Weichen für mehr Klimaschutz und einen intensiveren Einsatz regenerativer Energien gestellt: „Als Stadt müssen wir sicherstellen, dass in dieser Richtung tatsächlich etwas unternommen wird“, stellt Bürgermeister Grabbe fest. „Getreu dem bewährten Neckarsulmer Grundsatz: ‚Wir kommen vom Reden zum Handeln‘.“

*) Dr.-Ing. Boris Mahler ist Geschäftsführer und Dipl.-Ing. Ursula Knapp ist Projektbearbeiterin der EGS-plan Ingenieurgesellschaft für Energie-, Gebäude- und Solartechnik mbH in Stuttgart, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! [^]

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