Zeitschrift EE

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2003-04: Nachhaltige Gebäude im Nichtwohnungsbau

Nachhaltige Gebäudekonzepte

Wenn ein Unternehmen für den Neubau einer Gewerbehalle im Industriegebiet draußen am Stadtrand ein Gutachterverfahren durchführt, zeugt dies von einem besonderen Anspruch.

Nullemissionsfabrik in Braunschweig

Von Gudrun Escher*

Solvis in Braunschweig entwickelt und produziert Sonnenkollektoren und integrierte Solarheizsysteme vorwiegend für den Wohnhaussektor. Aus einem Pionier der ersten Stunde ist in 15 Jahren ein profitables Unternehmen geworden, in dem sich auch die Mitarbeiterbeteiligung bewährt hat. Die komplementär SOLVIS-Geschäftsführungs GmbH gehört den derzeit 37 GesellschafterInnen, die Anteile der SOLVIS GmbH & Co KG halten ca. 370 Kommanditisten. Mitarbeiter wie Anteilseigner verbindet ein besonderer Einsatz für die Sache und besondere Erwartungen an den neuen Unternehmensstandort.

In der Einfachheit liegt die Kunst

Vor diesem Hintergrund gestalteten sich die Bauaufgabe, die Planung und die Durchführung anders als üblich. "sol vis" - die Kraft der Sonne - war das Leitwort für die Projektplanung. Folgerichtig kam das Konzept zur Ausführung, in dem die Technik- und Energieplanung am konsequentesten mit der Flächenanordnung, der Materialwahl und der Konstruktion innerhalb des architektonischen Entwurfs korrespondierten. Gleiches Interesse galt der verbesserten Fertigungslogistik und einem kommunikationsfördernden Betriebskonzept der kurzen Wege. Das interdisziplinäre Projektteam mit den Bochumer Architekten Banz + Riecks, dem Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE und Martin Ufheil, solares bauen GmbH, hat in engster Abstimmung mit den Auftraggebern und unter Einbeziehung von Solvis-eigenen Entwicklungen ein Ergebnis erbracht, das die Förderung durch das Bundesumweltministerium und das Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen eines Forschungsvorhabens zum solaroptimierten Bauen in jeder Weise rechtfertigt. Seit Mai 2002 läuft der Betrieb.

Die Architektur

Der Neubau für 140 Arbeitsplätze und einer Nutzfläche von etwa 8.000 m² genügt als nachhaltige Nullemissionsfabrik einem ganzen Katalog von Anforderungen, von der öffentlichen Verkehrsanbindung bis zur anteiligen Deckung des Strom- und Wärmebedarfs über Solarkollektoren, Photovoltaik und ein mit Rapsöl betriebenes Blockheizkraftwerk.
Die gewählte Grundform einer eingeschossigen rechteckigen Halle mit einer Länge von 108,75 Metern und einem Seitenverhältnis von nicht ganz 1:2 wurde als Holzständerbau konzipiert (Abbildung 1). Ihre Höhe wurde so bemessen, dass die jeweils doppelgeschossigen Verwaltungsflächen mit der Produktionshalle ein gemeinsames flaches Dach bilden. Im Innenbereich ermöglichen breite Fensterbänder den Blickkontakt zwischen Produktion und Büroräumen. Die innere Erschließung erfolgt über den "Solvis-Weg", der die gesamte Länge der Halle durchzieht. Hier ist die Kommunikationsebene für alle betrieblichen Bereiche. In einer oberen Ebene - und zugleich als Demonstrationsanlage frei sichtbar - wurden die haus-, mess- und regeltechnischen Anlagen installiert (Abbildung 2).
Das prägende Motiv des Gesamtentwurfs ist das Tragwerk der Halle. Die massiven Sichtbetonwände des Solvis-Weges bilden zugleich das konstruktive Rückgrat des Bauwerks. Hier fußen die 8,25 Meter hohen, das Dach überragenden Stahlpylone. Sie stützen das Stahltragwerk, über das punktuell die Brettschichtholzbinder über den Fertigungsbereichen abgehängt sind. Dieses System birgt mehrere Vorteile: Es ermöglicht stützenfreie Fertigungsebenen mit Spannweiten von 27,50 Meter, erlaubt es, den Querschnitt der Holzbinder zu minimieren und reduziert im Vergleich zu einer konventionellen Konstruktion den zu beheizenden und zu belüftenden Raum um über 10.000 m³. Auf der Dachfläche selbst dient das Tragwerk als Unterkonstruktion für Kollektor- und Photovoltaikpaneele (Abbildung 3). Begehbar ist das Dach nicht nur für Wartungsarbeiten, sondern auch als Demonstrationsbereich für interessierte Kunden.

Abbildung 1: Die Hallen wurden stützenfrei als Holzständerbau konzipiert. Durchlaufende Fensterreihen unterstützen eine optimale Tageslichtnutzung

Abbildung 2: Die mess- und regeltechnischen Anlagen wurden frei zugänglich in der oberen Ebene der Halle installiert

In der Halle umziehen zwei durchlaufende Fensterreihen die Fertigungsbereiche, eine in Augenhöhe, die andere direkt unter dem Dachanschluss. Außen ergänzt hier eine Attika, die zugleich für das Dach als Absturzsicherung dient, den geschlossenen Rahmen der Fassadenflächen. Zusammen mit Oberlichtkuppeln, die mit transparenter, lichtstreuender Wärmedämmung versehen sind, wird eine optimale Tageslichtausbeute bei minimiertem Wärmeeintrag gewährleistet. Die installierte künstliche Beleuchtung auch in den Bürobereichen wird über Außenlichtfühler gedimmt.
Die verborgene Qualität des Gesamtentwurfs in seiner Schlichtheit beruht auf den ausgewogenen Verhältnissen der Flächen und Volumen, großer Linien gegenüber kleinteiliger Gliederung sorgfältig herausgearbeiteter Details. Unter Vermeidung platter Symmetrien werden harmonische Spannungen aufgebaut, eine lebendige Atmosphäre entsteht, die den auf Partnerschaft ohne Gleichmacherei aufbauenden Geist des Unternehmens spiegelt.

Energiekonzept

Aus den Zielwerten einer CO2-neutralen Energieversorgung einerseits und der Begrenzung der Fläche zur Installation von Solar-Modulen auf 600 Quadratmeter andererseits ergab sich eine Richtgröße von 27 kWh/m²a Wärme und 20 kWh/m²a Strom für Gebäudetechnik und Betrieb, was weit unter den Vorgaben des Fördermodells des BMWi liegt. Um dieses Ziel zu erreichen, galt es, alle denkbaren Potenziale zum Einsparen von Strom auszunutzen, angefangen bei der Auswahl von energiesparenden Geräten über die Raumlüftung bis hin zum Wärmeschutz und der Tageslichtnutzung, wobei auch für die Gebäudetechnik selbst der Primärenergiebedarf niedrig bemessen wird. Das führte zur Entscheidung für ein einfaches passives Abluftsystem mit nachgeschalteter Wärmepumpe in den Büros, ergänzt durch eine Niedertemperatur-Flächenheizung, in welche die Abluftwärmepumpe einspeist. Da die beiden Verwaltungsbereiche quasi innerhalb der Produktion angeordnet sind, dienen ihre Grenzflächen als Heizflächen für die Fertigung, für die eine konstante Temperatur von nicht weniger als 17°C angenommen wird. Dafür muss die Gebäudehülle eine hohe Dichtigkeit aufweisen, überprüft mit einer Blower Door Messung. Eine eigene Wärmequelle stellen die nicht gedämmten Sprinklertanks in der Halle dar, die als Pufferspeicher der Kollektoranlage auf dem Dach dienen. Im Sommer wird dasselbe System zur Nachtkühlung eingesetzt. Die Abwärme der EDV-Zentrale kommt im Winter als Heizungsunterstützung hinzu. Die massiven Bauteile des Solvis-Weges und der Verwaltung, wo es weder Doppelböden noch abgehängte Decken gibt, fungieren als Speichermasse mit verzögerter Abgabe von Wärme bzw. Nachtkühle.
Die Fenster erhielten eine Dreifach-Wärmeschutzverglasung mit guter Lichtdurchlässigkeit (Superwarmglas iplus 3C von Interpane). Die zu öffnenden Flügel sind Holzpaneele mit Vakuumdämmung für höheren Wärmeschutz ohne Wärmeverluste. Im östlichen Bürotrakt sind die Scheiben im oberen Bereich satiniert, um die Lichtblendung zu reduzieren. Außenliegender Sonnenschutz vor der raumhohen Verglasung im mittleren Verwaltungstrakt wird in Abhängigkeit von der Raumtemperatur gesteuert.

Abbildung 3: Die Dachfläche der Nullemissionsfabrik dient als Unterkonstruktion für PV-Module und thermische Sonnenkollektoren

In das ökologisch ausgerichtete Gesamtkonzept gehört auch der Wasserhaushalt. Mit einer Vakuumentwässerung können 70% des Wasserbedarfs eingespart werden. Vorkehrungen zur Pflanzenklärung und Versickerung auf dem Gelände sind getroffen.
Das Herzstück der Energiebedarfsdeckung ist die Solartechnik auf dem Hallendach, bestehend aus 180 m² Flachkollektoren auf den östlichen Böcken und 45 m² in die Südfassade integrierter Fläche, auf den westlichen Böcken fanden 30 m² amorphe PV-Zellen Platz und insgesamt 530 m² polykristalline PV-Zellen mit 60 KWp auf den Anliefervorbauten und der Verwaltung (siehe Abbildung 3). Neben diesem solaren System steht ein BHKW auf Rapsölbasis sowohl für die Wärmeversorgung als auch als Kraftwerk mit 100 kW elektrischer Leistung zur Verfügung. Vorausgesetzt die Rapsölproduktion erfolgt ihrerseits abgasneutral, ist das Ziel der Nullemissionsfabrik vollends erreicht.
Insgesamt führte die Energieoptimierung dank integrierter, bis in Details der Nutzung abgestimmter Planung anstatt zu Einschränkungen zu deutlichen Gewinnen hinsichtlich der Funktionsfähigkeit, der Wirtschaftlichkeit und der ästhetischen Qualität der Werksanlage.
Die Nullemissionsfabrik der SOLVIS GmbH & Co KG in Braunschweig wurde mit dem Innovationspreis 2002, dem Europäischen Solarpreis 2002, dem Architecture & Technology Award 2003 und dem Energy Globe 2003 ausgezeichnet.
Weitere Informationen und Kontakt unter www.solvis.de

Abbildung 4: Die Nullemissionsfabrik der SOLVIS GmbH & Co KG in Braunschweig ist ein Demonstrationsobjekt für den ökologischen Industriebau

*) Dr. Gudrun Escher ist freie Autorin in Mühlheim / Ruhr [^]

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