Zeitschrift EE

Zurück zu den Beiträgen

2013-01: Kunststoff-Kollektoren

Nullenergiegebäude im städtischen Kontext

Die Art und Weise wie wir uns dem Energieproblem stellen, wird unsere Städte grundlegend verändern. Niedrigst- und Nullenergiegebäude, kombiniert mit Energienetzen, die bestehende Synergieeffekte unterschiedlicher Gebäude und Nutzungen ausschöpfen, gelten als Schwerpunkt derzeitiger Entwicklungen. Für den enormen Bedarf an Flächen die zur Umwandlung von erneuerbarer Energie benötigt werden, wird sich unser Bild von Gebäuden, Städten und auch Landschaften im urbanen Umfeld ändern müssen. Wie werden die neuen Nullenergiestadtteile aussehen, wie werden sie funktionieren, welche Art der Gestaltungsfreiheit werden sie uns bieten und welche ästhetischen Qualitäten können wir von diesen Nullenergiegebäuden erwarten?

Von Tobias Weiß

Energiebilanz, Platz und Flächenbedarf – Grenzen von Nullenergiegebäuden

Das Ziel „Nullenergie“ muss bereits in einem sehr frühen Stadium des Projekts definiert werden. Für den Planer bedeutet dies, dass er die zukünftige Energiebilanz eines Gebäudes oder eines Gebäudeverbandes in jeder Planungsphase kennen muss. Die Frage wie viel Energie für den Betrieb eines Bauwerks benötigt wird und woher diese kommt ist daher von großer Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die Substitution des Einsatzes fossiler Energie, die durch die Einspeisung der vor Ort erzeugten, erneuerbaren Energie (z. B. Solarthermie, PV) erreicht werden kann. Man spricht in diesem Fall von einer sogenannten Nullenergiebilanz. Diese primärenergetische Bilanz ist im Idealfall über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes zu berechnen. Ob das jeweilige Nullenergie-Projekt tatsächlich auch in der Praxis erfolgreich ist, lässt sich jedoch erst nach mehreren Jahren Nutzungsdauer, und nicht nur anhand detaillierterBerechnungen in der Planungsphase feststellen. Durch den stark reduzierten Heizwärme- und Kühlbedarfs nimmt bei Nullenergiegebäuden der Haushaltsstrom sehr oft den größten Anteil am Gesamtenergiebedarf ein. Auf Grund des unterschiedlichen Nutzerverhaltens zeigen sich hier aber große Unterschiede zwischen dem tatsächlichen Verbrauch und den berechneten Werten.

Der Platz- und Flächenbedarf von alternativen Energiequellen in Form von gebäudeintegrierter Solartechnologie, Windkraft und Biomasse stellt eine große architektonische und raumplanerische Herausforderung dar. Diese großen Solarflächen nehmen entscheidenden Einfluss auf die Formensprache des Gebäudes und in weiterer Folge auf das Bild einer Stadt. Der optimalen Nutzung von südorientierten Dachflächen sowie der Integration von Solarflächen in gut besonnten Fassaden kommt dabei größte Bedeutung zu. Um zum Beispiel bei einem Niedrigstenergie-Wohngebäude eine Netto-Nullenergiebilanz mit Hilfe von dachintegrierten Photovoltaik-Modulen in Kombination mit einer Wärmepumpe für die Strom- und Wärmeversorgung zu erlangen, ist im Minimum ein Verhältnis von 0,5–0,7 m2 aktiver Solarfläche pro m2 Wohnnutzfläche erforderlich. Dies ist bei einem Einfamilienhaus mittlerweile ohne größere Probleme realisierbar. Für mehrgeschoßige Gebäude im dicht besiedelten städtischen Umfeld, mit eingeschränktem solaren Potenzial gilt es jedoch neue Wege zu finden (siehe Abbildung 1). Geht man davon aus, dass der Anteil der Stadtbevölkerung weltweit voraussichtlich bis zum Jahr 2050 auf rund 70% steigt, werden Nullenergiegebäude vor allem in städtischen Gebieten relevant sein.

Abbildung 1: Nullenergiegebäude Platzbedarf für Solarflächen Klick Mich!

Nullenergiegebäude im städtischen Kontext

Stellt man sich eine zukünftige Stadt vor, in der alle Gebäude eine Netto-Nullenergiebilanz erreichen müssen, so hätte dies tiefgreifende städtebauliche Auswirkungen. Wenn man bedenkt, dass die meisten Gebäude nur die Dachflächen und Teile der Südfassade zur Verfügung haben, um solare Energie umzuwandeln, so ist bei ein- oder zweistöckigen Gebäuden die Nullenergiebilanz leichter zu erreichen als bei Hochhäusern und mehrstöckigen Gebäuden. Dabei stoßen Nullenergiegebäude mit gebäudeintegrierten Solartechnologien, die mehr als zwei oder drei Stockwerke haben, schnell an ihre Grenzen. Analysiert man weltweit bekannte Beispiele existierender Nullenergiegebäude, handelt es sich meist um kleinere Gebäude auf gut besonnten Grundstücken mit geringer städtebaulicher Dichte. Gebäude, die in vorstädtischen oder ländlichen Standorten gebaut werden, haben daher ein weitaus größeres Potenzial mit lokalen erneuerbaren Energien die Nullenergiebilanz zu erreichen. Diese Überlegung steht im Gegensatz zu den Effizienzgedanken, die mit der Idee von hoher städtischer Dichte einhergehen. Die öffentliche Diskussion über Nullenergiegebäude orientiert sich bisher hauptsächlich an der Energiebilanz von Gebäuden im Betrieb. Vernachlässigt wird die graue Energie für die Errichtung der Gebäude und der zugehörigen Erschließungsinfrastruktur sowie den durch die Lage des Bauwerks verursachten Individualverkehr. Je zersiedelter und weitläufiger wir arbeiten und leben, desto größer sind die Umweltbelastungen – der öffentliche Verkehr und Infrastruktursysteme werden ineffizient, die private Nutzung von Fahrzeugen steigt an, und der erhöhte Verbrauch von Grund und Boden hat negative raumplanerische Auswirkungen. Durch die fortschreitende Trennung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Bildung, ist nun ein Großteil solcher Haushalte, um den täglichen Erledigungen nachzukommen, auf zwei und mehr private Autos angewiesen. Auch wenn solche Gebäude in Nullenergiestandard ausgeführt werden, ist es fraglich ob sie in der Gesamtenergiebilanz – Haus, Autos und graue Energie für Infrastruktur – einen großen volkswirtschaftlichen Energieeinsparbeitrag leisten können. Die Lage und Bebauungstypologie werden somit zum bestimmenden Faktor wenn es um eine umfassende Betrachtung der Nullenergiebilanz geht. Bei den analysierten Projekten (Abbildung 3) erhöht sich der Energiebedarf bei Wohngebäuden mit ähnlicher Betriebsenergie auf Grund ihrer Typologie und städtischen Lage circa um den Faktor drei. In dieser Betrachtung von standardisierten Wohnbautypologien wurden Verkehrsinfrastruktur, technische Infrastruktur, Nähe zu Einrichtungen des täglichen Bedarfs sowie die Anordnung der Gebäude und das daraus resultierende solare Potenzial kritisch untersucht. Inkludiert man in diese Betrachtung weiters den Energieaufwand für Instandhaltungsarbeiten (Gebäude, Zufahrtsstraßen, Infrastruktur) ist bei dem Einfamilienhaus in zersiedelter Lage der Bedarf an Grauer Energie etwa gleich hoch wie die Betriebsenergie. Der Energiebedarf für Mobilität übersteigt diesen sogar noch. Diese Gebäude haben zwar verglichen mit dem mehrgeschoßigen Wohngebäude in innerstädtischer Lage ein vielfach höheres solares Potenzial, und erreichen dadurch die Nullenergiebilanz im Betrieb sehr leicht. Sie stellen aber trotzdem keine nachhaltigen Lösungen dar, da sie zur Zersiedelung der Landschaft führen. In innerstädtischen Bereichen ist es daher wichtig, auf Gebäudeverbände hinzuarbeiten, statt den Fokus auf einzelne Gebäude zu setzen. Sinnvoller ist es, ganze Gemeinden oder Stadtteile als Nullenergiecluster auszubilden, auch wenn die einzelnen Gebäude darin teilweise diesen Energiestandard nicht erfüllen können. Es gilt Flächen für solare Energieumwandlung, und Energiespeichertechnologien in das Stadtbild zu integrieren. Multifunktionelle hocheffiziente Gebäude, die ihren Nutzern Schutz und Komfort bieten, Energie umwandeln und miteinander verbunden sind, sind das Thema der Zukunft. Ein Netzwerk, bei dem überschüssige Energie auf Grund unterschiedlicher tageszeitlicher Energieverbräuche (auf Grund unterschiedlicher Funktionen) ausgeglichen und genützt werden kann, stellt sicherlich die optimale Lösung dar. Ob die dafür benötigten großen Solarflächen für eine Nullenergiestadt innerhalb der dichten Strukturen, die für die Effizienz notwendig ist, Platz haben, ist jedoch noch unklar. Es ist anzunehmen, dass selbst die best geplante Nullenergiestadt von einer leistungsstarken Landschaft, welche die Stadt mit zusätzlicher Erneuerbaren Energie beliefert, umgeben sein muss. Welche Art von Energie-Feldern, Bergen und Seen dafür notwendig sind oder die Größe des Waldes, der den restlichen CO2-Ausstoß der Gebäude aufnehmen kann, sind Fragen die Stadt- und Raumplaner noch lange Zeit beschäftigen werden. Eines kann man jedoch mit Sicherheit sagen: ein wirklich nachhaltiges Nullenergiegebäude darf auf keinen Fall nur allein anhand seiner Energiebilanz, sondern muss vor allem auch anhand der architektonischen und städtebaulich-raumplanerischen Qualität betrachtet werden.

Abbildung 2: Solarpotential Einfamilienhaus / mehrgeschoßiges Gebäude Klick Mich!

Abbildung 3: Gebäudetypologie in Abhängigkeit von städtischer Lage: Gesamtenergiebilanz, Nullenergiepotenzial und Flächenverbrauch Klick Mich!

Quelle aller Bilder: Tobias Weiß

Autorenbeschreibung

DI Tobias Weiß ist als Architekt bei Nussmüller Architekten ZT
GmbH und am Institut für Gebäude und Energie der TU Graz
tätig (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

 

Top of page