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Energetische Altlasten optimieren –Schaffung von Anreizen für die Energetische Sanierung in der Schweiz

von Susanne Kytzia und Christine Mosimann

In der Schweiz drohen ältere Gebäude zur «energetischen Altlast» zu werden. Der öffentlichen Hand sind die Hände gebunden: Sie kann Eigentümer nicht zu Sanierungen zwingen. Ein vom Institut für Bau und Umwelt der Fachhochschule Rapperswil entwickeltes Modell generiert sogenannte «Heizwärmekarten» und hilft damit, bessere Anreize für Sanierungen zu schaffen und den künftigen Wärmebedarf zu planen.

Abbildung 1: „Heizwärmekarte“ der Stadt St. Gallen im Hektarraster Quelle: S. Kytzia, Institut für Bau und Umwelt, Rapperswil 2013

Neubauten mit Baujahr 2008 weisen einen rund vier Mal tieferen Wärmeenergiebedarf pro Quadratmeter Wohnfläche aus als Neubauten anno 1975. Dank besserer Isolation nimmt der Energieverbrauch stetig ab, dennoch verbuchen die Gebäudenutzung und der Verkehr in der Schweiz noch immer 75 Prozent des Endenergieverbrauchs und 86 Prozent des gesamten Treib- und Brennstoffverbrauchs [1]. Ein großes Potenzial zur Energieoptimierung liegt in der Erneuerung älterer Gebäude. Weil jedoch zu wenig investiert wird, drohen diese Gebäude zur «energetischen Altlast» zu werden.

Aktuelle energiepolitische Programme sollen die Bestandssanierung durch Aufklärung sowie Investitionsanreize fördern. Die Möglichkeiten der öffentlichen Hand sind allerdings durch die Eigentumsfreiheit und Bestandsgarantie begrenzt: Bestehende Bewilligungen können aufgrund veränderter respektive verschärfter Bauvorschriften nicht entzogen werden, weshalb die öffentliche Hand auch keine Eigentümer zwingen kann, „energetische Altlasten“ zu sanieren. Da Sanierungen häufig sehr teuer sind und bei den aktuellen Energiepreisen nur geringe Einsparungen im zukünftigen Betrieb versprechen, wird nicht im notwendigen Ausmaß saniert.

Will die öffentliche Hand wirksamer fördern, dann muss sie die Mittel gezielter einsetzen und die privaten Investoren stärker einbinden. Kommunale und regionale Energiekonzepte und Energiepläne schaffen mit der Förderung erneuerbarer Energien Grundlagen für solche Entwicklungen, indem Gemeinden beispielsweise einen Nahwärmeverbund schaffen, der zu Investitionsanreizen bei Hausbesitzern führen kann.

Zur Unterstützung des kommunalen und regionalen Managements von Heizwärmeversorgungen entwickelte das Institut für Bau und Umwelt (IBU) der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR) ein Modell. Dieses ist Teil des Projekts Bodensee-Alpenrhein-Energieregion (BAER) der internationalen Bodenseehochschule. Fünf Hochschulen sind daran beteiligt. Mit diesem Modell können Gemeinden, Regionen und Kantone den Betriebsenergieverbrauch der bestehenden Gebäude schätzen und Szenarien für die künftige Entwicklung analysieren.

Das Modell basiert auf Schätzwerten des aktuellen Heizwärmebedarfs sowie dessen Bereitstellung (basierend auf Daten des Eidgenössischen Gebäude- und Wohnungsregisters, GWR) sowie auf Annahmen zur Bestandsentwicklung, zum spezifischen Heizwärmebedarf und zum zukünftigen Energieträgermix. Im BAER-Projekt wird das «Bestand-Fluss-Modell» in der Schweiz erstmals als Grundlage räumlich expliziter Analysen für unterschiedliche Maßstabsebenen eingesetzt. Es generiert so genannte «Heizwärmekarten», in denen der aktuelle und zukünftige Heizwärmebedarf, Energieträger und die resultierenden CO2-Emissionen räumlich aufgelöst dargestellt werden (Abbildung 1).

Diese Darstellung unterstützt die Gemeinwesen bei:

  • Information und Sensibilisierung: Durch die räumlich aufgelöste Darstellung erkennt ein Hauseigentümer seinen Anteil am Energieverbrauch und CO2-Ausstoß der Gemeinde. Dies motiviert ihn womöglich, etwas zu unternehmen.
  • Planung von Maßnahmen zur Wärmeversorgung: Viele grössere Gemeinden planen ihre zukünftige Energieversorgung, die künftig teilweise in Energierichtplänen verbindlich wird. Sie evaluieren die Möglichkeiten für Wärmenetze, Geothermie oder Sonnenenergie. Solche Wärmebedarfskarten zeigen ergänzend, wie viel Wärme wo anfällt und wo sie gebraucht wird (siehe Abbildung 2).
  • Entwicklung gezielter Förderprogramme für Sanierungen: Förderprogramme können auf bestimmte Gebäudetypen oder ausgewählte Quartiere abgestimmt werden, deren Erneuerung besondere Potenziale oder Hindernisse aufweisen, wie Ferienchalets oder Gebäude im Stockwerkeigentum. Eine weitere Möglichkeit ist die Förderung von Verbundlösungen für Quartiere.
  • Evaluation langfristig orientierter Maßnahmen: Modellgestützte Szenarioanalysen zeigen die langfristige Entwicklung und unterstützen die Zielfindung und Maßnahmenplanung. So kann ein Gemeinwesen beispielsweise den Schwerpunkt auf eine CO2-arme Energieversorgung legen und der Einführung alternativer Energien den Vorrang geben (siehe Abbildung 3 und Abbildung 4). Aber auch alternative Ziele wie die 2000-Watt-Gesellschaft oder eine regionale Selbstversorgung können für einzelne Gemeinden attraktiv sein.

Abbildung 2: Wärmeversorgungsplan der Stadt St. Gallen: Die räumlich explizite Modellierung koppelt Informationen eines kommunalen Energierichtplans mit Prognosen zur Entwicklung des Wohngebäudebestands. Im Energierichtplan der Stadt St. Gallen wird gezeigt, wie das Stadtgebiet zukünftig mit Wärme versorgt werden soll. Datenquelle: Amt für Umwelt und Energie (AUE), St. Gallen 2010

Abbildung 3: Schlecht isolierte Bauten aus den 60er Jahren brauchen bis zu 20 Liter Heizöl pro Quadratmeter/Jahr für Raumwärme und Warmwasser. Quelle: http://www.20min.ch/community/duellv2/default.tmpl?id=30. Aufgerufen: 28.1.2014

Abbildung 4: Das Plusenergie-Haus «Kraftwerk B» in Bennau bei Einsiedeln (CH) produziert 10 Prozent Energie mehr, als es selbst braucht. Es produziert auch den eigenen Strom. Quelle: http://www.sanjo-green-e.ch/03_Wohnbauten.php?ref=Kraftwerk_B Aufgerufen: 28.01.2014

Im BAER-Projekt erarbeitet das IBU modellgestützte Analysen von Regionen im schweizerischen Bodenseeraum und analysiert ausgewählte Gemeinden als Fallbeispiele (unter anderem die Stadt St. Gallen). Die Ergebnisse zeigen erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Typen von Regionen und Gemeinden. Die Faktoren sind vielfältig: Besiedlungsdichte, das Alter und die Dynamik des Gebäudebestands, die aktuelle Versorgungsstruktur sowie die verfügbaren Potenziale an erneuerbaren Energien. Eine allgemeinverbindliche Lösung wird es nicht geben, weshalb die gezielte Entwicklung und Umsetzung energiepolitischer Programme weiter an Bedeutung gewinnen wird. Die Ergebnisse des BAER-Projektes schaffen dafür wichtige Grundlagen, indem sie eine vergleichende Bewertung von Entwicklungsstrategien unterstützen und damit die Transparenz im politischen Prozess erhöhen.

Fallbeispiel St. Gallen

Die Stadt St. Gallen ist eines der untersuchten Fallbeispiele des Projekts. In der im Osten der Schweiz gelegenen Stadt leben rund 73.000 Personen. St. Gallen ist sich schon seit einigen Jahren der Energieproblematik bewusst: Sie besitzt das Label Energiestadt sowie ein eigenes Energiekonzept, welches klare energiepolitische Ziele bis in das Jahr 2050 aufzeigt. In der kommunalen Wärmeversorgung wird vor allem eine effizientere Energienutzung durch Maßnahmen an Gebäuden und eine verstärkte Nutzung der erneuerbaren Energie angestrebt. Von zentraler Bedeutung sind dabei der Bau eines Geothermie-Kraftwerks und die Erweiterung des Fernwärmenetzes innerhalb der Stadt (Abbildung 2).

Die Modellierung zeigt im Fall St. Gallen in der Talsohle der Stadt einen hohen Energieverbrauch. Dies ist sowohl auf die hohe Gebäudedichte, als auch auf mehrheitlich ältere, unsanierte Gebäude zurückzuführen. Ein sehr großer Teil der Energiebezugsflächen in der Stadt St. Gallen stammt aus Bauperioden mit schlechten Heizwärmestandards. Die Verteilung der Energieträger im Stadtgebiet zeigt ausserdem deutlich, dass die Gebäude mehrheitlich mit Gas und Öl beheizt werden, woraus sowohl ein hoher Primärenergiebedarf als auch hohe CO2-Emissionen resultieren.

Für das Fallbeispiel St. Gallen wurden basierend auf dem Energiekonzept vier Szenarien definiert und bezüglich Primärenergieverbrauch und Treibhausgasemissionen dargestellt. Der Primärenergieverbrauch und die Treibhausgasemissionen sinken dabei modellbedingt durch zwei Faktoren: zum einen durch die Sanierungstätigkeit des Wohngebäudebestands (TeilS = Teilsanierung; TotS = Totalsanierung), zum anderen durch den stattfindenden Wechsel der Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien (ETW = Energieträgerwechsel) gemäss den Vorgaben des Energierichtplans der Stadt.

Der Primärenergieverbrauch sinkt bei der Teilsanierung ohne Energieträgerwechsel insgesamt um 17% und mit Energieträgerwechsel um 70%. Bei der Totalsanierung ist eine Absenkung des Raumwärmebedarfs ohne Energieträgerwechsel um 41%, mit Energieträgerwechsel sogar um 78% möglich. Der Energieträgerwechsel ist auch bei der Entwicklung des Ausstoßes an Treibhausgasen bemerkbar: Je mehr Häuser auf einen erneuerbaren Energieträger wechseln, desto schneller fällt die Menge dieser Emissionen. Durch eine Totalsanierung der Wohngebäude mit Energieträgerwechsel ist somit eine Reduktion der Treibhausgasemissionen von 86% möglich (Abbildung 5).

Abbildung 5: Die Treibhausgasemissionen können bis ins Jahr 2050 durch konsequente Sanierung sowie dem Energieträgerwechsel der Gebäude um bis zu 86% reduziert werden. Quelle: S. Kytzia, Institut für Bau und Umwelt, Rapperswil 2013

Die Stadt St. Gallen möchte die Förderung der Sanierung des Gebäudebestands mit dem Ausbau des Fernwärmenetzes (Einspeisung von Wärme durch ein Geothermiekraftwerk) kombinieren. Die Resultate des Modells zeigen das große Potenzial dieser Strategie: gelingt der geplante Ausbau in Kombination mit einer Totalsanierung aller Wohngebäude, dann können der Ausstoß von Treibhausgasen und der Primärenergiebedarf der Wärmebereitstellung für Wohnen um den Faktor 6 vermindert werden. Grundvoraussetzung dafür ist zum einen die Planung der Wärmeversorgung (in diesem Beispiel vor allem des Fernwärmenetzes). Zum anderen müssen geeignete Anreizsysteme für Grundeigentümer geschaffen werden, um den Wohngebäudebestand möglichst schnell zu sanieren. Allein mit Totalsanierungen können Primärenergiebedarf und Treibhausgasemissionen für die Raumwärmebereitstellung in Wohnhäusern bis 2050 um ein Drittel gesenkt werden. Diese Maßnahme wird mit einem zunehmenden Wechsel der Energieträger verbunden sein (z.B. Wärmepumpen und Solarthermie). Es ist daher naheliegend, bis 2050 mit einer Halbierung von Primärenergiebedarf und des Ausstoßes an Treibhausgasen zu rechnen - auch ohne Geothermiekraftwerk.

Literatur

  1. Bundesamt für Energie (BFE), Analysen des schweizerischen Energieverbrauchs nach Verwendungszwecken, Bern 2008

Link

www.baernet.org

AutorInnenbeschreibung

Prof. Dr. Susanne Kytzia ist Professorin für Nachhaltigkeit im Bauwesen, Institutspartnerin des Instituts für Bau und Umwelt (IBU) sowie die Leiterin des Kompetenzzentrums Infrastruktur und Lebensraum an der Hochschule für Technik Rapperswil, CH (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

Christine Mosimann, MSc ist Projektleiterin im IBU an der Hochschule für Technik Rapperswil, CH (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

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