Zeitschrift EE

Zurück zu den Beiträgen

Solarwärme neu gedacht - Fernwärme für Europas Städte

von Christian Holter

Die Fernwärmeversorgung der meisten Städte Europas ist auf Abwärme aus Kraft-Wärme- Kopplungsanlagen (KWK) aufgebaut. Stromverkauf aus den KWK-Anlagen war das wirtschaftliche Rückgrat der Kraftwerke, die Wärme war als echter Abfall sehr günstig. Durch die Entwicklungen am (Öko-)-Strommarkt haben sich die Parameter massiv geändert. Strom ist am Markt in großen Mengen vorhanden, die Börsenpreise sind stark gefallen. Die Rentabilität der Kraftwerke ist nicht mehr gegeben (Abb.2), Kraftwerke werden ganz geschlossen oder sind nur mehr wenige hundert Stunden pro Jahr in Betrieb . Damit klafft plötzlich eine erhebliche Lücke in der Wärmeversorgung.

Abbildung 1: Neue Lösungen für die Fernwärmeversorgung Fernheizwerk Graz - Großkollektor Feldtest 2450 m², 4 Hersteller, 5 Kollektormodelle, Teil der Gesamtanlage mit 7450 m² in Graz, Puchstraße. Quelle: S.O.L.I.D. – Gesellschaft für Solarinstallation und Design mbH

Abbildung 2: Entwicklung der Deckungsbeiträge für Gaskraftwerke bei reiner Stromerzeugung (berechnet aus Preisen für Terminkontrakte an der Strom- und Erdgasbörse) Quelle: AEE INTEC

Neue Lösungen für die Fernwärmeversorgung notwendig

Diese Lücke mit nachhaltig verfügbaren, leistbaren und möglichst ökologischen Energieträgern zu ersetzen, ist der allgemeine Wunsch. Doch wie soll das funktionieren?

Für die Fernwärme in Graz kommt über 80% der Wärme aus den Anlagen der Austrian Thermal Power (ATP) des Verbundes aus dem Kraftwerkspark in Mellach. Dieser besteht aus einem Steinkohlekraftwerk aus dem Jahr 1986, einem Gaskraftwerk aus 2011, und einem mittlerweile stillgelegten Ölkraftwerk aus 1975. Die ATP hat einen Liefervertrag bis 2020, und hat bereits jetzt erklärt, die Anlagen danach stillzulegen.

Damit bestand für die Energie Steiermark, welche die Wärme nach Graz transportiert und die notwendige Zusatzwärme bereitstellt, genauso wie für die Stadt und die Energie Graz, die die Wärme zum Endkunden liefert, dringender Handlungsbedarf.

Die Grazer Energieagentur wurde beauftragt, Vorschläge von verschiedenen Seiten einzuholen, die Konzepte zu prüfen und aus den vielen Ideen Handlungsvorschläge zu entwickeln.

Im Zuge dessen wurde SOLID eingeladen, die Potentiale der Solarwärme aufzuzeigen, wobei der Fokus nicht die Sommerbandlast war, für die es ohnehin aus bestehenden Solaranlagen und Industrieabwärme genügend Wärme gibt, sondern den Bedarf in den Übergangszeiten und im Winter abzudecken. Solarwärme muss - um eine strategisch relevante Position einnehmen zu können - nach dem Lastbedarf des Netzes jederzeit abrufbar sein - und nicht nach Verfügbarkeit seitens der Sonne. Im konkreten Fall bedeutet das, dass im Sommer zusätzliche Solarwärme gespeichert wird, um dann im Herbst und Winter genutzt zu werden.

Solarwärme muss billiger sein als andere Wärmeträger, um attraktiv zu sein. Und Solarwärme muss sich nach den notwendigen Temperaturprofilen der Fernwärme richten, kann aber mit intelligenten Strategien nachgeheizt werden - hier sind systemische Ansätze notwendig.

Dieselbe Problematik findet sich auch in vielen anderen Städten. Über 75% der Fernwärme in Österreich stammen aus KWK-Anlagen. Wenn der Kraftswerksbetreiber dasselbe Unternehmen wie der Fernwärmelieferant ist, manifestieren sich hohe Verluste in der Bilanz, wenn der Kraftwerksbetreiber ein externes Unternehmen ist wie in Graz, werden tarifliche und technische Anpassungen gesucht, oder aber eben die Verträge gekündigt.

Vorbild Dänemark

Kenner großer Solaranlagen werden gleich an Dänemark denken - im hohen Norden gibt es ja mehrere Kommunen, die bis zu 50 % ihres Jahreswärmebedarfs mit Sonnenenergie und Langzeitspeicherung in Erdbeckenspeichern abdecken und damit erfolgreich die jährlichen Betriebs- und Heizkosten reduzieren konnten (siehe auch Artikel von Daniel Trier in dieser Ausgabe von erneuerbare energie).

Doch in Dänemark ist manches anders. Gaspreise sind durch Energiesteuern hoch. Genossenschaftliche Wärmeversorger erhalten extrem günstige und langfristige Finanzierungen mit kommunalen Haftungen, im Gegenzug gibt es allerdings auch nur geringe Investitionszuschüsse. Die dortigen Kommunen mit hohem Solarwärmeanteil sind Kleinstädte mit höchstens mehreren Tausend Einwohnern, aber keinesfalls in der Größe von Graz mit ca. 276.000 Einwohnern. Die Fernwärme hat in Dänemark ein deutlich solarfreundlicheres Lastprofil, der Sommerwärmebedarf im kühlen Norden ist deutlich größer, die Winter durch die Meeresnähe oft milder. Somit kann deutlich mehr Solarwärme direkt genutzt werden, und der Bedarf an Wärmespeicherung ist geringer. Die Temperaturniveaus der Fernwärme in diesen Kleinstädten kommen sowohl der Solarwärme als auch dem Speicher sehr entgegen. Typischerweise reichen auch im Winter Vorlauftemperaturen von 80°C bei einem Rücklauf von 40°C (in einigen Netzen sogar unter 30°C) aus, während mitteleuropäische Städte meist 120°C/60°C benötigen.

Durch die höheren Rücklauftemperaturen verringert sich der nutzbare Wärmeinhalt des Speichers in Österreich auf die Hälfte, damit sinkt der Wirkungsgrad der Kollektoren, damit steigen die Verluste des Systems sowohl beim Speicher als auch im Solarkreis deutlich an.

Notwendiger Flächenbedarf in Graz

Zudem ist der Flächenbedarf der dänischen Anlagen bereits augenscheinlich - wo soll eine so viel größere Fläche für Kollektoren und Speicher in Graz verfügbar und vor allem leistbar sein? Die Rahmenbedingungen für eine wirtschaftliche, technisch und räumlich umsetzbare Lösung schienen sehr schwer.

Seit SOLID die ersten Solareinbindungen in städtische Fernwärmenetze 2002 umsetzen konnte, ist die Effizienz und Qualität der Sonnenkollektoren deutlich gestiegen. Der monatliche Solarertrag ist heute bei einigen Anlagen trotz gleicher Betriebstemperaturen um 40 % höher. So ergeben sich Erwartungswerte von 450 bis 550 kWh/m²a. Werte, welche die dänischen Anlagen –mit niedrigeren Kollektorarbeitstemperaturen, aber auch weniger Sonneneinstrahlung durchaus in der Praxis bestätigen und übertreffen.

Graz und die am selben Netz angeschlossenen südlichen Umlandgemeinden Seiersberg, Raaba und Feldkirchen benötigen etwa 1.200.000 MWh pro Jahr. Um beispielsweise einen 20%-Solarwärmeanteil zu liefern sind somit rund 500.000 m² Sonnenkollektoren notwendig.

Bisher wurden städtische Kollektorflächen meist auf großen Gebäudedächern errichtet, und versorgten von dort aus sowohl das betreffende Gebäude als auch die umliegenden Grundstücke über die Fernwärme. Der Solardachkataster weist in ganz Graz ein Flächenpotential von 5,6 Mio. m² aus - ausreichend für den doppelten Fernwärmebedarf.

Das Potential an Einzelflächen über 1.000 m² ist jedoch begrenzt, und die Vorstellung, ein Lastmanagement für mehrere hundert einzelne einspeisende Solaranlagen zu machen, lässt dann schnell am Konzept zweifeln. Dazu kommen die schwierigen Schnittstellen betreffend Statik, da gerade Industriedächer oft ohnehin am Limit ausgelegt sind und die zusätzlichen Wind- und Gewichtsbelastungen nicht mehr ohne aufwändige Zusatzkonstruktionen tragen können. Dieser Zugang ist somit ungeeignet, um 500.000 m² Kollektorflächen zu errichten.

Der Flächenbedarf für 500.000 m² Kollektoren beträgt ca. das 1,5 fache, um ausreichend Abstand zur Vermeidung von interner Verschattung der Kollektoren sicherzustellen. Das heißt 750.000 m² - 75 Hektar - eine Fläche mit 750 m Länge und 1.000 m Breite und einem Umfang von 3,5 km werden in Graz benötigt. Anschaulich gesprochen kann diese Fläche zu Fuß in weniger als einer Stunde gemütlich umrundet werden.

Bauland ist zu teuer, und landwirtschaftliche Flächen gerade im Süden von Graz sind nicht nur aufgrund der Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion problematisch, sondern oft auch „Hoffnungsgebiete“ für die Eigentümer, welche auf eine spätere Bauwidmung und den damit verbundenen Wertzuwachs hoffen. Die benötigten Flächen mussten somit auf Verkehrsnebenflächen und in Baueinschränkungszonen gefunden werden - und wurden gefunden.

Optimierung des Solar- und Speichersystems für Graz

Die Speicher in Dänemark werden meist in alten Sand- oder Schottergruben errichtet. Diese werden bis knapp über den Grundwasserspiegel ausgehoben, mit Vlies und bis zu 95°C temperaturbeständiger Folie ausgelegt bzw. verschweißt, und mit Wasser gefüllt. Zur Entladung und Beladung werden mehrere Rohrleitungen montiert. Eine Wärmedämmung befindet sich nur an der Speicheroberseite, und liegt schwimmend auf einer Folie am Wasser. Aufgrund des großen Volumens und der in Dänemark geringen Entnahmetemperaturen ist die Wirtschaftlichkeit einer Dämmung am Boden und an den Seiten nicht gegeben.

Die notwendige Speichergröße für Graz liegt über 1 Mio. m³. Dies ist im Vergleich zu den größten dänischen Speichern in Vojens mit 210.000 m³ um einen Faktor 5-6 größer, bei einer stufenweisen Errichtung aber durchaus vorstellbar.

Eine wesentliche Verbesserung des gesamten Solar- und Speichersystems wäre durch eine Absenkung der Fernwärmerücklauftemperaturen möglich. Diese liegen in Graz heute bei 58°C bis 63°C, dies obwohl in technischen Richtlinien und auch Verträgen mit Kunden oft eine mögliche Begrenzung mit deutlich niedrigeren Temperaturen (40°C) festgehalten ist. In der Praxis liegen das Eigentum und die Verantwortlichkeit für die Fernwärme-Übergabestation oft beim Kunden, und nicht beim Wärmeversorger. Eine Absenkung von 60°C auf 40°C bedeutet darüber hinaus auch Eingriffe in die Wärmeabgabe beim Kunden, und kann Maßnahmen bis zum Austausch der Heizflächen erfordern. Aus diesen Gründen ist es für Wärmeversorger schwierig, Rücklauftemperaturen abzusenken.

Ein erster Schritt sollte jedoch sein, durch Qualitätsmanagement bei großen Verbrauchern schlecht und fehlerhaft eingestellte Stationen zu optimieren. Aus vielen Beobachtungen kann festgestellt werden, dass einzelne Stationen immer wieder großen Durchfluss und extrem hohe Rücklauftemperaturen aufweisen und offensichtlich einen großen Beitrag zur Erhöhung des Gesamtrücklaufs leisten. Schätzungen besagen, dass alleine durch die Optimierung dieser Stationen der Gesamtrücklauf ohne wesentliche investive Maßnahmen um 5°C-10°C abgesenkt werden kann.

Darüber hinaus gibt es Geschäftsmodelle, welche Kunden motivieren, ebenfalls Schritte zur Optimierung ihrer Anlagen zu setzen. Bonus/Malus-Systeme, welche sich an der durchschnittlichen Temperaturspreizung von Vorlauf/Rücklauf orientieren, unterstützt durch Beratung, zeigen in internationalen Pilotprojekten Wirkung. Die rechtliche Vorbereitung und technische Umsetzung dieser Schritte ist ein langfristiger Weg.

Abbildung 3: Eine Delegation der Grazer Energieagentur, der Energie Steiermark, der Stadt Graz und der Holding Graz auf Studienreise bei der Anlage Vojens in Dänemark. Quelle: S.O.L.I.D. – Gesellschaft für Solarinstallation und Design mbH

Studienreise nach Dänemark

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen konnte SOLID ein Konzept entwickeln, welches wirtschaftlich attraktiv ist, unter den Kosten der Wärmebereitung mit Gas liegt und auf den ersten Blick auch flächenmäßig umsetzbar ist. Nach intensiver Diskussion mit der Grazer Energieagentur, der Energie Steiermark , der Stadt Graz und der Holding Graz gab es im Jänner 2015 eine gemeinsame Studienreise zu den Anlagen in Vojens und Dronniglund, um sich die Vorbilder persönlich anzusehen und mit Planern und Betreibern Erfahrungen zu besprechen. Dronninglund war zu diesem Zeitpunkt die größte in Betrieb befindliche solare Fernwärmeeinspeisung weltweit, Vojens in Bau (Abb.3). Während die Solartechnik aus österreichischer Sicht im Grundsatz vertraut und lediglich in der Dimension größer war, sind die Erdbeckenspeicher Neuland. In Dronninglund war der Speicher Ende Jänner noch mit 60°C heißem Wasser gefüllt - und gleichzeitig mit Schnee bedeckt, was einem Nettowärmeinhalt von einem Wintermonat entspricht, in Vojens war der Speicher gerade zur Hälfte mit Kaltwasser erstgefüllt.

Die Professionalität der Anlagen und die Offenheit der Gesprächspartner war für alle Teilnehmer sehr beeindruckend und lehrreich. Besonders auffallend war, dass sämtliche dieser Anlagen errichtet wurden, um die Heizkosten abzusenken, was mit eindrucksvollen Zahlen auch belegt werden konnte.

Um das Konzept in Graz weiterzuentwickeln und belastbare Grundlagen für eine Umsetzungsentscheidung herbeizuführen, gründeten die an der Studienreise Beteiligten eine Arbeitsgruppe. Diese wird bis Jahresende 2015 eine technisch-wirtschaftliche Optimierung der geplanten Anlage durchführen und dabei Anlagengrößen für ca. 10 % bis 50 % des Grazer Wärmebedarfs detailliert simulieren, Schnittstellen und Einspeisestrategien in die Fernwärme analysieren, die zugehörigen Kosten ermitteln, sowie Grundstücks- und Rechtsfragen klären.

Die Konzeption hat schnell auch das Interesse anderer Städte gefunden, mit denen mittlerweile Vorstudien für ähnliche Ansätze entwickelt werden. Das Potenzial für Solarwärme scheint riesig. Alleine in Graz werden für 1.200 GWh bei 20 % solarer Deckung bereits ca. 500.000 m² Kollektoren benötigt, was dem dreifachen des aktuellen Solarmarktes in Österreich entspricht. Der gesamte österreichische Fernwärmebedarf liegt bei 17.000 GWh (das 15-fache von Graz), in Deutschland liegt der jährliche Fernwärmeabsatz bei 89.000 GWh. Dieses Potenzial lässt optimistisch in die Zukunft blicken.

Autorenbeschreibung

Dr. Christian Holter ist Geschäftsführer von S.O.L.I.D. – Gesellschaft für Solarinstallation und Design mbH (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

Top of page