Zeitschrift EE

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2013-01: Kunststoff-Kollektoren

Abwärmepotenziale in der steirischen Industrie 2012

Abbildung 1: Neue Fernwärmeleitung Lafarge Perlmooser in Retznei, Quelle: Johannes Schmied)

Die Idee zur Nutzung betrieblicher Abwärmen für die Energieversorgung benachbarter Wohnsiedlungen oder anderer Betriebe ist nicht neu. Energieintensive Industrien haben diese Möglichkeiten schon seit den 80er Jahren als zusätzliches Geschäftsfeld oder auch als Standorts- oder Wettbewerbsvorteil erkannt. 2010 wurde der Klimaschutzplan Steiermark erstellt, in dem die mangelhafte Datenlage im Bereich der betrieblichen Abwärme in der Steiermark augenscheinlich wurde. 2012 wurde das Projekt „Abwärmekataster Steiermark“ im Auftrag des Landes Steiermark am Institut für Prozess- und Partikeltechnik an der Technischen Universität Graz durchgeführt. Ziel des Projektes war es, die ungenutzten Abwärmen in produzierenden Betrieben in der Steiermark zu quantifizieren.

Von Johannes Schmied und Hans Schnitzer

Projektdetails/Auswertung

Im Rahmen des Projektes wurden circa 200 Betriebe kontaktiert, die vor allem aus den fünf energieintensivsten Branchen der Steiermark stammen. Davon wurden über 40 Betriebe besucht. Neben den persönlich vor Ort befragten Unternehmen wurden Daten von circa 30 weiteren Unternehmen mittels Onlinefragebogen, Kurzfragebogen oder über eine telefonische Kontaktaufnahme erhoben. Die erreichten Betriebe repräsentieren in der Papier- und Zellstoffindustrie über 95% des Gesamtenergiebedarfs. Auch die Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie sind sehr gut abgedeckt. Im Rahmen der Studie wurden in den fünf energieintensivsten Industrien der Steiermark, die circa 80% des energetischen Endenergieverbrauchs repräsentieren, folgende noch ungenutzte Abwärmepotenziale dokumentiert:

Tabelle 1: Gesamtabwärmepotenziale der fünf energieintensiven Industrien der Steiermark (Daten für 2011) Klick Mich!

Der jährliche Gesamtenergieeinsatz der steirischen Industrie beträgt laut der Energiebilanz Steiermark 18.700 GWh. Das bedeutet, dass circa 15 % des Gesamtenergieeinsatzes der steirischen Industrie als technisch nutzbare Abwärme vorliegt.

Das technische Potenzial ist jener Energieinhalt in GWh pro Jahr der bei produzierenden Betrieben als Abwärme (Abwärme in Gasströmen oder. Abwässern) anfällt und nach dem heutigen Stand der Technik zur Wärmenutzung weiterverwendet werden kann. Das wirtschaftliche Potenzial ist die wirtschaftlich nutzbare Abwärmemenge (Amortisation innerhalb von maximal 5 Jahren für betriebsinterne Nutzungen). Zur wirtschaftlichen Nutzbarkeit außerhalb des Betriebes müssen folgende Vorrausetzungen für die Einspeisung in ein Fernwärmenetz erfüllt sein:

  • passende Charakteristika des Abwärmestroms (Temperaturniveau, zeitlicher Verlauf, …)
  • kurze Entfernung zu Fernwärmenetzen oder anderen Abnehmern
  • Vorhandensein von Kapazität im Fernwärmenetz bzw. der Bereitschaft ein neues Netz zu errichten
  • Bereitschaft des bestehenden Fernwärmenetzbetreibers betriebliche Abwärme in sein Fernwärmenetz zu integrieren

Das umsetzbare Potenzial ist das wirtschaftliche Potenzial abzüglich der je Standort höchst unterschiedlichen Hindernisse. Im Rahmen der Studie wurden die Haupthindernisse für industrielle Abwärmenutzungen bei den Betrieben vor Ort erhoben. Die von den Unternehmen am häufigsten genannten Hindernisse zur Nutzung ihrer Abwärmeströme sind:

  • Finanzieller Aufwand
  • Kein Abwärmeabnehmer in der Umgebung
  • Produktionssicherheit des Kerngeschäfts
  • Diskontinuierlicher Abwärmeanfall
  • Schwierige Vorbereitung
  • Technische Machbarkeit


Ausführungen zu den erhobenen Branchenpotenzialen

Abbildung 2: Energetischer Endverbrauch in der steirischen Industrie kumuliert (Grafik nach Daten der Statistik Austria, 2012c) Klick Mich!

Wie in Abbildung 2 bzw. ersichtlich, repräsentieren die fünf energie­intensivsten Branchen rund 80 % des gesamten energetischen Endverbrauches der steirischen Industrie im Jahr 2010. Zu den energieintensivsten Branchen zählen „Papier und Druck“, „Eisen- und Stahlerzeugung“, „Steine, Erden und Glas“, „Maschinenbau“ sowie „Nahrungs-, Genussmittel und Tabak“

Tabelle 2: Nominaler und prozentueller Energieeinsatz je Industrie in der Steiermark (Eigene Tabelle nach Daten der Statistik Austria 2012c) Klick Mich!

Potenziale zur externen Abwärmenutzung gibt es in allen größeren Werken der Papier- und Zellstoffindustrie, da die kontinuierliche Produktion einen gleichmäßigen Wärmeanfall mit sich bringt, der für die Verwendung in Fernwärmenetzen notwendigen Voraussetzungen erfüllt. Aktuell speisen die steirischen Papier- und Zellstoffwerke jährlich circa 100 GWh an den Orten Pöls, Frohnleiten, Bruck an der Mur und Gratkorn in Fernwärmenetze ein. Die Studie ergab ein zusätzliches Fernwärmeauskopplungspotenzial dieser Branche von bis zu 300 GWh pro Jahr in Gratkorn, im Aichfeld, und in Niklasdorf.
Im Sektor Eisen/Stahl ergab die Abwärmestromerhebung, dass die steirischen Betriebe der Eisen- und Stahlindustrie jährlich circa 100 GWh in Graz, Leoben und Kapfenberg in steirische Fernwärmenetze einspeisen. Aktuell führen einige der größten steirischen eisen- und stahlerzeugenden Betriebe eigene Studien durch, um ihre Abwärmepotenziale zu erheben. Da die Ergebnisse dieser Studien noch nicht vorliegen, kann das Abwärmepotenzial für diese Branche im Rahmen dieses Projektes nicht abschließend bestimmt werden und wird in Graz, Leoben, Kapfenberg und im Aichfeld mit 50 - 200 GWh pro Jahr abgeschätzt. Insgesamt waren in diesem Sektor überdurchschnittlich viele Betriebe nicht bereit ihre Abwärmepotenziale offenzulegen. Dies lässt sich mit der historischen gewachsenen Struktur der Industrie erklären, aber auch mit der Angst, durch zu viel Offenheit zusätzlichen Verpflichtungen nachkommen zu müssen.
Die Steine, Erden & Glasindustrie beinhaltet Betriebe der Zement-, Glas- und Feuerfestindustrie. Auch in dieser Branche waren einige Großbetriebe zur Zusammenarbeit bereit. Speziell bei Betrieben, die ihre Abwärme nicht nutzen, ist es oft nicht gelungen das Interesse an einer Datenfreigabe zu erzielen. In der Süd- bzw. Südweststeiermark besteht bereits heute eine jährliche Einspeisung von einigen GWh industrieller Abwärme aus der Glas- und Zementindustrie in steirische Fernwärmenetze (zum Beispiel Fernwärmeauskopplung bei Lafarge Perlmooser in Retznei).
In der Maschinenbauindustrie sind die Abwärmetemperaturen im Vergleich zu den vorangegangenen Industrien für eine Fernwärmeauskopplung niedrig. Aus diesem Grund sind in dieser Industrie keine vorhandenen Fernwärmeauskopplungen dokumentiert. Die Studie hat ergeben, dass die steirischen Maschinenbauer ihre Abwärme zur Beheizung ihrer eigenen Produktionshallen und Bürobauten verwenden können und das zum Großteil auch schon tut.
In der Lebensmittel- und Tabakindustrie  betragen Temperaturen der Produktionsprozesse unter 120°C und es besteht ein großes Potential zu einer innerbetrieblichen Verwendung.

Vergleich der dokumentierten Potenziale mit dem Raumwärmebedarf steirischer Wohngebäude

Zur besseren Einschätzbarkeit der extern nutzbaren Potenziale werden in der folgenden Tabelle die erhobenen Abwärmemengen mit dem Raumwärmebedarf steirischer Wohngebäude verglichen.
Der jährliche Wärmebedarf steirischer Wohngebäude beträgt laut dem Klimaschutzplan Steiermark 2011 zwischen 7.800 und 9.100 GWh. Die bisher bereits umgesetzten Fernwärmeauskopplungen vor allem in der Papier und Zellstoffindustrie sowie der Eisen- und Stahlindustrie decken ca. 2% des aktuellen Raumwärmebedarfs der steirischen Wohngebäude ab. In der steirischen Industrie ist aber noch ein substanzielles Abwärmepotenzial zur industriellen Fernwärmeauskopplung vorhanden. Die umsetzbaren Potenziale betragen, unter Annahme konstant bleibenden Raumwärmebedarfs, circa 3 % des Raumwärmebedarfs der steirischen Wohngebäude. Damit könnte die Nutzung von Abwärme für den Raumwärmebedarf mehr als verdoppelt werden. Wirtschaftlich sinnvoll nutzbare Abwärmepotenziale sind vor allem in der Papier und Zellstoffindustrie, sowie in der Eisen- und Stahlindustrie vorhanden.

Zusammenfassung und Ausblick

Die gesamten technischen Abwärmepotenziale belaufen sich auf 15% des Gesamtenergieverbrauchs der steirischen Industrie. Im Rahmen der Branchenpotenzialanalyse wurde ersichtlich, dass die Papier- und Zellstoffindustrie gemeinsam mit der Eisen- und Stahlindustrie drei Viertel der technischen und der umsetzbaren Abwärmepotenziale aller steirischen Industriebetriebe aufweisen.
Im Rahmen der Studie wurden knapp über 200 GWh, das sind circa 2% des Raumwärmebedarfs aller steirischer Wohngebäude, bereits installierter Fernwärme aus industriellen Abwärmeströmen in den steirischen Fernwärmenetzen dokumentiert.
In der Steiermark gibt es zusätzliche bzw. umsetzbare Abwärmenutzungspotenziale im Fernwärmebereich von 300-350GWh/a. Das sind 3% des Raumwärmebedarfes aller steirischen Wohngebäude. Die größten Potenziale gibt es in Gratkorn, im Aichfeld, in Graz, Leoben, Kapfenberg, Bruck an der Mur und in Niklasdorf.
Im Rahmen der Analyse der Daten hat sich ergeben, dass die Nutzung von Wärme aus Kesselanlagen in Industriebetrieben in vielen Fällen interessanter und wirtschaftlicher scheint als Verwertung von Abwärmeströmen aus Prozessen.

In den kommenden Jahren sind vor allem in der Papier- und Zellstoffindustrie externe Abwärmenutzungen in Form von zusätzlichen Fernwärmeauskopplungen zu erwarten. Zwischen Sappi Gratkorn und der Stadt Graz ist seit dem politischen Übereinkommen im Oktober der Anschluss von Sappi an das Grazer Fernwärmenetz wieder wahrscheinlicher (Absichtserklärung für Fernwärmeeinspeisung ab 2016 ist unterzeichnet). In der Eisen- und Stahlindustrie sind ebenfalls Projekte im Laufen. In Graz arbeitet die Marienhütte in Zusammenarbeit mit der Energie-Graz an Projekten zu einer verbesserten Abwärmenutzung. In Leoben Donawitz liefert das Stahlwerk Abwärme in das örtliche Fernwärmenetz, welches in den nächsten Jahren weiter wachsen soll. Für die nächsten Jahre werden in Graz, Leoben, Kapfenberg und im Aichfeld zusätzliche Fernwärmeauskopplungen erwartet. Einige Betriebe werden nach Abschluss von Projekten, die ihr eigenes Abwärmenutzungspotenzial darlegen, auch Schritte zur besseren internen Nutzung setzen.
Das Potential zur Nutzung industrieller Abwärme zur Beheizung von Wohngebäuden steht durch den immer höher werdenden energetischen Standard neuer Bauten besonders in Neubaugebieten vor einer speziellen Herausforderung. Einerseits könnte für neue und auch für energetisch sanierte Gebäude die Temperatur im Fernwärmenetz abgesenkt und damit das verfügbare Abwärmepotential gesteigert werden. Gleichzeitig zeichnet sich ab, dass die abgenommenen Wärmen durch die Sanierungen und die hohe Qualität der Neubauten sinken. Die Entwicklung zur Versorgung von Wohngebäuden mit hohem energetischem Standard kann bis zur Errichtung von Systemen mit kalter Fernwärme (Industrieabwasser geringer Temperatur als Quelle für dezentrale Wärmepumpen) gehen.
Die Studie hat gezeigt, dass die produzierende Industrie durch Nutzung der betrieblichen Abwärmeströme einen weiteren Beitrag leisten kann, um den Energieeinsatz in der Steiermark gemäß Energiestrategie 2025 bestmöglich zu reduzieren.

Autorenbeschreibung

Mag. Johannes Schmied ist Projektmitarbeiter am Institut für Prozess- und Partikeltechnik an der Technischen Universität in Graz.
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! / www.ippt.tugraz.at

Ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn Hans Schnitzer ist Leiter des Abwärmekatasterprojektes und Vizeinstitutsvorstand am Institut für Prozess- und Partikeltechnik an der Technischen Universität in Graz.
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! / www.ippt.tugraz.at

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2013-01: Kunststoff-Kollektoren

TOOL zur Bewertung von Gebäude und Heizungssystem nach energetischen, ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien

Gerhard Faninger

Die Planung von Wohngebäuden nach den Kriterien Energieeffizienz und Erneuerbare Energie erfordert die Berücksichtigung energetischer (Heizwärme, Heizenergie, Primärenergie), ökologischer (CO2-Emission, Externe Kosten, Anteil Erneuerbarer Energie am Wärme- und Stromaufkommen) wirtschaftlicher Kriterien (Investition, Brennstoffkosten und Jahres-Wärmeerzeugungskosten). Mit dem Bewertungsmodell „TOOL-Gebäude“) soll Planern und Architekten in der Phase der Vorprojektierung von Wohngebäuden ein Instrumentarium zur Verfügung gestellt werden, Varianten für Nachhaltige Gebäude zu untersuchen und zu bewerten. Ein Einsatz ist aber auch in Lehre und Forschung sowie Ausbildung und Weiterbildung möglich. Dazu wurden die Programme auch entwickelt und bereits erfolgreich verwendet.

Abbildung 1: Klick Mich!

Das Programm TOOL-Gebäude unterscheidet sich von Simulationsprogrammen dadurch, dass die Berechnungen über Vorgabedaten (Defaults) aus langjährigen Erfahrungswerten und Betriebsdaten vorgenommen werden, so dass möglichst praxisorientierte Ergebnisse erzielt werden sollen. Mit einem Vergleich der über das TOOL abgeleiteten Kenndaten und den in der Praxis im ersten Betriebsjahr ermittelten Betriebsdaten wird die Basis für eine Überprüfung und Bewertung der vorgenommenen Installation sowie der Betriebsweise gegeben. Fehler bei der Bauausführung und der Installation der Haustechnik sowie im Betrieb – auch fehlende energiebewusste Betriebsführung – lassen sich feststellen und damit auch beheben.

Das „TOOL-Gebäude“ basiert auf einer EXCEL-Datei (Ausgabe 2003). Die Beschreibung des Bewertungsprogramms erfolgt im Dokument „TOOL-Gebäude.pdf“ („Bewertungstool für Wohngebäude mit hoher Energie-Effizienz und Erneuerbarer Energie: Bewertung von Gebäude und Energieversorgung von Wohngebäuden nach energetischen, ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien.“)

Ergebnisse von Varianten-Analysen werden im Dokument „Varianten-Analysen.pdf“ illustriert. Die Analysen beziehen sich auf Wärmeschutz der Gebäudehülle, Meteorologische Daten, Lüftungsanlage zur kontrollierten Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung und Heizungssysteme. Bewertet werden Gebäude und Heizungssysteme (Gas-, Öl-, Pellets-Kessel sowie Sole-Wärmepumpe und Außenluft-Wärmepumpe, jeweils als monovalente Heizung und mit thermischer Solaranlage – für Warmwasser alleine und für Raumheizung und Warmwasser) nach energetischen, ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien – als Entscheidungshilfe für die Endplanung.

Die Dokumente können kostenlos unter www.aee-intec/faninger heruntergeladen werden. Eine Demoversion des Bewertungstool kann kostenlos per E-Mail an  Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! bestellt werden.

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2013-01: Kunststoff-Kollektoren

Herausforderungen architektonischer Integration von Solartechnologien

Abbildung 1Abbildung 1: Visualisierung „Solarenergie Urban“, Ausschnitt desTitelbilds einer Veröffentlichung der Internationalen Energieagentur (IEA SHC Task 41 – Communication Guideline)

Gebäudeintegrierte Solartechnologien greifen als gestalterisches Element wesentlich in den architektonischen Ausdruck eines Gebäudes und in das umgebende Stadtbild ein. Sie können damit nicht nur als solare  Energiebereitstellungstechnologien betrachtet werden, sondern müssen auch architektonische und städtebauliche Gestaltungsaufgaben erfüllen, um eine Vereinbarkeit von energetischer Optimierung und qualitativ hochwertiger Architektur zu ermöglichen. Diese Vereinbarkeit wurde in einem Projekt der Internationalen Energieagentur (IEA SHC Task 41: Solar Energy and Architecture) thematisiert.

Von Susanne Gosztonyi, Naghmeh Altmann-Mavaddat,  Andreas Lechner und Thomas Mach

Ausgangslage

Trotz der verfügbaren Vielfalt an Systemlösungen für gebäudeintegrierte Solartechnologien ist deren Nutzungspotential noch lange nicht ausgeschöpft. Dies hat mehrere Ursachen; eine davon steht im direkten Zusammenhang mit architektonischen Gestaltungskriterien. Kriterien zu „architektonisch gelungenen“ Integrationen von Solartechnologien in Gebäudekonzepten hängen auch von einer subjektiv empfundenen Formensprache ab. Die Bewertung von „guten“ oder „schlechten“ Lösungen wird auch von einer sozio-kulturellen und zeit-ästhetischen Auffassung geprägt, und kann nur bedingt durch allgemein gültige Formulierungen beschrieben werden. Dennoch gilt es, die wesentlichsten formalen Merkmale aufzuzeigen, um architektonische Barrieren abzubauen.

In Österreich sind die Marktdurchdringung solarer Technologien in der Gebäudeplanung und die Auseinandersetzung mit deren architektonischer Qualität bereits etablierte Themen. Durch solare Informationsplattformen, welche Know-how zur Technik, Planung oder Kosten von gebäudeintegrierten Solartechnologien vermitteln, oder durch renommierte Architekturpreise zu solarer Architektur wurde in den letzten Jahren viel zur Steigerung von gebäudeintegrierten solaren Energietechnologien beigetragen. Damit ist Österreich ein wichtiger internationaler Initiator von Solararchitektur der nächsten Generation, welche eine gelungene Verbindung von Ästhetik, Identität und Funktion anstrebt.

Solarenergie und Architektur

Das Projekt „Solar Energy and Architecture" innerhalb des Solar Heating and Cooling Programms der Internationalen Energieagentur (IEA SHC Task 41) hat zum Ziel, die Akzeptanz und Nutzung von solaren Technologien in der Architekturplanung zu steigern und Barrieren abzubauen. Die Schwerpunkte des Tasks liegen dabei in der Aufarbeitung von architektonischen Integrationskriterien für ArchitektInnen und ProduktentwicklerInnen (Subtask A), in der Sondierung von Planungswerkzeugen und deren Eignung das Integrationspotenzial unterschiedlicher Solartechnologien in der frühen Planungsphase zu bewerten (Subtask B) sowie in der Darstellung internationaler Best Case Beispiele aus den 14 teilnehmenden Ländern, die eine hohe architektonische Qualität im Lösungsansatz der Gebäudeintegration zeigen (Subtask C). Die Bedeutung der Ergebnisse liegt vor allem in der konzentrierten Form der erstellten Planungshilfen für die Frühplanungsphase, den fachspezifisch aufbereiteten Kommunikationsprozessen und den internationalen Best Case Studies, welche die Diversität in der Umsetzung aufzeigen.

Kriterien für die architektonische und technische Integration solarer Energietechnologien

Grundlage und Startpunkt des Tasks war eine international durchgeführte Umfrage unter ArchitektInnen, ProduzentInnen von Solarthermie- und Photovoltaikanlagen und ExpertInnen für Energie- und Gebäudekonzeptentwicklung zum Status Quo der Umsetzbarkeit und Integrationsfähigkeit von solaren Technologien sowie zur Nutzbarkeit und Praxisnähe von Planungshilfen und Tools in der Frühplanungsphase. Die Umfrage zeigte, dass in allen Ländern die Verfügbarkeit entsprechender Produkte und Planungshilfen als zentrales Kriterium für eine verstärkte Anwendung gesehen wird. Auf Seite der Produkt- und Systementwicklung wurden dabei auch die Barrieren und Hemmnisse bei der Produktgestaltung erfragt, um die notwendigen Schnittstellen zwischen den PlanerInnen und ProduktentwicklerInnen zu beleuchten. Die Umfrageergebnisse sind im Dokument „Building Integration of Solar Thermal and Photovoltaics – Barriers, Needs and Strategies“ und im Dokument “International Survey About Digital Tools Used by Architects for Solar Design” nachzulesen [1][2].

Die Festlegung von Kriterien für eine architektonisch gelungene Integration von solaren Technologien in Gebäude ist ein herausforderndes und komplexes Unterfangen, da deren Bewertung nicht nur mit objektiv nachvollziehbaren Gestaltungsprinzipien, sondern auch mit subjektiven Wahrnehmungen zu tun hat. Die wesentlichsten formalen Kriterien für die architektonische Solarintegration wurden in Leitlinien für ArchitektInnen zusammengefasst und sollen die Entscheidungsfindung gerade in der Frühplanungsphase unterstützen. Sie bieten funktionale Integrationskonzepte für solare Technologien und behandeln konstruktive wie technische Belange sowie formale architektonische Aspekte (Form, Größe, Farbgebung, Oberflächengestaltung, Materialbeschaffenheit oder Positionierung der Module).

Für die Erarbeitung der technischen Integrationskriterien wurden unterschiedliche Technologien sondiert (verglaste und unverglaste Solarthermiekollektoren, Vakuumröhrenkollektoren, diverse Zelltechnologien der Photovoltaik), um die technischen Anforderungen den jeweiligen gestalterischen Auswirkungen gegenüberstellen zu können. Innovative Produktneuentwicklungen wurden in Beispielblättern dokumentiert. Die identifizierten Produkte und die Leitlinien sind in den Dokumenten „Solar Energy Systems in Architecture - Integration Criteria and Guidelines“ und „Innovative Solar Products“  zu finden [3][4].

Planungsmethoden und Tools für solares Design

Wie lässt sich die Integration von Solartechnologien bzw. solarenergetischen Aspekten in den Entwurfsprozessen der Architekturproduzierenden gegenwärtig bewerkstelligen? Welche Methoden und Werkzeuge kommen dabei zum Einsatz, welche gäbe es dafür und welche Verbesserungen wären hier wünschenswert?

In einem ersten Schritt wurde ein Überblick über 56 Software-Pakete hergestellt, die – in CAAD (computer-aided architectural design), Visualisierung und Simulation gegliedert – hinsichtlich ihrer Eignung und Unterstützung solartechnischer Aspekte im architektonischen Entwurfsprozess bewertet wurden. In einem zweiten Schritt wurden Büros über ihre Arbeitsweisen befragt und dadurch hemmende Faktoren verdeutlicht (unterschiedliche Programme, unterschiedliche Dateiformate, Export/Import-Probleme, wenig intuitive und damit für den architektonischen Alltag untaugliche Tools, Kosten, etc.). Gleichzeitig werden aber auch die konkreten Möglichkeiten integrierter Solarenergieunterstützung in bestehenden CAAD-Paketen ausführlich beschrieben und in Fallbeispielen erläutert. Abschließend wird ein an Industrie- und Software-Entwickler adressierter Katalog von speziell für Architekturschaffende relevanten Kriterien im Bereich des CAAD und der Simulationen erstellt, der Benutzungsbarrieren künftig abbauen helfen soll. Die Details sind in mehreren Dokumenten zum „State-of-the-Art of Digital Tools Used by Architects for Solar Design“ und „Needs of Architects regarding Digital Tools for solar Building Design“  nachzulesen [5][6].

So schwierig es auch erscheint, Architekturbüros, ihre Entwurfsaufgaben und ihre dabei jeweils zielführenden Entwurfsmethoden auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, so besitzen diese drei Themen-Felder doch zumindest einen wesentlichen gemeinsamen Schnittpunkt in den digitalen Werkzeugen, die in der Alltagspraxis der Architekturbüros zum Einsatz kommen. Dass für die Erhöhung der gestalterischen Qualität von Solarenergie-Bauten die dafür notwendigen Elemente, Produkte, Varianten, Oberflächen, etc. verstärkt in den Alltag des Entwurfsprozesses - und das heißt hier auf die Bildschirme der EntwerferInnen und damit in die Objektbibliotheken ihrer CAAD-Software - kommen müssen, steht außer Zweifel.

Best Case Beispiele und Empfehlungen zu Kommunikationsprozessen

Parallel zu den Leitlinien wurde eine Auswahl von internationalen Pilotprojekten zusammengestellt, welche die gestalterische Diversität von integrierten Solarsystemen im Gebäude- und Energiekonzept anhand unterschiedlichster Nutzungstypologien und länderbezogenen Faktoren veranschaulichen. Diese sind als Datenbank „Collection of Case Studies – IEA SHC Task 41 Solar Energy and Architecture“ unter http://csc.esbensen.dk auch online abrufbar.

Abbildung 2: Architekturbeispiele aus dem Projekt „Solarenergie und Architektur“ der Internationalen Energieagentur  Quelle: http://csc.esbensen.dk Klick Mich!

Abbildung 3: Architekturbeispiele aus dem Projekt „Solarenergie und Architektur“ der Internationalen Energieagentur  Quelle: http://csc.esbensen.dk Klick Mich!

Abbildung 4: Architekturbeispiele aus dem Projekt „Solarenergie und Architektur“ der Internationalen Energieagentur  Quelle: http://csc.esbensen.dk Klick Mich!

Um eine erhöhte Nutzung der Solartechnologie in einer energiebewussten Architekturplanung zu stimulieren, wurde letztendlich auch der Kommunikationsprozess selbst zwischen KundInnen, PlanerInnen, Behörden und ProduzentInnen aufbereitet. Mit der Leitlinie „The Communication Process“ sollen den EntscheidungsträgerInnen Argumente und Wissen übermittelt werden, um eine breite Umsetzung nachhaltiger Solarlösungen künftiger Gebäude zu ermöglichen

Zusammenfassung

Es gibt kein allgemein gültiges Rezept für eine gelungene Integration von Solartechnologien in der Gebäudeplanung. Jedes Projekt hat unterschiedliche Prioritäten, Dynamiken und individuelle Ziele, die eine Komplexität schaffen, welche nicht über Leitlinien vereinheitlicht werden kann. Es ist jedoch von erheblicher Bedeutung für die verstärkte Nutzung von solaren Energietechnologien, auf deren Rolle im Kontext architektonischer Formensprachen einzugehen. Die unterschiedlichen Herausforderungen bezüglich Gebäudetypologien, städtebaulicher Bedingungen bis hin zu funktionalen und energetischen Zielsetzungen verlangen unterschiedliche Lösungsansätze der Solartechnologieintegration. Die Ergebnisse aus dem Projekt „Solarenergie und Architektur“ der internationalen Energieagentur bieten dazu vertiefendes Know-how und Verständnis der Solarenergie an und informieren über die aktuellen technologischen Entwicklungen, um die Optionen solarer Technologieintegration für die Architektur aufzuzeigen.

Alle Publikationen zum IEA SHC Task 41 können kostenfrei über die IEA SHC Projektwebsite abgerufen werden: http://archive.iea-shc.org/publications.

Ein Bericht des österreichischen Teams sowie deren Beiträge zum IEA SHC Task 41 ist über die nationale Programmwebsite „Nachhaltig Wirtschaften“ zu finden: http://www.nachhaltigwirtschaften.at/results.html/id5919.

Literatur

  1. International Survey About Digital Tools Used by Architects for Solar Design
    http://archive.iea-shc.org/publications/downloads/International_Survey_About_
    Digital_Tools_Used_by_Architects_for_Solar_Design.pdf.
  2. Building Integration of Solar Thermal and Photovoltaics – Barriers, Needs and Strategies http://
    http://archive.iea-shc.org/publications/downloads/T41A1_Survey_FinalReport_May2012.pdf
  3. Solar Energy Systems in Architecture - Integration Criteria and Guidelines
    http://archive.iea-shc.org/publications/downloads/T41A2-Solar_Energy_
    Systems_in_Architecture-19sept2012.pd
  4. Innovative Solar Products http://leso2.epfl.ch/solar/index.php
  5. State-of-the-Art of Digital Tools Used by Architects for Solar Design
    http://archive.iea-shc.org/publications/downloads/IEA-T41_STB-DB1_SOA-DigitalTools.pdf
  6. Needs of Architects regarding Digital Tools for solar Building Design
    http://members.iea-shc.org/publications/downloads/T41B4-final-27Jun2012.pdf
  7. The Communication Process http://archive.iea-shc.org/publications/
    downloads//T41C1-CommunicationsGuide-2012.pdf

Autorenbeschreibung

Dipl.-Ing. Susanne Gosztonyi ist am Austrian Institute of Technology (AIT), Energy Department, Sustainable Building Technologies als Scientist im Forschungsbereich Energie in Gebäuden tätig. (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

Dipl.-Ing. Naghmeh Altmann-Mavaddat MSc ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Gebäude Solare Energie und nachhaltige Architektur der Österreichischen Energieagentur (AEA).

Dipl.-Ing. Dr. techn. Andreas Lechner ist Assistenz-Professor am Institut für Gebäudelehre der Technischen Universität Graz.

Dipl.-Ing. Dr. techn. Thomas Mach ist am Institut für Wärmetechnik der Technischen Universität Graz, Arbeitsgruppe Energieeffiziente Gebäude, tätig.

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2013-01: Kunststoff-Kollektoren

Nullenergiegebäude im städtischen Kontext

Die Art und Weise wie wir uns dem Energieproblem stellen, wird unsere Städte grundlegend verändern. Niedrigst- und Nullenergiegebäude, kombiniert mit Energienetzen, die bestehende Synergieeffekte unterschiedlicher Gebäude und Nutzungen ausschöpfen, gelten als Schwerpunkt derzeitiger Entwicklungen. Für den enormen Bedarf an Flächen die zur Umwandlung von erneuerbarer Energie benötigt werden, wird sich unser Bild von Gebäuden, Städten und auch Landschaften im urbanen Umfeld ändern müssen. Wie werden die neuen Nullenergiestadtteile aussehen, wie werden sie funktionieren, welche Art der Gestaltungsfreiheit werden sie uns bieten und welche ästhetischen Qualitäten können wir von diesen Nullenergiegebäuden erwarten?

Von Tobias Weiß

Energiebilanz, Platz und Flächenbedarf – Grenzen von Nullenergiegebäuden

Das Ziel „Nullenergie“ muss bereits in einem sehr frühen Stadium des Projekts definiert werden. Für den Planer bedeutet dies, dass er die zukünftige Energiebilanz eines Gebäudes oder eines Gebäudeverbandes in jeder Planungsphase kennen muss. Die Frage wie viel Energie für den Betrieb eines Bauwerks benötigt wird und woher diese kommt ist daher von großer Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die Substitution des Einsatzes fossiler Energie, die durch die Einspeisung der vor Ort erzeugten, erneuerbaren Energie (z. B. Solarthermie, PV) erreicht werden kann. Man spricht in diesem Fall von einer sogenannten Nullenergiebilanz. Diese primärenergetische Bilanz ist im Idealfall über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes zu berechnen. Ob das jeweilige Nullenergie-Projekt tatsächlich auch in der Praxis erfolgreich ist, lässt sich jedoch erst nach mehreren Jahren Nutzungsdauer, und nicht nur anhand detaillierterBerechnungen in der Planungsphase feststellen. Durch den stark reduzierten Heizwärme- und Kühlbedarfs nimmt bei Nullenergiegebäuden der Haushaltsstrom sehr oft den größten Anteil am Gesamtenergiebedarf ein. Auf Grund des unterschiedlichen Nutzerverhaltens zeigen sich hier aber große Unterschiede zwischen dem tatsächlichen Verbrauch und den berechneten Werten.

Der Platz- und Flächenbedarf von alternativen Energiequellen in Form von gebäudeintegrierter Solartechnologie, Windkraft und Biomasse stellt eine große architektonische und raumplanerische Herausforderung dar. Diese großen Solarflächen nehmen entscheidenden Einfluss auf die Formensprache des Gebäudes und in weiterer Folge auf das Bild einer Stadt. Der optimalen Nutzung von südorientierten Dachflächen sowie der Integration von Solarflächen in gut besonnten Fassaden kommt dabei größte Bedeutung zu. Um zum Beispiel bei einem Niedrigstenergie-Wohngebäude eine Netto-Nullenergiebilanz mit Hilfe von dachintegrierten Photovoltaik-Modulen in Kombination mit einer Wärmepumpe für die Strom- und Wärmeversorgung zu erlangen, ist im Minimum ein Verhältnis von 0,5–0,7 m2 aktiver Solarfläche pro m2 Wohnnutzfläche erforderlich. Dies ist bei einem Einfamilienhaus mittlerweile ohne größere Probleme realisierbar. Für mehrgeschoßige Gebäude im dicht besiedelten städtischen Umfeld, mit eingeschränktem solaren Potenzial gilt es jedoch neue Wege zu finden (siehe Abbildung 1). Geht man davon aus, dass der Anteil der Stadtbevölkerung weltweit voraussichtlich bis zum Jahr 2050 auf rund 70% steigt, werden Nullenergiegebäude vor allem in städtischen Gebieten relevant sein.

Abbildung 1: Nullenergiegebäude Platzbedarf für Solarflächen Klick Mich!

Nullenergiegebäude im städtischen Kontext

Stellt man sich eine zukünftige Stadt vor, in der alle Gebäude eine Netto-Nullenergiebilanz erreichen müssen, so hätte dies tiefgreifende städtebauliche Auswirkungen. Wenn man bedenkt, dass die meisten Gebäude nur die Dachflächen und Teile der Südfassade zur Verfügung haben, um solare Energie umzuwandeln, so ist bei ein- oder zweistöckigen Gebäuden die Nullenergiebilanz leichter zu erreichen als bei Hochhäusern und mehrstöckigen Gebäuden. Dabei stoßen Nullenergiegebäude mit gebäudeintegrierten Solartechnologien, die mehr als zwei oder drei Stockwerke haben, schnell an ihre Grenzen. Analysiert man weltweit bekannte Beispiele existierender Nullenergiegebäude, handelt es sich meist um kleinere Gebäude auf gut besonnten Grundstücken mit geringer städtebaulicher Dichte. Gebäude, die in vorstädtischen oder ländlichen Standorten gebaut werden, haben daher ein weitaus größeres Potenzial mit lokalen erneuerbaren Energien die Nullenergiebilanz zu erreichen. Diese Überlegung steht im Gegensatz zu den Effizienzgedanken, die mit der Idee von hoher städtischer Dichte einhergehen. Die öffentliche Diskussion über Nullenergiegebäude orientiert sich bisher hauptsächlich an der Energiebilanz von Gebäuden im Betrieb. Vernachlässigt wird die graue Energie für die Errichtung der Gebäude und der zugehörigen Erschließungsinfrastruktur sowie den durch die Lage des Bauwerks verursachten Individualverkehr. Je zersiedelter und weitläufiger wir arbeiten und leben, desto größer sind die Umweltbelastungen – der öffentliche Verkehr und Infrastruktursysteme werden ineffizient, die private Nutzung von Fahrzeugen steigt an, und der erhöhte Verbrauch von Grund und Boden hat negative raumplanerische Auswirkungen. Durch die fortschreitende Trennung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Bildung, ist nun ein Großteil solcher Haushalte, um den täglichen Erledigungen nachzukommen, auf zwei und mehr private Autos angewiesen. Auch wenn solche Gebäude in Nullenergiestandard ausgeführt werden, ist es fraglich ob sie in der Gesamtenergiebilanz – Haus, Autos und graue Energie für Infrastruktur – einen großen volkswirtschaftlichen Energieeinsparbeitrag leisten können. Die Lage und Bebauungstypologie werden somit zum bestimmenden Faktor wenn es um eine umfassende Betrachtung der Nullenergiebilanz geht. Bei den analysierten Projekten (Abbildung 3) erhöht sich der Energiebedarf bei Wohngebäuden mit ähnlicher Betriebsenergie auf Grund ihrer Typologie und städtischen Lage circa um den Faktor drei. In dieser Betrachtung von standardisierten Wohnbautypologien wurden Verkehrsinfrastruktur, technische Infrastruktur, Nähe zu Einrichtungen des täglichen Bedarfs sowie die Anordnung der Gebäude und das daraus resultierende solare Potenzial kritisch untersucht. Inkludiert man in diese Betrachtung weiters den Energieaufwand für Instandhaltungsarbeiten (Gebäude, Zufahrtsstraßen, Infrastruktur) ist bei dem Einfamilienhaus in zersiedelter Lage der Bedarf an Grauer Energie etwa gleich hoch wie die Betriebsenergie. Der Energiebedarf für Mobilität übersteigt diesen sogar noch. Diese Gebäude haben zwar verglichen mit dem mehrgeschoßigen Wohngebäude in innerstädtischer Lage ein vielfach höheres solares Potenzial, und erreichen dadurch die Nullenergiebilanz im Betrieb sehr leicht. Sie stellen aber trotzdem keine nachhaltigen Lösungen dar, da sie zur Zersiedelung der Landschaft führen. In innerstädtischen Bereichen ist es daher wichtig, auf Gebäudeverbände hinzuarbeiten, statt den Fokus auf einzelne Gebäude zu setzen. Sinnvoller ist es, ganze Gemeinden oder Stadtteile als Nullenergiecluster auszubilden, auch wenn die einzelnen Gebäude darin teilweise diesen Energiestandard nicht erfüllen können. Es gilt Flächen für solare Energieumwandlung, und Energiespeichertechnologien in das Stadtbild zu integrieren. Multifunktionelle hocheffiziente Gebäude, die ihren Nutzern Schutz und Komfort bieten, Energie umwandeln und miteinander verbunden sind, sind das Thema der Zukunft. Ein Netzwerk, bei dem überschüssige Energie auf Grund unterschiedlicher tageszeitlicher Energieverbräuche (auf Grund unterschiedlicher Funktionen) ausgeglichen und genützt werden kann, stellt sicherlich die optimale Lösung dar. Ob die dafür benötigten großen Solarflächen für eine Nullenergiestadt innerhalb der dichten Strukturen, die für die Effizienz notwendig ist, Platz haben, ist jedoch noch unklar. Es ist anzunehmen, dass selbst die best geplante Nullenergiestadt von einer leistungsstarken Landschaft, welche die Stadt mit zusätzlicher Erneuerbaren Energie beliefert, umgeben sein muss. Welche Art von Energie-Feldern, Bergen und Seen dafür notwendig sind oder die Größe des Waldes, der den restlichen CO2-Ausstoß der Gebäude aufnehmen kann, sind Fragen die Stadt- und Raumplaner noch lange Zeit beschäftigen werden. Eines kann man jedoch mit Sicherheit sagen: ein wirklich nachhaltiges Nullenergiegebäude darf auf keinen Fall nur allein anhand seiner Energiebilanz, sondern muss vor allem auch anhand der architektonischen und städtebaulich-raumplanerischen Qualität betrachtet werden.

Abbildung 2: Solarpotential Einfamilienhaus / mehrgeschoßiges Gebäude Klick Mich!

Abbildung 3: Gebäudetypologie in Abhängigkeit von städtischer Lage: Gesamtenergiebilanz, Nullenergiepotenzial und Flächenverbrauch Klick Mich!

Quelle aller Bilder: Tobias Weiß

Autorenbeschreibung

DI Tobias Weiß ist als Architekt bei Nussmüller Architekten ZT
GmbH und am Institut für Gebäude und Energie der TU Graz
tätig (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

 

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2013-01: Kunststoff-Kollektoren

Ausbildungs- und Demonstrationsinitiative für thermische Solaranlagen im südlichen Afrika

Kollektorteststand an der Universität Stellenbosch, Südafrika (Foto AEE  INTEC)Abbildung 1: Kollektorteststand an der Universität Stellenbosch, Südafrika (Foto AEE INTEC)

Aufbauend auf den Ergebnissen des Projekts SOLTRAIN, das von AEE INTEC von 2008 – 2012 in Kooperation mit fünf Partnern aus Namibia, Südafrika, Mosambik und Simbabwe durchgeführt wurde, sollen im Rahmen eines von der Austrian Development Agency (ADA) finanzierten Projekts die Partnerländer beim Umstieg von einer weitgehend fossilen Energieversorgung auf eine nachhaltige Energieversorgung basierend auf Erneuerbaren Energien im Generellen und auf Solarthermie im Besonderen unterstützt werden. Partner des Projekts sind drei Universitäten, ein überregionaler Solarenergieverband (SESSA) sowie Solartechnikunternehmen. Laufzeit ist von 2012 bis 2015.

Das SOLTRAIN II-Arbeitsprogramm, das sich in die folgenden vier Hauptaktivitäten gliedert, wurde in enger Kooperation mit den Projektpartnern erarbeitet.

Von Werner Weiß

Kampagnen zur Bewusstseinsbildung

 

Durch zielgerichtete Kampagnen werden alle relevanten Stakeholder und die interessierte Bevölkerung über das breite Anwendungs-Spektrum thermischer Solaranlagen informiert. Darüber hinaus sollen die mit der Nutzung von thermischen Solaranlagen zusammenhängenden Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit im Energiebereich, auf Armut, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Umwelt bewusst gemacht werden.

Aufbau von Kompetenzzentren

Da es derzeit in den Partnerländern keine etablierten Informations- und Kompetenzzentren für thermische Solarenergie gibt, werden im Rahmen des Projekts institutionelle Strukturen aufgebaut, welche fundierte Information, Ausbildung, technische Unterstützung der lokalen Industrie sowie Unterstützung der Politik anbieten können. Darüber hinaus wird in diesen Zentren auch eine entsprechende Forschungs- und Entwicklungskompetenz aufgebaut.

Diese Kompetenzzentren werden in Institutionen höherer Bildung (Universitäten, Fachhochschulen sowie beim Solarenergieverband SESSA) ierrichtet, da dort schon ein institutioneller Rahmen sowie Basiswissen vorhanden ist.

Die Kompetenzzentren führen im Rahmen des Projekts umfangreiche Ausbildungsprogramme durch, welche von praktischen Installationskursen bis hin zu universitären Masterkursen reichen. Insgesamt werden 33 Ausbildungskurse in den vier beteiligten Ländern durchgeführt.

Abbildung 2: Ausbildungskurs in Anlagensimulation an der Fachhochschule in Windhoek, Namibia (Foto AEE INTEC) Klick Mich!

Technologieplattformen für Solarthermie

Eine weitere wesentliche Aktivität im Rahmen des Projekts ist die Gründung von nationalen „Technologieplattformen für Solarthermie“ in allen beteiligten Ländern. Als Vorbild dienen dabei die von der Europäischen Kommission initiierten Technologieplattformen. Es ist auch die Gründung einer staatenübergreifenden Solarthermieplattform für das südliche Afrika beabsichtigt. Diese soll die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den nationalen Einrichtungen intensivieren.

Die nationalen Plattformen bringen alle wesentlichen Interessensgruppen zusammen, die die Verbreitung und Nutzung thermischer Solaranlagen beschleunigen können: Solartechnikfirmen, Komponentenlieferanten, Universitäten, Fachhoch- und Berufsschulen, Verwaltung und Politik.

Die Technologieplattformen erarbeiten basierend auf den unterschiedlichen Rahmenbedingungen im jeweiligen Land in einem Stakeholderprozess Roadmaps und Implementierungspläne für Solarthermie.

Demonstrationsanlagen

Um das Wissen anwenden zu können, das durch Ausbildungsprogramme an HandwerkerInnen, aber auch StudentenInnen und die Politik weitergegeben wird, werden 40 bis 50 solarthermische Demonstrationsanlagen errichtet. Diese sollen die unterschiedlichen Anwendungsgebiete der Solarthermie zugänglich machen. Die Anlagen werden in verschiedenen Größen bei sozialen Einrichtungen sowie bei kleinen und mittleren Unternehmen errichtet. Der Bogen spannt sich dabei von Anlagen zur Warmwasserbereitung oder Kühlung in Kinderheimen und Spitälern bis zu Anlagen, welche Wärme für gewerbliche Prozesse (z. B: Lebensmittel- und Getränkesektor) bereitstellen.

Um die Sichtbarkeit der Anlagen und der verschiedenen Anwendungen zu erhöhen, sollen die Demonstrationsanlagen unter Einbeziehung lokaler Behörden und NGO’s in sog. Leuchtturm-Standorten (Dörfer) oder Leuchtturm-Regionen (Kleinstädte oder Kleinregionen) errichtet werden.

Autorenbeschreibung

Dipl.-Päd. Ing. Werner Weiss ist Geschäftsführer von AEE INTEC (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!)

 

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