Zeitschrift EE

2019-03: Lebenszykluskosten von Gebäuden

Lebenszyklusbetrachtungen als Optimierungswerkzeug von Gebäuden

Jens Glöggler, Klara Meier

Unternehmenszentrale der i+R Gruppe – LEED Platin Gebäude Foto: i+R Gruppe GmbH

Auf der Pariser Klimaschutzkonferenz im Dezember 2015 haben sich 195 Länder auf ein allgemeines Klimaschutzübereinkommen geeinigt1. Durch die Verabschiedung dieses Abkommens haben sich die Regierungen dazu verpflichtet, nachhaltige Strategien für einen ökologischen und sozialen Fortschritt der Wirtschaft zu entwickeln2. Betrachtet man die Zahlen der Reduktion der CO2-Emissionen aller Sektoren in Deutschland, wird ersichtlich, dass weitere Investitionen notwendig sind, um die Klimaziele zu erreichen3.

Entwicklung der Treibhausgasemissionen in Deutschland nach Sektoren vgl. Grafik Umweltbundesamt4

Aus der Grafik geht hervor, dass die Bemühungen zur Reduktion der CO2-Emissionen deutlich erhöht werden müssen, um die Ziele von Deutschland für 2030 zu erreichen. Bis 2050 hat Deutschland das Ziel weitgehend klimaneutral (Reduzierung der CO2 Emissionen um 80 – 95 % gegenüber 1990) zu sein5. Um weitere Anreize zur Umsetzung von „grünen“ Investitionen zu schaffen, wurden Finanzinstrumente entwickelt, durch die die Investitionslücke von geschätzt 180 Mrd. € geschlossen werden kann6,7. Diese Finanzinstrumente bedingen Standards, auf deren Basis die Nachhaltigkeit einer Investition bewertet werden kann. Für den Bausektor könnte dies das Bewertungssystem der EU „Level(s)“8 oder marktübliche Systeme wie DGNB (Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen), LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) oder BREEAM (Building Research Establishment Environmental Assessment Methodology) werden. Um die CO2-Reduzierung im Gebäudesektor weiter voranzubringen, schreibt die EU vor, dass ab dem Jahr 2020 alle neu errichteten Gebäude dem nZEB Standard (nahe Null-Energiegebäude) entsprechen sollen.

Zur Bewertung der ökologischen Qualität von Gebäuden in Neubau und Sanierung wird eine objektbezogene Lebenszyklusanalyse (LCA) mittels Ökobilanzmethodik herangezogen, in der die graue Energie (Energieaufwand für die Materialgewinnung, Herstellung, Transport, Einbau und Entsorgung) und die rote Energie (Gebäudeenergieverbrauch) berechnet werden.

Prozessintegration

Um den PlanerInnen, BauherrInnen und der öffentlichen Hand bei der Erfüllung der nZEB-Anforderungen zu helfen, werden im EU Horizon 2020-Forschungsprojekt CRAVEzero Methoden entwickelt, diese Gebäudequalität mit geringem Mehraufwand, bezogen auf die Lebenszykluskosten, gegenüber einer aktuellen Planung auf dem nationalen Standard, errichten zu können9. Ein großes CO2-Einsparpotenzial liegt in der grauen Energie, die neben der roten Energie einen wesentlichen Einfluss auf die Emissionen hat. Diese graue Energie wird aktuell lediglich von den Zertifizierungssystemen DGNB, LEED und BREEAM erhoben. Die in den Zertifizierungssystemen beschriebenen Lebenszyklusanalysen (LCA) und Lebenszykluskostenanalyse (LCC) sind aktuell noch selten angewandte besondere Leistungen, die noch nicht in den Planungsprozess integriert sind. ATP architekten und ingenieure planen seit 2011 alle Projekte auf der Basis von BIM-Prozessen10. Auf der Basis der integralen ATP-Planungsprozesse wurde untersucht, welche Nachhaltigkeitsindikatoren der DGNB anhand definierter Parameter direkt im BIMModell bewertet und abgefragt werden können. Diese Untersuchung ergab, dass sich einige Indikatoren schon jetzt im Modell bewerten lassen. Weiter wurden Nachhaltigkeitsindikatoren wie beispielsweise die LCA und LCC identifiziert, die ein großes Potenzial für die Umsetzung in einem BIM-Planungsprozess aufweisen, da die notwendigen Basisinformationen für eine Berechnung der ökologischen und ökonomischen Kennwerte bereits im Modell vorhanden sind11. Dieses Potenzial der Lebenszyklusbewertung deckt sich mit den Zielen der EU12.

Berechnung des materiellen Gebäudepasses in der Gebäudeplanung6. Der prozessbegleitend erstellte materielle Gebäudepass (MGP) hat in den unterschiedlichen Lebenszyklusphasen unterschiedliche Ziele. In der Planungsphase wird er als Optimierungswerkzeug für die LCA und das Recycling- und Abfallpotenzial verwendet. In der Nutzungsphase kann er zur Dokumentation der verbauten Materialien herangezogen werden.

Optimierung der Ökobilanz im BIM-Planungsprozess

Das Potenzial der Berechnung einer LCA von Gebäuden basiert auf Optimierungen in frühen Planungsphasen, in welchen die Gebäudegeometrie, die Konstruktion sowie die Energieversorgung und die Gebäudetechnik noch nicht definiert wurde. Damit eine Ökobilanz in frühen Planungsphasen in Varianten berechnet werden kann, wird im Forschungsprojekt „BIMaterial“ eine BIM-Anwendung auf Gebäudeebene umgesetzt, um den Berechnungsaufwand einer LCA aufgrund sich ständig ändernder Entwürfe zu reduzieren. Hierbei werden die umfangreichen Basisdaten der Geometrie aus dem Modell entnommen und mit einer ökologischen Bauteildatenbank verknüpft. Durch diese Vorgehensweise ist es möglich, eine Geometrie in Bezug auf die ökologische Qualität und das Entsorgungspotenzial automatisiert zu bewerten. Als Ergebnis wird ein „materieller Gebäudepass“ erstellt, der ähnlich einem Energieausweis aufgebaut ist13. Durch die prozessbegleitende Weiterführung der Ökobilanz kann eine kontinuierliche Optimierung der ökologischen Qualität eines Gebäudes vorgenommen werden13.

Relevante funktionale Bauteilkategorien

Damit eine breite Anwendung der ökologischen Optimierung von Bauteilen und Gebäuden erreicht werden kann, muss zusätzlich zur LCA auch die LCC durchgeführt werden.

Erst eine parallele Auswertung der LCA und LCC bei verschiedenen Lösungsvarianten ermöglicht eine Basis für eine ausgewogene Entscheidung zwischen der ökonomischen und ökologischen Qualität über den Gebäudelebenszyklus. Das Forschungsprojekt „Design2Eco“ hat hierfür strategische Bauteile ermittelt, die einen großen Einfluss auf die LCA und LCC besitzen. Die strategischen Bauteile wurden dabei anhand funktionaler Kategorien (Tragwerk, Fassade, Innenausbau etc.) identifiziert, durch die es möglich ist, Bauteile mit gleichen Funktionen und Eigenschaften miteinander zu vergleichen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen deutlich, dass, bezogen auf den Gebäudelebenszyklus, eine ökologische Optimierung von Gebäuden kostengünstig erreicht werden kann.

Darstellung des Optimierungspotenzials von Lebenszykluskosten und der Ökobilanz aus dem Forschungsprojekt „Design2Eco“. Die Grafik zeigt, dass für das Gebäude 22 % der CO2-Emissionen bei gleichbleibenden Lebenszykluskosten eingespart werden können. Daraus lässt sich die Relevanz einer Optimierung der Ökobilanz deutlich ableiten14.

Ausblick

Durch die in den Forschungsprojekten „Design2Eco“ und „BIMaterial“ erarbeiteten Methoden und Prozesse lassen sich ökologische und ökonomische Optimierungen von Gebäuden in frühen Planungsphasen vornehmen. Dabei ist es wichtig, dass die hierfür notwendigen Ingenieurleistungen in den Planungsprozess integriert werden. Diese Prozessintegration von neuen Planungsmethoden wird gerade im EU Forschungsprojekt „CRAVEzero“ erarbeitet, zeigt die Komplexität eines Planungsprozesses auf und gibt den Beteiligten Hinweise, wann sie welche Informationen von den PlanungspartnerInnen bekommen können, oder wann sie welche Aktionen im Planungsprozess durchführen sollten, um ein optimales Ergebnis zu erhalten. Dieser Prozess muss integral von allen Projektbeteiligten von der Initiierungsphase bis zur Rückbauphase bearbeitet und vorangetrieben werden, um ein ideales Ergebnis zu erhalten. Durch die genannten Methoden und Prozesse wird es möglich, langfristigere und nachhaltige Entscheidungen zu treffen, um Umweltwirkungen sowie den Ressourcenverbrauch deutlich zu reduzieren und damit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Dieser Bericht stellt Forschungsergebnisse von ATP sustain GmbH mit externen Forschungspartnern (AEE INTEC, A-NULL Bausoftware GmbH) und Universitäten (TU München, TU Wien) dar.

Statement

"Das Projekt “CRAVEzero” wirft einen 360°-Blick auf den gesamten Lebenszyklus von Beinahe- Nullener- giegebäuden und -quartieren. Es basiert auf einem umfassenden Ansatz mit einer neuen Methodologie, um alle Arten von Kostensteigerungen zu erkennen und falsche Entscheidungen in den verschiedenen Phasen eines Projekts vermeiden zu können. Das Hauptergebnis ist eine große Fülle an Empfehlungen für gut angepasste Lösungen basierend auf genauen Werten auch für Nicht-Spezialisten. Dieser Ansatz eignet sich sehr gut für Stadtplanung in frühen Planungsstadien und auch für detaillierte Konstruktionslösungen."

Christian de Nacquard, F&E Direktor für Energieeffizienz, Bouygues SA, Frankreich

AutorInnen

Dipl.-Ing. Jens Glöggler ist Geschäftsführer von ATP sustain GmbH München. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Klara Maier, M. Eng. reasearch + design I energy and sustainability expert ATP sustain GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen / Links im E-Paper

  1. https://ec.europa.eu/clima/policies/international/negotiations/paris_de
  2. https://ec.europa.eu/newsroom/fisma/item-detail.cfm?item_id=645336&utm_source=fisma_newsroom&utm_medium=Website&utm_campaign=fisma&utm_content=Green%20bonds%20&lang=en
  3. https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/sustainable-finance_de
  4. Grafiken und Tabellen zur Klimabilanz 2018 zum Download, https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/klimabilanz-2018-45-prozent-weniger
  5. Klimaschutzplan 2050, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU), Berlin 2016, https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Klimaschutz/klimaschutzplan_2050_bf.pdf
  6. https://ec.europa.eu/newsroom/fisma/item-detail.cfm?item_id=645336&utm_source=fisma_newsroom&utm_medium=Website&utm_campaign=fisma&utm_content=Green%20bonds%20&lang=en
  7. https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/sustainable-finance_de
  8. Level (s): A guide to Europe’s new reporting framework for sustainable buildings, European Commission, http://ec.europa.eu/environment/eussd/pdf/
  9. Informationen zum Projekt auf der Projektwebsite CRAVEzero, www.cravezero.eu/Level_publication_EN.pdf
  10. Building Information Modeling - Bauwerksdatenmodellierung
  11. Untersuchung von Strategien zur Integration von Nachhaltigkeitskriterien in einen BIM-Planungsprozess – interne nicht veröffentlichte
  12. https://ec.europa.eu/info/business-economy-euro/banking-and-finance/sustainable-finance_de Masterarbeit – Klara Meier M.eng
  13. BIMATERIAL Prozess-Design für den BIM-basierten, materiellen Gebäudepass, Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement, Fachbereich Industriebau und interdisziplinäre Bauplanung, TU Wien, ISBN 978-3-200-06012-8, https://www.industriebau.tuwien.ac.at/fileadmin/mediapool-industriebau/Diverse/Forschung/BIMaterial_Broschüre_vollversion.pdf
  14. Design2Eco Lebenszyklusbetrachtung im Planungsprozess von Büro- und Verwaltungsgebäuden – Entscheidungsgrundlagen und Optimierungsmöglichkeiten für frühe Planungsphasen, Schlussbericht, Fraunhofer IRB-Verlag 2019, https://mediatum.ub.tum.de/1510210
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