Zeitschrift EE

2019-03: Lebenszykluskosten von Gebäuden

Lebenszykluskostenbewusstes Planen und Bauen von Wohnbauten

Christina Ipser

Folgekosten von Wohngebäuden lassen sich planen und optimieren. Eine lebenszykluskostenbewusste Planung setzt jedoch die ganz- heitliche Betrachtung des Gebäudes und seiner Nutzung über den gesamten Lebenszyklus voraus. Foto: DUK_Radinger

Folgekosten als Einflussfaktor für leistbaren Wohnraum

Aufgrund von unverhältnismäßig steigenden Wohn- kosten in vielen europäischen Städten und Regionen wird die Leistbarkeit von Wohnraum in den letzten Jahren politisch und medial verstärkt thematisiert. Neben Entwicklungen der Grundstücks- und Im- mobilienmärkte werden dabei auch immer wieder steigende Baukosten und mögliche Gegenmaßnah- men diskutiert. In der Diskussion wird häufig wenig beachtet, dass auch nach der Fertigstellung von Gebäuden noch Kosten anfallen, die sich aus dem Betrieb und der Nutzung bis hin zum Abbruch des Objektes ergeben. Diese Folgekosten machen in der Regel den größten Teil der Lebenszykluskosten aus und haben einen deutlichen Einfluss auf die Leistbarkeit von Wohnraum. Sie sind ebenso wie die Errichtungskosten planbar und beeinflussbar. Je früher in der Planungsphase von Neubauten oder Sanierungen Folgekosten mitberücksichtigt werden, desto größer ist die Möglichkeit der Einflussnahme.

Grundlegende Investitions- und Planungsentscheidungen in den frühen Phasen der Projektentwicklung haben einen starken Einfluss auf die Lebenszykluskosten. Ist die Neuerrichtung oder Sanierung bereits abgeschlossen und in Betrieb, ist der Spielraum für Kostenoptimierungen begrenzt. Quelle: Eigene Darstellung

Die ÖNORM B 1801-2 (Bauprojekt- und Objektmanage- ment – Objekt-Folgekosten) definiert, welche Kosten zu den Folgekosten von Gebäuden gezählt werden können, und gibt eine in Haupt- und Untergruppen gegliederte Kostenstruktur vor.

Schematische Darstellung der Lebenszykluskosten als Jahressummen der anfallenden Kosten über die gesamte Lebensdauer eines Objektes, gegliedert in Errichtungs- und Folgekostengruppen. Quelle: Eigene Darstellung verändert nach ÖNORM B 1801-2

Durch diese normierte Kostengliederung und stan- dardisierte Rechenmethoden (ÖNORM B 1801-4 Bau- projekt- und Objektmanagement – Berechnung von Lebenszykluskosten) wird die transparente und nach- vollziehbare Berechnung von Lebenszykluskosten und die Ermittlung vergleichbarer Kennzahlen möglich.

Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen für Energiesysteme

Am häufigsten werden Lebenszykluskosten-Betrach- tungen heute im Zusammenhang mit Energieeffizi- enzmaßnahmen und beim Vergleich unterschiedlicher Wärmebereitstellungs- und Energieversorgungs- systeme durchgeführt. Dabei kommen meist Amor- tisationsberechnungen zum Vergleich der Wirt- schaftlichkeit verschiedener Planungsvarianten zur Anwendung, wobei einzelne ausgewählte Elemente der Gebäudetechnik, häufig gemeinsam mit Energie- effizienzmaßnahmen wie etwa der Wärmedämmung der Gebäudehülle, mit den damit verbundenen Inves- titions- und Folgekosten betrachtet werden. Einen Normungsrahmen liefert dafür z. B. die ÖNORM M 7140 (Betriebswirtschaftliche Vergleichsrechnung für Ener- giesysteme nach dynamischen Rechenmethoden).

Solche Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen können z. B. bei der Auswahl von Energiesystemen und Dämm- stärken eine wichtige Entscheidungsgrundlage darstellen. Sie bilden jedoch nur einen definierten Ausschnitt des komplexen „Gesamtsystems“ Gebäu- de ab und erfolgen meist zu einem Zeitpunkt, zu dem grundlegende Investitions- und Entwurfsentschei- dungen bereits getroffen wurden. Diese wirken sich jedoch maßgeblich auf die Lebenszykluskosten aus.

Grundlegende Entwurfsentscheidungen beeinflussen die Lebenszykluskosten

Bei der Lebenszykluskostenbetrachtung des Gesamt- gebäudes geht es häufig jedoch nicht darum, höhere Erstinvestitionen für niedrigere Betriebskosten in Kauf zu nehmen, sondern transparent aufzuzeigen, mit welchen Errichtungs- aber auch Folgekosten be- stimmte Entwurfsentscheidungen verbunden sind. So wirken sich etwa die Kompaktheit und Komplexität des Baukörpers nicht nur auf die Energieeffizienz des Gebäudes aus. Je größer die Fläche der Gebäudehülle im Verhältnis zum Volumen ist, desto höher werden sowohl die Errichtungs-, als auch die Folgekosten sein. Fenster- und Glasflächen lassen Tageslicht ins Gebäude und stellen wichtige Sichtverbindungen zwischen Innen- und Außenraum her. Sie sind jedoch teurer in der Errichtung und meist auch mit deutlich höheren Kosten für Reinigung, Wartung und Instand- setzung verbunden, als opake Fassadenteile.

Ein wesentlicher Kostenfaktor im Lebenszyklus ist die Flächeneffizienz. Jeder unnötige oder schlecht nutzbare Quadratmeter führt nicht nur in der Errich- tung zu höheren Kosten, sondern muss auch in der Nutzungsphase beheizt, gereinigt und instandgehal- ten werden. Auch das Ausmaß und die Komplexität der technischen Gebäudeausstattung und der einge- setzten Steuer- und Regeltechnik bilden wesentliche Einflussfaktoren. Bei High-Tech-Systemen am neues- ten Stand der Technik kann die Wartungsintensität oft nur schwer vorhergesagt werden, ebenso wie die Nutzungsdauer der Systemkomponenten und ob ein zukünftiger Austausch von Einzelkomponenten zu Kompatibilitätsproblemen führt.

Herausforderungen der Lebenszykluskosten-Berechnung

Obwohl die Rahmenbedingungen für standardisierte Lebenszykluskosten-Berechnungen durch die aktuel- le Normenlage in Österreich gegeben und die Berech- nungsmethoden nicht sehr komplex sind, müssen noch einige Herausforderungen bewältigt werden, damit Lebenszykluskosten-Analysen zu einem selbst- verständlichen Bestandteil im Planungsprozess von Gebäuden werden können. Das betrifft etwa die Ent- wicklung von einfach handhabbaren Werkzeugen und Rechenmodellen, die in der Lage sind, den Einfluss konkreter Planungsentscheidungen auf zukünftige Kosten sinnvoll abzubilden. Auch die Entwicklung von praxistauglichen Modellen für die Implementie- rung von Lebenszykluskosten-Analysen in Planungs-, Entwicklungs- und Vergabeprozesse und die Qualifi- zierung der Planenden und Beauftragenden gehören noch zu den aktuellen Aufgabenstellungen. Erste An- sätze Lebenszykluskosten in BIM-Prozesse (Building Information Modelling) zu implementieren, sind in Entwicklung.

Zu den größten Herausforderungen bei der Lebens- zykluskosten-Berechnung gehört derzeit noch die Recherche der erforderlichen Daten und Parameter, sowie das Festlegen von Annahmen über zukünf- tige Entwicklungen. Diese betreffen etwa die voraussichtlichen Nutzungsdauern von Elementen, erforderliche Wartungs- und Reparaturmaßnahmen oder Sanierungs- oder Instandsetzungszyklen, aber beispielsweise auch die zukünftige Entwicklung von Energiepreisen, Bauleistungen oder gebäudebezoge- nen Dienstleistungen. Nicht immer kann dabei von Trends in der Vergangenheit automatisch auf zukünf- tige Entwicklungen geschlossen werden und Techno- logieentwicklungen oder die Veränderung von Nut- zungsanforderungen sind kaum seriös vorhersagbar. Abhilfe können hierbei Szenarienanalysen schaffen, sowie der Prognoseansatz, dass zukünftig verfügbare höherwertige Technologien zu etwa gleichen Kosten zum Einsatz kommen werden wie heutige.

Lebenszykluskostenbewusstes Planen denkt über die Berechnung hinaus

Planungsbegleitende Lebenszykluskosten-Analysen sind trotz der bestehenden Herausforderungen mit den heute verfügbaren Methoden möglich und sinn- voll. Das Verhältnis zwischen Aufwand und Nutzen muss dabei für den einzelnen Anlassfall abgewogen werden. Ein Mehrwert bei der Durchführung von Lebenszykluskosten-Berechnung in der Planung ist dadurch gegeben, dass das Planungsteam sich syste- matisch mit Aspekten der Nutzung und des Betriebs bis hin zum Abbruch des Gebäudes auseinanderset- zen muss.

Es ist jedoch zu beachten, dass auch die besten Re- chenmodelle und -werkzeuge nicht in der Lage sind alle kostenwirksamen Aspekte darzustellen, wie z. B. die gute Zugänglichkeit und einfache Wartbarkeit von Anlagenteilen oder eine Flexibilität gegenüber veränderlichen Rahmenbedingungen. Auch die Nutzungsanforderungen und dafür erforderlichen Qualitäten werden in Lebenszykluskosten-Modellen nicht abgebildet, jedoch müssen Kosten und Nutzen immer gemeinsam betrachtet werden.

Die wichtigste Grundlage für lebenszykluskos- tenbewusstes Planen und Bauen ist eine gute Planungs- und Ausführungsqualität, wobei eine verantwortungsvolle Projektentwicklung über die Bilanzgrenzen der Lebenszykluskosten-Berechnung hinausdenkt. Zufriedene Nutzerinnen und Nutzer, die sich mit ihrem Wohngebäude identifizieren und als Teil einer funktionierenden Nachbarschaft oder BewohnerInnengemeinschaft sehen, werden mit diesem auch sorgsam umgehen und damit zu nied- rigen Betriebs- und Instandhaltungskosten und einer langen Nutzungsdauer beitragen.

Zitierte Normen:

ÖNORM B 1801-2 (2011): Bauprojekt- und Objektmanagement, Teil 2: Objekt-Folgekosten 2011.

ÖNORM B 1801-4 (2014): Bauprojekt- und Objektmanagement, Teil 4: Berechnung von Lebenszykluskosten 2014.

ÖNORM M 7140 (2013): Betriebswirtschaftliche Vergleichsrechnung für Energiesysteme nach dynamischen Rechenmethoden 2013.

Autorin

Dipl.-Ing. Christina Ipser ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin am Department für Bauen und Umwelt, Zentrum für Immobilien- und Facility Management der Donau-Universität Krems tätig. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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