Zeitschrift EE

„Ich habe bis jetzt keine Nachteile gefunden“

Harald Kuster ist ein Visionär, der regelmäßig die Grenzen des Machbaren in der Gebäudetechnik verschiebt. Die von ihm geplanten Objekte kommen mit einem Bruchteil der üblichen Energie für Heizen, Kühlen und Warmwasserbereitung aus. Das Konzept dahinter ist die „thermische Bauteilaktivierung“, für deren kreativen und innovativen Einsatz Kuster weit über die österreichischen Grenzen hinaus bekannt ist und in der Fachpresse als „Betonkernaktivist“ bezeichnet wird. Christian Fink, Bereichsleiter für thermische Energietechnologien und hybride Systeme bei AEE INTEC, hat das folgende Interview mit ihm geführt.

Christian Fink: Herr Kuster, Sie werden in Österreich als der „Mister Bauteilaktivierung“ gesehen, wenn es nach umgesetzten Projekten geht. Wie viele sind es mittlerweile?

Harald Kuster: Wir haben in den letzten 15 Jahren über 140 Projekte mit dieser Technologie ausgestattet, davon über 60 Großprojekte mit jeweils mehr als 1000 Quadratmetern aktivierter Fläche. Dazu kommen noch sicher 20 Stück, die bereits beauftragt sind und die wir in den nächsten zwei Jahren abarbeiten werden.

Das ist im Vergleich mit anderen Gebäudetechnikplanern eine enorme Anzahl und auch ein riesiger Erfahrungsschatz. Wie ist es dazu gekommen?

Mich hat das Thema vor zwanzig Jahren zu interessieren begonnen und ich habe mich schlau gemacht. Es hat ganz wenig an Grundlagen gegeben. Richtig begonnen haben wir dann mit dem neuen Gebäude der EZA Salzburg, wo wir einen Teilbereich aktiviert und – um zu lernen – auf eigene Kosten mit Fühlern ausgestattet haben, sozusagen als Basis für ein einfaches Monitoring. Mit knapp 3000 Quadratmetern Bruttogeschoßf läche war das unser erstes größeres Projekt. Da habe ich schnell gemerkt, was für großes Potential diese Speichermasse hat.

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Bei den vielen realisierten Projekten, was waren da die Highlights – worauf sind Sie besonders stolz?

Das absolute Highlight war das Kulturzentrum in Hallwang und die Zusammenarbeit mit dem damaligen Bürgermeister und Gemeindebundpräsidenten Mödlhammer. Da haben wir zum ersten Mal ein so großes Projekt nur über die Sonne beheizt. Der Bürgermeister wollte am Anfang zur Sicherheit noch eine Gastherme oder zumindest eine einfache Möglichkeit zur Nachrüstung ins Gebäude gelegt haben. Das haben wir ihm ausgeredet, und nach der Fertigstellung war er so begeistert, dass er das Konzept stolz immer wieder in ganz Österreich präsentiert hat. Das hat uns am Anfang viel geholfen.

Ein anderes Lieblingsprojekt ist die Produktionshalle der Baufirma Habau in Perg. Das war das erste Mal, dass wir die vollsolare Versorgung mit Bauteilaktivierung im Industrieumfeld realisiert haben, auf rund 7500 Quadratmetern Fläche und zwölf Metern Raumhöhe. Dort haben wir tatsächlich „plug-and-play“ arbeiten können; wir haben gebaut, eröffnet, und das System läuft seit fünf Jahren reibungslos.

Als weiteres Highlight würde ich vielleicht ganz aktuell noch das Wohnbauprojekt in der Mühlgrundgasse (MGG22) in Wien mit 160 Wohneinheiten nennen. Das ist wieder eine ganze Dimension größer und die erste Nutzung der thermischen Bauteilaktivierung im sozialen Wohnbau. Da verwenden wir vor allem die Überschussproduktion von nahegelegenen Windstromanlagen zum Betrieb der Sole/Wasser-Wärmepumpen mit Tiefensonden zum Heizen und Kühlen. Dank der aktivierten Zwischendecken kann die Wärmepumpe auf niedrigsten Temperaturniveaus betrieben werden. Das spart Betriebskosten, und mit den unglaublich niedrigen Energiekosten bringt das auch eine dauerhafte finanzielle Entlastung für die Mieter.

Blick in den Technikraum im Kulturzentrum Hallwang, Produktionshalle der Firma HABAUund das Wohnprojekt in der Mühlgrundgasse in Wien. Fotos: Kulturzentrum Hallwand, HABAU, MGG22

Gibt es von der technischen Seite ein Highlight?

Ja, und zwar die Einfachheit der technischen Lösung: reduzierte Gebäudetechnik, ein hohes Maß an Selbstregelungseffekt und die Möglichkeit, über ein und dasselbe System zu heizen und zu kühlen. Es braucht auch keine Sonderlösungen, sprich, ich verwende im System zum Beispiel marktübliche Standardwärmepumpen, die leicht zu servicieren sind und lange Haltbarkeit zeigen.

Was waren die größten Herausforderungen, die Sie seit der intensiven Beschäftigung mit der thermischen Bauteilaktivierung meistern mussten?

Die Hürden sind immer die gleichen: Das Unverständnis der Menschen dieser Technologie gegenüber – die Auftraggeber kennen das Prinzip nicht und sind dementsprechend skeptisch. Bei jedem neuen Projekt arbeiten wir wieder von vorne daran, die Ängste zu nehmen und Vertrauen in die Bauteilaktivierung aufzubauen. Was uns bei der Überzeugungsarbeit sehr hilft, sind nunmehr die vielen gebauten Projekte als Referenzen.

Der thermisch aktivierte Bauteil für sich allein ist ja noch nicht die Innovation. Was macht die Attraktivität und das Potential dieser Technologie aus?

Die Innovation ist das Verschränken der Technologien. Ich kann jeden volatilen Energieträger – wie Sonnen- oder Windkraft – gut integrieren, und kann in Zeiten einspeichern, wo der Markt nichts abnimmt, und gleichzeitig die Überbelastung der Netze verringern.

Sie nutzen bei all Ihren Projekten den Bauteil nicht nur als Abgabesystem für Wärme und für das Kühlen, sondern auch konsequent als Energiespeicher für fluktuierende erneuerbare Energieträger. Warum ist Ihnen dieser Ansatz so wichtig?

Energiespeicherung ist der Schlüssel zur Energiewende, und die Bauteilaktivierung ist die günstigste und einfachste Form der Energiespeicherung. Ich schaue immer, mit welchen Möglichkeiten vor Ort kann ich eine ausreichende Energiemenge für den Betrieb des Gebäudes einspeichern. Entstehende Differenzen kann ich dann aufgrund der thermischen Trägheit leicht mit im Vergleich zur Normheizlast kleinen Leistungen aus z. B. Wärmepumpen abdecken.

Was sind die wichtigsten Kriterien für den erfolgreichen Einsatz des Systems?

Bauteilaktivierung ist eigentlich für jedes Objekt umsetzbar – jeder kann es nutzen. Einzig ein Mindestmaß an Wärmedämmstandard ist notwendig, sprich, die flächenbezogene Heizlast sollte 25W/m2 nicht übersteigen. Insgesamt kann ich sagen, ich habe bis jetzt keine Nachteile der Technologie gefunden. Sie ist kostengünstig, sie ist effizient und es handelt sich aufgrund des hohen Strahlungsanteils um ein höchst behagliches Heiz- und Kühlsystem. Weiters erlauben die tiefen Versorgungstemperaturen beste Rahmenbedingungen für die effiziente Nutzung von erneuerbaren Energien, egal ob Solarthermie, PV oder Wärmepumpen.

Gibt es schon ein Projekt, wo Sie das Speicherpotential der Bauteilaktivierung als Flexibilitätsoption Fernwärmebetreibern zur Verfügung stellen?

Wir haben das ein paarmal in Wettbewerben versucht, aber ein konkretes Projekt haben wir noch nicht. Ich kann mir das gut vorstellen, über den Rücklauf der Fernwäme Bauteile zu aktivieren. In Fernwärmenetzen, wie zum Beispiel in Wien, wäre das die Energiereserve schlechthin, aber da waren die zuständigen Unternehmen leider noch nicht dafür bereit. Aber ich bin überzeugt, dass auch diese Anwendungsmöglichkeit der thermischen Bauteilaktivierung bald Umsetzung findet.

Die Nutzung erneuerbaren Überschussstromes, zum Beispiel aus Windkraftanlagen, in thermischer Bauteilaktivierung ist auch eine vieldiskutierte Option. Allerdings hört man immer wieder, dass es den Überschussstrom aus erneuerbaren Quellen in Österreich nur sehr regional gibt und wir insgesamt von der Erzeugung von Überschussstrom weit entfernt sind. Wie sehen Sie das?

In Wirklichkeit ist das eine wirtschaftliche Frage, wie man Überschussstrom definiert. Jeder Windparkbetreiber legt ja selbst fest, ab welcher Menge es sich für ihn nicht mehr auszahlt, Energie an das Netz zu liefern. Das ist also eine Sache der gegenseitigen Abmachungen. Ich kann mit einem Windparkbetreiber nur festlegen, bis zu welcher Linie ich den Überschussstrom erhalte und ab wann zur Not auch ’mal Normalstrom eingespeist wird. Wir haben das beim Projekt MGG22 in Wien ausführlich untersucht und festgestellt, dass wir doch auf bis zu 90 Prozent Überschussstrom aus der lokalen Windproduktion eines Windstromanbieters zurückgreifen können. Deshalb haben wir dort den Windstrom als Energiequelle für den Betrieb der Wärmepumpen gewählt.

Trotz des enormen Potenzials der thermischen Bauteilaktivierung in einem zukünftigen Energiesystem und trotz zahlreicher guter Beispiele verbreitet sich die Technologie eher schleppend. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?

Das sehe ich nicht ganz so. Es tut sich einiges am Markt. Wir allein haben zurzeit 300.000 Quadratmeter bauteilaktivierte Gebäude in Bearbeitung und wir sind eine Micky-Maus-Firma in Österreich. Aber richtig ist, dass aktuell im mehrgeschoßigen Wohnbau jährlich sehr viel Speicherpotenzial liegen gelassen wird, weil die thermische Bauteilaktivierung bei weitem nicht Umsetzungsstandard ist. Was sicher helfen würde, wären Förderungen – obwohl ich grundsätzlich kein großer Fan von Förderungen bin. Sie würden so manchem den Markteintritt erleichtern.

Es gibt aber noch immer viele Gebäudetechnikplaner, die mit dem Thema nichts anzufangen wissen. Was müsste man tun, um die thermische Bauteilaktivierung schneller zum Standard zu machen?

Das Thema gehört in die Aus- und Weiterbildung, sowohl bei den Polieren und Baumeistern als auch bei den Haustechnikern. Bei der thermischen Bauteilaktivierung handelt es sich um eine Verschränkung von Haustechnik und Bauphysik, die so nirgendwo unterrichtet wird. Solange wir nicht junge Leute in diesem Thema ausbilden, wird ein breites Ausrollen immer schwierig sein.

Welche Rolle spielen die Normen?

Da wäre mehr Offenheit und Tempo bei Veränderungen wünschenswert. Es wird aber noch dauern, bis das in den Normen so verankert wird, dass man da auch in Bezug auf das Regelwerk nicht im Graubereich unterwegs sein muss. Ich kann unzählige Geschichten darüber erzählen, wie wir zum Beispiel beim Bildungscampus der Seestadt Aspern mit Großinstallateuren und deren Rechtsanwälten diskutieren mussten, weil unsere Berechnungen eine Heizleistung ergeben haben, die weit unter den vorgegebenen Normen gelegen sind. Wir haben alle Berechnungen offengelegt. Erst damit konnten wir sie überzeugen, dass sie dann alles so dimensioniert haben, wie wir es vorgegeben haben.

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Sie suchen in Ihren Projekten immer die Herausforderung und bringen Innovationen zur Umsetzung. An welchen neuen Ansätzen und Projekten sind Sie aktuell dran?

Ab Jänner des kommenden Jahres gibt es eine dritte Firma von uns: Thoma-Kuster-Engineering, eine Firma, die sich ausschließlich mit Bauteilaktivierung im Massivholzbau beschäftigen wird. Damit sind wir dann vor allem in Deutschland in großen Projekten mit höchsten Ansprüchen an gesunde und baubiologische Bauweisen aktiv. Und hier in Salzburg haben wir auch ein spannendes Projekt: eine Industriehalle mit 8500 Quadratmetern, die wir in Kombination mit Photovoltaik und einem Erdkollektorfeld unter der Betonplatte versorgen werden. Mit dieser Bauweise senken wir die Kosten nochmals um einen bedeutenden Faktor.

Würde man jetzt die Bewohner oder Nutzer der von Ihnen umgesetzten Gebäuden befragen, was würden diese über Funktionalität, Komfort und Energieverbrauch sagen?

Wir bemühen uns sehr, dass wir einhalten, was wir versprechen. Wir bieten ein einjähriges Monitoring bei unseren Projekten an und kontrollieren damit unsere eigenen Zielsetzungen. Meine Partner gehen mit mir immer gerne meine Kunden besuchen, weil wir überall auf ein Schnapserl und eine Jause eingeladen werden. Das zeigt vielleicht am besten, wie zufrieden die Menschen in den von uns geplanten Gebäuden sind.

Herr Kuster, herzlichen Dank für das Gespräch.

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