Zeitschrift EE

Zurück zu den Beiträgen

Wie weit sind wir bei der Transformation des Energiesystems — und wie können wir diese messen?

Die Menschheit kann nicht in einer Ressourcen verschwendenden Art weiterleben, wie wir es besonders seit Mitte des 19. Jahrhunderts - mit der beginnenden Industrialisierung - getan haben. Wenn wir noch in 100, 200 Jahren in einer hochtechnisierten Gesellschaft leben möchten, wird dies nur möglich sein, wenn wir von der heutigen Ressourcenverschwendung auf Nachhaltigkeit umschalten: Nachhaltigkeit bei der Nutzung unserer begrenzten, mineralischen Ressourcen, Luft, Wasser, Landnutzung, besonders auch Energie.

Portrait

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wandelt die Menschheit bei der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas seit Jahrhundertmillionen in der Erde gespeicherten Kohlenstoff in gasförmiges CO2 um, das in die Atmosphäre entlassen wird. Daher hat der CO2 Gehalt der Atmosphäre begonnen zu steigen - heute liegen wir bei über 400 ppm, einem Wert, den die Erde seit mindestens 2 Millionen Jahren nicht erlebt hat. Wir stehen vor der großen Gefahr, durch diesen menschenverursachten Anstieg des CO2-Gehaltes das Klimasystem der Erde aus der Balance werfen. Auf der Pariser Klimakonferenz COP-21 einigten sich daher die Staaten der Erde darauf Anstrengungen zu unternehmen, um den Anstieg der Temperatur auf 1,5 - 2 Grad zu begrenzen. Dies erfordert eine rasche Reduktion des CO2-Ausstoßes, der besonders im Energiesektor beeinflusst werden kann, solange wir unsere Ernährungs- und Lebensgewohnheiten nicht ändern.

Reduktion des CO2-Ausstosses im Energiesektor kann durch zwei Maßnahmen erreicht werden: Erhöhung der Energieeffizienz sowie Erhöhung des Anteils der dekarbonisierten Energien am Energiemix. Kernenergie bietet keine Alternative: Die konkrete Gefahr der Freisetzung großer Mengen an radioaktivem Material bei Unfällen oder unsachgemäßer Endlagerung des radioaktiven Abfalls sowie auch die immer höher kletternden Kosten neuer Kernkraftwerke schließen diese Option aus. Daher bleibt nur der Weg, fossile Energieträger schnellstmöglich durch erneuerbare Energien zu ersetzen.

Hier stellt sich die Frage: Wie lässt sich der Fortschritt der Menschheit wie auch einzelner Staaten, Regionen und Gemeinden auf diesem Weg der globalen Transformation des Energiesystems quantitativ verfolgen? Die Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte zeigten, dass der CO2-Ausstoß sehr eng an das Wirtschaftswachstum gekoppelt ist: wachsende Wirtschaft bedeutet steigende CO2-Emissionen, jede Wirtschaftskrise führt zu einer Abflachung oder sogar Verringerung dieser Zahl. Daher ist der Umfang der CO2- Emissionen allein keine gute Messzahl, um Fortschritte bei der Transformation des Energiesystems zu verfolgen.

Der Energy Transformation Index ETI

Angeregt von einer graphischen Darstellung aus dem Jahr 2011 von Knut Kübler1, heute Pensionär des Bundeswirtschaftsministeriums, entwickelte Gerhard Stryi-Hipp zusammen mit mir am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE einen Index, der transparent ist, leicht nachzurechnen, und der es erlaubt, den Fortschritt jeden Landes, jeder Region, jeder Gemeinde auf dem Weg zur Energiewende Jahr für Jahr zu verfolgen. Die Idee war, aus Energieeffizienz und dem Anteil der erneuerbaren Energien am Energieverbrauch eine Kennzahl zu entwickeln: den Energy Transformation Index ETI. Zur Berechnung benötigt man lediglich drei Größen: den gesamten Energieverbrauch der betrachteten Einheit, den Anteil erneuerbarer Energien an diesem Energieverbrauch, und die Größe des Bruttoinlandsproduktes als Maß der Wirtschaftsleistung.

Der Index ergibt sich als arithmetisches Mittel von zwei Zahlen, dem Anteil erneuerbarer Energien am gesamten Energieverbrauch in Prozent, sowie der normierten Energieintensität des Sozialprodukts und beschreibt, wieviele kWh eingesetzt werden, um einen Euro Wirtschaftsleistung zu erbringen.

Um positive Entwicklungen mit steigendem Index zu beschreiben, verwenden wir die inverse Energieintensität, also EUR/kWh, und normieren sie auf eine anzustrebende Energieeffizienz, die einer Verdoppelung unserer augenblicklichen Effizienz entspräche, dies wäre EUR/kWh.

Eine detaillierte Veröffentlichung der neuesten ETI Ergebnisse und seiner Methodik ist in Arbeit, aber es lohnt sich, bereits einige wesentliche Ergebnisse zu betrachten. Die Abbildung zeigt die ETI Werte der besten 40 Länder und vergleicht das Ranking von 1990.

Ranking der Länder

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass das Ranking der einzelnen Länder nicht so wichtig ist wie die Veränderungen von Jahr zu Jahr. Länder wie Paraguay oder Sri Lanka stehen an der Spitze, weil sie auf der einen Seite wenig industrialisiert sind, auf der anderen Seite noch durch einen hohen Anteil der Nutzung klassischer erneuerbarer Energien, wie Wasserkraft und Holzverbrennung, gekennzeichnet sind. Die Schweiz dagegen hat eine sehr aktive Finanzwirtschaft, die natürlich vergleichsweise wenig Energie verbraucht, tut aber noch wenig, um den Anteil der erneuerbaren Energien, wie Wind oder Solar, zu erhöhen. Deutschland hat sich mit ETI 34 vom 63. Platz auf den 39. Platz vorgearbeitet, ist aber sicher noch nicht in der Spitzengruppe der industrialisierten Länder. Österreich steht mit 42 Punkten besser da, und hat sich um 7 Plätze auf den 23. Platz hochgearbeitet, durch gleichzeitige Verbesserung von Energieeffizienz und Anteil der Erneuerbaren.

Die Abbildung zeigt die Entwicklung der ETIs europäischer Länder seit 1990; eingesetzt ist der originale Graph von Knut Kübler, der bereits zeigte, wie sich Energieeffizienz und Anteil der erneuerbaren Energien für Deutschland entwickelten, ohne aber eine Messzahl wie den ETI zu berechnen.

ETI Länder-Ranking (ETI) der Top-40 Länder 2016, 1990, und Verbesserung des Ranking-Platzes 1990-2016

Die Ausgangs-Grafik von Knut Kübler 2011 (oben) stellt die Energieeffizienz Deutschlands als Funktion des Anteils erneuerbarer Energien dar. 1950 bis 1973 wächst der Energiebedarf und der Anteil der erneuerbaren Energien, besonders Wasserkraft, geht zurück. 1973 (Ölkrise!) bis 1990 steigt die Energieeffizienz, seit 1990 findet eine Verbesserung der Effizienz und ein Zubau erneuerbarer Energien, besonders Wind, Solar und Biomasse statt, also wachsender ETI! Fast alle europäischen Länder zeigen eine stärkere Zunahme der Effizienz als des Anteils erneuerbarer Energien.

Entwicklung des Energy Transformation Index (ETI) europäischer Länder 1990-2016.
Quelle: E.R. Weber und G.Stryl-Hip 2018, geplante Veröffentlichung.
GDP/BIP … Bruttoinlandsprodukt
PED/PEV … Primärenergieverbrauch
Normalized Efficiency … normierte Effizienz
RE … regenerative (erneuerbare) Energien

Die Spitzenländer haben also mit einem ETI um die 50 bereits etwa die Hälfte des Weges zum anzustrebenden ETI 100 zurück gelegt, Deutschland wie viele andere Länder dagegen erst ein Drittel. Erfreulich ist, dass international die Zahl der Länder mit ETI über 50 von nur fünf (1990) auf fünfzehn (2016) gestiegen ist, und der Länder mit ETI über 40 von zwölf (1990) auf 27 (2016)!
Die jährliche Verfolgung der Entwicklung des ETI wird uns zeigen, welche Länder auf dem gewünschten Weg weiter konsequent vorangehen.

Literatur

  1. Knut Kübler, BMWi, Forschungsverbund Erneuerbare Energien Jahrestagung 2011

Autor

Prof. Dr. Eicke R. Weber ist seit 2017 Direktor/CEO der Berkeley Education Alliance for Research in Singapur (BEARS). Von 2006 bis 2017 leitete er das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, und war Inhaber des Lehrstuhls für Physik/Solarenergie an der Fakultät für Mathematik und Physik sowie an der Technischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Prof. Weber erhielt für seine Arbeiten zahlreiche Auszeichnungen und Preise und ist Mitglied von Aufsichtsräten und beratenden Gremien von Firmen und Regierungen auf dem Feld der erneuerbaren Energien und der Transformation unseres Energiesystems.

 

Top of page