Zeitschrift EE

Zum Inhaltsverzeichnis

Von der Abwasserreinigungs- zur Ressourcenrückgewinnungsanlage

Von Judith Buchmaier, Wolfgang Glatzl

Die urbane Abwasserentsorgung ist derzeit ein klassisches End-of-pipe-System. Die konventionelle kommunale, biologische Abwasserreinigung beinhaltet energieintensive Prozesse. Die im Energielieferant Kohlenstoff gebundene Energie wie auch Nährstoffe – der Wertstoff Stickstoff – werden mit hohem elektrischen Energieaufwand über einen Belüftungsschritt vernichtet.

Im Projekt „AR-HES-B“ wurde das übergeordnete Ziel verfolgt, technologische Änderungen der kommunalen Abwasserreinigung zu entwickeln, um eine Transformation der kommunalen Abwasserreinigungsanlage (ARA) vom Energieverbraucher hin zum hybriden Energieerzeuger, Energiespeicher und Wertstoffbereitsteller zu erreichen. Durch neue Konzepte positioniert sich die kommunale Abwasserreinigung als eine wichtige Drehscheibe im überregionalen Energie- und Stoffaustausch sowie auch als intelligente Verknüpfung der Abwasser-, Strom-, Erdgas- und Fernwärmenetze.

Foto: iStock

Entscheidungshilfe für Stakeholder - Decision Support Tool

Im Rahmen des Projektes wurde ein Excel-Tool, das „Decision Support Tool“ (DEST), als Entscheidungshilfe für KläranlagenbetreiberInnen, VerantwortungsträgerInnen, NetzbetreiberInnen und TechnologieanbieterInnen entwickelt und angewandt. Das Ergebnis des Projektes ist außerdem ein detaillierter Leitfaden (Planungsleitfaden „Energie und Wertstoffe aus Abwasser“), der alle im Projekt bearbeiteten Themenbereiche zusammenfasst und als Vorschlagskatalog und Leitfaden zur Umsetzung und Bewertung konkreter Maßnahmen dient. Dafür wurden detaillierte Technologievariationen als zukünftige Szenarien untersucht. Ein Szenario wird exemplarisch in diesem Artikel beleuchtet.

Im Decision Support Tool können Szenarien angepasst an das spezifische Bedarfsprofil eines Kläranlagen-standortes in Verbindung mit den Lastprofilen lokaler Versorgernetze erstellt und optimiert werden.

Mit diesem Excel-Tool steht erstmals ein mächtiges Analysewerkzeug zur Verfügung. Für drei Kläranlagenstandorte wurden konkrete Umsetzungskonzepte ausgearbeitet und Realisierbarkeit, Nutzen, Potenziale und Impact der „Szenarien der Zukunft“ unter realen Annahmebedingungen veranschaulicht. Zudem kann der Nutzer/die Nutzerin des Tools ein zukünftiges Kläranlagenszenario im Excel-Tool visualisieren und mithilfe eines Szenarienvergleichs den anderen Konzepten gegenüberstellen.

Das „Decision Support Tool“ ist frei zugänglich und wird laufend weiterentwickelt. Der modulare Aufbau ermöglicht die einfache Implementierung neuer Technologien für neue Technologievariationen

Zukünftiges Szenario – Vergleich der Stoff- und Energiebilanzen

Das in der Abbildung dargestellte Konzept zeigt ein Szenario mit Membrandestillation, Wärmepumpe und Gasverkauf. Durch die Integration einer Membrandestillationsanlage zur Ammonium-Rückgewinnung können drei positive Effekte erzielt werden. Erstens kann Ammoniumsulfat als Dünger gewonnen werden, zweitens kommt es zur Einsparung von Strom im Hauptklärbecken (Belüftung für das Belebtschlammverfahren) und drittens kann die Biogasproduktion durch verringerten Kohlenstoff-Bedarf im Hauptklärbecken gesteigert werden. Der Wärmebedarf für Faulturm und Gebäude wird durch eine Wärmepumpe abgedeckt, deren Wärmequelle das gereinigte Abwasser ist. Durch die konstant hohe Quelltemperatur (nie unter 10 °C) und die geringe Bedarfstemperatur im Faulturm (38 °C) weist die Wärmepumpe einen hohen Jahresnutzungsgrad auf. Dadurch steht das gesamte erzeugte Biogas für eine externe Nutzung zur Verfügung und kann als Substitut für fossile Energiequellen eine exergetisch sinnvollere Verwendung finden. Einen Vergleich im Hinblick auf Stoff- und Energieströme einer Abwasserreinigungsanlage dieser Variante mit einem State-of-the-art-Szenario zeigt die Abbildung.

Vereinfachtes Blockdiagramm einer Abwasserreinigungsanlage mit Biogasverkauf, Wärmepumpeneinsatz und Integration einer Membrandestillationsanlage.

Stoff- und Energiebilanzen einer Abwasserreinigungsanlage mit 40.000 Einwohnergleichwerten für ein State-of-theart-Szenario mit Blockheizkraftwerk (BHKW) und ein Szenario mit Wärmepumpe (WP), Membrandestillationsanlage(MD) und Biogasverkauf. Der Input für das Energieflussdiagramm wird im entwickelten Decision Support Tool (DEST) automatisch generiert.

Über den Kennwert CSB (Chemischer Sauerstoffbedarf) wird der organisch gebundene Kohlenstoff bilanziert. In der Stickstoffbilanz wird der gesamte Stickstoff pro Tag (in kg (Nges)/d) angezeigt. Die Energiebilanz zeigt tägliche Durchschnittswerte. Die Szenarien wurden mit dem Decision Support Tool erstellt und untersucht.

Im Vergleich zu einem State-of-the-art-Konzept (Konzept 1) kann mit Konzept 2 der Biogasertrag um 19 % (1.652 kgCSB/d bzw. 5.792 kWh/Tag auf 1.965 kgCSB/Tag bzw. 6.879 kWh/Tag) gesteigert werden. Das wird durch drei Maßnahmen erreicht: Durch eine erweiterte Vorreinigung mit erhöhtem Schlammabzug, durch eine erhöhte Aufenthaltszeit im Faulturm und durch erhöhten Schlammabzug in der Hauptreinigung durch verringerte Stickstoff-Rückbelastung aufgrund der Membrandestillation.

Das erzeugte Biogas kann in Konzept 1 über ein Blockheizkraftwerk (BHKW) in Strom und Wärme umgewandelt werden. Die Energie-Bilanz zeigt jedoch ein Problem der Praxis auf: Der Wärmebedarf der Abwasserreinigungsanlage ist oftmals zu gering, um die gesamte erzeugte Wärme zu verbrauchen. Als Konsequenz muss entweder notgekühlt werden oder das Biogas abgefackelt werden – mit entsprechendem Entfall der Stromproduktion.

Das Konzept 2 hat einen doppelt so hohen Stromnetzbezug aufgrund des fehlenden BHKWs und des Strombedarfs für die Wärmepumpe. Gleichzeitig sinkt der eigentliche Strombedarf der ARA aufgrund der Entlastung der Hauptreinigung durch den Einsatz der Membrandestillation um 6% (3.705 statt 3.945 kWh/d). Sowohl der größere Faulturm als auch die Membrandestillation sorgen für einen erhöhten Wärmebedarf (3.212 statt 2.261 kWh/d)

Die Stickstoff-Bilanz weist die Produktion von Dünger als Wertstoff aus. Von den täglich 440 kg Stickstoff im Zulauf gelangen 60 kg in den hoch-konzentrierten Seitenstrom aus Faulturm und Schlammentwässerung.

Davon können 49 kg/Tag in Form von Ammonium durch die Membrandestillation abgetrennt werden und mit Schwefelsäure in 38 %-iger Ammoniumsulfatlösung gebunden und so 603 kg Dünger pro Tag produziert werden.

Schlussfolgerungen

Das Decision Support Tool erlaubt die Untersuchung verschiedener Technologie-Kombinationen in zukünftigen Szenarien. Das vorgestellte Konzept mit Wärmepumpe, erweiterter Vorklärung, Membrandestillation und Biogasverkauf stellt einen Paradigmenwechsel für Abwasserreinigungsanlagen dar. Die ARA erweitert ihr Service-Portfolio um den Verkauf von Biogas und Dünger und macht so einen Schritt hin zur Energie- und Ressourcenrückgewinnungsanlage. Ein profitabler Betrieb ist bei geringen Strompreisen und hohen Biogas- und Düngerverkaufspreisen möglich. Derzeit wird an zwei der drei am AR-HES-B-Projekt teilnehmenden Kläranlagen eine Umsetzung des vorgestellten Konzepts geplant.

Weiterführende Informationen

LINK zu Tool und Leitfaden www.ar-hes-b.aee-intec.at

Statement

"Die Kläranlage wird sich in Zukunft zu einer Ressourcenrückgewinnungsanlage weiterentwickeln.
Um die im Abwasser enthaltene chemisch gebundene und thermische Energie sowie die darin enthaltenen stofflichen Ressourcen (insbesondere N und P) optimal zu nutzen, braucht es Werkzeuge wie das Decision Support Tool zur Entscheidungsfindung hinsichtlich optimierter Konzepte."
Otto Nowak, Nowak Abwasserberatung GmbH, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Autorin

Dipl.-Ing Judith Buchmaier und Dipl.-Ing. Wolfgang Glatzl sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs Industrielle Prozesse und Energiesysteme bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Top of page