Zeitschrift EE

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Energieflexibilität von Gebäuden – Potenzial, Anwendung, Zukunft

Armin Knotzer, Tobias Weiss

In Zukunft wird der hohe Anteil von erneuerbaren Energieträgern bei der Einspeisung in Strom- und Wärmenetze einen Übergang von der rein am Bedarf ausgerichteten Energieproduktion („generation on demand“) zu einem an die Produktion angepassten Bedarf bzw. Verbrauch („consumption on demand“) bewirken. Das ist sinnvoll und notwendig, um die zwar kurzfristig vorhersagbare, aber zeitlich unbeeinflussbar erzeugte Energiemenge z. B. aus Wind- oder Solarstromanlagen, aber auch aus Solarthermieanlagen, gezielter direkt nutzen zu können. Das entlastet die Netze und verringert die Speichernotwendigkeiten. Die Schwankungen des Energieangebots nur mit Hilfe von Spitzenkraftwerken und großen Speichern auszugleichen, ist kostenintensiv. Die den Gebäuden innewohnende Energieflexibilität kann zur Stabilisierung der Energienetze, und zwar Strom- UND Wärmenetze, genutzt werden; der Energiebedarf kann durch intelligente Nutzung und Regelung zeitlich verschoben werden. Die Energieflexibilität von Gebäuden ermöglicht somit eine Laststeuerung auf der Nachfrageseite, abgestimmt entweder auf die Eigenbedarfsdeckung und/oder auf die Anforderungen der umgebenden Netze.

Nahezu-Nullenergie-Gebäude, die auch Energie produzieren und speichern wie hier in Kapfenberg, weisen ein hohes Potenzial für Energieflexibilität auf. Foto: AEE INTEC

In einem internationalen Projekt - IEA EBC Annex 67 „Energie-flexible Gebäude“ - wird derzeit gerade eine Methode zur Charakterisierung der Energieflexibilität in Gebäuden erprobt. Die Energieflexibilität eines Gebäudes ist laut Definition der ExpertInnengruppe dieses Projekts die Fähigkeit, dessen Energiebedarf und -erzeugung entsprechend den lokalen Klimabedingungen, den NutzerInnen- und den Netzanforderungen zu steuern. Parallel legt die EU-Kommission eine Überarbeitung der EU-Gebäuderichtlinie vor, die einen „Smart Readiness“- Indikator zur Bewertung der „Intelligenz“ von Gebäuden beinhalten soll. Die nächste Generation von Gebäuden soll potenziell sehr wenig Energie verbrauchen, der verbleibende Rest wird möglichst vor Ort aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt und angepasst an diese Produktion verbraucht. Die Steuerung und das Management dieser angepassten Energieflüsse im Austausch mit den Energienetzen für Strom und Wärme ist ein zentrales Element dieser neuen Gebäudegeneration.

Grundlagen und Wert der Energieflexibilität

Zur Quantifizierung der Energieflexibilität von Gebäudelasten schlagen Six et al. vor, die Anzahl der Stunden zu berechnen, die das Energiesystem verzögert betrieben werden kann1. In Übereinstimmung damit ist die Definition von Flexibilität "die maximale Zeit, die eine bestimmte Stromentnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt des Tages verzögert oder zusätzlich in Anspruch genommen werden kann" 2. Flexibilität wird bei Wärmelasten auch als "die Fähigkeit, vom thermischen Referenzlastprofil abzuweichen" 3 definiert. Lastmanagement-Maßnahmen verringern aber nicht notwendigerweise den Energieverbrauch, sondern werden zur Stabilisierung der Energienetze und zur besseren Integration erneuerbarer Energiequellen und damit zur Reduktion von -Emissionen genutzt (siehe Konzept des NZEB II in nachfolgender Abbildung).

Die Weiterentwicklung von Gebäudestandards: Energie-flexible (EF) Gebäude oder NZEB II – „Nullenergiegebäude der 2. Generation“ - verbrauchen zwar gebäudebezogen mehr Energie, diese aber angepasst an das jeweilige örtliche und zeitliche Angebot an erneuerbaren Quellen (RES). Das ergibt gesamt - bezogen auf das übergeordnete Energiesystem - weniger CO2-Emissionen.

In den nächsten 30 Jahren wird das Energiesystem jedenfalls einen Wandel hin zu erneuerbaren Energiequellen bringen, die sukzessive die herkömmlichen Grundlastkraftwerke, betrieben mit Atom- und vor allem Kohlekraft, ersetzen werden. Die erneuerbaren Energiequellen senken schon derzeit die Grenzkosten dieser Grundversorgung und drücken den Marktpreis – diese Entwicklung wird weitergehen. Kurzfristige Spitzenlast durch flinke Öl- und besonders Gaskraftwerke ist schwerer alternativ zu ersetzen – hier könnte aber die Energieflexibilität in Zukunft zum Tragen kommen, indem sie durch zeitlich verschiebbare Lasten die Spitzen markant reduziert. Da Spitzenlasten mit hohen Grenzkosten bereitgestellt werden, würde auch die Wertigkeit der Energieflexibilität hoch sein und verschiedene Geschäftsmodelle könnten darauf aufbauen. Hier steht die Entwicklung aber noch am Beginn.

Methode zur Charakterisierung und Labeling

Um die Methodik zu harmonisieren und die Vergleichbarkeit verschiedener Studien zu erhöhen, wird im Projekt IEA EBC Annex 67 folgende Charakterisierung vorgeschlagen: Die Energieflexibilität wird entsprechend der Reaktion des „Energiesystems Gebäude“ auf ein politisch, ökologisch oder markttechnisch gesteuertes Signal quantifiziert. Wie in der Abbildung dargestellt, können so Indikatoren für Energieflexibilität abgeleitet werden.

Schematisches Beispiel für die Reaktion bzw. Antwort - hier des Strombedarfs eines Gebäudes - auf ein Steuerungssignal, wobei τ die Zeit ist, bis das Signal zu greifen beginnt, α ist die Zeitspanne vom Beginn der Antwort bis zur maximalen Antwort Δ, β ist die Dauer der Antwort, A ist die verschobene Menge an Energie, B ist die benötigte Energie, um das System wieder in den "Referenz"-Zustand zu bringen4.

Diese Methodik stellt Energieflexibilität als Energiemenge dar, die ein Gebäude als Reaktion auf externe Einflussfaktoren verschieben kann, ohne die Komfortbedingungen der BewohnerInnen zu beeinträchtigen und das Haustechniksystem zu ändern. Folglich ist Energieflexibilität eines Gebäudes kein statisch festgelegter Wert, sondern variiert in Abhängigkeit von Rahmenbedingungen wie z. B. Klima, Gebäudestandard, Steuerungssystem etc. und dem externen Steuersignal, das eine Systemreaktion auslöst. Diese Reaktion minimiert den Effekt des externen Signals auf das System durch z. B. Verschieben des Energiebedarfs. Das externe Signal kann so gestaltet sein, dass dadurch der Energieverbrauch, die Kosten oder der -Fußabdruck des Gebäudes minimiert wird - oder eine Kombination dieser Kriterien. Um Gebäude vergleichen bzw. labeln zu können, wird dann die erfolgte -Emissionseinsparung (mit Signal) in Relation zu einem Referenzsystem (ohne Signal) gesetzt.

Potenziale und Beispiele

Die Wärmespeicherkapazitäten in den Bauteilen, die Anzahl und Größe von Warmwasserspeichern und Batterien, die Anzahl und Ausstattung mit elektrischen Geräten und Verbrauchern wie z. B. Wärmepumpen, die jeweilig in Verwendung befindlichen Regelungssysteme und Ähnliches bestimmen das nutzbare Potenzial der Energieflexibilität in Gebäuden. Die Fähigkeit, das Potenzial an Energieflexibilität in einem Gebäude auszuschöpfen, hängt in hohem Maße von der gebäudetechnischen Ausstattung und der konstruktiven, bauphysikalischen Struktur eines Gebäudes ab und wird bereits in der Planungsphase maßgeblich festgelegt. Bei unterschiedlichen Gebäudetypologien zeigt sich, dass Bestandsgebäude zwar einen großen Einfluss auf kurzfristig verschiebbare hohe Spitzenlasten haben, aber die Entlastung von Strom- und Wärmenetzen über mehrere Stunden nur mit Hilfe von energetischen Sanierungsmaßnahmen bzw. -strategien bis zum Plusenergiegebäudestandard funktionieren kann. Werden in Abhängigkeit der lokalen Bedingungen und des NutzerInnenkomforts konstruktive, bauphysikalische Eigenschaften, Gebäudetechnik, Regelungsstrategie und Speichertechnologien hinsichtlich ihrer Flexibilisierungs-Potenziale mittels dynamischer Gebäudesimulationen analysiert, zeigt sich, dass Gebäude mit zum Beispiel Bauteilaktivierung oder größeren Speichern um einiges mehr Flexibilität aufweisen.

Anhand des Auskühlverhaltens österreicher Gebäudetypologien und Optimierungsszenarien lassen sich Lastmanagementpotenziale zeigen. Links oben Bestandsgebäude mit hoher Heizlast und geringer Flexibilität, rechts unten Nahezu-Nullenergie-Gebäude mit hoher zeitlicher Flexibilität. Bildquelle: Tobias Weiß AEE INTEC - Auszug aus dem Dissertationsvorhaben „EFLEX-NZEB“ FFG Projektnummer: 856025 (Referenzwoche Jänner - Komfortband 19°C-22°C lt. EN1525). Tabula Datenbank unter: http://www.episcope.eu/building-typology/country/at

Fazit und Ausblick auf die „Smart Readiness“ von Gebäuden

Gebäude zeichnen sich zukünftig nicht mehr nur durch ihre Energieeffizienz aus. Gebäude interagieren mit umliegenden Gebäuden und Energiesystemen. Durch die Nutzung ihres innewohnenden Potenzials können Gebäude den umgebenden Energienetzen Energieflexibilität anbieten. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse ist es wichtig, die Aufmerksamkeit neben der statischen Energieeffizienzbewertung einzelner Gebäude hin auf eine dynamische -Emissionsoptimierung im übergeordneten Energienetz zu lenken. Energieflexibilität wird als wichtiger Teil der „Smartness“ von Gebäuden gesehen. In der aktuellen Erstellung eines Vorschlags der EU für einen "Smart Readiness"-Indikator wurde vom IEA EBC Annex 67 ein Positionspapier verfasst, um zur Beschreibung dieser „Smartness“ beizutragen. AEE INTEC wird 2018/2019 in einem Konsortium mit 17&4 Organisationsberatung, Technologieplattform Smart Grids Austria und der Fachhochschule Technikum Wien einen nationalen Vorschlag für den "Smart Readiness"-Indikator erstellen.

Statement

"Notwendiges Wissen über die aktuellen Vorgänge in einem Gebäude kann aus den Komponenten der technischen Gebäudeausrüstung und Smart Metern abgeleitet werden. Eine Vielzahl an unterschiedlichen Technologien steht bei der Gebäudeautomation zur Verfügung. Um diese Heterogenität in den Griff zu bekommen und offene Building-to-grid-Applikationen zu realisieren, bieten das "Semantic Web" und das industrielle "Internet der Dinge" spannende Ansätze zur Wissensrepräsentation bzw. Datenübertragung. An diesen Forschungsfragen arbeiten wir im Forschungsbereich Automation Systems der TU Wien unter anderem in Kooperation mit AEE INTEC im Rahmen unserer IEA EBC Annex 67 Beteiligung."

Wolfgang Kastner, TU Wien, Institut für Computer Engineering, Research Division Automation Systems

Autoren

Dipl.-Ing. Armin Knotzer und Dipl.-Ing. Tobias Weiss sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Bauen und Sanieren“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dieses Projekt wird im Rahmen der IEA-Forschungskooperation im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie durchgeführt.

Weiterführende Informationen

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