Zeitschrift EE

Zurück zu 2018-04

Mehr Flexibilität und mehr Erneuerbare in der netzgebundenen Wärmeversorgung

Christian Fink, Ingo Leusbrock

Im Jahr 2016 betrug der Raumwärmebedarf Österreichs ca. 87 TWh/a (Gesamtenergiebedarf: 311 TWh/a)1. Ein Viertel davon wird über netzgebundene Wärmeversorgung durch mehr als 2000 Fernwärmesysteme bereitgestellt. Damit spielt der Nah- und Fernwärmesektor bereits heute eine zentrale Rolle in der Energieversorgung Österreichs. Durch die bereits installierte Infrastruktur (ca. 5.400 km Leitungslänge2), das vorhandene Ausbaupotenzial besonders im dichten urbanen Raum, den Einsatz neuer Konzepte, Technologien und erneuerbarer Energieträger, der Nutzung von Möglichkeiten zur Sektorkopplung und die dadurch erreichbaren Beiträge zur Dekarbonisierung unseres Energiesystems erhält der Sektor zukünftig eine gesteigerte Bedeutung.

Flexibilitätselemente als zentrale Bausteine eines zukünftigen Energiesystems

In einem nachhaltigen und vollständig dekarbonisierten Energiesystem werden z. B. große Anteile an erneuerbaren, mitunter volatilen Energieträgern, integrierte Sektorkopplung, dezentralisierte Energieumwandlungsstrukturen, etc. zu einer erheblich gesteigerten Systemkomplexität führen. Gleichzeitig müssen die Versorgungssicherheit gewahrt sowie die Energiekosten für die Endkunden erschwinglich bleiben. Dies kann nur durch eine erhöhte Flexibilität des Gesamtsystems, das ein intelligentes Zusammenspiel von technischen Elementen und nicht-technischen Elementen erlaubt, erreicht werden.

Fernwärmesysteme eignen sich hervorragend für Maßnahmen zur Erhöhung der Flexibilität in Bezug auf Sektorkopplung, der Integration erneuerbarer Energiequellen, der Abwärmenutzung, den Einsatz von Wärmespeichern, neuen Betriebsstrategien und der Integration des Nutzers. Diese Flexibilisierungspotenziale können noch gesteigert werden, wenn ganzheitliche Ansätze verfolgt werden sowie neue wissenschaftliche Methoden für Simulation und Optimierung in der Planung, Implementierung und im Betrieb eingesetzt werden.

Das Leitprojekt „Thermaflex“

Genau hier setzt das Leitprojekt „Thermaflex“ an, das sich innerhalb der Vorzeigeregion „Green Energy Lab“ schwerpunktmäßig mit der Erhöhung der Energieflexibilität und den daraus resultierenden CO2-Emissionsreduktionen im Fernwärmesektor beschäftigt. 27 Projektpartner (Fernwärmenetzbetreiber, Technologieanbieter und Forschungseinrichtungen) bearbeiten in acht Arbeitspaketen die Identifikation, die simulationsgestützte Planung, Bewertung und Auswahl als auch die Umsetzung in Kombination mit detailliertem Monitoring und daraus resultierender Optimierung von Flexibilisierungsmaßnahmen. Im Fokus stehen dabei sieben beispielhafte Demonstratoren in Fernwärmeversorgungsgebieten von kleinen, mittleren und großen Städten. Das Fördervolumen für Thermaflex und ausgewählte Demonstratoren beträgt ca. acht Mio. Euro und macht dieses Projekt in Bezug auf das gesamte Fördervolumen zum größten Projekt im Zuge der zweiten Ausschreibung des Programms „Vorzeigeregion Energie“.

Beispiele möglicher Flexibilisierungselemente im Fernwärmesektor Quelle: AEE INTEC

Flexibilisierung von Fernwärmesystemen anhand von sieben Demonstratoren

Beispielhafte Darstellung der im Demonstrator “Virtuelles Heizwerk Gleisdorf ” geplanten Maßnahmen inkl. des aktuellen Fernwärmeausbaus (blau) und der geplanten Erweiterungsgebiete (blau-strichliert). Quelle: AEE INTEC

Die Bearbeitung des Forschungsprojektes „Thermaflex“ basiert dabei auf der wissenschaftlichen Begleitung der sieben ausgewählten und nachfolgend dargestellten Demonstratoren auf systemischer Ebene entlang des gesamten Prozesses von Idee und Konzeptentwicklung über Planung und Umsetzung bis zu Inbetriebnahme, Monitoring sowie Bewertung und fortlaufender Optimierung:

  • Virtuelles Heizwerk Gleisdorf
    Zentrales Element des Vorhabens in Gleisdorf ist die Kopplung der Abwasserreinigungsanlage mit der Energieversorgung der Stadt Gleisdorf. Durch gezielte Optimierungsmaßnahmen soll der Biogasoutput des Kläranlagenfaulturms gesteigert werden und das überschüssige Biogas in einer Biogas-KWK-Anlage für erneuerbaren Strom und Wärme sorgen. Die Wärme soll dabei in das kontinuierlich wachsende Netz der Stadtwerke Gleisdorf eingespeist werden, der Strom wird ebenfalls eingespeist bzw. für den Eigenbedarf verwendet. Diese Anlage ergänzt ein Portfolio an verteilten Erzeugungsanlagen bestehend aus Biomasseanlage (1,7 MWth), Solarthermieanlage (0,7 MWth) und Spitzenlastkessel auf Basis von Erdgas (3 MWth). Ein Großwasserwärmespeicher von 500 m³, Rücklauftemperaturabsenkung durch gezielte Objektversorgung aus dem Rücklauf und eine simulationsgestützte, smarte Regelung sind als weitere Elemente des „Virtuellen Heizwerks“ geplant.
  • Müllverbrennungsanlage Spittelau
    In diesem Projekt ist geplant, die anfallende Abwärme aus der Rauchgaskondensation der Müllverbrennungsanlage in der Spittelau in Wien als Quelle für eine Hochtemperatur-Wärmepumpe zu nutzen und unter Einbezug der Erkenntnisse aus dem Test verschiedener Betriebsstrategien eine direkte Einspeisung ins primäre Fernwärmenetz der Stadt Wien zu ermöglichen. Die thermische Leistung der geplanten Wärmepumpe liegt bei mehr als 10 MW.
  • Big Solar Salzburg
    Die Studie prüft die Möglichkeiten zur Integration eines BigSolar-Ansatzes in das Fernwärmenetz der Stadt Salzburg. Die wesentlichen Elemente des Konzeptes bilden ein zentrales Solar-Kollektorfeld in Verbindung mit einem Großwasserwärmespeicher in direkter Kopplung mit einer Großwärmepumpe. Je nach Größe könnte das System ersten Abschätzungen nach jährlich bis zu 30 GWh zur Einspeisung in das Fernwärmenetz bereitstellen.
  • Low-Carbon-Fernwärme für die Stadt Leibnitz
    Die Möglichkeit der gezielten Nutzung von Abwärme eines Produktionsbetriebes bildet die Basis für das Vorhaben eines beschleunigten Ausbaus des Fernwärmegebietes durch den multidirektionalen Zusammenschluss von bestehenden Wärmenetzgebieten unterschiedlicher Eigentümer. Aufgrund des Netzzusammenschlusses und des Einsatzes von Großwasserspeichern (insgesamt ca. 1.000 m³) wird die nicht permanent verfügbare Abwärme in optimierter Abstimmung mit dem Portfolio an verteilten Erzeugungsanlagen (insgesamt ca. 20 MWth) und smarter Regelung bestmöglich genutzt werden können.
  • Konzeptionierung Ökoenergiepark Salzburg-Süd
    Um in Salzburg-Süd derzeit nicht nutzbare Niedertemperatur-Abwärmepotenziale aus einem Industriebetrieb zu erschließen, soll die Rücklauftemperatur der bestehenden Abwärmeschiene Salzburg-Hallein gesenkt werden. Dazu ist eine Absorptionswärmepumpe im MW-Bereich angedacht, welche die Antriebsenergie aus dem Abdampf einer zu errichtenden und mit Biomasse angetriebenen Kraft-Wärme-Kopplungsanlage beziehen soll. Das Gesamtpaket soll mit hoher Flexibilität eine zusätzliche Leistung von ca. 30 MWth auf Basis von Abwärme und Biomasse ermöglichen und wäre ein wesentlicher Beitrag zur Dekarbonisierung der Fernwärme in Salzburg Stadt.
  • Wärmerückgewinnung aus Abwasser in Wien-Liesing
    Basierend auf umfangreichen Voruntersuchungen soll am Standort Wien-Liesing dem Abwasser im dortigen Kanal (Temperatur 10 - 14°C) Energie entzogen werden, um mit einer Kompressionswärmepumpe kontinuierlich Wärme in das sekundäre Fernwärmenetz (Vorlauftemperaturen: 63˚C (Sommer) – 95 ˚C (Winter)) des Stadtteils einzuspeisen. Die Heizleistung der Gesamtanlage soll mehr als 500 kW aufweisen. Die Einspeisung erfolgt bis zu einem Temperaturniveau von 70°C.
  • Energy Island Weiz Das Stadtquartier Weiz-Nord (ca. 10 Hektar Grundfläche) wird in den nächsten Jahren dynamisch entwickelt und soll bilanziell zu 100 % mit erneuerbarer Energie aus dem Quartier, der Stadt und der Region versorgt werden. Da Fernwärme- bzw. Insellösungen für netzgebundene Wärme- und Kälterversorgung in diesem Quartier eine zentrale Rolle spielen, soll innerhalb von „Thermaflex“ die Quartiersentwicklung begleitet werden.

Das Leitprojekt „Thermaflex“ startete im November 2018, wird unter der Leitung von AEE INTEC durchgeführt und ist für einen Zeitraum von vier Jahren anberaumt.

Autoren

Prok. Ing. Christian Fink leitet den Bereich „Thermische Energietechnologien und hybride Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Dr. Ingo Leusbrock leitet die Arbeitsgruppe „Netzgebundene Energieversorgung und Energiesystemanalysen“ bei AEE INTEC.

Statement

"Die Identifikation, die Bewertung und die Nutzung von Flexibilitäten in der Fernwärme sind eine zentrale Aufgabe jedes Energieversorgers. Durch intelligente Flexibilisierungsmaßnahmen und Sektorkopplung (wie z.B.: Power2Heat) kann ein städtisches Fernwärmesystem aus einem bestehenden und zukünftigen Anlagenportfolio technisch effizient, kostengünstig und mit höheren Anteilen erneuerbarer Energieträger versorgt werden. Ob der Wichtigkeit des Themas freut sich die Salzburg AG auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit und den Austausch im Forschungs- und Umsetzungsprojekt "Thermaflex"." - Sebastian Schuller, Leiter Asset Management Erzeugung Salzburg AG

Literatur

  1. BMWFW, 2017: Energie in Österreich - Zahlen, Daten, Fakten; Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft; Wien, 2017
  2. FGW, 2017: Zahlenspiegel 2017 - Erdgas und Fernwärme in Österreich; Wien, 2017
Top of page