Zeitschrift EE

nt 04 | 2020 Digitalisierung im Energiesektor

Basak Falay

Als Türkin weiß ich aus eigener Erfahrung, wie sehr Wirtschaft und dadurch auch Politik von Energieimporten, in der Türkei hauptsächlich Erdgas, abhängig sind. Der britische Philosoph und Autor John N. Gray schreibt in diesem Zusammenhang: “Diejenigen, die das Öl und das Wasser kontrollieren, werden die Welt kontrollieren.” Rückblickend gesehen, schien Nuklearenergie ein vielversprechender Ersatz zu sein, fossile Energieträger und die daraus entstehende Abhängigkeit zu überwinden. Daher schloss ich in der Türkei ein Nuklearenergiestudium ab. Das war lange bevor ich mich mit “Nachhaltigkeit” beschäftigte. Auch wenn es das “Nachhaltigkeitskonzept” seit fast 30 Jahren gibt, brachte erst die Einsicht über die globale Erwärmung Regierungen dazu, Nachhaltigkeitsziele in Gesetzen und Anreizinstrumenten zu verankern. Nachdem die Europäische Union sich 2009 das Ziel “20 Prozent Erneuerbare im Jahr 2020” setzte und eine Führungsrolle in Hinsicht auf eine nachhaltige Zukunft einnahm, beschloss ich meine berufliche Karriere nachhaltigen Energiesystemen zu widmen und ab 2015 ein Masterstudium in Österreich zu absolvieren.

Foto: AEE INTEC

Meine Reise mit AEE INTEC begann 2017 mit meiner Diplomarbeit, die ich in der damaligen Gruppe “Netzgebundene Energiesysteme und Systemanalysen” schrieb. Die Forschungsthemen mit denen wir uns im Bereich “Städte und Netze” beschäftigen sind: “Integrierte Energiesysteme”, “Systemanalysen”, “Fernwärme und Fernkälte”.

Studien zeigen, dass für die Steigerung des Anteils erneuerbarer Energie eine Transformation des derzeitigen Energiesystems notwendig ist. Die Energieversorgungssysteme müssen modernisiert und effizienter, resilienter und flexibler werden. Dahingehende Forschungsfragen bearbeiten wir mittels Simulationen und Modellierungen. Herausforderungen bei meinen Arbeiten veranlassten mich 2018, eine Dissertation zu beginnen. Mein PhD-Projekt untersucht die Rahmenbedingungen für die effiziente Modellierung und Simulation großer, flexibler Fernwärme- und Fernkältesysteme. Frustrationen sind für eine PhD-Studentin unvermeidbar, doch ich schätze mich glücklich, umgeben von fachkundigen und hilfsbereiten KollegInnen zu arbeiten, mit denen wertvoller intellektueller Austausch von Ideen möglich ist.

Foto: privat

Ich genieße die Arbeit in Europa, wo der “Green Deal”, ein Set an politischen Initiativen um bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, in Kraft ist. Besonders freut mich, dass unsere Arbeit in Österreich anerkannt und unterstützt wird. Abgesehen von der Arbeit lebe ich gerne hier, wo man überall schöne Landschaften findet und mit der Natur in Kontakt kommt. Die Regentage verbringe ich mit malen, lesen und seit einigen Wochen versuche ich mit der Ukulele einen Hit zu landen. Ich versuche auch aus der Komfortzone hinauszutreten und genieße die Aufregung unbekannter Erfahrungen, wie es sich zum Beispiel anfühlt, sich die Knochen beim Anfänger-Montainbiken zu brechen oder einen Herzanfall bei einer leichten Skitour zu haben. Spaß beiseite, ich schätze das persönliche Wachsen durch Erfahrungen, die ich in Österreich in den letzten fünf Jahren machen konnte.

nt 04 | 2020 Digitalisierung im Energiesektor

Ausgezeichnet!

Die internationale BauSIM-Konferenz wird unter der Schirmherrschaft von IBPSA (International Building Performance and Simulation Association) Germany and Austria veranstaltet und findet alle zwei Jahre statt. Im Zentrum der Konferenz stehen energetische und ökologische Gebäude- und Quartiersimulationen und die zugrundeliegenden Methoden.

Ermittlung der richtungsabhängigen Strahlungssensitivität einer stehenden Person zur Evaluierung der Wirkung urbander Hitzeinseln. Quelle: AEE INTEC

2020 war die Technische Universität Graz Gastgeberin der Veranstaltung. Trotz der erschwerten Umstände aufgrund der Coronapandemie wurden von zahlreichen Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit insgesamt 133 spannende und aktuelle Forschungsbeiträge eingereicht. Aus allen Einreichungen wurde eine wissenschaftliche Publikation von AEE INTEC als BEST CONFERENCE PAPER ausgezeichnet. Die Arbeit wurde von Daniel Rüdisser, Tobias Weiss und Lukas Unger (Skyability GmbH) im Rahmen des Projekts Smart City Sensing (SmaCiSe) verfasst und legt die wissenschaftliche Fundierung für die im Projekt entwickelte neuartige Methode zur Analyse des thermischen Komforts im urbanen Raum dar. Im Projekt werden mit Hilfe von Drohnen Messdaten gewonnen, die die Auswertung der lokalen Strahlungseinwirkungen auf den Menschen erlaubt.

Der Wärmehaushalt des menschlichen Körpers, bzw. der Wärmeaustausch mit der Umgebung wird einerseits durch den direkten Kontakt mit dem Luftkörper (Haut und Atmung) beeinflusst. Hierbei wirken die Größen Lufttemperatur, Luftfeuchte und Strömungsgeschwindigkeit bestimmend. Andererseits steht der Körper auch in permanentem Strahlungsaustausch mit der Umgebung. Hierbei gilt es einerseits die thermische Strahlung und andererseits direkte, gestreute und reflektierte Solarstrahlung zu berücksichtigen. Besonders in heißen, städtischen Umgebungen bildet die Strahlung den maßgeblichen Einflussfaktor. Aus diesem Grunde hat die bei AEE INTEC entwickelte Methode besonderes Augenmerk auf die Messung und Berechnung der Strahlungswechselwirkung des Körpers mit der Umgebung gelegt. Dabei wurden sowohl für die Modellierung der „Empfängerseite“ (Mensch), als auch der „Senderseite“ (Umgebung) gänzlich neue Beschreibungsmethoden entwickelt. Ein menschlicher „Dummy“ wird dabei in einem virtuellen Stadtmodell positioniert, in welches zuvor die mittels der Drohnen gemessenen Strahlungsdaten aufwändig übertragen werden. Die tatsächliche lokale Strahlungseinwirkung auf Menschen kann dann für jeden Punkt des ausgewerteten Bereichs mittels einer sogenannten Monte-Carlo-Sampling- Methode exakt ermittelt werden.

Die akademische Auszeichnung stellt eine externe und objektive Bestätigung für die hervorragende akademische Arbeit, welche bei AEE INTEC geleistet wird, dar.

Weiterführende Informationen

SmaCiSe Projekt-Video https://www.atv.at/road-to-digital-austria/staffel-2-folge-25/d3139056/

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Belebung von Gemeinden durch innovative Energie- und Flächennutzung

Eine der zentralen Aufgaben einer Gemeinde wie Stanz im Mürztal ist es, durch Innovationen in unterschiedlichen kommunalen Handlungsfeldern die Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität der Gemeinde zu steigern und dadurch den Abwanderungs- und Schrumpfungsprozess zu stoppen. Durch das Einbeziehen der relevanten Interessensgruppen werden Maßnahmen gesetzt, welche Stanz lebenswerter machen und gleichzeitig die lokale Wertschöpfung durch nachhaltige Energieversorgung und Wirtschaftsweise steigern.

Foto: Karoline Karner

Als „Best-Practice“ eines innovativen Plusenergiequartiers im Ortskern einer kleineren Gemeinde sollen multiplizierbare Lösungen für Gemeinden mit ähnlichen Herausforderungen auf nationaler und internationaler Ebene geschaffen werden. Ziel ist es in Stanz, die Versorgung mit erneuerbaren Energieträgern von derzeit etwa 30 Prozent auf möglichst 100 Prozent zu erhöhen. In der Gemeinde sollen Beteiligungs- und Finanzierungsmodelle (lokale Energiegemeinschaften, BürgerInnenbeteiligung) und die Steigerung der Energieflexibilität im hybriden Netz gemeinsam mit GemeindebürgerInnen in der „Rural Pioneers Community“ entwickelt werden. Parallel läuft die Optimierung und Erweiterung der örtlichen Energienetze für Wärme und Strom sowie Lösungen zu deren intelligenten Nutzung. Durch neue Ansätze des Flächensparens und der verträglichen Nachverdichtung werden verstärkt zentrale Bereiche für Wohnen und Wirtschaft genutzt und der Ortskern revitalisiert und belebt. Dadurch wird dem Trend der Flächenversiegelung guter landwirtschaftlicher Böden in Tallagen entgegengewirkt. Die Verminderung des Energieverbrauches fokussiert auf die Sanierung einiger Bestandsgebäude im Ortskern sowie den Neubau des Musikverein-Hauses.

Nach einer Bestandserhebung und Sammlung der Produktionsmöglichkeiten erneuerbarer Energieträger im Gemeindegebiet und der Nachbarschaft werden zusammen mit dem Ausbau und der Optimierung der Energienetze im Ortskern innovative Energielösungen mit der Integration von Großspeichern und unter Nutzung von Flexibilitätspotenzialen erarbeitet. Neue Energienutzungskonzepte für bestehende und neue Gebäude zielen auf eine 50-prozentige CO2-Emissionsreduktion im Gebäudebestand. Die Errichtung und Flexibilisierung eines neuen Biomasse-Wärme- und Stromnetzes im Ortskern von Stanz soll umgesetzt werden, wobei Wasser- und Windkraft sowie deren Stromüberschüsse in die Energieversorgung eingebunden werden und die gezielte Errichtung von Photovoltaik auf Dachflächen zur Erhöhung des Solaranteils beiträgt. Messungen in den Energienetzen und den Gebäuden sollen die Effizienz und Effektivität der Maßnahmen bestätigen.

Auftraggeber

Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie

Projektpartner

Gemeinde Stanz im Mürztal, AEE – Institut für Nachhaltige Technologien, Nussmüller Architekten ZT GmbH agentur scan, Raum/Markt/Gesellschaft, UET Handelsges.m.b.H.

Ansprechpartner

Dipl.-Ing. Armin Knotzer, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Neue Impulse für die hocheffiziente energetische Sanierung von Geschoßwohnbauten und Quartieren

RENEWnow sondiert einen Lösungsansatz für die hocheffiziente Sanierung von Mehrfamilienhäusern in Österreich. Das Ziel ist es, durch einen gezielten, neuartigen Mix aus technischen und nichttechnischen Maßnahmen ein neues Dienstleistungsmodell (OneStop-Shop) für Hausverwaltungen und Eigentümergemeinschaften zu entwickeln.

Die Gründe für die derzeit geringen Sanierungsaktivitäten sind mannigfaltig. Bei den aktuell üblichen Sanierungsprozessen, -techniken und -kosten bzw. den sehr niedrigen Preisen für fossile Energieträger und elektrischen Strom reichen die Rücklagen aus den monatlichen Betriebskostenabrechnungen für Hausverwaltungen nicht aus, um umfassende Sanierungen durchzuführen, ohne die Mietkosten erheblich zu erhöhen. Nachteilig und sowohl volks- als auch betriebswirtschaftlich falsch ist dabei, dass eine Bilanzierung sämtlicher Kosten nicht über den Lebenszyklus der Gebäude erfolgt

Gleichzeitig sind die Arbeiten für übliche Sanierungsprozesse und -techniken sehr zeitintensiv und erfordern monatelange Arbeiten vor Ort inkl. Verwendung von Baugerüsten bzw. sogar zwischenzeitliche Aussiedelungen der BewohnerInnen. Weitere Hemmnisse sind verteilte Eigentümerstrukturen, aufwendige Organisations- und Abwicklungsprozesse sowie sämtliche Fragen zur Risikoübernahme in Bezug auf Umsetzungsqualität und Energieeinsparung.

Dienstleistungsangebote ähnlich dem niederländischen Konzept Stroomversnelling (bzw. international besser bekannt als Energiesprong), welches eine hocheffiziente Sanierung aus einer Hand für Einfamilienhäuser anbietet, werden dringend gebraucht. Für den Geschoßwohnbau könnten das sogenannte OneStop-Shops sein, die ähnlich wie Generalunternehmer, aber mit deutlich erweiterten Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten auftreten.

Parallel dazu braucht es gänzlich neue Sanierungsabläufe, die bau- und haustechnische Systeme sowie Energieumwandlung auf Basis erneuerbarer Energieträger verschmelzen und eine erhebliche Kostenreduktion bei gleichzeitiger Steigerung der Sanierungsqualität durch Standardisierung und industrielle Vorfertigung ermöglichen.

In diesem Sondierungsprojekt soll ein neuer Ansatz für die hocheffiziente Sanierung von Mehrfamilienhäusern in Österreich definiert und analysiert werden. Dieser Ansatz hat das Potenzial, den Sanierungsmarkt zu mobilisieren und die Sanierungsrate von derzeit unter ein Prozent um das 3 bis 5-fache anzuheben. Das Dienstleistungsmodell adressiert dabei die Themen Gesamtorganisation, Vertragserrichtung, Planung, Finanzierung, Umsetzung, Betriebsführung, Verrechnung, Komfortverantwortung sowie das Risiko in Bezug auf Umsetzungsqualität und erzielte Einsparungen. Zum Abschluss der Sondierung sollen klare Handlungsempfehlungen für die Umsetzung der Ergebnisse in Hinblick auf eine rasche sowie breite Markteinführung gegeben werden.

Auftraggeber

Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie

Projektpartner

Universität Innsbruck (Arbeitsbereich Energieeffizientes Bauen), Nussmüller Architekten ZT, TBH Ingenieur GmbH, Stroomversnelling (NL), Energieinstitut Vorarlberg

Ansprechpartner

Dipl.-Ing. Armin Knotzer, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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Schlüsseltechnologien für adaptive Fassaden von NiedrigstenergieHochhäusern

In Europa schreibt die Richtlinie zur Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vor, dass ab dem Jahr 2021 alle Neubauten den nZEB-Standard erreichen sollen, also nahezu energieneutral sein müssen. In China wurde 2019 mit der Norm GB/T 51350 "Technical Standard for Nearly Zero Energy Consumption Buildings" eine ähnliche Zielsetzung formuliert.

Abbildung. Quelle: AEE INTEC

Das österreichisch – chinesische F&E-Kooperationsprojekt TechAdZero untersucht und bewertet das energetische Potential und optimale Technologiekonfigurationen für intelligente, adaptive Fassaden von „nearly zero energy building“ (nZEB)-Hochhäusern. Adaptive Fassaden reagieren auf fluktuierende Anforderungen und nutzen vorhandene Ressourcen optimal. Gleichzeitig erhöhen sie die thermische und visuelle Innenraumqualität für die NutzerInnen. Dabei werden externe Anforderungen wie sich tageszeitlich, jahreszeitlich und witterungsbedingt ändernde Umweltbedingungen wie Einstrahlung, Temperatur, Luftqualität oder Windlasten, sowie interne Anforderungen - Gebäudenutzung, Komfortbedürfnis der NutzerInnen und gebäudeenergetische Aspekte - berücksichtigt.

Im Projekt wird das Potenzial von adaptiven Hochhaus-Fassaden im Kontext unterschiedlicher Klimazonen erforscht. Dabei steht die Entwicklung von Simulationsund Bewertungsmethoden, welche die dynamischen, multiparametrischen Eigenschaften von adaptiven Fassaden in unterschiedlichen für Österreich und China relevanten Klimazonen abbilden, im Vordergrund. Weiters werden geeignete Technologiekombinationen mit derzeit geringem Technologiereifegrad, sowie optimierte, intelligente Steuerungsstrategien erforscht. Unter Berücksichtigung von lokalem Klima, sowie von energetischen, technologischen, ästhetischen, architektonischen und Komfort-relevanten Gesichtspunkten werden Design-Guidelines für die Entwicklung adaptiver Fassaden entwickelt. Außerdem werden neue, geeignete Test- und Monitoring-Methoden zur gezielten Erfassung des dynamischen Verhaltens aller relevanten Eigenschaften untersucht. Durch Labortests von Funktionsmustern adaptiver Fassadenelemente soll der Nachweis der Leistungsfähigkeit der neuen Methoden und Ansätze erbracht werden. Nicht zuletzt dienen die Projektergebnisse im Labormaßstab als Grundlage für die weitere Umsetzung im österreichischen Use Case "Post City Linz" und weiteren Use Cases in China.

Auftraggeber

Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK)

Projektpartner

AEE INTEC (Projektkoordination), SCUT – South China University of Technology, Bartenbach GmbH, China Academy of Building Research Co., Ltd, Guangdong Fivestar Solar Energy Co., Ltd, Guangzhou Yucheng Information Technology Co., Ltd., Guangdong Litong Real Estate Investment Co., Ltd.

Ansprechpartner

Dipl.-Ing. Dr. Tobias Weiss, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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