Zeitschrift EE

erneuerbare energie: 1.2021

Bürgersolarkraftwerke jetzt auch in NÖ

Wo immer der Bevölkerung die Finanzierung von sauberen Kraftwerken angeboten wird, ist das Interesse groß und steigt die Zustimmung für die Energiewende. Auch in Niederösterreich haben die Beteiligungsprojekte „Schwung reingebracht“ …

Text: Mario Sedlak

In vielen Gemeinden und Bundesländern Österreichs gibt es schon lange Kraftwerke, die von Bürgern finanziert wurden. Am 18. November 2020 hat erstmals auch das Land Niederösterreich etwas derartiges angeboten. Die Nachfrage war riesig: bereits nach 13 Minuten waren alle 2.500 Solarmodule finanziert. Wer zu langsam war, musste sich gedulden, aber bald wurden weitere Anteile offeriert. Bis März dieses Jahres wurden insgesamt rund 10.000 Module verkauft, damit ist die „Warteliste“ abgebaut. Für Neueinsteiger wird es Ende des Jahres die nächste Ausschreibung geben, aber man wird auch da wieder schnell zugreifen müssen. Wer kein Internet hat, kann telefonisch sein Interesse bekunden. „Alle sollen mitgenommen werden – Jung und Alt“, sagt Daniel Berger von der Energieund Umweltagentur des Landes NÖ (eNu), die die Ausschreibungen durchführt. Bis 2024 sind noch 40.000 weitere Module zu vergeben. Dann ist das Potenzial auf den Dächern von 150 Landesgebäuden – z. B. Kliniken, Museen und Amtshäusern – vollständig genutzt. Freiflächenanlagen sind nicht geplant. Die Module stammen vom österreichischen Hersteller Energetica und haben eine Nennleistung von 390 Watt. Insgesamt ergeben sie rund 20 Megawatt, was rechnerisch für die Versorgung von 5.000 Haushalten reicht.

Auch das Dach des Landesmuseums in St. Pölten (rechts im Bild) wird mit einem Bürgersolarkraftwerk versehen. Foto: NÖ Landeskommunikation

KONDITIONEN

Investoren bekommen einen Zinssatz von 1,75% pro Jahr garantiert. Sie können maximal fünf Anteile zu je 900 € erwerben (auch wenn sie nicht in Niederösterreich wohnen). Das Geld wird ihnen jährlich samt Zinsen zurückgezahlt – immer am 3. Mai, dem „internationalen Tag der Sonne“, und zwar zehn Jahre lang. Dann haben sie insgesamt 88,90 € Zinsen pro Anteil erhalten. Das sind nicht einmal 1 % pro Jahr, weil ein Zehntel des Kapitals jährlich zurückgezahlt und in den Folgejahren natürlich nicht mehr verzinst wird. Trotz schrumpfenden Anlagekapitals bleiben die Zahlungen aber über zehn Jahre konstant. D. h. in den ersten Jahren werden nicht die ganzen Zinsen ausbezahlt, aber über die gesamte Laufzeit erhält man eine Rendite von genau 1,75 % pro Jahr. Ein vorzeitiger Ausstieg ist möglich. Da bekommt man am nächsten 3. Mai das ausstehende Kapital samt 1,75 % Rendite zurück, allerdings abzüglich 150 € Verwaltungskosten. Risiken – etwa dass ein Modul vorzeitig kaputt geht – haben die Investoren nicht zu tragen, und auch sonst haben sie keine Pflichten oder Rechte. Somit sind 1,75 % eine durchaus attraktive Alternative zum Sparbuch. Private Errichter von Photovoltaik-Anlagen zahlen Investoren 3 % und mehr pro Jahr, aber da gibt es dann auch ein gewisses Ausfallsrisiko.

NUTZEN FÜR DIE ALLGEMEINHEIT

Das Land Niederösterreich könnte sich am Kapitalmarkt günstiger finanzieren als mit den Bürgerkraftwerken. Politisch ist es jedoch klug, die Bevölkerung an den Gewinnen der Ökostromnutzung teilhaben zu lassen. Vor allem der Eigenverbrauch des Solarstroms ist profitabel, daher werden die ersten Photovoltaikanlagen auf Gebäuden errichtet, die viel Strom benötigen, wie z. B. Kliniken. Mit der Planung, Errichtung und Betreuung der Anlagen werden nach Möglichkeit regionale Firmen beauftragt, sodass Betriebe in der Region gestärkt werden. „Das schafft ,Green Jobs‘ und einen wirtschaftlichen Aufschwung in herausfordernden Zeiten“, betont eNu-Geschäftsführer Dr. Herbert Greisberger.

www.sonnenkraftwerk-noe.at

Energiewende und Klimaschutz vs. fossile Wirtschaft

Text: Diethold Schaar

Der Konflikt zwischen den Vertretern klimaschädlicher fossiler Industrien und den Verfechtern erneuerbarer Energie nimmt in den aktuellen Nachrichten immer mehr Platz ein. Was mit den ersten Mahnungen der „Club of Rome“-Wissenschaftler in den Siebziger-Jahren begonnen hat, wird in der öffentlichen Wahrnehmung heute von den überwiegend jungen KlimaschützerInnen und der „Friday for Future“-Bewegung getragen. Sie setzen die Bremser im System zunehmend unter Druck. Auf der anderen Seite gibt es auch immer mehr Unternehmen, die in ihren Branchen als „Game Changer“ vorangehen.

Wie schnell es gehen kann, zeigen die österreichischen Großkonzerne Voest und Verbund: bis vor kurzem standen sie noch als Verhinderer am Pranger – jetzt sind sie gewichtige Befürworter der Energiewende und der erneuerbaren Energie – weil sie erkannt haben, dass sie ihre Geschäftsmodelle anpassen müssen und weil sie für sich auch Chancen in einem frühzeitigen Ausstieg aus den fossilen Energien sehen.

Foto: Artem Podrez | Pexels

Während in Österreich die Auseinandersetzungen – zum Beispiel zwischen der Wirtschaftskammer und den Grünen – offen ausgetragen werden, zeigt sich in Deutschland ein vielschichtigeres Bild. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtete in einer Ausgabe im Februar über eine Anti-Windkraft-Bewegung in unserem Nachbarland, die von einigen wenigen Personen orchestriert wird und der es gelungen ist, den Ausbau der Windenergie ins Stocken zu bringen. Als effizientestes Mittel haben sich Klagen gegen neue Anlagen herausgestellt; der Widerstand gegen viele Windräder wird laut dem Bericht von einer zentralen Bundesinitiative organisiert, die mit der Kohle- und Schwermetallindustrie in Verbindung gebracht werden kann.

Im Mai legte die Wochenzeitschrift „Die Zeit“ in einem Artikel über die „Energiewendebremser“ nach und berichtete, „wie eine Gruppe von CDU-Politikern, Unternehmern, Beamten und Lobbyisten den Kampf gegen die Klimakrise immer wieder blockiert“. Detailliert werden in dem Artikel Netzwerke offengelegt, die aus einer Verquickung von geschäftlichen und politischen Interessen den fossilen Energien die Stange halten. Die erstaunlichste Erkenntnis dabei ist, dass die Verhinderer der Energiewende und der Klimaschutzmaßnahmen mitten in der Verwaltung sitzen. So berichtet die „Zeit“ über drei leitende Mitarbeiter des deutschen Wirtschaftsministeriums, die intern den Spitznamen „Bermudadreieck der Energiewende“ tragen, „weil sie einen schnellen ökologischen Umbau der Energieversorgung immer wieder verzögern, vertagen oder verhindern“.

Wie aufgeheizt die weltweite Diskussion ist, zeigt sich auch am Titel des kürzlich auf Deutsch erschienen Buchs von Michael E. Mann, einem der meistzitierten Klimaforscher der Welt, der 1998 mit der Veröffentlichung der inzwischen berühmten Hockeyschläger-Kurve auf die fatalen Folgen des Klimawandels hingewiesen hat. „Propagandaschlacht ums Klima“ ist der Titel seines neuesten Werks, mit dem hoffnungsvollen Untertitel „Wie wir die Anstifter klimapolitischer Untätigkeit besiegen“. In einem „Spiegel“-Interview zu dem Buch beschreibt er den Strategiewandel der bisherigen Klimaleugner wie folgt: „Das Ziel ist jetzt nicht mehr Leugnung der Tatsachen, sondern Verhinderung von Lösungen. Die Profiteure im Umfeld der Kohle-, Öl- und Gasunternehmen tun viel dafür, das Handeln zu verlangsamen und Klimaschutzgesetze abzuschwächen. Sie wollen, dass wir möglichst lange von fossilen Energieträgern abhängig bleiben, eine Art ,softe‘ Variante der Klimaleugnung.“ Und auf die Frage, warum er dennoch hoffnungsvoll in die Zukunft blicke, antwortete er: „Ich ziehe meine Zuversicht aus der jungen Klimabewegung. Die Jugendlichen haben die Diskussion endlich auf eine andere Ebene gehoben. Es geht nicht mehr nur um Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, sondern auch um Ethik. Wir haben die Verantwortung, den nächsten Generationen eine lebenswerte Umwelt zu hinterlassen“.

Angeregt von der weltweit immer hitziger geführten Diskussion um den Ausstieg aus den fossilen Energien haben wir für diese Ausgabe der „erneuerbaren energie“ bei ForscherInnen und AktivistInnen nachgefragt, wo Österreich in diesem globalen Szenario steht und welche Knackpunkte hier noch zu überwinden sind.

Wir leben auf Kosten anderer

Eine Arbeitsgruppe des österreichischen Klimaforschungsnetzwerks Climate Change Center Austria (CCCA) beschäftigt sich mit der Berechnung der Treibhausgasemissionen für Produkte, die in Österreich konsumiert, aber nicht erzeugt werden. Bei den bisherigen nationalen Betrachtungen fallen die schädlichen Emissionen ausschließlich in den Erzeugerländern an. Wenn also in Österreich T-Shirts aus Asien verkauft werden, erhöht das nur den Anteil am Ausstoß der Treibhausgase in der dortigen Region. Die Globalisierung von Märkten sowie zunehmende internationale Arbeitsteilung und Spezialisierung von nationalen Ökonomien haben in den letzten 20 Jahren zu einer verstärkten räumlichen Differenzierung von Produktion und Konsum geführt.

Das hat dazu beigetragen, dass ein wachsender Anteil der Umweltbelastungen, die mit dem Konsum von Produkten und Dienstleistungen in einem Land bzw. länderspezifischen Lebensstilen in Verbindung stehen, in anderen Ländern und Weltregionen erfolgt.

Das derzeitige System des Monitorings von Treibhausgasemissionen auf nationaler Ebene ist jedoch territorial orientiert und berücksichtigt daher keine Auslagerungen von emissionsintensiven Industrien.

Erste Ergebnisse für die konsumbasierten Emissionen (oder den „Carbon Footprint“) Österreichs zeigen, dass diese 50 bis 60 Prozent über den produktionsbezogenen (territorialen) Emissionen liegen, so wie sie laut Umweltbundesamt publiziert werden. Statt 75 bis 85 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten würde Österreich für rund 110 bis 130 Millionen CO2-Äquivalente verantwortlich sein.

Die Schlussfolgerung der Forscher: Eine umfassende Bewertung der Fortschritte in Richtung Dekarbonisierung der österreichischen Wirtschaft muss daher diese konsumbasierten Emissionen mit einbeziehen.

DR. PETER WEISH, Präsident des Forum Wissenschaft & Umwelt (FWU) DI (FH) RENÉ BOLZ, wissenschaftlicher Mitarbeiter des FWU

Schon in den 70er-Jahren wurde eine „Energiewende“ als notwendig erkannt und in groben Zügen ausgearbeitet.

Kernstück der Energiewende sind Maßnahmen zur Senkung des Energieumsatzes, Maßnahmen mit vielfältigem Nebennutzen:

Sie senken die Energiekosten der Verbraucher und entlasten die Umwelt. Die Auslandsabhängigkeit (von Öl, Erdgas und Kohle) wird verringert. Die Zahlungsbilanz wird erheblich entlastet. Die Versorgungssicherheit wird verbessert. Die Senkung des Energiebedarfs ist ein Beitrag zur Erhöhung der Krisensicherheit. Investitionen zur rationellen Energieverwendung bedeuten eine Belebung der Wirtschaft mit sinnvollen Aufgaben. Sie verbessern die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft. Sie bewirken eine dezentrale Verbesserung der Wirtschaftsstruktur und leisten damit einen Beitrag zur Regionalentwicklung – das bringt weitere positive Effekte mit sich, wie z. B. die Verringerung der Zwangsmobilität. Sie sind eine unabdingbare Voraussetzung einer zukunftsfähigen Entwicklung. Sie verringern die internationalen Spannungen und Verteilungskonflikte um Ressourcen. Sie entsprechen der ethischen Forderung des Maßhaltens und dem Gebot der Solidarität mit der Nachwelt. Maßnahmen zur Senkung des Energiebedarfs sind gleichzeitig das Kernstück einer effektiven Klimastrategie. Bei einer solchen Fülle positiver Nebeneffekte ist zunächst unverständlich, warum diese Maßnahmen nicht längst vorrangig umgesetzt wurden.

Die Antwort ist gleichermaßen einfach wie ernüchternd: Es gibt keine Energiepolitik, die diese Bezeichnung verdient. Die großen „Energieverkäufer“ der Erdöl-, Erdgas- und Elektrizitätswirtschaft bestimmen maßgeblich über die energiepolitischen Rahmenbedingungen.

Da die oben genannten Maßnahmen zur Bedarfsenkung auch in Richtung Abbau „struktureller Macht“ wirken, indem sie infolge regionaler Energieautarkie die Abhängigkeit von den großen Energiekonzernen verringern, liegt es auf der Hand, dass dort die „Bremser“ zu verorten sind.

Seit 1990 konnten die THG-Emissionen in Österreich in Summe nicht reduziert werden.

THG-Emissionen im Bereich Verkehr sind angestiegen. THG-Emissionen im Bereich „Energie & Industrie mit Emissionshandel“ konnten minimal reduziert werden. Ehrgeizig müssen die verbleibenden Jahre zur Erreichung der Klimaneutralität 2040 werden. Quelle: www.umweltbundesamt.at/news210119 (21.04.2021)

TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN

Die Kosten für die Bereitstellung elektrischer Energie durch Wind- und Photovoltaikanlagen sind seit 1990 massiv gesunken. Strom aus Photovoltaikanlagen ist für viele Einfamilienhausbesitzer günstiger als der Kauf aus dem Netz. Passivhäuser sind Stand der Technik. Qualitativ hochwertige Sanierungen sind erprobt. Bei PKW gibt es die Entwicklung hin zum E-Motor. Technologien für die Industrie sind absehbar.

VORAUSSETZUNGEN FÜR KLIMASCHUTZ UND ENERGIEWENDE

Rechtliche und finanzielle Hemmnissen sind zu beseitigen. Das Thema ist in Aus- und Weiterbildung bzw. täglicher Information zu integrieren. Elemente davon sind die Einführung der aufkommensneutralen ökosozialen Steuerreform, die Senkung des Energieverbrauchs sowie die Erschließung der erneuerbaren Energien unter Berücksichtigung „strenger ökologischer Kriterien“. Technik allein reicht nicht aus, um die Klimaneutralität zu erreichen. Das zeigt sich am Sektor Verkehr, wo mangelhafte Raumplanung, Zersiedlung und „autogerechte“ Städte langfristig negativ wirken, oder am Beispiel Bestandsgebäude, wo das Sanierungsziel 3%/a nicht erreicht wird.

AKTEURE DER ENERGIEWENDE

Will man sich intensiver mit möglichen „Bremsern“ der Energiewende beschäftigen, so ist auch ein Blick auf die Akteure notwendig. Dies wären z.B. Judikative/ Exekutive, NGOs, Interessensverbände, Unternehmen, Konsumentinnen und Konsumenten, Bürgerinnen und Bürger.

Hochrangige Straßeninfrastruktur sollte nicht mehr finanziert und gebaut werden. In Städten sieht man in neuen Stadtentwicklungsgebieten z. T. eine Stadtplanung der „autogerechten“ Stadt, die nirgends auf der Welt funktioniert hat. Der Wille zur menschengerechten Stadt und jahrelanges Bemühen engagierter Bürger scheitern meist an unzeitgemäßen Vorgaben der Stadtplanung und den zuständigen Behörden.

Im Bereich Gebäude gibt es in Wien im Neubau lobenswerterweise Klimaschutzzonen mit der Verbannung fossiler Energieträger. Die Nutzung von Photovoltaik im Neubau ist dort und in einigen anderen Bundesländern verpflichtend vorgeschrieben. Vorrangig sollte diese Technologie auf Dächern installiert werden.

Im Neubau werden in Österreich immer noch Gebäude mit höherem Wärmebedarf errichtet, als es heute nach dem Stand der Technik möglich wäre. Auch hier ist die Politik gefragt.

Agrarflächen sollten in erster Linie der Versorgung mit Lebensmitteln dienen und nicht dem Anbau von Energiepflanzen. Auch großflächige Solaranlagen im Grünland sind abzulehnen.

Es gibt bereits viele Konsumentinnen und Konsumenten, Bürgerinnen und Bürger, die Klimaschutz und Energiewende vorleben. Die Zeit ist überreif für eine konsequente Energiewende und Klimastrategie.

www.fwu.at

JOHANNES WAHLMÜLLER, Global 2000

Die österreichische Klimapolitik ist nach wie vor von Stillstand geprägt. Zwar ist es gelungen, bei den Corona-Konjunkturmaßnahmen etwa mit einer Klimaschutzmilliarde starke Klimaschutzimpulse zu setzen, die meisten Vorhaben im türkis-grünen Regierungsprogramm harren aber nach wie vor der Umsetzung.

Johannes Wahlmüller, Global 2000 Energiesprecher. Foto: Stephan Wyckoff

Ein Gesetz zum Ausstieg aus Öl- und Gasheizungen fehlt nach wie vor, obwohl es schon heuer gelten sollte. Ein Energieeffizienzgesetz, das den Energieverbrauch senken soll, ist noch nicht umgesetzt, obwohl die Frist der EU längst abgelaufen ist. Und das Erneuerbaren-Ausbaugesetz wurde schon mehrfach präsentiert, aber immer noch nicht beschlossen. Bei wichtigen Vorhaben geht es nur millimeterweise vorwärts, wenn überhaupt.

Mittlerweile warnt der Rechnungshof, dass Strafzahlungen in Höhe von neun Milliarden Euro drohen. Dabei ist die jüngste Anhebung der EU-Klimaziele noch gar nicht einkalkuliert. Auch die Klimaforschung warnt vor katastrophalen Folgen, wenn nicht endlich gehandelt wird. Doch als ein Leak des Klimaschutzgesetzes mit Sofortmechanismen bekannt wurde, kam der Blockadereflex von ÖAMTC, Wirtschaftskammer und Konsorten sofort zum Vorschein. Destruktive Abwehrreflexe helfen uns aber nicht weiter. Was es stattdessen braucht, ist eine ehrliche und offene Diskussion. Die angekündigten BürgerInnenräte sind eine echte Chance dafür, wenn sie gut vorbereitet sind. Und schon langsam wird sich auch die Klimaschutzministerin überlegen müssen, wie sie auf die Blockaden reagieren will. „Wir haben es versucht, wurden aber leider ausgebremst“, wird als Rechtfertigung am Ende des Tages zu wenig sein.

JUDITH BROCKMANN für das Klimavolksbegehren Österreich

Zahlreiche Unternehmen und Organisationen stehen beim Klimaschutz auf der Bremse. Ein offener Brief der fossilen Automobilbranche an den Bundeskanzler vom 24. März dieses Jahres sowie ein entsprechendes Schreiben der fossilen Wärmebranche vom 30. April dokumentieren sehr genau, um welche Akteure es sich dabei handelt. Darin torpedieren Autobauer, Zulieferer, Gas-Anlagenbauer, ausgewählte Energieversorger, bestimmte Mitglieder der WKÖ und nicht zuletzt Johannes Schmuckenschlager, Umweltsprecher der ÖVP, ein mögliches Ausstiegsdatum für Pkw mit Verbrennungsmotor oder konservieren überholte, weil klimaschädliche Wärmetechnologien.

Bei diesen Unternehmen und Interessensverbänden handelt es sich um Organisationen, deren Geschäftsmodelle auf der Produktion oder Nutzung fossiler Energien basieren und die von einem Aufschub klimafreundlicher Maßnahmen in der Fahrzeug- und Wärmebranche kurzfristig massiv profitieren würden – zum Schaden unserer Gesellschaft, die für effektiven Klimaschutz und einen grünen Strukturwandel langfristig denken muss.

VertreterInnen des Klimavolksbegehrens bei einer Demonstration vor der Hofburg. Foto: Foto Jolly Schwarz

Erst Ende März stimmte eine Mehrheit im Nationalrat, angeführt von ÖVP und Grünen, für einen Entschließungsantrag auf Basis des Klimavolksbegehrens und forderte die Regierung auf, ambitionierten Klimaschutz umzusetzen, und bereits im Jänner betonte ÖVP-Umweltsprecher Schmuckenschlager: „Der „Österreichische Weg“ ist der konsequente Ausstieg aus fossiler Energie und der ebenso konsequente Ausbau erneuerbarer Energieträger.“ Doch der „Österreichische Weg“, der sich derzeit abzeichnet, ist ein Weg der Verschleppung, des kurzfristigen Denkens und der Klientelpolitik – vor allem auf Seiten der ÖVP. Hoffentlich wird dieser Bremsweg nicht zu lang, sonst kommen wir alle ins Schleudern.

Die Klimaschmutzlobby

Wie Politiker und Wirtschaftslenker die Zukunft unseres Planeten verkaufen

„Dieses Buch widmet sich ausschließlich jenen Wirtschaftsnetzwerken, Thinktanks und Zirkeln, die seit Jahrzehnten dazu beitragen, Europas Klimaschutz zu bremsen. Dabei zeigen wir, wie neoliberales Denken, rechtspopulistische Parteien, Klimawandel-Leugner, passive Entscheidungsträger und eingefahrene Strukturen den Stillstand organisieren. Die Schlüsselfiguren der Klimaschmutzlobby müssen endlich benannt, ihre Netzwerke offengelegt und ihre Motivationen kritisch hinterfragt werden“.

So beginnt das aktuelle Buch der beiden deutschen Journalistinnen Susanne Götze und Annika Joeres, in dem sie vor allem den europäischen und amerikanischen Netzwerken der Klimaschutzgegner nachgespürt haben. Es sind erschreckend viele Ebenen, auf denen diese Akteure dafür sorgen, dass im Klimaschutz möglichst wenig weitergeht. Detailliert werden die einzelnen Organisationen und die führenden Köpfe der Szene diesseits und jenseits des Atlantiks vorgestellt. Und es wird auch beschrieben, wie sie in den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump direkt Einfluss auf die Politik nehmen konnten.

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Um die europäische Politik vor der Klimaschmutzlobby zu bewahren, müssen ihre Ziele als das erkannt werden, was sie sind: ideologische und finanzielle Interessen einzelner Branchen. Doch diese Transparenz fehlt. Die Autorinnen sind mit ihren Recherchen immer wieder an Grenzen gestoßen. Weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern sind Lobby-Transparenzregister vorhanden oder ausreichend Informationen verfügbar. Es bleibt im Dunkeln, wie finanzstark viele Verbände, Vereine oder Stiftungen sind, ob und wann sie in den Parlamenten ein und aus gehen, mit wem sie sprechen und wie viel Geld sie Politikern für ihren neuen Job am Ende einer Legislaturperiode zahlen. Aufgrund dieser Intransparenz ist es der Klimaschmutzlobby gelungen, ihre Interessen als die Interessen aller zu verkaufen.

Das Buch widmet sich erwartungsgemäß sehr stark den Geschehnissen in Deutschland und zeigt auf, an wie vielen Stellen Opposition gegen die Energiewende und den Klimaschutz betrieben wird. Immer wieder läuft es darauf hinaus, dass einige wenige Organisationen im Auftrag jener Branchen, die weiterhin auf die Nutzung fossiler Energien setzen, die öffentliche Meinung manipulieren und Entscheidungsträger „kaufen“, indem sie nach Ablauf ihrer jeweiligen Karrieren lukrative Versorgungsposten erhalten.

Manchmal sind die Methoden noch viel dreister. Ein medizinischer Berater der französischen Regierung verharmloste die Schädlichkeit von Diesel- und Benzinemissionen und lieferte über Jahre Argumente gegen strengere Grenzwerte für Autos. Bis sich herausstellte, dass er während der gesamten Zeit vom Ölkonzern Total bezahlt worden ist.

Neben Deutschland wird die Situation in Frankreich, Großbritannien und den osteuropäischen Hochburgen der Kohleindustrie ausführlich analysiert. Die ernüchternde Conclusio der Autorinnen ist, dass noch viel zu viele Regierende in Europa in Systemen verhaftet sind, die bremsen und blockieren. Das Zaudern und Zögern wird weitergehen und es wird wohl vor allem darauf ankommen, die Vorteile und das bessere Leben in einer klimafreundlichen Welt als Gegenmodell zu entwerfen und immer mehr Menschen dafür zu gewinnen.

„Noch sind die Erzählungen der Klimaschmutzlobby stärker“, resümieren die beiden Journalistinnen am Ende ihres Buchs. „Aber: alle Lobbys sind immer nur so mächtig wie die unreflektierte Zeit und Aufmerksamkeit, die Regierungen und Medien ihnen widmen. Ihren großen Einfluss können wir, anders als das heraufziehende Klimachaos, wieder zurückdrängen.“

Das Buch ist im Piper Verlag erschienen und zum Preis von 20,60 Euro (Hardcover) im guten Fachhandel überall erhältlich.

VOLKMAR LAUBER Emeritierter Professor für Politikwissenschaft/ Energie- und Klimapolitik an der Universität Salzburg

WER BREMST KLIMASCHUTZ UND ERNEUERBARE ENERGIEN IN EUROPA?

Genau genommen gibt es treibende Kräfte für verschiedene Vorstellungen von dem, was Klimapolitik sein sollte – also für verschiedene Lösungen. Noch vor ein paar Jahren waren „fossile“ Autofahrer größtenteils Gegner einer Umstellung auf Elektroautos, und die Hersteller haben das aus eigenem Interesse unterstützt. In den letzten Jahren hat sich aber viel geändert, v. a. das Umweltbewusstsein der Bevölkerung (Luftreinhaltung, Dieselskandale …) und die Kosten und Ausbreitung von neuen Elektroautos. Die „klassischen“ Autoproduzenten sprachen früher von Verbrennungsmotoren als „alternativlos“ – inzwischen haben die meisten die Seiten gewechselt. Insgesamt scheint es, als ob das Elektroauto nicht aufzuhalten wäre. Es kommt noch ein Faktor dazu: Elektroautos sind volkswirtschaftlich gesehen zunehmend billiger als Verbrenner (keine Explorations- und geringere Förderkosten des „Brennstoffs“, keine Tanker, Raffinerien, Pipelines, weniger Material und Technik am Fahrzeug selbst), und die meisten Autofirmen haben inzwischen auch den Kampf gegen Elektroautos aufgegeben, um wenigstens mitzuhalten. Der Automobilsektor ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich rascher Wandel vollzieht – nämlich exponentiell.

UND WIE IST DAS BEI DER PHOTOVOLTAIK?

Es ist nicht so lange her, dass Politiker bei dieser Technik gern von „Almhüttentechnologie“ sprachen. Soll heißen: hoffnungslos teuer und stagnierend – daher nicht förderwürdig. Die wahren Bremser waren meist große Unternehmen der konventionellen Stromerzeugung, also vor allem mit Kohle, Heizöl und Erdgas betriebene kalorische Kraftwerke (in Österreich auch mit großer Wasserkraft, die seit langer Zeit mit der Politik eng verbunden ist). In der frühen Zeit der Photovoltaik musste gelegentlich auch die behördliche Begründung herhalten, eine von einem Pionier beantragte PV-Anlage „passe nicht in das Landschaftsbild“. Im Hintergrund sicherte die International Energy Agency (IEA) das Bild von der teuren Technik, die zu keinen größeren Wachstumsraten fähig war, zunehmend wahrheitswidrig ab – wichtige Munition für die Bremser, auch in Österreich.

Dann kam plötzlich der Umschwung bei der Photovoltaik – und zwar ausgerechnet aus dem Land, von dem man gerne behauptet hatte, es würde noch lange keine Photovoltaik installieren, weil es sich das nicht leisten könne – nämlich China. Was war passiert? China profitierte von der steilen Lernkurve der PV, die ihre Stromgestehungskosten plötzlich unter das Niveau der chinesischen Kohlekraftwerke brachte (China hatte inzwischen eine eigene PV-Industrie errichtet, anfangs mit großzügiger Förderung). Inzwischen haben die meisten asiatischen Länder um die Pole China und Indien – und vor allem diese selbst – ihre gigantischen Kohlekraftwerkspläne zugunsten von PV und Windstrom zusammengestrichen, und die Elektrizitätsgesellschaften in den USA haben – trotz Trump – viele bestehende Kohlekraftwerke schneller durch PV ersetzt als je zuvor: weil PV billiger ist (siehe IEEFA-Hefte der jüngsten Zeit; Institute for Energy Economics and Financial Analysis, ein Bloomberg Ableger, frei zugänglich im Internet). Währenddessen kämpfen Regierungen in Deutschland und Polen, Tschechien, Bulgarien und ein paar anderen Ländern mit den Gewerkschaften von Kohlebergarbeitern um die Schließung von oft defizitären Kohlegruben und um Arbeitsplätze für die frei gesetzten Kumpel – und um die Finanzierung solcher Übergänge durch eindrucksvolle EU-Gelder. Auf diese Kräfte passt die Bezeichnung „Bremser“ ganz gut. Aber man beachte: sie wollen nicht (mehr) die Entwicklung hin zu erneuerbaren Energien stoppen, sondern nur die Kosten einer Umstellung verschieben, im Fall der Politiker auch ihre Macht erhalten, im Fall der Eigentümer der Kohlengruben extra Einkommen erzielen.

WAS TUN MIT ERDGAS?

Der Klimaübereinkommen von Paris sieht vor, dass für die Nachhaltigkeit förderliche Investitionen privilegiert werden können und sollen. Klimaschädliche Stoffe und Techniken sollen belastet werden. Es gibt da einige Prinzipien, so etwa „keine Fördergelder für fossile Brennstoffe“ oder „do no significant harm“ („keinen signifikanten Schaden bewirken“). Auf diese Weise sollen „grüne“ Investitionen von Privaten angeregt werden; man war sich einig, dass öffentliche Investitionen dafür nicht ausreichen würden. Eine Liste solcher Investitionen – eine „Taxonomie“ – sollte erstellt werden; dabei sollte die Europäische Investitionsbank (EIB) eine wichtige Rolle spielen. Dieser Katalog sollte auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, nicht auf politischem Druck.

Der Präsident der EIB – Werner Hoyer – kam Ende 2019/Anfang 2020 zu der an sich wenig überraschenden Auffassung, Erdgas sei fossile Energie und es sei daher die Investitionsförderung von Gaskraftwerken zu verwerfen (Euractiv 20.1.2020). Klimakommissar Timmermanns vertrat eine ähnliche Ansicht – Erdgas würde nur als Brücke zu einem System mit 100 % Wasserstoff dienen – für etwa ein Jahrzehnt, also bis 2030 (Euractiv 25. 3. 2021). Die Europäische Kommission würde keinem neuen Erdgaskraftwerk ein grünes Label zugestehen.

Diese Auffassung wurde sehr schnell durch das Europäische Parlament und zahlreiche Mitgliedstaaten (und natürlich die Erdgaswirtschaft) in Frage gestellt. Der Umweltausschuss des Parlaments wollte Erdgas für Härtefälle beim Übergang von Kohleregionen auf Gas förderbar machen, wenn anderes nicht ausreichend zur Verfügung steht. Außerdem gab es einen radikaleren Angriff auf die Position der Kommission von zehn – vor allem osteuropäischen – Mitgliedstaaten. Diese griffen das Recht der Kommission an, Einschränkungen für neue Erdgasinvestitionen (Kraftwerke, Pipelines usw.) zu erlassen, genauer gesagt: ihre Förderung in Frage zu stellen. Es sei doch ganz offenkundig eine wichtige Ressource, die keinen Schaden bringe (?), sondern großen Nutzen (Euractiv 23-3-2021).

Die Gaswirtschaft spielte ein Doppelspiel. In der Auseinandersetzung mit der Kommission argumentierte sie, dass Erdgas nur eine bescheidene Rolle der Ergänzung beim Übergang von Erdgas auf Wasserstoff spielen würde; im Kreis der betroffenen Industriellen betonte sie, dass Wasserstoff aus Erdgas eine große Chance für einen neuen, vielversprechenden Industriezweig biete. Allerdings müssten Schäden für das Klima vermieden werden. Bis heute (Mitte Mai 2021) hat die Kommission keinen zufriedenstellenden Weg gefunden. Einerseits ist nicht zu leugnen, dass es sich bei Erdgas um eine Form fossiler Energie handelt, die an sich einer Förderung entgegensteht. Es ist auch keineswegs harmlos und im Fall von Fracking emittiert Erdgas ebensoviel Klimaschadstoffe wie Kohle. Als Übergangsstoff zu grünem Wasserstoff (erzeugt mit Hilfe von erneuerbaren Energien) kann es andererseits tatsächlich Positives leisten, wenn es bei kleinen Mengen bleibt. Es kann aber auch den Zweck erfüllen, eine graue Wasserstoff-Ökonomie (d. h. auf Erdgasbasis und daher begleitet von CO2-Emissionen) möglichst lange andauern zu lassen – zum Nutzen der bestehenden Erdgaswirtschaft und zum Schaden für das Klima.

Die Frage ist, ob es den EU-Institutionen gelingen wird, erdgasbasierten Wasserstoff zuerst zu fördern und dann durch grünen Wasserstoff zu ersetzen. Die graue Wasserstoffwirtschaft wird sich wahrscheinlich zu wehren wissen. Sie kann dabei auf die Vorzüge neuer Investitionen in Erdgas verweisen. Die Kommission hat jedenfalls die Entscheidung über den Einsatz von Erdgas als Maßnahme sozialer Gerechtigkeit vorläufig verschoben, zusammen mit der Entscheidung über die prinzipielle Förderbarkeit von Atomenergie. Die Anwendbarkeit von „Do no significant harm“ sollte wissenschaftlich begründet werden, wurde aber dem politischen Druck der Mitgliedstaaten und des Parlaments preisgegeben, von wo er so leicht nicht zurückzuholen ist. Polen, Tschechien, Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Rumänien, Griechenland, Malta und Zypern wollen eine Ausnahme vom Verbot der Förderung fossiler Energieinvestitionen zugunsten von Erdgas und drohen mit heftigem Widerstand (Euractiv, 26. März 2021). Anders gesagt: sie wollten die Technologie von vorgestern (kohlebasiert) durch die von gestern ersetzen (Erdgas). Was können dagegen 200 Wissenschaftler tun (so viele haben gegen diese Vorgangsweise protestiert)?

ATOMENERGIE GEGEN ERNEUERBARE ENERGIEN: WER BREMST WEN UND WAS?

Im Zusammenhang mit der Intensivierung der Klimakontroverse ist eine Technologie wieder aufgetaucht, die viele schon für überholt hielten, weil zu gefährlich, zu teuer, technisch überholt und insgesamt nicht mehr konkurrenzfähig: nämlich Atomkraftwerke. AKW produzierten einige Unfälle mit gewaltigen Schäden (Tschernobyl, Fukushima). Sie tragen zunehmend Kosten, die ein Mehrfaches der Kosten ihrer erneuerbaren Konkurrenten betragen und noch dazu steigende Tendenz aufweisen, während die Kosten von Sonnen- und Windkraft in steilen Lernkurven immer weiter fallen. Ihr Bau wirft große Probleme auf, für deren Bewältigung in Europa unter anderem schon entsprechend qualifizierte Techniker fehlen. Das Ergebnis sind überlange Bauzeiten (beim französischen EPR – Evolutionary Power Reactor, dem vermeintlichen Glanzstück europäischer Reaktortechnologie – bis zum Fünffachen, ja Siebenfachen der geplanten Bauzeit) und ähnlich gestiegene Kosten. Der wichtigste Bauherr dieser Reaktoren, die Electricité de France, muss Jahr für Jahr vom Staat mit Steuergeldern vor dem Bankrott gerettet werden. Einige EP-Reaktoren kamen auf Kosten von 20 Mrd. Euro und mehr, statt auf 3,4 Mrd., wie ursprünglich geplant. Als Electricité de France mit dem Bau des AKW Hinkley Point C begann, sicherte sie sich vom französischen Staat etwa 100 Mrd. britischer Pfund an Zuschüssen, die die Gewinne des Betreibers absichern sollten; der Betrag erhöhte sich noch ganz erheblich. Der britische Rechnungshof vermerkte, dass es billiger gewesen wäre, den Strom mit erneuerbaren Energien bereitzustellen – und die Kosten der erneuerbaren Energien sind seither noch deutlich gefallen, während die Kosten von Hinkley Point C regelmäßig steigen und seine Fertigstellung immer weiter verschoben wird. Derartige Erfahrungen gab es schon bei den anderen EPRs in Europa – in Olkiluoto (Finnland) und Flamanville (Frankreich).

Jedenfalls lieferten die EP-Reaktoren kein plausibles Vorbild für den Ausbau der Atomenergie.

Beim Konflikt über die Taxonomie („ist Atomenergie eine grüne Investition, die die Förderung ihrer Investitionen verdient?“) kam es nun im Jahr 2021 zu einer überraschenden Konstellation. Der französische Präsident Macron und mehrere führende Politiker aus ost- und südosteuropäischen (ehemals kommunistischen) Staaten traten für die Einstufung der Atomenergie als grüner, daher förderungswürdiger Technologie in ihren eigenen Ländern ein – über das Instrument der Taxonomie. Ein solcher Schritt würde vermutlich eindrucksvolle Zahlungsströme an Subventionen bewirken und die EPR zur teuersten zivilen Investition im Bereich der Energie machen.

Im Bereich der Energietechnologie und insbesondere der Stromerzeugung rückständige Staaten fordern vorgestrige Lösungen wie Erdgas und Atomenergie, zum Teil dargestellt als Übergangslösungen (als ob noch Zeit wäre für jahrzehntelange Übergänge). Sie argumentieren dabei mit niedrigeren Kosten für derartige Lösungen, die es in Wirklichkeit nicht (mehr) gibt, und versuchen, die derzeit laufende Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien zu bremsen – mit abnehmendem Erfolg.

Allerdings gibt es seit ein paar Jahren eine Gruppe von 9 bzw. 10 Staaten, die das Ziel verfolgen, einen kleinen (300 MW) „modularen“ (standardisierten) Reaktor zu entwickeln, der billiger werden soll als die teuren „Einzelstücke“, wie sie jetzt üblich sind (USA, Kanada, China, Russland, Japan, Argentinien, Indien, Brasilien, Rumänien und seit jüngster Zeit auch Estland unterstützen dieses Projekt). In einigen Ländern werden auch schon erste Modelle errichtet. Die Zukunft wird zeigen, was davon zu halten ist – beginnend wahrscheinlich in den 2030er-Jahren. Es ist allerdings schwer vorstellbar, dass der Kostenvorsprung etwa von Photovoltaik mit Gestehungskosten unter 1 Eurocent pro kWh im Sonnengürtel der Erde (z. B. in Indien oder im Nahen Osten im Jahr 2021) so schnell eingeholt werden kann, ganz abgesehen von den anderen Problemen.

erneuerbare energie: 1.2021

Interview mit Michael Torner, Lektor für Erneuerbare Energie an der FH Technikum Wien

Warum so manches Großprojekt zur Senkung der Treibhausgase kritisch hinterfragt werden sollte und warum Technologie alleine die Probleme nicht lösen wird. Ein Interview mit Michael Torner, Lektor für Erneuerbare Energie an der FH Technikum Wien und engagiertes Attac-Österreich-Mitglied für den Bereich Energie- und Klimapolitik.

Interview: Doris Hammermüller

Die wichtigsten Themen zum Klimaschutz und zu den erneuerbaren Energien sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten in der öffentlichen Diskussion und in der Politik angekommen, aber in den Emissionsbilanzen gibt es genaugenommen keine Fortschritte. Worin siehst du die Ursachen für die bisher nicht besonders erfolgreiche Klimapolitik in Österreich?

Michael Torner: Da könnte man weiter ausholen und festhalten, dass selbst der Weltklimarat (Anm.: IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change) mit seinem Sonderbericht zum Klimagipfel in Kattowitz 2018 das empfohlene 1,5-Grad-Ziel verwässert hat. Da ist festgehalten worden, dass die 1,5 Grad nicht so strikt eingehalten werden müssen, weil wir dank neuer Technologien zukünftig mit CO2-Speicherung und -Rückgewinnung in enormem Ausmaß errechnen können. Welche Technologien das sein sollen, ist bisher allerdings nicht bekannt. Und zusätzlich wurde in dem Bericht auch noch angenommen, dass eine Vervielfachung der Atomenergie ebenfalls das Klima schützt.

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Bezogen auf den IPCC-­Bericht von Kattowitz hat die heimische Bundesregierung also nichts falsch gemacht?

Das könnte man so sagen. Aber gehen wir noch einen Schritt weiter zurück. Was wurde denn 2015 auf der Klimakonferenz in Paris beschlossen? Da wurde ja nicht beschlossen, dass wir aus der Nutzung der fossilen Energien aussteigen. Da wurde nur das Gleichgewicht zwischen den CO2-Quellen und -senken – also jenen Bereichen, in denen CO2 entsteht und gespeichert werden kann – beschrieben. Dazu kommt dann noch, dass der Klimavertrag von Paris völkerrechtlich völlig unverbindlich ist. Der Pariser Klimavertrag hat auch in der österreichischen Innenpolitik keine Bedeutung. Der Verfassungsgerichtshof hat zum Beispiel eine Entscheidung zum Bau der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat deshalb aufgehoben, weil der Pariser Klimavertrag in den betreffenden Gesetzen zu dieser Materie nicht vorkommt und daher nicht anzuwenden ist.

Kann man also sagen, dass Österreich zwar einen Vertrag in Paris unterschrieben hat, aber dann keine eigenen Gesetzte erlassen hat, um die Inhalte dieses Vertrags im Land auch umzusetzen?

Ja, genau. Zwischen dem globalen Weltklimarat und dem nationalen Österreich liegt noch die europäische Ebene. Die Politik der EU zu dem Thema ist auch sehr zweischneidig zu bewerten. Im hochgelobten „Green Deal“ der EU wird immer wieder auf „grünes Wachstum“ verwiesen – der Terminus geistert schon seit Anfang des Jahrtausends durch die öffentliche Debatte, mit der Vorstellung, dass die Zunahme der Treibhausgase und BIP-Wachstum vollständig entkoppelt werden können. Auf dem Papier ist das ist in manchen OECD-Ländern auch erreicht worden – allerdings auf Kosten des globalen Südens. Der CO2-Verbrauch für die Herstellung unserer Konsumgüter wird den Erzeugerländern zugerechnet. Würden wir das korrekterweise bei uns einrechnen, wäre unsere CO2-Bilanz fast doppelt so schlecht wie jetzt. Mit den Importen müssten wir in Österreich 160 Millionen Tonnen statt 80 Millionen Tonnen CO2 ausweisen. Mit diesem Etikettenschwindel kommen wir zu völlig falschen Ergebnissen und brüsten uns mit Erfolgen, die in Wahrheit nicht gegeben sind.

Warum steuert die Politik da nicht mit entsprechenden Regelungen und möglicherweise richtungweisenden Infrastrukturmaßnahmen dagegen?

Die Politik ist heute nur mehr eine Marionette der Wirtschaft. Und innerhalb der Wirtschaft geben die großen Konzerne den Ton an. Die Märkte sollen alles regeln, und freier Wettbewerb gilt als Allheilmittel für das Vorankommen der Gesellschaft, gleichzeitig werden aber „alte“ Branchen, wie z. B. die Autoindustrie in Deutschland, permanent subventioniert. In der Realität führt das immer öfter zu Monopolen und Oligopolen. Fatal daran ist, dass in der Wirtschaft vor allem die fossilen Energieerzeuger eine Allianz mit der Autoindustrie bilden. Als zum Beispiel die deutsche Solarindustrie mit billigen chinesischen PV-Modulen unter Druck kam, hat die deutsche Autoindustrie die EU so weit beeinflusst, dass auf die staatlich geförderten chinesischen Paneele keine Anti-Dumping-Zölle erhoben wurden, damit die Autokonzerne weiterhin ihre Fahrzeuge nach China liefern dürfen. Die PV-Industrie in Deutschland ist von rund 136.000 Mitarbeitern auf cirka 30.000 Mitarbeiter eingebrochen und erholt sich erst jetzt wieder mühsam davon.

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Wie sieht es mit den Technologien aus? In welchen Bereichen haben wir da noch Nachholbedarf?

Da möchte ich grundsätzlich vorausschicken, dass die Energiewende keine technologische Frage mehr ist. Die Energiewende ist jetzt eine gesellschaftspolitische Frage. Die Technologien der Erneuerbaren sollten der Werkzeugkoffer sein für eine sozial-ökologische Transformation. Die dafür notwendigen Technologien sind größtenteils vorhanden. Das einzige Problem bei einer hundertprozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien ist die Transformation der Sommer-Überschüsse in den Winter. Da gibt es vielversprechende Ansätze. Zum Beispiel die Umwandlung von – durch Sonnenstrom erzeugtem – Wasserstoff und CO2 zu Methan und die Speicherung des Gases in aufgelassenen Gasfeldern. Im Winter wird dann daraus wieder Strom hergestellt. Das dabei entstehende CO2 wird in einem geschlossenen Kreislauf gehalten und belastet nicht mehr unser Klima. Noch gar nicht ausgereift und abzulehnen ist dagegen die dauerhafte Speicherung von CO2. Darauf stützen sich vor allem die Hersteller fossiler Energie und leider auch die EU, die „Carbon Capture and Storage (CCS)“ gleichwertig mit der Herstellung erneuerbarer Energie behandelt. Obwohl die EU in den vergangenen zehn Jahren 1,8 Milliarden Euro für diesen Bereich bereitgestellt hat, ist bis heute daraus kein einziges relevantes CCS-Projekt entstanden. Lediglich in Norwegen gibt es zwei oder drei Versuchsanlagen und eine in Großbritannien.

Carbon Capture and Storage wie es in der Theorie funktionieren sollte. Praktische Umsetzungen stehen erst am Anfang der Entwicklung.

Anfang der 2000er­-Jahre wurden in Österreich einige richtungweisende Vorgaben erarbeitet. Zum Beispiel wurde in den Roadmaps zu den Themen Photovoltaik oder Solarwärme darauf hingewiesen, dass entsprechende Ausbildungen wichtig sein werden, um überhaupt die fachlich versierten Menschen zur Umsetzung der Energiewende zu bekommen. Du bist in der Ausbildung tätig – wurden diese Anregungen von damals aufgegriffen?

So um das Jahr 2005 herum sind etliche Ausbildungsinstitutionen auf das Thema der erneuerbaren Energien aufgesprungen. Auch bei uns an der FH Technikum Wien wurde damals ein entsprechender Studiengang etabliert. Da hat man das Signal schon erkannt. In der akademischen Ausbildung ist alles auf Schiene. Was aber fehlt, sind die Fachkräfte, die Handwerker für die Umsetzung der Projekte. Es gibt leider noch immer keinen Fahrplan, wie wir zu den Einsparungszielen 2030 oder zur Klimaneutralität 2040 kommen sollen, und daher sind auch die Wirtschaft und das Gewerbe nicht bereit, sich intensiver darauf einzulassen. Noch ist völlig unklar, was da alles kommen soll; da lässt sich doch kein Unternehmen darauf ein, jetzt Leute dafür auszubilden.

Seit etwas mehr als einem Jahr haben wir die Grünen in der Bundesregierung. Da sind die Erwartungen sehr hoch, dass sich an der Klima­ und Energiepolitik etwas ändert. Hast du wahrgenommen, dass sich seither etwas zum Besseren gewandelt hat?

Was die Klimapolitik betrifft, ist wirklich ein Paradigmenwechsel im Vergleich zur vorangegangenen türkis-blauen Regierung passiert. Zumindest die Punkte im Regierungsprogramm scheinen ein großer Schritt in die richtige Richtung zu sein. Zum Beispiel war bei der alten Regierung das Ziel enthalten, 100.000 Dächer in Österreich mit Photovoltaik einzudecken. Daraus wurde jetzt das Ziel einer Million Dächer. Allerdings muss man sagen, dass die Absichtserklärungen in vielen Fällen noch ohne entsprechende Finanzierung im Programm stehen und die großen Bremser, wie die Wirtschaftskammer und die Industriellenvereinigung, sich vehement gegen verpflichtende Regelungen zur Umsetzung der Klimaneutralität wehren.

So kommentierte die IV gemeinsam mit der WKO in einer gemeinsamen Presseaussendung im Dezember 2020 die Festschreibung des Emissionsreduktionsziels durch die EU von 40 Prozent auf 55 Prozent folgendermaßen: „Gemeinsamer Appell an die Vernunft: Wirtschaftskammer und Industrie fordern Klimaziele mit Hausverstand. … Denn der derzeit stattfindende Wettlauf um immer höhere Ziele habe mit einer vernünftigen Klimastrategie wenig zu tun“.

Im aktuellen Regierungsprogramm ist eine CO2-­Besteuerung vorgesehen. Ist das aus deiner Sicht eine wesentliche Weiche zur Reduktion der Emissionen oder gibt es noch andere Maßnahmen?

Die derzeit diskutierten CO2-Steuersätze sind viel zu niedrig, wobei es in Österreich ja noch gar keine Preisdiskussion gibt. In Deutschland sind es beispielsweise 25 Euro pro Tonne. Um die derzeitigen Kosten der Klimaschäden zu kompensieren, müsste in Österreich der Preis mindestens zwischen 50 und 70 Euro pro Tonne liegen und dann schrittweise erhöht werden. In diesen Bereichen könnte es ein halbwegs wirksames Instrument sein. Viel wirksamer ist allerdings, wenn Ge- und Verbote verordnet werden – also zum Beispiel das Gebot, dass neue Häuser nur noch mit einer Photovoltaik-Anlage gebaut werden dürfen oder in absehbarer Zeit das Verbot von Ölheizungen.

Was fehlt, ist ein grundlegendes und radikal an die Wurzel gehendes Gesamtkonzept, um zum Beispiel den Energiekonsum nachhaltig zu verringern. Wir produzieren derzeit viel zu viel, konsumieren zu viel und arbeiten zu viel.

Was würde ein neues Arbeitszeitmodell dem Klimaschutz bringen?

Weniger Arbeit und weniger Produktion reduzieren per se schon einmal den Ausstoß an schädlichen Treibhausgasen. Die Nutzung der fossilen Energien hat die Konzentration auf große, zentralistische Einheiten ermöglicht. Eine Voest wäre mit erneuerbaren Energien so nicht entstanden.

Aus der Klimasicht ist es doch egal, wo Stahl hergestellt wird. Solange Stahl in solchen Werken hergestellt werden muss, entstehen Treibhausgase.

Das stimmt natürlich. Wir müssen, weltweit gesehen, die Produktion zurückfahren. Das gehört für mich zur globalen Verantwortung dazu. Wir schauen immer nur auf unsere Bilanzen, beuten aber rigoros Entwicklungs- und Schwellenländer aus. Auch bei den Erneuerbaren ist das leider so. Ein Elektromobil braucht genauso viel Fläche wie ein normales Auto. Die Mobilitätskonzepte müssen zukünftig ganz anders aussehen. Die Infrastruktur-Investitionen sollten nicht in den Ausbau von Schnellladestationen auf den Autobahnen gehen, sondern in die Attraktivierung des öffentlichen Verkehrs.

Immerhin ist die Elektromobilität derzeit ein starker Treiber des Ausbaus der erneuerbaren Energie.

In den jährlichen Umfragen zur Akzeptanz der Erneuerbaren sind fast 90 Prozent für den Ausbau der Photovoltaik. Sobald es darum geht, selbst etwas dafür investieren zu müssen, sind nur mehr 17 Prozent der Befragten bereit, das zu tun. Um die österreichischen Klimaziele für 2030 zu erreichen, müssten wir zum Beispiel die PV-Anlagenleistung bis dahin fast verzehnfachen. Nach den Plänen der EU sollen dafür vor allem private Solarkraftwerke entstehen, die ihren Strom dann im Rahmen von Energiegemeinschaften verkaufen. Da kommen enorme Investitionen auf private Betreiber zu. Bis jetzt hat sich eine Elite dafür engagiert, die an Technik und Umwelt interessiert ist. Aus dieser Nische müssen wir heraus. Das wird den privaten Sektor überfordern, da müssten die EVU viel mehr in die Pflicht genommen werden. Nur sind die leider nicht in der Lage dazu, weil sie keine Mitarbeiter haben, die diesen kleinteiligen Betrieb gewohnt sind. Aus meiner Sicht ist es ein vollkommener Unsinn, dass sich jeder private Haushalt seine Lithium-IonenBatterien als Speicher in den Keller stellt. Die EVU müssten mit Grätzlspeichern dafür sorgen, dass die tagsüber produzierte Energie auch nachts zur Verfügung steht.

Verstehe ich deine Argumentation richtig, dass wir insgesamt viel zu sehr auf die Technologie schauen und viel zu wenig auf die Änderung der Systeme?

Klarerweise wird an technischen Unis und FH hauptsächlich an der Technik geforscht. Regional und lokal gibt es viele erfolgreiche Pilotprojekte. Das nützt aber alles nichts, wenn man nicht auf den gesellschaftspolitischen Aspekt und das Wirtschaftssystem schaut. Für mich ist klar: Solange wir das Wirtschaftssystem nicht ändern, kommen wir aus dem ganzen Schlamassel nicht heraus.

Wenn man einmal davon absieht, dass Klimaschutz eine Frage des Überlebens ist, gibt es aus deiner Sicht auch kurzfristige Vorteile, die wir aus der Reduktion der Treibhausgase ziehen können?

Wichtig wäre, dass eine europäische und eine nationale Industrie für den Bereich der erneuerbaren Energie aufgebaut wird und wir nicht wieder in eine Abhängigkeit – diesmal von Asien – geraten. Da müsste viel mehr investiert werden, um nationale Player zu entwickeln. Es darf auch nicht sein, dass so wichtige Bereiche wie das Gasnetz an ausländische Betreiberfirmen verkauft werden. Auch ausländische Beteiligungen an wichtigen Unternehmen im Land müssen kritisch betrachtet werden, weil wir dadurch Entscheidungsfreiheit, zum Beispiel zur Umrüstung der Systeme, verlieren.

Durch die Energieimporte steigt das österreichische Handelsbilanzdefizit grob gerechnet um 10 Milliarden Euro pro Jahr. Gleichzeitig drohen möglicherweise bis zu fünf Milliarden Strafzahlungen an die EU, weil wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Gibt es sonst auch noch versteckte Kosten, die wir in die eigene Ökonomie und eine nachhaltige Zukunft stecken könnten?

Da gibt noch die Subventionen für fossile Energieträger, die laut WIFO rund 4,7 Milliarden ausmachen. Wenn dieser Betrag direkt den erneuerbaren Energien zufließen würde, hätte man sofort große Summen für den Umbau des Systems zur Verfügung. Ganz wichtig wäre auch, wie schon erwähnt, ein Fahrplan mit entsprechenden Budgets. Wenn ein entsprechender Entwicklungspfad vorliegt, dann wird auch von Firmen zielgerichtet investiert werden. Die Energetica in Kärnten mit ihren PV-Modulen oder Fronius mit seinen Wechselrichtern sind heimische Vorzeigebetriebe in dem Bereich. Da müsste noch viel mehr Unterstützung kommen, um mit diesem Knowhow in Österreich zu arbeiten.

Gibt es sonst noch Bereiche, die wichtig für uns wären?

Wasserstoffwirtschaft könnte beispielsweise auch eine Technologie sein, die einen Beitrag zur Umgestaltung des Energiesystems leistet. Gerade in Ballungszentren wie Wien oder Linz würde sich der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft rechnen, um den Schwerverkehr, den öffentlichen Nahverkehr und auch Industrien damit zu versorgen. Für den Individualverkehr wird sich das allerdings niemals rechnen.

Worauf kommt es beim Wasserstoff an?

Wasserstoff gewinnt man mittels Elektrolyse. Für dieses Verfahren braucht man Strom, und je nachdem, aus welcher Quelle der Strom kommt, ist es nachhaltig erzeugter Wasserstoff oder nicht. Die EU hat schon eine Wasserstoffstrategie herausgegeben und in Deutschland gibt es auch schon eine. Da werden große Pläne gewälzt, bis hin zu eigenen Pipelines für Wasserstoff. Da wird weiter in den Systemen der fossilen Energieerzeugung gedacht und gute Ansätze, wie z.B. lokale Wasserstoff-Hubs, werden pervertiert, weil die derzeitige Wirtschaft nur in ihren bestehenden zentralisierten Systemen denken kann. Das sieht man zum Beispiel daran, dass sich die Ölfirmen BP, Shell usw. in einer Organisation namens „Zero Emission Platform“ zusammengeschlossen haben und jetzt die EU-Kommission bei den Themen Wasserstoffwirtschaft und Carbon Capture and Storage beraten. Die werden sich ja nicht ins eigene Fleisch schneiden …

Siehst Du auch in Österreich ähnliche Lobbying-­Beispiele?

Auch bei uns wird man das Gefühl nicht los, dass in vielen Bereichen Beharrungskräfte wirken, die nicht zu unserem Vorteil sind. Die Interessensgemeinschaft Holz denkt zum Beispiel an einen globalen Handel mit Pellets – wo wir in der Zwischenzeit wissen, dass die Globalisierung solcher Themen fast immer zum Nachteil der Landwirtschaft in Österreich gelaufen ist. Da ist das neue Denken in Kreislaufsystemen und nachhaltiger Wirtschaft noch überhaupt nicht angekommen.

Lieber Michael, Danke für das Interview.

DI MICHAEL TORNER: Studium der Elektrotechnik an der TU Wien, anschließend technischer Sachbearbeiter im Bereich elektrotechnische Ausrüstung im Industrieanlagenbau, ab 1980 Lehrtätigkeit an HTL ab 2007 Lektor für Erneuerbare Energie an der FH Technikum Wien, ab 2014 bei NGO Attac in den Bereichen Freihandelsabkommen sowie Energie­ und Klimapolitik aktiv, bis 2020 im Vorstand der AEE NOW.

Interview mit Franz Kok, neuer Obmann der Öko Strombörse

Franz Kok, seit Februar Obmann der Öko Strombörse Salzburg, nimmt Stellung zu aktuellen Fragen der Energiepolitik und wagt einen Blick in die Zukunft.

Interview: Mario Sedlak

Foto: CoachingandConsulting.at

Was sind Ihre Aufgaben als Obmann der Ökostrombörse?

Kok: Als Obmann der Öko Strombörse trage ich laut dem Vereinsgesetz gemeinsam mit dem gesamten Vorstand Verantwortung. Da es die Aufgabe der Öko Strombörse ist, Strom aus erneuerbaren Energien in Kooperation mit dem Naturschutzbund, der Plattform gegen Atomgefahren, der AEE Salzburg und der Salzburg AG als Träger der Ökostrombörse weiterzuentwickeln, ist das eine große Baustelle: Neben dem KLIMACENT wollen wir aktuell gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen (GEA) auf bestehenden Dachflächen schwerpunktmäßig entwickeln und bereiten uns auf die Energiegemeinschaften gemäß der EU-Richtlinie vor, welche in Österreich das Erneuerbare-Energie-Ausbaugesetz (EAG) vorsehen wird.

Wichtig für die Aufgabe ist es auch, der oft kritischen Öffentlichkeit machbare Alternativen zu vermitteln und der Bevölkerung an die Hand zu geben. So gesehen geht es darum, den Leuten ihre Möglichkeiten als neue „Prosumer“ nahezubringen und ein Stück Eigenverantwortung in der Energiewirtschaft zu stärken.

Was wird mit den Energiegemeinschaften auf uns zukommen und inwieweit wird die Öko Strombörse dabei mittun? Wird sie vielleicht gar zu einer „echten“ Strombörse, wo Energieüberschüsse regional verwertet werden können?

Für Energiegemeinschaften gibt es jetzt bereits zahlreiche Anbieter zur Verknüpfung von Angebot und Nachfrage, und es wird absehbar jeder Stromhändler am Markt ein solches Produkt als Plattform anbieten. Wir sehen unsere Rolle hier eher als „Ideenbörse“ für den Ökostrommarkt. Es könnte sich aber auch herausstellen, dass der Markt dafür mittelfristig einen gemeinsamen Standard und Innovationen braucht. Aktuell fehlt mir etwa in den Plänen der E-Control ein klarer Blick auf die Winterspitzenlast und auch auf die Rolle von dezentralen Batterie-Clouds als Dienstleister für das Netzmanagement. Das heißt, die Öko Strombörse könnte durchaus auch als integrierende Plattform für Marktfunktionen fungieren. Ideen in diese Richtung gab es ja schon früher. Aktuell wollen wir uns aber nicht am Gedränge, das sich hier gerade aufbaut, beteiligen.

Können Sie die Rolle der Öko Strombörse etwas genauer erklären? Kann da jeder eine Idee einschicken, zum Beispiel ein Solar-Fahrrad?

Die Öko Strombörse entwickelt unter anderem Projekte für gemeinschaftliche Erzeugungsanlagen. Die Umsetzung macht dann die Genossenschaft „Agentur für Erneuerbare Energie“ als Crowdfunding-Plattform. Die von Ökostromkunden der Salzburg AG einbehaltenen KLIMACENT-Aufschläge gehen in die Förderung solcher Ökostromanlagen, aber auch anderer klimarelevanter Projekte, wenn diese anders nicht zustande kämen – siehe www.klimacent.at

Was führte Sie als Politikwissenschafter in die Energiebranche?

Begonnen hat es mit der Kontroverse um Großkraftwerksprojekte in den 80er-Jahren, wo ich auch bei der Besetzung des Lagers 4 in Hainburg beteiligt war. Damals war für mich die Auseinandersetzung mit den Bewilligungsprivilegien für Großprojekte ein Motiv, mich weiter damit zu befassen. In meiner 1991 veröffentlichten Dissertation ist es dann aber um grundlegende Fragen der Regulierung der Energiewirtschaft gegangen. Vom energiepolitischen Konsens der Nachkriegsjahre über die Kontroversen der 70er- und 80er-Jahre bis zur Liberalisierung des Energiebinnenmarkts mit Österreich als EU-Mitglied war es dann ja doch ein weiter Weg.

Warum gibt es so viele Konflikte um Energieprojekte?

Das war ja nicht immer so. Der allgemeine Wertewandel in den 70er- und 80er-Jahren und die wachsende Freiheit der Menschen, sich kritisch zu äußern und zu organisieren, sind demokratiepolitisch positive Entwicklungen. In der Energieversorgung wurde die scheinbar grenzenlose Überflussgesellschaft schon ab den 70er-Jahren auch kritisch hinterfragt, was den dauerhaft wachsenden Energiekonsum angeht. Grenzen des Wachstums und der Umweltverträglichkeit waren da schon vor der Diskussion des Klimawandels ein Thema.

Die PV-Anlagen auf dem Schulzentrum in Saalfelden … Foto: Öko Strombörse

… und auf dem Betriebsgebäude der EZA Fairer Handel in Köstendorf sind zwei der Vorzeigeprojekte der Öko Strombörse Salzburg. Foto: Öko Strombörse

Sie waren als Projektentwickler für Windenergie selber in Konflikte verwickelt. Wie erklären Sie sich das?

Solange unsere Wohlstandsgesellschaft mit ihren wachsenden Ansprüchen gut funktioniert, ist kaum jemand gewillt, die kritischen Folgen unserer Lebenskultur mitzutragen. Unsere Erfahrung mit der Windenergie in Salzburg zeigte, dass auch Gemeinschaftsprojekte von lokalen Bürgerbeteiligungsgesellschaften in scharfe Kritik geraten sind. Dabei hat sich die Qualität der Argumentation wesentlich gewandelt: Ging es früher um die systematische Kritik an Atom- und Großtechnologie, so zeigen die letzten Kontroversen doch viel mehr in Richtung einer befindlichkeitsgesteuerten Ablehnung von Veränderung – und einer Politik, welche die selbst erklärten Ziele schnell vergisst, wenn es gilt, populistisch Stimmungen zu folgen. Auch die sozialen Medien und der Journalismus haben hier nicht immer dem Licht der Vernunft und sachbasierten Diskussionen gedient. Das „postfaktische“ Zeitalter hat für mich nicht erst mit einem US-Präsidenten begonnen …

Wie können wir die Konflikte möglichst vermeiden und die Energiewende voranbringen?

Die Kostenentwicklung für Strom aus Photovoltaik ist sensationell und macht diese Technik zu einem wirklichen „Game Changer“. Ganz konkret müssen wir daran arbeiten, die bisher zu den Endverbrauchern führenden Lastflüsse, wo immer es möglich ist, umzudrehen: Photovoltaik-Module müssen auf jeder Dachfläche zu finden sein, und wir müssen es schaffen, verbaute Flächen von Unternehmen und auch Wohnhausanlagen dafür zu nutzen. Moderne Stromspeicher – viele davon auch in E-Autos meistens parkend – werden uns helfen, Stromnetze zu entlasten, wenn wir sie richtig und intelligent einsetzen. Da erneuerbare Energien nur fluktuierend zur Verfügung stehen, müssen wir Speicher- und Übertragungskapazitäten erweitern und versuchen, einen intelligenten Strommix zu finden. Kurzfristige Schwankungen auszugleichen, wird dabei leichter gelingen als der Ausgleich jahreszeitlicher Schwankungen: Wasserkraft und Sonnenenergie sind in unseren Breiten überwiegend im Sommerhalbjahr verfügbar. Wenn wir unseren Energiebedarf im Winter mit erneuerbaren Energien decken wollen, gelingt das nur mit Windkraft. Diese ist zu zwei Dritteln im Winterhalbjahr verfügbar. Jedenfalls werden wir Jahresspeicher und noch größere Übertragungskapazitäten für viel Geld bauen, auch für „Power to Gas“ und Wasserstoff. Die Salzburger Energiepolitik ruht sich bisher noch auf ihrem Erbe aus. Der gerade veröffentlichte Klima-Energie-Masterplan für 2030 nimmt teilweise Bezug auf Maßnahmen des Bundes und ist im eigenen Wirkungsbereich weniger ein Gestaltungs- als ein Bezahlprogramm für Maßnahmen. Bisher hat das nicht gereicht.

Facts Öko Strombörse

Die Öko Strombörse Salzburg ist eine gemeinnützige Organisation und Plattform von Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energie Salzburg, Naturschutzbund, Plattform gegen Atomgefahren (PLAGE) und Salzburg AG. Aufgabe der Öko Strombörse ist es, Ökostromprojekte im Bundesland Salzburg zu unterstützen und die Salzburg AG bei der Entwicklung von Ökostromprodukten zu beraten. Zahlreiche Gemeinschafts­ und Bürger­-Photovoltaik-­Anlagen wurden bereits umgesetzt.

  • Durch den KLIMACENT, eine freiwillige CO2-­Abgabe, wurden Klimaschutz­Projekte mit einem Volumen von ca. 300.000 Euro unterstützt.
  • Knapp 20 institutionelle Partner und KLIMACENT-­Kunden (Gemeinden, Schulen, Betriebe)
  • Über 500 KLIMACENT-Haushaltskunden
  • 5 Photovoltaik­Bürgerbeteiligungsprojekte (365 kWp), die durch die Öko Strombörse begleitet und über www.aee­-salzburg.at mitfinanziert wurden

www.oekostromboerse.at

 

DR. FRANZ KOK (59) ist Politikwissenschaftler an der Universität Salzburg. Seit 1988 ist er Politikberater, seit 2004 auch konzessionierter Unternehmensberater für Energiepolitik, Umweltpolitik, Projektmanagement und Marketing. Von 2001 bis 2016 war er CEO der Salzachwind GmbH. An der Gründung der Salzburger Öko Strombörse im Jahr 2005 war er maßgeblich beteiligt.

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