Zeitschrift EE

erneuerbare energie: 1.2021

Wärmespeicher für Ballungsräume

Im Projekt giga TES erforscht ein Konsortium unter Führung von AEE INTEC, welche Anforderungen bei der Errichtung von Großwärmespeichern in unseren Regionen herrschen. Diese Speichertechnologie wird eine zentrale Rolle in der Bereitstellung von Wärme und der Flexibilisierung von Fernwärmenetzen spielen.

„Bei Großwärmespeichern sprechen wir von Bauwerken, deren Errichtungskosten schnell einmal im Bereich zwischen 50 und 100 Millionen Euro liegen“, steckt Wim van Helden die Dimensionen des Themas ab. Der gebürtige Niederländer ist bei AEE INTEC Bereichsleiter für Technologieentwicklung und forscht in einem europäischen Konsortium an den Rahmenbedingungen für die technische Umsetzung von Großwärmespeichern. „Bei diesen Größenordnungen ist es auch nicht so leicht, eine Pilotanlage zu bauen“, ergänzt van Helden.

Für den vollständigen Betrieb von Fernwärmenetzen mit erneuerbaren Energien werden sehr voluminöse Speicher benötigt. Nur so können große Mengen der erneuerbaren Wärme oder Abwärme aus lokalen Quellen über eine Saison gespeichert werden und ermöglichen im Betrieb ein hohes Maß an Flexibilität. In Österreich sind aktuell die Energieversorger in Wien und Salzburg an dem Thema interessiert und Mitglied im Forschungsprojekt der AEE INTEC. Im Projekt giga TES (www.gigates.at) werden an drei verschiedenen Standorten die wichtigsten Herausforderungen in den Bereichen Konstruktion solcher Speicher, Geologie und Geophysik, Material, Betriebsverhalten, Anbindung an das Fernwärmenetz, ökonomische Parameter und Akzeptanz in der Öffentlichkeit untersucht.

Prinzipiell ist Energie aus erneuerbaren Quellen in unseren Breitengraden ausreichend vorhanden. Ein Hindernis für eine direkte Integration in die Energieversorgungssysteme stellt aber die zeitliche Verschiebung zwischen Angebot und Nachfrage dar bzw. die unterschiedliche Verfügbarkeit. Die Sonne liefert rund zwei Drittel ihrer Einstrahlung in den Monaten zwischen Mai und September, die Abwärme von Industriebetrieben ist in der Regel fast an 365 Tagen im Jahr verfügbar.

Der Energiebedarf besteht aber vor allem in der Heizperiode zwischen Oktober und April, wo derzeit fast zwei Drittel des nationalen Öl­ und Gasverbrauchs anfallen. Eine besondere Herausforderung für die Energieversorger sind dabei die Wintermonate Dezember bis Februar. Um auch in dieser Phase den Wärmebedarf mittels erneuerbarer Energie und Abwärme abdecken und fossile Energieträger ersetzen zu können, werden saisonale Wärmespeicher benötigt.

„Wir untersuchen in unserem Projekt vorrangig technische Fragen“, fasst van Helden zusammen, „und es lässt sich auf jeden Fall schon sagen, dass für Bauwerke dieser Größenordnung einige Voraussetzungen gegeben sein sollten.“ Insbesondere bräuchte es die Bereitschaft von Seiten der öffentlichen Hand, bei den ersten Realisierungen unterstützend bereit zu stehen. „Kommerzielle Anwendungen werden ohne Referenzprojekte sehr schwer umzusetzen sein“, so der Projektleiter.

In Europa gilt Dänemark mit bereits einigen realisierten Großprojekten als Vorzeigeland. Allerdings lässt sich die Situation in diesem nördlichen EU­-Staat nicht mit Österreich vergleichen. Durch die hohen Steuern auf Gas rechnen sich Investitionen in die Speicherung der erneuerbaren Energie für Energieversorger viel schneller. Und die Errichtung eines Großwärmespeichers in Dänemark kann wegen des tiefen Grundwasserspiegels zur Gänze im Trockenbau erfolgen. In Österreich muss man ab fünf Metern Tiefe mit Grundwasser rechnen und folglich viel aufwändiger bauen.

Großwärmespeicher als zentrales Element zukünftiger Fernwärmenetze. Quelle: AEE INTEC, Projekt „gigaTES“; Symbole: made by Icongeek26 and Freepik from www.flaticon.com & AEE INTEC

Der Baukonzern PORR ist einer der Partner im giga TES-­Konsortium und konnte bereits feststellen, dass die Anforderungen für die Errichtung von Wärmespeichern bei uns deutlich komplizierter sind als Bauvorhaben im normalen Tiefbau. Die Frage der Wasserdichtheit und der thermischen Isolierungen bringen zusätzliche Anforderungen in Planung und Umsetzung.

Immerhin sollen die Anlagen eine technische Lebensdauer von zumindest 50 Jahren erreichen. „Eigentlich müsste es aber länger sein“, schätzt von Helden. „Tunnel haben heute auch schon eine technische Lebensdauer von 100 Jahren. Bei den hydraulischen Komponenten eines Speichers und bei den Dichtheitsmaterialien muss man wahrscheinlich nach 30 Jahren ein großes Service machen. Das Bauwerk an sich sollte aber weit darüber hinaus nutzbar sein.“

Die Volumina der für kleine bis mittelgroße Fernwärmenetze konzipierten Speicher liegen in Dänemark aktuell bei bis zu 200.000 Kubikmetern. Der bisher größte Speicher ist ein wassergefüllter Erdbeckenspeicher mit genau diesem Fassungsvermögen in Vojens, einer Kleinstadt im Süden Dänemarks nahe der deutschen Grenze, mit etwas mehr als 7.000 Einwohnern.

Der größte europäische Speicher ist derzeit in der dänischen Kleinstadt Vojens in Betrieb. Er fasst 200.000 Kubikmeter Wasser. Foto: Arcon-Sunmark

„Pro Haushalt rechnet man mit rund 100 Kubikmetern Speichervolumen,“ erklärt Wim van Helden. Für Fernwärmeversorgungssysteme in Städten wie Wien, Graz, Salzburg oder Linz kommt man da ganz schnell in den Giga­-Millionen-­Liter-Bereich.“ Für ein Fassungsvermögen von zwei Millionen Kubikmetern Speichervolumen benötigt man ungefähr die Kubatur des Wiener Ernst­-Happel-Stadions.

Ernst Happel-Stadion Wien: zwei Millionen Kubikmeter Fassungsvermögen. Foto: Remy van Donk

Ein besonderer Vorteil der Großwärmespeicher liegt auch noch darin, dass sie neben der saisonalen Speicherung auch die flexible Speicherung von Wärme aus unterschiedlichsten Quellen, zum Beispiel aus Heizkraftwerken, Groß-Wärmepumpen, Tiefen-­Geothermie oder auch von industrieller Abwärme erlauben. Eine weitere vielversprechende Anwendung liegt in der Sektorkopplung, der Zusammenführung des Strom­ und Wärmesektors. Bei der Integration von Power2Heat-­Konzepten, bei denen elektrische Überschussenergie aus volatilen Quellen in Wärme umgewandelt wird, können Groß­wärmespeicher in der Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Durch den steigenden Anteil an Strom aus Wind und Sonne im Stromnetz wird es vermehrt zu Ungleichgewichten zwischen Angebot und Nachfrage kommen. Großwärmespeicher können in diesem Fall durch Ausgleich von Lastschwankungen einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes leisten und damit den negativen Konsequenzen eines großflächigen Blackouts vorbauen.

Für van Helden ergibt sich daraus die logische Folgerung, dass Großwärmespeicher in Österreich als Elemente der Energie­-Infrastruktur gesehen werden sollten, vergleichbar mit Kraftwerken oder Hochspannungsleitungen. Das Potenzial für Großwärmespeicher im Giga-Bereich liegt in Österreich bei 10 bis 25 Anlagen für Fernwärmenetze mittelgroßer und großer österreichischer Städte, für kleinere Fernwärmenetze mit geringeren Speichervolumina bei mehreren hundert. Zusätzlich bietet der um einiges größere Markt der Nachbarländer erhebliche Exportmöglichkeiten für die österreichischen Marktakteure. Ein zusätzliches Marktpotenzial sehen die Mitglieder im giga TES­-Konsortium in der Integration von Groß­wärmespeichern zur Bereitstellung von Prozesswärme für industrielle Anwendungen.

Weitere Informationen: Dr. Wim van Helden, Bereichsleiter Technologieentwicklung, AEE Institut für Nachhaltige Technologien, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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