Zeitschrift EE

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Energiewende für die Industrie mit österreichischen Technologien

Wolfgang Hribernik

Die produzierende Industrie ist für mehr als 30 Prozent des Energieverbrauchs in Österreich verantwortlich und spielt damit eine zentrale Rolle in der Erreichung der nationalen Klimaschutzziele. NEFI (New Energy for Industry) ist eine der drei vom Klima- und Energiefonds geförderten "Vorzeigeregionen Energie“, die hier ansetzt und Schlüsseltechnologien zur Dekarbonisierung der Industrie vorantreibt. Ihr Ziel: Die innovativen Technologien „Made in Austria“ sollen bis 2050 eine 100 %-ige Versorgung aus erneuerbaren Energiequellen sicherstellen und gleichzeitig den Industriestandort Österreich stärken – eine WinWin-Situation für Umwelt und Wirtschaft.

NEFI – New Energy for Industry: Wissenschaft, Technologieanbieter und Unternehmen demonstrieren den Weg zur Dekarbonisierung der Industrie. Foto: fotolia/stockphoto mania

Starke Allianz aus Industrie und Forschung

Das mittlerweile 80 Unternehmen, 14 Forschungseinrichtungen und fünf öffentliche Institutionen umfassende Konsortium bündelt Know-how in vielen Bereichen – von Energieforschung über Technologieentwicklung bis hin zur industriellen Produktion. Getragen und strategisch weiterentwickelt wird NEFI vom AIT Austrian Institute of Technology, von der Montanuniversität Leoben, vom oberösterreichischen Energiesparverband und von der oberösterreichischen Standortagentur Business Upper Austria. NEFI verfolgt einen systemischen Ansatz, der Industrie und Gewerbe aus unterschiedlichen Sparten als zentralen Teil eines integrierten Energieverbundes sieht. Technologische Innovationsfelder werden definiert, die das gesamte Energiesystem abbilden, wie etwa im Bereich der Energieeffizienz.

Die ersten zehn NEFI-Verbund-Projekte sind Ausgangspunkt und Grundgerüst für die notwendigen technologischen Entwicklungen in Richtung Dekar- bonisierung. Gemeinsame Entwicklungsarbeit mit den Industriepartnern schafft hier die notwendige Akzeptanz und die Bereitschaft zur Umsetzung. Da Energie eine breite Palette an Industriesektoren betrifft, ist NEFI entsprechend breit aufgestellt: Technologie-KMUs sind ebenso willkommen wie große produzierende Unternehmen aus den Branchen Lebensmittel, Maschinenbau, Chemie, Zement, Stahl, Kunststoff und Tourismus.

Integrierter Ansatz

Das Energiesystem ist von komplexen Wechselwirkungen geprägt. Daher verfolgt NEFI einen systemischen Ansatz, in dem unterschiedliche Industriesparten als Teil eines integrierten Energieverbunds betrachtet werden. Drei technologische Innovationsfelder wurden definiert, die das gesamte Energiesystem abbilden, von Energieeffizienz und neuen Prozessen über erneuerbare Energie, Speicherung und Lastmanagement bis hin zur Einspeisung industrieller Energie in Strom- und Wärmenetze. In wiederum drei systemischen Innovationsfeldern widmet man sich den Möglichkeiten und Herausforderungen, die sich aus diesen innovativen Technologien ergeben und entwickelt unter anderem neue Geschäftsmodelle, System- und Infrastrukturlösungen sowie rechtliche und forschungspolitische Ansätze. Zentrale Voraussetzung für Innovationen in all diesen Bereichen sind digitale Technologien, die noch stärker als bisher das Rückgrat künftiger Energiesysteme bilden werden. So eröffnen die rasanten Entwicklungen im Bereich Digitalisierung und Industrie 4.0 völlig neue Chancen zur Flexibilisierung von industriellen Prozessen, aber auch des Energiesystems insgesamt.

Technologische und systemische Innovationsfelder zur Flexibilisierung von industriellen Prozessen bzw. Energiesystemen Quelle: AIT Austrian Institute of Technology/R. Talasz

Erste Projekte erfolgreich angelaufen

Nach dem erfolgreichen Start von NEFI im Vorjahr sind mittlerweile bereits mehrere Leuchtturmprojekte angelaufen, die den Weg in eine nachhaltige Energiezukunft weisen sollen. Im Bereich Energieeffizienz beschäftigt man sich etwa konkret mit der Frage, wie Wärme in unterschiedlichen Industriezweigen möglichst effizient erzeugt, umgewandelt, gespeichert und rückgewonnen werden kann. Die Projekte „OxySteel“ (siehe dazu auch den Artikel „Neue Verfahren in der Stahlindustrie zur Steigerung der Energieeffizienz“ in dieser Ausgabe) und „HyStEPs“ zielen darauf ab, die Energieeffizienz in der Stahlproduktion durch Sauerstoffeintrag zu erhöhen und einen innovativen, energieeffizienten Hybridspeicher für die Bereitstellung von Dampf zu entwickeln. Bei „envIoTcast“ wiederum nutzt man neueste digitale Technologien wie das Internet der Dinge zur optimalen Wärmerückgewinnung beim Aluminiumguss. Höhere Flexibilität und Effizienz in der Lebensmittelindustrie stehen im Mittelpunkt von „EDCSproof“, wo durch die Integration von nachhaltigen Technologien und intelligenter Prozesssteuerung rund 300.000 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart werden sollen. Darüber hinaus werden neue Lösungen erprobt, um erneuerbare Energie in Industriebetrieben zu nutzen und in lokale Wärme- und Stromnetze einzubin- den. Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Smart Anergy Quarter Baden“, das ein Wohn- und Gewerbegebiet mit Niedertemperatur-Abwärme aus der Lebensmittelindustrie versorgen soll. Im „Gmunden High Temperature Link“ will man 50 bis 60 Gigawattstunden fossiler Brennstoffwärme durch eine ganzjährige Auskopplung von Hochtemperatur-Abwärme aus dem Zementwerk Gmunden einsparen. Aber auch die Tourismusindustrie wird in die Betrachtung einbezogen – im Projekt „Clean Energy for Tourism“ kommen smartes Lastmanagement und betriebliche Optimierungsalgorithmen zum Einsatz, um die Tourismusinfrastruktur vor allem in den besonders energieintensiven Wintermonaten zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie zu versorgen.

Neue Geschäftsmodelle durch innovative Technologien

Die im Rahmen von NEFI entwickelten innovativen Technologien und integrierten Energiesysteme erlauben die Entwicklung völlig neuer Geschäftsmodelle. So beschäftigt sich „Industrial Micro Grids“ mit der Vernetzung von kleineren lokalen Smart Grids mit Industriebetrieben und das Projekt „Smart Business Models for Industry“ mit der bedarfsgerechten und netzdienlichen Vermarktung der Potenziale, die sich durch die Flexibilisierung der industriellen Prozesse ergeben.

© istockphoto.com/Nordroden

„NEFI-Lab“ für sektorübergreifenden Wissenstransfer

Das übergeordnete Projekt „NEFI_Lab“ unter der Leitung der Montanuniversität Leoben hat sich zum Ziel gesetzt, die Rahmenbedingungen für einen Innovationsprozess und sektorübergreifenden Wissenstransfer zu schaffen. Gemeinsam mit Industrie, Technologieanbietern und Anwendern werden hier die künftigen Anforderungen des Energiesystems analysiert, Modelle für die dafür benötigte Infrastruktur entworfen und neue Projektideen entwickelt. Darüber hinaus bietet das NEFI_Lab die Möglichkeit, die neuen Technologien zu testen, zu validieren und zu optimieren.

Großes Potenzial für heimische Forschung und Industrie

Neben der Umwelt profitiert auch die heimische Wirtschaft, und zwar gleich zweifach: Die NEFI-Technologien werden im Realbetrieb demonstriert und sichern so den beteiligten Technologieanbietern einen Wettbewerbsvorsprung auf dem weltweit rasant wachsenden Zukunftsmarkt für innovative Energietechnologien. Auch die heimische produzierende Industrie profitiert durch hohe Versorgungssicherheit und niedrige Energiekosten – beides wichtige Faktoren, die den Wirtschaftsstandort Österreich nachhaltig stärken.

Autor

Dipl.-Ing. Dr. Wolfgang Hribernik ist Head of Center for Energy am AIT Austrian Institute of Technology und Verbundkoordinator der Vorzeigeregion NEFI – New Energy for Industry. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! 21

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