Zeitschrift EE

nt 04 | 2020 Digitalisierung im Energiesektor

Digitalisierung und Erwerbsarbeit

Christine Stelzer-Orthofer

Die Covid-19 Krise hat mittlerweile allen vor Augen geführt, wie unabkömmlich Digitalisierung zur Bewältigung unseres Alltags- und Berufslebens geworden ist. Der Shutdown mutierte zum Homeoffice, begleitet von Home-schooling, Distancelearning, Video-Konferenzen und Online-Shopping. Bezugnehmend auf die Etappen der industriellen Entwicklung, wie die Erfindung der Dampfmaschine oder die Elektrifizierung, wird im Zuge der Digitalisierung von der 4. Industriellen Revolution gesprochen, die Leben und Arbeiten nachhaltig verändern wird. Dem Begriff Industrie 4.0 folgt Arbeit 4.0, wobei unklar ist, welche Rahmenbedingungen und Anforderungsprofile diese kennzeichnen werden. Die quantitativen Folgen des zunehmenden Einsatzes von (neuen) Informations- und Kommunikationstechnologien werden widersprüchlich antizipiert. Was die Beschäftigungseffekte betrifft, so gehen die einen von einer „digitalen Massenarbeitslosigkeit“ aus. Beispielsweise liegen Prognosen für die USA vor, dass bis zur Hälfte der bestehenden Jobs auf Nimmerwiedersehen verschwinden wird. 1 Andere relativieren diese Schätzungen und stufen sie als Panikmache ein; sie erwarten, dass vorhandene Berufe durch Digitalisierung sich wandeln und zudem neue Tätigkeitsfelder entstehen werden, die längerfristig zu positiven Arbeitsmarkteffekten beitragen und Beschäftigungszuwachs ermöglichen könnten. 2 Eine für den österreichischen Arbeitsmarkt erstellte Studie kommt zum Schluss, dass – ohne Berücksichtigung von positiven Beschäftigungseffekten – etwa 9 Prozent der Beschäftigten „ein Tätigkeitsprofil aufweisen, welches ein hohes Potential hat, durch Maschinen ersetzt zu werden“. 3 International recht einhellig fällt der Befund aus, dass das Automatisierungs- bzw. Digitalisierungsrisiko im Besonderen für niedrig Qualifizierte, GeringverdienerInnen und Hilfskräfte relativ hoch sein wird.

Foto: Johannes Kepler Universität Linz

Kontrovers sind auch die Thesen zu den Entwicklungsperspektiven hinsichtlich Tätigkeiten und Qualifikationen durch den Digitalisierungsprozess. Sie schließen das Spektrum „Upgrading“ bis hin zu „Polarisierung“ ein. Upgrading bedeutet eine generelle, alle Beschäftigten einschließende Aufwertung der Qualifikation. Es ist jedoch zu befürchten, dass vom Upgrading nur wissensaffine, besser gebildete Personen profitieren und durch „digital divide“ und „digital taylorism“ einer Dequalifizierung Vorschub geleistet wird. Der Begriff Polarisierung 4.0 steht stellvertretend für eine fortscheitende soziale Spaltung in der Gesellschaft als Ganzes und in der Arbeitswelt: hochqualifizierte, gut bezahlte sowie unqualifizierte, schlecht bezahlte Tätigkeiten oder gar keine Arbeit mehr. Wer nicht mithalten kann, bleibt außen vor.

Österreich liegt 2020 auf Basis des „Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft“ (DESI – Digital Economy and Society Index) im europäischen Mittelfeld. 4 Mit diesem jährlich erstellten Index versucht die Europäische Kommission den jeweiligen nationalen Stand der digitalen Entwicklung zu dokumentieren. Die Indikatoren des DESI schließen den Grad der technischen Voraussetzungen (wie z. B. Hochgeschwindigkeitsinternet), die Verfügbarkeit und die private Nutzung des Internets (z. B. Online-Banking), das Ausmaß der Digitalisierung in Unternehmen (z. B. Umsatz im elektronischen Handel), den Digitalisierungsgrad öffentlicher Dienste (z. B. E-Government-Nutzer) sowie das Ausmaß der IKT-Kompetenzen der Erwerbstätigen (z. B. grundlegende Softwarekompetenzen) ein.

Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI), Quelle: 2019 publications, DESI country profile (DE) (Online unter https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/scoreboard/austria)

Der DESI-Index bietet jedoch keinerlei Anhaltspunkte für künftige rechtliche und soziale Rahmenbedingungen digitaler Erwerbsarbeit. Die Entwicklung deutet einen massiven Umbruch an, der Bedingungen und Anforderungen an die Arbeitskraft unzweifelhaft verändern wird und zur Verunsicherung breiter Bevölkerungsgruppen führt. Ulrich Beck hat schon 1986 auf die Gefahr der sozialen Entgrenzung von neuen Risiken aufmerksam gemacht und eine Veränderung des Systems von standardisierter Vollbeschäftigung hin zu einem System flexibel-pluraler Unterbeschäftigung vorhergesagt. Durch die Möglichkeiten der Digitalisierung sind Arbeitsort, Arbeitszeit, Arbeitsvertrag und Arbeitsplatz noch flexibler geworden, was mit dem Verlust von Sicherheit und dem Abbau existentieller Schutzfunktionen von Erwerbsarbeit einhergeht. Ein Anstieg von prekären Arbeitsverhältnissen ist die Folge, der sich mit zunehmenden digitalen Möglichkeiten – sofern nicht gegengesteuert wird - tendenziell verstärken wird. Crowdwork ist ein typisches Beispiel für digitalisierte Erwerbsarbeit mit einem hohen Prekarisierungsrisiko, da es keine wie immer gearteten Regelungen zu Entgelt, Arbeitszeit etc. gibt. 5

Am Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert standen katastrophale Arbeitsverhältnisse. Im Laufe der Zeit wurden im Interesse der gesamten Gesellschaft Schutzbestimmungen implementiert, Arbeitsbedingungen in zentralen Dimensionen reguliert und soziale Risiken von Erwerbsarbeit abgefedert. Die politischen AkteurInnen sind nun gefordert, Rahmenbedingungen für digitalisierte Arbeit 4.0 zu erarbeiten. Zum einen braucht es jedenfalls ein Minimum an arbeits- und sozialrechtlichen Schutzbestimmungen für plattformbasiertes Arbeiten, zum anderen ist auch dafür Sorge zu tragen, dass arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen durch Homeoffice etc. nicht ausgehebelt oder die Kosten der Arbeitsplatzausstattung eines Heimarbeitsplatzes als Bringschuld angesehen werden. Arbeit 4.0 braucht Regeln, Gestaltung und Schutz, um eine weitere Polarisierung, mit allen damit verbundenen Gefahren für die Gesellschaft und Demokratie, zu verhindern.

Literatur

  1. Vgl. Frey Carl Benedikt, Osborne Michael A. (2013): The future of Employment: How susceptible are Jobs to Computerisation? S. 38ff
  2. Vgl. Hirsch-Kreinsen Hartmut (2015): Digitalisierung von Arbeit: Folgen, Grenzen und Perspektiven. Soziologisches Arbeitspapier Nr. 43/2015. Dortmund. S. 7f oder Flecker Jörg (2017): Arbeit und Beschäftigung. Eine soziologische Einführung. Wien. S. 217ff
  3. Vgl. Nagl Wolfgang, Titelbach Gerlinde, Valkova Katarina (2017): Digitalisierung der Arbeit: Substituierbarkeit von Berufen im Zuge der Automatisierung durch Industrie 4.0. IHS-Projektbericht. Wien. S. 23
  4. Vgl. European Commission (2020): Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) 2020. Österreich. https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/scoreboard/austria
  5. Vgl. Sylvia Kuba: Crowdworker – Das neue Prekariat? in: WISO Heft 4/2016, Linz, 86-89

Autorin

Dr.in Christine Stelzer-Orthofer ist Assistenzprofessorin am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der Johannes Kepler Universität Linz.

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