Zeitschrift EE

nt 04 | 2020 Digitalisierung im Energiesektor

Drohnen machen Jagd auf urbane Hitzeinseln

Daniel Rüdisser

Für eine intelligente Stadtplanung bzw. für Verbesserungsmaßnahmen muss man wissen, wo welche Probleme auftreten, zum Beispiel wo es Wärmeinseln gibt oder wo die Schadstoffkonzentration besonders hoch ist. Für die Erfassung dieser Daten stehen nun neuartige Messköpfe für Zeppeline, Drohnen und UAV (Unbemannte Luftfahrzeuge) zur Verfügung, die umfassende und präzise Messdaten liefern können. Derzeit basieren die meisten Simulationsverfahren für das Stadtklima oder einzelne Gebäude auf makroskopischen Daten, welche entweder von Satelliten bzw. Forschungsflugzeugen oder aus einem groben Netz von stationären Messstationen erfasst werden. Für eine genaue Beschreibung der lokalen Bedingungen in und um Gebäude ist es jedoch wesentlich, die relevante mikroklimatische Einheit, welche zumeist nur einige Gebäude und deren Umgebung umfasst, möglichst präzise zu erfassen und zu beschreiben. Neuartige Messmethoden gestatten nun lokale, detaillierte Messungen der thermischen Umgebung und der Luftgüte im Stadtgebiet, sowie Bildaufnahmen aus niedriger Höhe in einer bisher unerreichten Datenqualität. Die Entwicklung von durchgängigen Prozessketten zur Nutzung dieser neuen Methoden ist Ziel des vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie geförderten Projekts „Smart City Sensing“, welches von österreichischen und chinesischen Projektpartnern durchgeführt wird. Die Untersuchungen konzentrieren sich auf die kleinräumige, verfeinerte Erfassung von städtischen Wärmeinsel-Effekten und Schadstoffkonzentrationen. Die entwickelten Methoden werden derzeit in Städten unterschiedlicher Größe in Österreich und China getestet und sind weltweit anwendbar.

Foto: AEE INTEC

Während die chinesischen Partner den Fokus auf die Entwicklung einer Inversionsmethode zur Abschätzung der vorherrschenden Lufttemperaturen aus Drohnen-Thermografieaufnahmen des Stadtgebiets legen, konzentriert sich die Arbeit in Österreich insbesondere auf die Entwicklung einer neuen Methode zur Berechnung und Bewertung des thermischen Komforts im urbanen Raum.

Thermischer Komfort

Die subjektiv anmutende Terminologie „thermischer Komfort“ oder „empfundene Temperatur“ beschreibt die Relevanz dieser Größen nur unzulänglich, da Hitze- oder Kältebelastung, welche mit sehr hohen oder sehr niedrigen Werten der thermischen Komfortindizes verbunden ist, zu objektivem physiologischem Stress führt. Dieser stellt nicht nur eine Behaglichkeitsbeeinträchtigung dar, sondern kann gravierende gesundheitsrelevante Auswirkungen bis hin zu einem Anstieg der Mortalitätsrate haben. Mehrere Studien (etwa der WHO) analysieren die Auswirkungen und Einflussfaktoren von Hitzewellen und empfehlen zur Reduktion der Hitzebelastung in Städten eine gezielte Berücksichtigung von mikroklimatischen Aspekten im Zuge der Stadtplanung. Für zielgerichtete Optimierungsmaßnahmen, welche sich auf die Reduktion der Hotspots in Form von Innerstädtischen Hitzeinseln (Intra-Urban-Heat-IslandsIUHI) konzentrieren, ist es notwendig die komplexen Zusammenhänge zu verstehen und die wesentlichen Einflussfaktoren zu identifizieren. Zunehmend wird für diese Aufgabe eine Reihe von Simulationstools eingesetzt. Eine umfassende exakte thermische Simulation urbaner Gebiete zur Vorhersage von belastbaren Absolutwerten ist schwierig, die Methoden eignen sich besser für Sensitivitätsanalysen. Für eine genaue Simulation der komplexen, vielschichtigen Wärmeaustauschmechanismen wäre die Lösung komplexer Gleichungssysteme unter der genauen Kenntnis einer Vielzahl an Materialparametern und Randbedingungen notwendig.

Strahlungssampling und 3D-Algorithmus zur Berechnung des thermischen Komforts. Quelle: AEE INTEC

Die von AEE INTEC entwickelte Methode stellt kein Simulationsverfahren, sondern gewissermaßen eine Hybridvariante dar. Grundsätzlich handelt es sich um eine messtechnische Untersuchungsmethode. Insbesondere für die Ableitung des gesuchten thermischen Komforts werden jedoch numerische Verfahren eingesetzt, welche üblicherweise in Simulationsprogrammen zur Anwendung kommen.

Der Entwicklung des Verfahrens wurde die Arbeitshypothese unterlegt, dass die zentrale Einflussgröße bei der Bestimmung des thermischen Komforts in sommerlichen urbanen Umgebungen die mittlere Strahlungstemperatur ist, da die Strahlung in der Wärmebilanz einerseits den größten Wärmestrom darstellt und andererseits den größten räumlichen Variationen unterliegt. Die möglichst exakte Bestimmung dieser Größe stellte deshalb die zentrale Aufgabenstellung bei der Entwicklung des Verfahrens dar. Sowohl auf der Empfängerseite (Mensch) als auch auf der Senderseite (Umgebung) wurde eine möglichst verfeinerte Beschreibung angestrebt. Hierfür werden einerseits aus der menschlichen Topologie resultierende, richtungsabhängige Strahlungssensitivitäten berücksichtigt. Andererseits wird die einwirkende Strahlungsleistung - bestehend aus der thermischen Strahlung aller Oberflächen, der atmosphärischen Gegenstrahlung sowie der direkten und diffus reflektierten und gestreuten Sonneneinstrahlung - auf Basis von Messdaten und mit Hilfe eines numerischen Verfahrens sehr detailliert ermittelt.

Messung der Ausstrahlung

Im Verfahren wird die wesentliche mittlere Strahlungstemperatur nicht für jeden Ort des untersuchten Bereichs messtechnisch ermittelt - was eine schwierige und sehr aufwendige Aufgabe darstellen würde – sondern aus den Einstrahlungswerten der gesamten sichtbaren Umgebung abgeleitet. Hierfür ist es notwendig, mittels Drohnen eine Vielzahl von Aufnahmen aller sichtbaren Bereiche anzufertigen. Die Drohnen sind für diesen Zweck gleichzeitig mit einer Thermografiekamera und einer Multispektralkamera ausgestattet. Mit ersterer wird die Wärmestrahlung der Oberflächen, welche von den Oberflächentemperaturen der einzelnen Flächen bestimmt wird, detektiert („langwellige Strahlung“). Mit Hilfe der Multispektralkamera wird die Intensität der reflektierten Solarstrahlung der einzelnen Oberflächen gemessen („kurzwellige Strahlung“)

Auswertung

In einem numerisch sehr aufwändigen Prozess werden diese Bilddaten aufbereitet, in dreidimensionale Punktwolken umgewandelt und schließlich in ein Stadtmodell übertragen. In diesem Stadtmodell kann schließlich mit Hilfe eines numerischen menschlichen Dummies unter Berücksichtigung weiterer Parameter wie z. B. Lufttemperatur, -feuchte und Windgeschwindigkeit, die vor Ort am Boden gemessen werden, der thermische Komfort für jeden Punkt des untersuchten Gebiets sehr genau berechnet werden. Bei dem Verfahren fallen neben den Absolutwerten für den thermischen Komfort auch viele weitere aufschlussreiche Parameter wie Oberflächentemperaturen, Flächenverteilung, Vegetationsanteil, Sensitivitäten etc. an. Zur effektiven Darstellung der Vielzahl an Parameter wurde ein eigenes interaktives Webtool entwickelt, welches es gestattet, sich dreidimensional im untersuchten Bereich zu bewegen. Auf diese Weise kann die thermische Behaglichkeitssituation sehr einfach und übersichtlich an jedem beliebigen Standort analysiert werden.

Interaktives Webtool zur Analyse des thermischen Komforts. Quelle: AEE INTEC

Großes Interesse

Die von AEE INTEC entwickelte Methode findet aufgrund des Klimawandels und der Zunahme von sommerlichen Hitzephasen sehr große Aufmerksamkeit: Zum einen erhielt die zugehörige wissenschaftliche Veröffentlichung den Best Conference Paper Award bei der BAUSIM2020-Konferenz und zum anderen wurde der Methode das „IÖB-ausgezeichnet“-Siegel der Innovationsfördernden Öffentlichen Beschaffung verliehen. Auch die Stadt Graz zeigt bereits Interesse und unterstützte das Projektteam bei den Drohnen-Befliegungen.

Statement

"Die beharrlichen Bemühungen des AEE INTEC-Projektteams und die hochaktuelle Forschungs- und Entwicklungsthematik haben uns in den unterschiedlichen Fachbereichen der Stadt Graz zum richtigen Zeitpunkt erreicht. Die Ermöglichung und Erstellung von Stadtklimaanalysen und die Berücksichtigung der Ergebnisse und Aspekte ist uns bereits seit vielen Jahren, sowohl bei strategischen als auch bei Detailplanungen, ein großes Anliegen. Der vertiefende Ansatz im Projekt SmaCiSe, Stadtklima auf Areals- oder Quartiersebene räumlich hochaufgelöst zu erfassen und die relevanten Einflussfaktoren zu identifizieren und darzustellen, bringt uns nicht nur neue, faktische Erkenntnisse, sondern ermöglicht uns in Folge auch, die Qualität der Entscheidungen maßnahmenseitig zu optimieren.

Winfried Ganster, Referatsleiter Geodaten KundInnenservice und Photogrammetrie, Mitglied der Arbeitsgruppe Klima Informationsystem der Stadt Graz

Autor

Dipl.-Ing. Daniel Rüdisser arbeitet als Physiker im Bereich „Gebäude“ bei AEE INTEC und leitet das Projekt SmaCiSe. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weiterführende Informationen

Projektlink: https://www.aee-intec.at/smacise-intelligente-stadtvermessung-n-thermografisches-screening-von-gebaeuden-und-luftqualitaet-imstaedtischen-massstab-p230

Webtool: http://www.aee-data.at/smacise/webtool/

 

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