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Energieversorgungsysteme: resilient und nachhaltig in die Zukunft

Anna Maria Fulterer, Ingo Leusbrock

Nachdem jahrelang bei Energiesystemen die Themen Effizienz und Erneuerbare Energien im Vordergrund standen, erlangen mehr und mehr zwei weitere Themen Gewicht: Flexibilität und Resilienz unserer Energieversorgung.

Unsere Energieversorgung ist verwundbar. Hurricanee Sandy warf 2012 Bäume und Strommasten um. Foto: iStock / nycshooter

Flexibilität und Resilienz

Ebenso wie Flexibilität kommt der Begriff Resilienz aus den Arbeitsgebieten von Materialwissenschaft und Ökologie. Ein Ökosystem wird als resilient bezeichnet, wenn es nach einer temporär auftretenden externen Veränderung wie einer Dürreperiode wieder in den Ursprungszustand zurückkehrt oder einen anderen stabilen Gleichgewichtszustand erreicht. Je schneller das System wieder diesen Zustand erreicht, desto resilienter ist es. Bei Energiesystemen bezeichnet der Begriff die Fähigkeit, grundlegende Funktionen der Energieversorgung bei anthropogenen Störungen wie Terror- oder Cyberangriffen, technischen Versagensfällen wie gebrochenen Leitungen und Softwareproblemen, und Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Unwettern aufrechterhalten und den Normalbetrieb rasch wieder aufnehmen zu können. Resilienz ist vor allem bei der Bewertung von systemkritischer Infrastruktur wie Krankenhäusern, Kraftwerken, Kasernen und Forschungseinrichtungen ein wichtiges Thema. Oft kommt es dabei zur Abwägung zwischen Resilienz und Nachhaltigkeit der Energieversorgung.

Bedeutung erlangt das Konzept der Resilienz aufgrund mehrerer Faktoren. Durch die Zunahme von Wettersituationen mit potenziell schädlichen Auswirkungen auf unsere Infrastruktur können bei Gewittern und Überschwemmungen Energieleitungen beschädigt werden, Hitzewellen fordern die Energienetze durch einen hohen Bedarf an Kühlenergie und auch die Ausweitung der Besiedlung in von Naturkatastrophen gefährdeten Gebieten fordert die Sicherstellung der Versorgung. Die Elektrifizierung und Digitalisierung von Energienetzen, z. B. computergesteuerte Schaltungen anstelle von mechanischen Anlagen, wobei auch Wärmeversorgungssysteme und Gasnetze vielfach auf externe Stromversorgung angewiesen sind, sowie erhöhte Abhängigkeit von Energie durch Digitalisierung und Elektrifizierung vieler Lebensbereiche wie Mobilität, Bildung und Pflege sind ein weiterer Faktor. Und letztendlich ist die teilweise veraltete Energie-Infrastruktur anfällig für Störungen.

Andererseits wirken sich einige Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auch positiv auf die Versorgungssituation aus. Die Entwicklung von zentralen und dezentralen Wärme- und Stromspeichern erlaubt die Überbrückung von Engpässen, lokale Energiequellen und -speicher ermöglichen eine Versorgung im Inselbetrieb. Erleichtert wird das durch moderne Regelungstechnik, welche über Lastmanagement einen lokalen Abgleich von Erzeugung und Verbrauch erlaubt. Zusätzlich verlängern hochgedämmte Gebäudehüllen und Wärmerückgewinnung den Zeitraum, der unbeschadet ohne externe Wärmezufuhr verbracht werden kann.

Energieversorgungssystem der Plus-Energie Siedlung Reininghaus Süd. Die Wärmeversorgung erfolgt über lokale Quellen wie Geothermie und Solar, bei Bedarf wird die Temperatur über eine stromgespeiste Wärmepumpe angehoben. Quelle: AEE INTEC

Außerdem sind die Möglichkeiten für die Umwandlung von Energie gestiegen: Power2Gas und die Herstellung von Biogas z. B. in Kläranlagen sind Beispiele dafür. Diese Hybridisierung erweitert den Handlungsspielraum, da sie die Anzahl der verwendeten Energiequellen erhöht und somit Abhängigkeiten verringert. Es gibt also ein umfangreiches Portfolio von Technologien, das genutzt werden kann, um die Resilienz von Energiesystemen zu erhöhen.

Kleine Geschichte der Energienetze

Im Laufe der Geschichte nutzte der Mensch zunehmend mehr - erneuerbare und fossile - Energiequellen für sich. Um etwa Metalle zu gewinnen, wurden schon ab der Jungsteinzeit Holz und Kohle verbrannt. Erste durch Wasserkraft angetriebene Schöpfräder aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. hat man in Mesopotamien gefunden. In vielen entlegenen Tälern Österreichs finden sich an Bächen die Ruinen von Mühlen. Hier wurde erneuerbare Energie lokal genutzt, als der Transport von Energie über Netze noch nicht möglich war. Erste Energienetze mit kontinuierlichem Transport von Energieträgern durch Leitungen oder Röhren wurden im 19. Jahrhundert erbaut und dienten oft der Versorgung von Eisenbahnen. Netzbasiertes Heizen gab es zwar schon im alten Rom, die ersten modernen Fernwärmesysteme wurden jedoch ab Ende des 19. Jahrhunderts zunächst in den USA, dann in Deutschland, der Sowjetunion und ab den 1950ern auch in China errichtet.

Internationalisierung und Verschiebung von Versorgungssicherheit zur Kosten-Effizienz

Jahrzehntelang war die Energieversorgung vor allem auf Versorgungssicherheit ausgerichtet. In den europäischen Ländern war Energieversorgung ein staatliches Monopol, und Staaten waren oft energieautark – sieht man von der Einfuhr der primären Energieträger ab. Die Grundprinzipien der Energieversorgung waren Effektivität und Sicherheit.

Mit der EU hat hier in den letzten 20 Jahren ein Wandel stattgefunden. Das Marktprinzip sollte auch im Energiebereich zu Kosteneinsparungen für den Verbraucher führen. Zum freien Markt gehört der Handel und damit auch Transport von Gütern. Tatsächlich stellt die physische Belastbarkeit des Stromnetzes eine bedeutsame Barriere für den freien Handel und Austausch von Energie dar. Ein EU 2020-Ziel ist daher der Ausbau der Übertragungsnetze.

Die Entwicklung des freien Energiehandels führte dazu, dass die früheren Grundprinzipien „Effektivität und Sicherheit“ durch „Preiswettbewerb und Kosten- Effizienz“ ersetzt wurden. In Ergänzung dazu bestehen weiterhin Kontrollmechanismen: Staatliche Energieagenturen – in Österreich die e-control - wachen über die Versorgungssicherheit. Neben der Versorgungssicherheit stellen Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit zentrale energiepolitische Ziele dar1.

Flexibilität steht durch große Anlagen zur Verfügung, welche bei erhöhter Nachfrage gespeicherte Energie wie Erdöl, Biomasse und Erdgas in Strom / Wärme umwandeln. EU-weit ist ein Pflichtvorrat an Mineralöl vorgeschrieben, der 90 Tage reichen soll („Strategische Ölreserve“). Österreichs Energieversorgung war bisher recht verlässlich. Die mittlere Zeit, die ein Nutzer hier ohne Stromversorgung auskommen musste, liegt bei wenigen Minuten im Jahr. Die Möglichkeit eines Lieferstopps aus technischen, wirtschaftlichen oder politischen Gründen ist allerdings ein immer wiederkehrendes Thema.

Resilienz durch zeitweisen Inselbetrieb

In den USA überarbeiten seit einigen Jahren viele Universitäten, Forschungseinrichtungen und Krankenhäuser ihre Energiesysteme. Die Princeton University z. B. kann sich auf ihre Versorgung verlassen. Sie verfügt über eigene Kraft- und Wärmewerke – welche sich allerdings vorwiegend aus fossilen Quellen speisen. Sie werden im Regelfall nach dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit betrieben und erlauben im Notfall auch einen Inselbetrieb. Grund für die Bemühungen in Richtung Autarkie sind die häufigen Ausfälle der Energieversorgung durch veraltete Infrastruktur und Unwetter.

Viele Universitäten und Forschungseinrichtungen in den USA wie z. B. die Princeton University (im Bild) verfügen über eigene Stromerzeugung und Wärmewerke, um energieautark zu sein. Foto: demerzel21 / fotolia.de

In Österreich verfügen Gebäude mit kritischen Funktionen über ein Ausfallsystem für die Energieversorgung. In Krankenhäusern gibt es Notstromaggregate für den Betrieb von Intensivstationen und Operationssälen, welche meist mit Diesel betrieben werden. Auch Serverräume müssen ununterbrochen versorgt oder kontrolliert heruntergefahren werden, damit es nicht zum Verlust von wichtigen Funktionen und Daten kommt.

Im besten Fall können bei einem Störfall im übergeordneten System nicht nur kritische Infrastrukturen, sondern auch die übrigen Energienutzer im Inselbetrieb versorgt werden. Voraussetzung dafür ist ein sorgfältiges Design der Energiesysteme, unter Berücksichtigung von lokaler Erzeugung, Speicherung und Energieflexibilität. Will man langfristig unabhängig von fossilen Quellen sein, dann wird Resilienz zu einem wichtigen Argument für die Nutzung von lokalen Energiespeichern und erneuerbaren Quellen.

Resilienz für Energiesysteme von Gebäudeverbänden

Im Rahmen eines Projektes der Internationalen Energieagentur (IEA EBC Annex 73) und des dazu gehörigen nationalen Forschungsprojekts arbeitet AEE INTEC zusammen mit einem internationalen Expertenteam an der Weiterentwicklung des Resilienzkonzeptes für Energiesysteme von Gebäudeverbänden und die Einbettung dieses Konzeptes in Planung, Weiterentwicklung und Betrieb. Eines der angepeilten Resultate ist ein Workflow für simulationsgestützte Planung. GebäudeplanerInnen, EnergieraumplanerInnen und BetreiberInnen von Verteilnetzen können die Ergebnisse nutzen, um mit Hilfe nachhaltiger Technologien eine resiliente Versorgung für Gebäudeverbände sicherzustellen. In Österreich werden auch Zivilschutzverbände mit einbezogen, da diese beim Schutz der Zivilbevölkerung im Katastrophenfall eine wichtige Rolle spielen.

Das Wort Resilienz kommt vom lateinischen Verb „resilire“, das „zurückspringen, abprallen“ bedeutet. Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Systems auf zerstörende Einflüsse, z. B. durch Naturkatastrophen, zu reagieren und zumindest die Basisfunktionen aufrecht zu erhalten. In der Biologie ist Resilienz ein Merkmal, das sich durch natürliche Selektion durchsetzt, sobald es zu Änderungen und Störungen in der Umgebung kommt.

AEE INTEC nimmt für Österreich an der Internationalen Kooperation eines Projektes mit dem Titel „Towards Net-Zero Energy Resilient Public Communities“ (IEA EBC Annex 73) teil. Hier soll die Entwicklung von resilienten Energiesystemen für Gebäudeverbände unter Zuhilfenahme von erneuerbaren und lokalen Energieträgern im Vordergrund stehen.

AutorInnen

Dr. Anna Maria Fulterer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin des Bereichs „Bauen und Sanieren“ bei AEE INTEC.

Dr. Ingo Leusbrock ist Leiter der Gruppe „Netzgebundene Energieversorgung und Systemanalysen“ bei AEE INTEC.

Weiterführende Informationen

Literatur

  1. ImpRES Bericht - für Deutschland, https://www.impres-projekt.de/impres-wAssets/docs/ImpRES_Energiesicherheit_Uebersicht-und-Vorgehensweise_v18.pdf

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