Zeitschrift EE

2019-04: Wärmespeicher

Solarreaktor - Innovationsmethoden in der Forschung

Jürgen Fluch, Daniel Tschopp, Raphaela Maier

Disruptive1 Innovationen sind Innovationen, die einen neuen Markt schaffen und bestehende Produkte und etablierte Marktakteure vollständig vom Markt verdrängen [1]. Genauso wie Automobile die Pferdekutsche ersetzt haben, werden wahrscheinlich in naher Zukunft Autos mit Verbrennungsmotoren verdrängt werden. Zur Erreichung der Klimaziele benötigt die europäische Industrie disruptive Innovationen: eine radikale Transformation von auf fossilen Energien basierenden Produktionssystemen in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität.

Abbildung 1: iStock

Solarreaktoren als disruptive Innovation

Im Rahmen eines durch den Klima- und Energiefonds geförderten Sondierungsprojekts wurden Potenziale für radikal neue, innovative Ansätze nachhaltiger industrieller Produktions- und Energieversorgungstechnologien mittels Solarreaktoren erhoben und Grobkonzepte für diese Reaktoren entwickelt. Da keine allgemein anerkannte Definition vorliegt, wurden Solarreaktoren im Projekt als integrative Produktions- und Versorgungssysteme definiert: ein in einem Reaktor ablaufender industrieller Prozess wird mit Solarenergie versorgt, dabei sind Reaktor und solare Energieversorgung zu einem Bauteil verschmolzen. Der thermische oder chemische Prozess läuft also direkt an dem Ort ab, wo die Solarstrahlung auftritt. Dies unterscheidet sich radikal von der herkömmlichen Integration solarer Prozesswärme, wo die industriellen Prozessreaktoren und deren Energieversorgungssystem (Kessel, Sonnenkollektoren, Energiespeicher, etc.) auf unterschiedliche Komponenten aufgeteilt sind.

In Solarreaktoren kann die Solarstrahlung auf unterschiedliche Weise genutzt werden. Thermische, thermo-chemische, photokatalytische und elektrolytische Anwendungen wurden im Projekt untersucht. Bisher gibt es nur vereinzelte, spezifische Anwendungen von Solarreaktoren z. B. im Bereich der photokatalytischen Anwendungen für die Abwasserbehandlung [2]. Im Gegensatz zu rein konventionellen oder lichtbasierten Wasserreinigungssystemen, die mit kostspielig elektrisch erzeugter UV-Strahlung operieren, wird die photokatalytische Wirkung des Sonnenlichts direkt genutzt, indem das Abwasser durch einen transparenten Solarreaktor geleitet wird.

Abbildung 2: Solarreaktor für die Abwasserbehandlung [3]. Foto: Journal of Chemical Technology and Biotechnology, vol. 85, no. 8, pp. 1028–1037, 2010

Andere Anwendungen sind Schmelzöfen und Brennkammern, die direkt in den Kollektor integriert sind und mittels konzentrierender Sonnenergie zur Glasherstellung [4] oder für das Metallrecycling eingesetzt werden [5].

Innovationsprozess

Um generell das Potenzial und die technische, öknomische und ökologische Eignung industrieller Prozesse für die Versorgung mittels Solarreaktoren zu erfassen, wurde in einem ersten Schritt eine semiquantitative2 Analyse durchgeführt. Mit Kriterien wie möglichem Marktpotenzial, Umsetzungswahrscheinlichkeit oder aktuell laufenden Forschungsarbeiten wurde eine erste Auswahl an geeigneten Prozessen erstellt. Nun war die Herausforderung, geeignete Ideenfindungs- und Innovationsmethoden zu verwenden, um Grobkonzepte für Solarreaktoren für diese Verfahren zu entwickeln. Werkzeuge dafür stellt das Innovationsmanagement zur Verfügung [6], das Methoden wie Design Thinking, TRIZ (Theorie des erfinderischen Problemlösens), Open Innovation oder User Innovation für zielgerichtete Innovation einsetzt. Im Projekt wurden Elemente mehrerer Innovationsmethoden, vor allem der Open Innovation, kombiniert, sowie Kreativitätsmethoden zur Ideenfindung verwendet.

Um die Ideengenerierung nicht auf das Projektteam zu beschränken und den Innovationsprozess zu starten, wurde bei AEE INTEC eine Ideenbox eingerichtet, wo MitarbeiterInnen und externe BesucherInnen Ideen in Form von Skizzen oder Textbeschreibungen einbringen konnten.

Kernstück der Innovationsfindung war ein ExpertInnenworkshop, an dem institutsinterne und externe ExpertInnen mit unterschiedlichen Kernkompetenzen von Verfahrenstechnik über Messtechnik bis zu Management Teams mit TeilnehmerInnen aus möglichst komplementären Expertisefeldern bildeten. Im Workshop wurden die zehn vielversprechendsten industriellen Verfahren wie z. B. Fermentation, Pasteurisation und Elektrolyse behandelt.

Abbildung 3: Werkzeuge des Innovationsmanagements [6] werden zur Entwicklung von Grobkonzepten für einen Solarreaktor eingesetzt Foto: AEE INTEC

Der Innovationsfindungsprozess lief etwa folgendermaßen ab, als Beispiel dient die Pasteurisation: Ausgehend vom Prozess wurden zuerst dessen Anwendungen analysiert (Pasteurisation von Milch, Fruchtsaft, Bier, etc.). In einem zweiten Schritt wurden die Ziele des Prozesses abstrahiert. Bei der Pasteurisation ist dies die Haltbarmachung durch Abtötung von Bakterien. Das Ziel des Prozesses und derzeitige technische Lösungen wurden bewußt getrennt, um den Prozess auf seine Kernfunktion - die Abtötung von Bakterien - zu reduzieren. Sich ergebende Fragen waren beispielsweise: Ist eine thermische Behandlung zur Abtötung der Bakterien notwendig, oder lässt sich dies auch durch UV-Bestrahlung erzielen? Lässt sich eine (Vor-)Pasteurisation direkt beim Melkprozess oder beim Milchproduzenten umsetzen? Können Transportfahrzeuge für eine (Vor-)Pasteurisation genutzt werden?

Für insgesamt 14 entwickelte Grobkonzepte erfolgte in einem nächsten Schritt eine Detaillierung der Konzepte und eine Prüfung der technischen und ökonomischen Machbarkeit. Externe ExpertInnen der Forschungsinstitute CIEMAT (Centro de Investigaciones Energéticas, Medioambientales y Tecnológicas) und DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) unterstützten dabei bei spezifischen Fragestellungen.

Solarreaktoren und Speicher

Die integrierte Bauweise von Solarreaktoren bedeutet, dass der Speicher als Einzelkomponente wegfällt und alternative Lösungen für einen Lastausgleich gefunden werden müssen. Statt Energie auf der Versorgungsseite zu speichern, können bei der Anwendung von Solarreaktoren (allenfalls größer dimensionierte) Speicher für Edukte (Ausgangsstoffe) und Zwischenprodukte eingesetzt, oder aber der Solarreaktor selbst als Speicher genutzt werden. Günstige Bedingungen für die Umsetzung von Solarreaktoren liegen dort vor, wo Edukte und Zwischenprodukte kostengünstig und ohne Reduktion der Produktqualität gespeichert werden können, wie z. B. bei Solarreaktoren für die Abwasserbehandlung.

Resümee und Ausblick

Das Sondierungsprojekt hat gezeigt, dass Solarreaktoren großes Potenzial in vielen Industriezweigen besitzen. Es ist geplant, die Erkenntnisse mit Technologieanbietern, Anlagenbauern und industriellen Endanwendern zu diskutieren und konkrete Forschungsprojekte zu initiieren. Nicht nur das technische Potenzial hat sich bestätigt, sondern die wirtschaftliche Bewertung ist ebenso vielversprechend. Es gilt nun, die identifizierten technischen Fragestellungen konkret zu adressieren und Lösungen im Labormaßstab zu evaluieren. Der zielgerichtete Einsatz von Innovationsmethoden zur Entwicklung von Grobkonzepten für Solarreaktoren hat sich bewährt.

Fußnoten

  1. Ein Gleichgewicht, ein System o. Ä. zerstörend; von engl. disruptive – störend, zerstörerisch
  2. Semi-quantitative Verfahren arbeiten mit einer Matrix unterschiedlicher Kategorien, mittels derer der Untersuchungsgegenstand einer Bewertung unterzogen wird.

Weiterführende Informationen

  1. E. Danneels, “Disruptive Technology Reconsidered: A Critique and Research Agenda,” Journal of Product Innovation Management, vol. 21, pp. 246–258, 2004.
  2. S. M. Rodr, P. Ferna, J. F. Mendes, and J. C. de Oliveira, “Engineering of solar photocatalytic collectors,” Solar Energy, vol. 77, no. 5, pp. 513–524, 2004.
  3. E. Ubomba-Jaswa, P. Fernández-Ibáñez, C. Navntoft, M. Inmaculada Polo-Lópezb, and K. G. McGuigana, “Investigating the microbial inactivation efficiency of a 25 L batch solar disinfection (SODIS) reactor enhanced with a compound parabolic collector (CPC) for household use,” Journal of Chemical Technology and Biotechnology, vol. 85, no. 8, pp. 1028–1037, 2010.
  4. S. Q. S. Ahmad, R. J. Hand, and C. Wieckert, “Use of concentrated radiation for solar powered glass melting experiments,” Solar Energy, vol. 109, pp. 174–182, Nov. 2014.
  5. K.-H. Funken, M. Roeb, P. Schwarzboezl, and H. Warnecke, “Aluminum Remelting using Directly Solar-Heated Rotary Kilns,” J. Sol. Energy Eng, vol. 123, no. 2, pp. 117–124, 2001.
  6. T. Müller-Prothmann and N. Dörr, Innovationsmanagement: Strategien, Methoden und Werkzeuge für systematische Innovationsprozesse. München: Hanser, 2009.

Danksagung

Dieses Projekt wird durch den Klima- und Energiefonds im Rahmen des Programms "Energieforschung (e!MISSION)" 4. Ausschreibung gefördert.

Autoren

Dipl.-Ing. Jürgen Fluch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Industrielle Prozesse und Energiesysteme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Mag.

Dipl.-Ing. Daniel Tschopp ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Thermische Energietechnologien und hybride Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Raphaela Maier, BSc. hat ihre Masterarbeit im Rahmen der Sondierung „Solarreaktor“ bei AEE INTEC geschrieben.

 

Top of page