Zeitschrift EE

03 | 2024 Innovation durch internationale Kooperation

Den Wandel der europäischen Prozessindustrie gestalten

Àngels Orduña, Evelina Paunksnyte

Forschung und Innovation für eine wettbewerbsfähige, kreislauforientierte und nachhaltige Prozessindustrie

Die europäische Prozessindustrie befindet sich in einer doppelten Übergangsphase: der Transformation zu Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft und der wirtschaftlichen Weiterentwicklung im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen Energiekrise. Die technologische und nachhaltige Umgestaltung der verarbeitenden Industrie in Europa und der Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit müssen dabei Hand in Hand gehen, um eine erfolgreiche und qualitätsvolle Transformation zu erreichen.

Foto: A.SPIRE

Mit nur noch zwei verbleibenden Investitionsrunden im europäischen Investitionsplan bis 2027 [1] wächst der Druck, die Emissionen der Industrie deutlich zu senken, was die Investitionsagenda der zehn in der Partnerschaft A.SPIRE organisierten Industrie-Sektoren vorantreibt. A.SPIRE vertritt die Prozessindustrie der EU und ist Partner der Public-Private-Partnership „Processes4Planet“ (P4Planet), die auf Basis einer Absichtserklärung (Memorandum of Understanding) mit der Europäischen Kommission ins Leben gerufen wurde. Diese Vereinbarung zwischen Industrie und öffentlichen Institutionen verpflichtet beide Seiten, gemeinsam alle notwendigen Anstrengungen zu unternehmen, um Lösungen für Klimaneutralität, Kreislaufwirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit zu entwickeln und umzusetzen. Im Fokus der Entscheidungsprozesse der in A.Spire organisierten Branchen stehen die Entwicklung und Implementierung zukunftsweisender Innovationen, um die EU-Ziele für 2030 (55 Prozent Emissionsreduktion), 2040 (90 Prozent Reduktion) und 2050 (Klimaneutralität) zu erreichen. Dabei spielt die Notwendigkeit, 40 033 Industrieanlagen und 10,9 Millionen direkte Arbeitsplätze in Europa zu sichern (laut Eurostat, 2020) und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, eine wesentliche Rolle bei der Priorisierung der Innovationen.

Eine systemische F&I-Agenda für die Prozessindustrie

Die Processes4Planet-Partnerschaft erarbeitete eine strategische Forschungs- und Innovationsagenda 2050 (Strategic Research and Innovation Agenda – SRIA [2]), die drei ehrgeizige Ziele für das Jahr 2050 festsetzt: Netto-Null-Treibhausgasemissionen, nahezu null Deponierung von industriellen Abfällen und nahezu 100 Prozent Wiederverwendung von Prozesswasser, sowie eine florierende EU-Prozessindustrie, deren Bruttowertschöpfung schneller wächst als das Bruttoinlandsprodukt der EU. In der strategischen Forschungsagenda werden 14 Innovationsbereiche und 36 Innovationsprogramme festgelegt, um die erforderlichen Lösungen zu entwickeln. (Siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Processes4Planet Strategic Research Agenda 2050 – Abschätzung der Entwicklung unterschiedlicher Innovationsbereiche

Dabei ergaben die Analyse des Portfolios und Gespräche mit den Sektoren folgende Prioritäten, auf die man sich in den letzten drei Jahren des Horizon Europe (2021-2027)-Forschungsprogramms konzentrieren sollte: Elektrifizierung der Prozessindustrien, alternative erneuerbare Energieträger und ihre Integration, beschleunigte Verbesserung der Energie- und Materialeffizienz, Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (CCUS), sichere und nachhaltige Werkstoffe und Produktionsprozesse, Kreislaufwirtschaft sowie digitale und menschenzentrierte Industrie (Industrie 5.0).

Die EU-Verarbeitungsindustrie schätzt, dass mindestens 34,5 Milliarden Euro erforderlich sind, um bis 2050 die notwendigen Innovationen zu entwickeln. Davon müssen mindestens 19,8 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren investiert werden, um die Ziele des EU-Green Deals zu erreichen. Die P4Planet-Partnerschaft spielt dabei eine entscheidende Rolle bei der Bereitstellung von Finanzmitteln, um das erste „valley of death“ [3] für Innovationen in nachhaltigen Produktionsprozessen und Materialien zu überwinden. Über ihr Impact Panel lenkt die Partnerschaft auch die Diskussionen, um das Bewusstsein für die Finanzierung und weitere Unterstützung zu schärfen, die notwendig sind, um das zweite „valley of death“ zu überwinden, damit diese Innovationen in der europäischen Industrie erfolgreich implementiert werden können.

Proccesses4Planet-Innovationen, die Wirkung zeigen

Die Europäische Kommission hat im Rahmen von Horizon Europe (2021-2027) 1,3 Milliarden Euro für Processes 4Planet zur Verfügung gestellt. In den drei Jahren von 2021 bis 2023 wurden 45 Projekte im Rahmen von Horizon Europe als Teil des Processes4Planet-Portfolios finanziert. Der Gesamtbeitrag der EU zu den Processes4Planet-Projekten beläuft sich auf 517 Mio. EUR. 45 Prozent (233 Mio. EUR) dieses Betrags wurden für Forschungs- und Innovationsmaßnahmen bereitgestellt, während 54 Prozent (281 Mio. EUR) für Innovationsmaßnahmen bestimmt waren. Private Beiträge ergänzen die europäische Finanzierung in Form von Sachleistungen.

Der Übergang zur Klimaneutralität und zu einer grünen, kreislauforientierten Wirtschaft wird nur gelingen, wenn die entwickelten Lösungen in synergetischer Weise eingeführt werden. Keine einzelne Technologie kann die erforderlichen Veränderungen allein bewirken. Es ist die Gesamtheit der Innovationen aus dem Processes4Planet-Programm, die der Industrie den Weg ebnen und die Umsetzung der Klima- und Kreislaufziele ermöglichen wird. Dies geschieht zusätzlich zu den erheblichen Investitionen, die die europäische Prozessindustrie bereits in operative und ergänzende Maßnahmen getätigt hat. Gegenwärtig steht die Prozessindustrie unter starkem Druck, die Klimaziele zu erreichen. Die Notwendigkeit, die Kreislauffähigkeit von Materialien zu erhöhen, die planetarischen Grenzen zu respektieren und die Prozessindustrien menschenzentrierter und widerstandsfähiger zu gestalten, zwingt die Unternehmen dazu, ihre Innovationen auf die dringendsten Herausforderungen zu fokussieren, während sie zugleich nach zukunftsweisenden Lösungen suchen.

Synergistischer Ansatz

Sektorübergreifende Zusammenarbeit steht im Mittelpunkt der A.SPIRE-Initiativen, und die Partnerschaft mit führenden Initiativen und Exzellenzzentren ist dabei von entscheidender Bedeutung, um Forschungsthemen detailliert zu bearbeiten und zielgerichtete Entwicklungen für die Transformation voranzutreiben. AEE INTEC ist Teil dieser erfolgreichen und fruchtbaren Kooperationen, wie der kürzliche Start von zwei A.SPIRE-Projekten mit Beteiligung von AEE INTEC beweist. Weiters zeigte sich die enge und erfolgreiche Zusammenarbeit bei der „International Sustainable Energy Conference“ (ISEC) 2024 in Graz, Österreich, wo ein spezieller Workshop zum Thema „Exploring the Sectoral Hubs for Circularity Potential in EU Regions“ stattfand. Dieser Workshop ermöglichte es, mit wichtigen Akteur*innen aus Mitteleuropa in Kontakt zu treten und die sektorübergreifende Zusammenarbeit zu stärken, um die ambitionierten Ziele von P4Planet zu erreichen.

Erfolgsstories der Processes4Planet-Partnerschaft

Regionaler Hub für Zirkularität (Aragon's REgional Hub for circularity: DEmonstration of Local Industrial-urban symbiosis initiatives): Das REDOL-Projekt ist eine Initiative, an der 35 Partner aus 12 Ländern beteiligt sind. Es soll die Abfallwirtschaft revolutionieren und konzentriert sich auf die fünf Wertschöpfungsketten Verpackungen, Kunststoffe, Bau- und Abbruchabfälle, Textilien und Elektronikaltgeräte, um Lösungen zur CO2-Emissions- und Kosteneinsparung in der Abfallwirtschaft zu demonstrieren und auch auf andere Standorte zu übertragen.

Im Projekt „From Industrial Symbiosis to Hubs for Circularity (IS2H4C)“ sollen Hubs for Circularity entwickelt werden, die auf Kreislaufwirtschaft und Symbiosen bestehender und zukünftiger Industriegebiete mit den sie umgebenden Ökosystemen basieren. Die Hubs zeichnen sich durch Ressourceneffizienz, Nutzung erneuerbarer Energien und Abfallvermeidung sowie Wiederverwendung und Recycling unvermeidlicher fester, flüssiger und gasförmiger Abfallströme durch die systemische Integration in bestehende und neue Infrastrukturen aus.

Weiterführende Informationen

A.Spire

Projekt REDOL

Projekt IS2H4C

Literatur

[1] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020DC0021
[2] Association SPIRE. Processes4Planet Strategic Research and Innovation Agenda 2050 (SRIA), 2020.
[3] Ein „valley of death“ tritt in der Frühphase wissenschaftsbasierter Innovation auf, wenn die Entwicklung der Technologie durch fehlende Finanzierung und Unterstützung behindert wird.

Autoren

Àngels Orduña, Executive Director des Public-Private-Partnership-Netzwerks A.SPIRE.

Evelina Paunksnyte, Operations Manager des Public-Private-Partnership-Netzwerks A.SPIRE.

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