Zeitschrift EE

nt 03 | 2020: Innovative Demonstrationsgebäude

Energieautarke Gebäude
Vom Konzept zur Umsetzung

Ramy Saad, Emilie Tourenne

Seit 2011 entwickelt ein F&E-Team von Bouygues Construction das ABC-Konzept: Autonomous Buildings for Citizens. Das heißt, dass Gebäude in Zukunft autark funktionieren und den Bewohnern und Bewohnerinnen einen Mehrwert bieten sollen. Die Entwicklungen fanden gemeinsam mit dem Architekten Denis Valode (Architekturbüro Valode & Pistre) statt. Der Anspruch war es, Häuser zu entwerfen, die energie- und wasserautark sind und deren Abfallentsorgung optimiert ist.

Demonstrationsgebäude Ecocité Grenoble

Demonstrationsprojekt Ecocité in Grenoble-Presqu’Île. Quelle: Valode & Pistre

In Grenoble-Presqu‘Île wurden nun die ersten beiden Demonstrationsgebäude nach dem ABC-Konzept umgesetzt, die ersten ihrer Art in Frankreich. Zwei Gebäude mit einer Bruttogeschoßfläche von gesamt 4300 m² und 62 Wohneinheiten wurden im Niedrigenergiestandard errichtet, davon ein Gebäude mit 40 Eigentumswohnungen sowie das zweite Gebäude mit 22 Mietwohnungen. Die Wohnungsgrößen liegen zwischen 44 und 100 Quadratmetern.

Der berechnete Heizwärmeverbrauch der Gebäude beträgt 25 kWh bzw. 30 kWh pro Quadratmeter und Jahr. Die Wohnungen sind mit Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung ausgestattet, wobei das Gebäude mit 40 Wohnungen mit dezentralen Lüftungsgeräten je Wohneinheit ausgestattet wurde. Für das Gebäude mit 22 Wohnungen wurde ein zentrales Lüftungsgerät mit Wärmerückgewinnung eingesetzt. Innovative Baumaterialien wie kohlenstoffarmer Beton oder Korkdämmungen sollen auch die Kohlenstoffemissionen der Konstruktion minimieren. Eingesetzt wurden weiters sehr verbrauchsarme Haushaltsgeräte mit A+++ Label sowie Heizkörper mit integrierten Batterien zur Eigenverbrauchsoptimierung der installierten PV-Anlage.

Heizkörper Typ Lancey. Foto: Bouygues Construction

Neben Räumlichkeiten für Fahrräder (pro Bewohner/in ein Fahrradabstellplatz) zur Förderung von sanfter Mobilität umfasst das Konzept Gemeinschaftsgemüsegärten und einen Nachbarschaftsraum für den Austausch unter den Bewohnern und Bewohnerinnen.

Innovatives Energie-, Wasser-, und Abfallkonzept

Zahlreiche Innovationen und neue Ansätze zeichnen das Projekt sowohl in Bezug auf die technische Umsetzung als auch die Einbindung der BewohnerInnen aus. Die Gebäude werden durch Sonnenstrom versorgt, wobei die Energie direkt genutzt wird und den BewohnerInnen für alle Anwendungen zur Verfügung stehen soll. Das Konzept sieht eine Nullenergiebilanz in Bezug auf den jährlichen Energieverbrauch und einen Eigenverbrauchsanteil bis zu 70 Prozent vor.

Insgesamt wurden 688 Photovoltaikmodule mit einer Gesamtfläche von 1130 m² und einer Leistung von 209 kWp installiert. Der berechnete Solarertrag beträgt 270 MWh. Seit 2016 haben die BewohnerInnen aufgrund einer Änderung des französischen Energiegesetzes die Möglichkeit, die produzierte Energie von Gemeinschafts-PV-Anlagen direkt zu nutzen und damit den Eigenverbrauch zu optimieren. Dafür wurde eine Gesellschaft GEG (juristische Person - Personne Morale Organitrice) gegründet, die die Verteilung des selbst produzierten Stroms übernimmt. Die BewohnerInnen unterzeichnen Verträge mit dem konventionellen Versorger sowie mit GEG, um Eigenstrom nutzen zu können. Für den selbst produzierten Strom wird ein Rabatt gewährt, wobei die Ausgestaltung der Verteilung und des Rabattes Teil des Forschungsprojektes und noch nicht endgültig festgelegt sind (z. B. ob die Verteilung zu gleichen Teilen erfolgen soll oder im Verhältnis zum Gesamtenergieverbrauch oder im Verhältnis zum Verbrauch während der Produktion etc.). Um einen Eigenverbrauchsanteil von 70 Prozent zu erreichen, wurde ein Energiemanagementsystem (BeeBryte) mit Batteriespeicherung installiert. Dadurch ist es möglich, die durch die Photovoltaikanlage erzeugte Energie phasenverschoben neu zu verteilen. Mittels App können die BewohnerInnen ihren Energieverbrauch, aber auch den Verbrauch des Gebäudes überwachen. Die Heizung erfolgt über elektrische Heizkörper (Typ „Lancey“) mit eingebauter Lithium-Batterie, die den Eigenverbrauch der Photovoltaikanlage ebenfalls steigern sollen. Eine zentrale Wärmepumpe sorgt für die Warmwasserbereitung.

Wasser- und Energiekonzept der Demonstrationsgebäude in Grenoble

Die Form der Photovoltaikanlagen auf den Dächern der Gebäude ist so konzipiert, dass sie die Sammlung des Regenwassers erlaubt. Das Regenwasser wird aufbereitet und steht für Duschen, Waschbecken, Spülbecken, Geschirrspüler und Waschmaschinen zur Verfügung. Die Wohnungen wurden mit energiesparenden Armaturen ausgerüstet. In einigen Wohnungen wurde für die Duschen ein patentiertes Wasser-Recyclingsystem eingebaut. Außerdem wird Grauwasser in Toiletten und für Gartenbewässerung wiederverwendet. Das ABC-Konzept zielt darauf ab zu zeigen, dass dieses Wasser auch zum Wäschewaschen eingesetzt werden kann. Zur Erzeugung von Warmwasser durch die Wärmepumpe wird außerdem Wärme aus dem Grauwasser rückgewonnen. Auf diese Weise sollen zwei Drittel des Wasserbezugs aus dem städtischen Wassernetz und Energie zur Warmwasserbereitung eingespart werden. Durch Verbesserung der Abfalltrennung, Wiegevorrichtungen an den lokalen Abfalleimern sowie Maßnahmen zur Wiederverwertung von Textilien, Batterien oder Glühbirnen sowie die Kompostierung von Küchenabfällen zur Verwendung in den Gemeinschaftsgärten sollen mindestens 40 Prozent des Hausmülls eingespart werden.

Schritte zur Umsetzung

Ein wesentlicher Schritt zur Realisierung des Projekts nach Entwicklung des ABC-Konzepts im Jahr 2011 war die Unterzeichnung einer Vereinbarung mit der Stadt Grenoble 2014. 2018 konnte mit dem Bau der Demonstrationsgebäude begonnen werden, und ab Sommer 2020 werden die Wohnungen bezogen. Nach acht Jahren Forschung konnte das Konzept von Energieautarkie und des systemischen Managements von Abfällen nun in dem Demonstrationsprojekt in der Ecocité in Grenoble-Presqu‘Île mit Unterstützung der öffentlichen Hand in Form von Förderungen bzw. Darlehen in Höhe von 2,3 Millionen € umgesetzt werden. Ein fünf Jahre dauerndes Monitoring soll zeigen, dass das Konzept zukunftsfähig ist und soll auch Verbesserungsmöglichkeiten ausloten. Bouygues Construction wird die Daten sammeln, analysieren und die BewohnerInnen unterstützen, die sich erst an die Nutzung des Gebäudes gewöhnen müssen. Eine verantwortliche Person steht bei Fragen zur Seite und gibt Tipps zur Energieeinsparung.

Foto: Valode & Pistre

AkteurInnen, Fördergeber und beteiligte Unternehmen

Linkcity South East (Generalunternehmer), Bouygues Bâtiment Sud-Est und SUEZ (Entwurf und Konstruktion), Valode & Pistre (Architekten), Grenoble Habitat (Betreibergesellschaft), GEG ENeR (Gaz Electricité de Grenoble – Eigentümer und Betreiber des Photovoltaikparks), SEM InnoVia (Bauherr für die Stadt Grenoble) La Region Auvergne-Rhônes-Alpes, Ville Grenoble, Grenoble-Alpes-Métropole, Action Logement, République Française, Banques de Territoires, Ademe (Agence de la Transition Ecologique) Saint-Gobain, Vicat, Minco, Aldes, Lancey, Beebryte

AutorInnen

Emilie Tourenne ist Operations Manager bei Linkcity South East. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! Ramy Saad ist als Projektleiter bei Bouygues Construction tätig.

Statement

Unser Antrieb ist es, innovative und nachhaltige Gebäude zu entwickeln, die marktverändernd wirken. Der Fokus liegt dabei auf einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen im Sinne einer „Circular Economy“ und der Begrenzung der Treibhausgasemissionen, und zwar nicht nur im Betrieb, sondern auch bei der Konstruktion der Gebäude. Der Fokus beim CO 2 -Thema sollte neben den Neubauten jedoch auch dringend auf den Bestand ausgerichtet werden. Eine unserer Forschungsstudien hat aufgezeigt, dass alle Neubauten bis 2030 (ca.5-6 Prozent Anteil am Gesamtgebäudebestand) die gesamten Treibhausgasemissionen des Gebäudebestands in Deutschland nur geringfügig beeinflussen.

Jens Glöggler, Geschäftsführer ATP sustain GmbH

Top of page