Zeitschrift EE

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Ermöglichung nachhaltiger Wärme- und Kältenetze durch Simulation und Visualisierung

Ausgangssituation

51 % des Endenergiebedarfes der EU (Heizung 26 %, Warmwasserbereitung 5 %, Kühlung 1 %, Rest für Prozesswärme- und Kälte) wird für Wärme- und Kälteversorgung verwendet [1]. Folglich ist zur Erreichung der Pariser Klimaziele eine vollständige Dekarbonisierung der Wärme- und Kälteversorgung erforderlich, die sowohl mittels innovativer Konzepte einzuleiten bzw. durch Optimierung und Effizienzsteigerung zu gewährleisten ist.

Foto: ITW/TZS Universität Stuttgart

Wärme- und Kältenetze werden hier als Schlüsseltechnologie betrachtet. Sie ermöglichen durch intelligente Vernetzung von Erneuerbaren, Speichern, Wärmeabnehmern und Kopplung mit anderen Energieversorgungsnetzen (Strom, Gas) eine Steigerung der Gesamteffizienz und Wirtschaftlichkeit sowie die Reduktion des Primärenergiebedarfes.Laufende Forschungsprojekte ermöglichen es, bestehende und neue Systeme zu simulieren und zu optimieren und nachhaltige Ausbaustufen von Wärme- und Kältenetzen zu planen. Vielerorts ergeben sich auch aus der Verschneidung von energietechnischen und raumplanerischen Methoden neue Möglichkeiten, Potenzial für flächendeckende und netzgebundene Versorgungskonzepte zu identifizieren, oft im Zusammenspiel von Energieversorgern, Raumplanern sowie Städten und Gemeinden. Dieses Potenzial kann dann unter anderem in Bebauungskonzepten von Städten und Gemeinden oder Firmenstrategien berücksichtigt und aktiv integriert werden.

Detaillierte Simulationen: Voraussetzung für exzellente Planung

Aufgrund zunehmender Komplexität der Systeme in Hinblick auf die 4. Generation von Wärmenetzen [2] (mit z. B. Vorlauftemperaturen unterhalb von 60˚C mit multiplen Speichern und Erzeugern) werden dynamische Simulationsmethoden auf Basis unterschiedlicher Softwaretools entwickelt und eingesetzt, die detaillierte Analysen von Strömungsverhältnissen und Betriebszuständen sowie Langzeitsimulationen ermöglichen. Hier spielt auch die Einbindung von zentralen und dezentralen Erzeugern, Speichern und Abnehmern wie Wohngebäude und Industrie in die Simulationsumgebung eine immer wichtigere Rolle. Domäneübergreifende Simulationen über die Systemgrenzen von Erzeuger, Wärmenetz, Gebäude, Übergabestation oder Haustechnik hinaus sind erforderlich, um die Interaktion der einzelnen Systemteile abbilden und analysieren zu können (Stichwörter: Co-Simulation, FMI). Diese Kombination erlaubt es, den Mehrwert von neuen Technologien und Konzepten darzustellen bzw. bestehende Systeme zu optimieren.

Die Bewertungen der dynamischen Interaktion zwischen allen Komponenten im System können zum Beispiel durch die im Research Studio Austria „EnergySimCity“ [3] entwickelten Methoden und Tools realisiert werden. Momentan kommen diese Methoden im Projekt „EnergyCityConcepts“ [4] zum Einsatz, wo für die Modellregionen Gleisdorf und Salzburg-Schallmoos Zukunftsszenarien für eine mögliche Situation in 2050 resultierend aus Sanierungs- und Nachverdichtungsszenarien und energiepolitischen Vorgaben diskutiert werden. Diese Szenarien werden dann von Wärmenetzbetreibern verwendet, um mögliche Ausbauszenarien zu identifizieren und dann simulationstechnisch detailliert auszuwerten. Geoinformationssysteme ermöglichen es hierbei, räumliche Abhängigkeiten zu erkennen und zu analysieren und die Ergebnisse in Form von Karten (z. B.: Energiedichtekarten oder 3D-Visualisierungen) oder interaktiven Webservices zur weiteren Bearbeitung bereitzustellen.

Beispielhafte Wärmebedarfskarten aus dem Projekt Energy CityConcepts

Detaillierte Simulationen: Voraussetzung für innovative Systeme

Ein Merkmal für zukünftige Wärmenetze sind die niedrigen Systemtemperaturen in Niedertemperaturnetzen (Vorlauftemperaturen unter 60°C) und kalter Fernwärme. Bei kalter Fernwärme ist die grundlegende Idee, durch sehr niedrige Temperaturniveaus (<35°C) niedrigexergetische Wärmequellen wie Abwärme, Geothermie, Oberflächengewässer, Grundwasser, Abwasser, Solarthermie sowie Rauchgaskondensationen nutzbar zu machen und Transportverluste fast vollständig zu eliminieren. Der Einsatz dieser Wärmequellen in Kombination mit Wärmepumpen, die aufgrund der hohen Quellentemperatur mit Hocheffizienz betrieben werden können, stellt einen wesentlichen Vorteil dar. Eine weitere Variante dieser Versorgungsart sind sogenannte Anergienetze (Betriebstemperaturen im Bereich von 5 bis 25°C) mit hydraulisch ungerichtetem Netz und häufig in Kombination mit einem saisonalen Speicher. Diese Systeme erlauben durch ring- bzw. maschenförmiger Topologie eine flexible Erweiterung des Netzes und Integration weiterer Energiequellen und können so mit den Anforderungen an das System mitwachsen. Eine Anzahl dieser Systeme ist bereits seit mehreren Jahren in der Schweiz sehr erfolgreich im Einsatz. Diese Konzepte stellen jedoch eine Herausforderung an Simulation und Regelung als auch Planung dar, da ihr Aufbau und Betrieb einen höheren Grad an Komplexität aufweisen. Dies resultiert zum einen aus der hohen Anzahl dezentraler Elemente wie Wärme-/Kältequellen, Wärmepumpen oder Speicher und deren Regelung. Zum anderen sind die zeitweise gleichzeitig vorhandenen Bedarfe an Kälte und Wärme eine Herausforderung. Das Projekt „DestoSimKaFe“ [5] befasst sich genau mit diesen Herausforderungen und wird mittels gekoppelter Simulation von Gebäuden, Erzeuger und Netz wesentliche Beiträge dazu liefern, wie solche Systeme in Zukunft umgesetzt und betrieben werden können.

Langzeitbewertung von technischen Konzepten

Die Entwicklungsbedingungen für Wärme-/Kältenetzesind aufgrund des langen Entwicklungszeitraumesund einer Vielzahl an externen Einflussfaktoren sehr komplex. Die allgemeinen Rahmenbedingungenwie Energiebedarf und Bebauungsstruktur eines bestehenden oder zukünftigen Versorgungsgebietes werden hierbei oft als unveränderlich angenommen.Bei der üblichen Vorgehensweise in der Planung dieser Systeme wird die langfristige Entwicklung der Rahmenbedingungen über die gesamte technische Nutzungsdauer (z. B. bis 2050) wie die Entwicklung des Versorgungsgebietes (Bevölkerungs-/Bebauungsdichte, Nutzungsart, technischer Gebäude- und Haustechnik-Standard usw.), Klimaänderungen, Energiepreisentwicklungen, nicht bzw. nicht systematischmit einbezogen. Diese fehlende langfristige Betrachtung von Rahmenbedingungen macht es schwierig, langfristig sinnvolle Infrastrukturmaßnahmen bereits jetzt zu begründen und zu beginnen, da der finanzielle und ökologische Mehrwert nicht quantifiziert werden kann. Darüber hinaus kann dies zu Lock-In Situationen führen, die momentan sinnvoll erscheinen, jedoch in z. B. 10 Jahren nicht mehr und nur durch enormen finanziellen Aufwand durchbrochen werden könnten. Das Projekt „DeStoSimKaFe“ [5] widmet sich dieser Fragestellung am Beispiel Kalter Fernwärmeanwendungen. Hierzu werden Simulationen der Netze, der Erzeuger, der Infrastruktur und der Abnehmer mit sich verändernden Parametern wie Bebauungsstruktur, Wärme- und Kältebedarf oder markt- oder politikabhängigen Parametern wie Strompreisen oder CO2-Steuern gekoppelt, die als Input für die Simulationen dienen. Diese Kopplung erlaubt die Bewertung der gesamten Lebensdauer eines Systems, indem nicht nur der aktuelle Status quo erfasst, sondern die gesamte Lebensdauer miterfasst wird. Dadurch kann der Planungsprozess um ein wichtiges Element ergänztwerden, und zwar einer quantifizierten Bewertung des gesamten Lebenszyklus eines Konzeptes vor der ersten Investition.

Darstellung der kontinuierlich sich verändernden Randbedingungen, die eine Simulation eines Energiesystems über die gesamte Lebensdauer beinhalten sollte.

Ausblick

Für die Dekarbonisierung unserer Wärme- undKälteversorgung ist es essentiell für Planer, Energieversorgersowie Städte und Gemeinden, valide und robuste Angaben darüber zu haben, welchen Mehrwertein bestimmtes technisches Konzept währendseiner gesamten Lebensdauer hat und welche Auswirkungen energiepolitische Entscheidungen haben können. Hierzu sind Simulationen der Systeme unter Einbeziehung verschiedener relevanter Veränderungen wie Nachverdichtung, veränderter Wärme- und Kältebedarf sowie Energiepreise und entsprechende Aufbereitung und Visualisierung unerlässliche Hilfsmittel, die diese Stakeholder in ihrer Entscheidungsfindungmaßgeblich unterstützen können. Eine kontinuierliche Weiterentwicklung dieser Tools ist jedoch notwendig, um der steigenden Komplexität des Gesamtsystems gerecht werden zu können.

BMVIT

Statement

"Die sinnvolle Vergabe von Fördermitteln und die Qualitätskontrolle über die Verwendung dieser Gelder ist für uns ein wichtiges Anliegen. Zur fundierten Beurteilung und Bewertung von neuen Konzepten und Technologien in der Nah- und Fernwärmeversorgung brauchen wir daher geeignete Methoden und Werkzeuge, um zuverlässige und nachprüfbare Qualitäts- und Förderkriterien anwenden zu können. Hier stellen neue und innovative Tools und Simulationsumgebungen eine wertvolle Grundlage dar, um belastbare Aussagen treffen zu können."

Gottfried Lamers, Umweltförderpolitik, Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus

Literatur

  1. Fleiter, T.; Steinbach, J.; Ragwitz, M. et al. (2016): Mapping and analyses for the current and future (2020 - 2030) heating/cooling fuel development (fossil/renewables) – Executive Summary. Brussels: European Commission, DG Energy https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/Summary%20WP1%20and%20WP2.pdf
  2. Lund, H. et al., 2014: 4th Generation District Heating (4GDH): Integrating smart thermal grids into future sustainable energy systems, Energy, Vol. 68, pp. 1-11, 2014.
  3. „EnergySimCity – Ganzheitliche Analyse und Simulation von Energiesystemen und Ressourcenverbünden in Städten und Stadtquartieren“ (2014 – 2018) wird im Rahmen des renommierten Programmes „Research Studio Austria“ vom Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft (BMWFW) gefördert (FFG Projektnummer 844732) http://www.aee-intec.at/index.php?seitenName=projekteDetail&projekteId=174
  4. Das Forschungsprojekt „EnergyCityConcepts - Methoden- und Konzeptentwicklung zur Implementierung nachhaltiger Energiesysteme in Städten am Beispiel von Gleisdorf und Salzburg“ läuft von Februar 2016 bis Februar 2019 und wird vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) gefördert (FFG Projektnummer 850129) http://www.aee-intec.at/index.php?seitenName=projekteDetail&projekteId=182
  5. "DeStoSimKaFe - Konzeptentwicklung & gekoppelte deterministisch /stochastische Bewertung Kalter Fernwärme zur Wärme- & Kälteversorgung"Link: http://www.aee-intec.at/index.php?seitenName=projekteDetail&projekteId=22

Autoren

Dr. Ingo Leusbrock ist Gruppenleiter für Netzgebundene Energieversorgung und Systemanalysen bei AEE INTEC, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Harald Schrammel und Dipl.-Ing. Franz Mauthner sind wissenschaftliche Mitarbeiter der Gruppe Netzgebundene Energieversorgung und Systemanalysen bei AEE INTEC, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Richard Heimrath ist Project Senior Scientist am Institut für Wärmetechnik der Technischen Universität Graz, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Ing. Christian Fink ist Prokurist und Bereichsleiter für Thermische Energietechnologien und hybrideSysteme bei AEE INTEC, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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