Zeitschrift EE

nt 03 | 2021 Energiequelle Abwasser

Innovative Abwärmenutzung aus dem Kanal für die netzgebundene Wärmeversorgung

Die Erreichung mittel- und langfristiger Klimaziele ist eine große Herausforderung, bei der flexible und nachhaltige netzgekoppelte Wärmesysteme ein zentrales Element darstellen werden. Unsere aktuelle Wärmeversorgung sowie die Versorgungsqualität und Robustheit wird noch überwiegend durch die Vielseitigkeit und einfache Nutzung fossiler Brennstoffe gewährleistet. In zukünftigen, nachhaltigen und dekarbonisierten Wärmesystemen steigt einerseits die Systemflexibilität (zum Beispiel durch Integration der regionalen erneuerbaren Wärmequellen, der Volatilität dieser, der zentralen/dezentralen Speicherung oder Sektorkopplung), andererseits muss der aktuelle Versorgungsstandard beziehungsweise die Versorgungssicherheit bei stabilen Energiekosten für Endkund*innen gewährleistet sowie weiter gesteigert werden. Um den Anteil der erneuerbaren Wärmeerzeugung zu erhöhen, müssen somit nachhaltige Wärmequellen – nach Möglichkeit lokalen/ regionalen Ursprungs – integriert werden. Neue technische Konzepte sind dafür zu entwickeln und zu demonstrieren, um sie dann zur Marktreife zu bringen. Hier bietet die dezentrale Nutzung der Abwärme im Abwasser in Gebieten mit hoher Verbrauchsdichte sowie urbanem Charakter großes Potenzial.

Abwasserwärme für Heizung/Kühlung/Warmwasser nützen. Foto: Rabmer Greentech GmbH

Abwasser als Wärmequelle

Die Abwärmenutzung aus Abwasser ist aufgrund der ganzjährigen Verfügbarkeit sowie deren Tagescharakteristik (Morgen- und Abendspitze ähnlich jener des Wärmeverbrauchs) eine vielversprechende Wärmequelle mit Temperaturen von rund 8 bis 20 °C für bestehende oder neu zu errichtende Wärmenetze sowie für die Heizung und Kühlung von Gebäuden, Quartieren und Industriearealen. Die Nutzung dieses Potenzials in Kombination mit einer Wärmepumpenlösung im urbanen Raum sowie bei der Neuentwicklung von Stadtteilen oder Quartierslösungen stellt eine neue und innovative Form der Wärmerückgewinnung dar. Innovative Lösungen für Kühlanwendungen werden in zukünftigen Energieszenarien immer wichtiger werden und können durch die Abwärmenutzung aus Abwasser ebenfalls realisiert werden. Im Zuge des Leitprojektes ThermaFLEX [1] wurden für zwei sogenannte Demonstratoren detaillierte Konzepte zur Abwärmenutzung aus dem Abwasserkanal entwickelt und werden nachfolgend beschrieben.

Nutzung des Abwassers für die Wärmeversorgung eines Quartieres

Im Rahmen des ThermaFLEX Demonstrators Wien-Liesing [2] arbeitet die Wien Energie an der Realisierung einer Demonstrationsanlage zur Abwärmenutzung aus Abwasser. Zur Identifikation potenzieller Standorte wurden in einem ersten Schritt an 13 Stellen im Wiener Kanalnetz Messungen durchgeführt, um die Durchflussmengen und Temperaturniveaus des Abwassers zu evaluieren. Die Auswahl der Standorte basierte auf Überlappung der Infrastrukturen für Kanalisation und Fernwärme unter Berücksichtigung der Distanzen, des spezifischen Wärmebedarfs der Netzabschnitte und der Abwassermengen. Auf Basis der ermittelten Daten und verfügbaren Bauflächen wurde ein Standort in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Wien Liesing im 23. Bezirk identifiziert.

Das Konzept wurde speziell darauf ausgelegt, ein Abwärmepotenzial im Bereich von mehreren Megawatt in das Fernwärmesystem zu integrieren und basiert auf der Entnahme beziehungsweise Ausleitung des Abwassers aus dem Kanal und nachfolgender Wärmeübertragung durch Wärmetauscher. Dabei wird das Abwasser dem Kanal in einem Entnahmeschacht über eine Bypass-Lösung entnommen. Das entsprechende Entnahmebauwerk dient zur Überwachung und Sicherstellung der Reinigung und Wartung im Kanal. Die nachfolgende Speicher- und Reinigungseinheit umfasst eine integrierte Siebtechnik zur Abwasserreinigung und ein entsprechendes Abwasserspeichersystem zur Erhöhung der Betriebsstunden und dem Ausgleich von Schwankungen. Nachfolgend wird dem gereinigten Abwasser mittels Edelstahlrohrbündelwärmetauscher in zwei Linien die Abwärme entzogen. Der Einsatz einer pneumatischen Sperre/Rückspülvorrichtung ermöglicht die automatische Reinigung der Wärmetauscher durch Änderung der Flussrichtung. Somit wird die manuelle Reinigung der Wärmetauscher auf ein Minimum reduziert. In einem weiteren Schritt werden Wärmepumpen mit einer Gesamtwärmeleistung von rund 2 MW eingesetzt und heben das Temperaturniveau auf das notwendige Niveau zur Einspeisung in das bestehende sekundäre Wärmenetz (Vorlauftemperaturen zwischen 65 und 90 °C. Die Wärmepumpen mit einem COP zwischen 2,55 und 3,36 wurden dabei zweistufig ausgelegt und verwenden Hydrofluorolefin (R1234ze (E) [3]) als Kältemittel. Die abschließende Wirtschaftlichkeitsbetrachtung zeigte, dass das entwickelte Konzept am ausgewählten Standort derzeit im Vergleich zum Aufbringungsmix der Fernwärme in Wien nicht rentabel betrieben werden kann. Daher wurden die Realisierung und Demonstration vorerst nicht durchgeführt. Basierend auf den Ergebnissen aus der Planungs- und Ausschreibungsphase sowie den Gesprächen mit den Behörden wurde ein Leitfaden hinsichtlich Auswahl des Standorts, technische Planung sowie Genehmigungen und Vorschriften entwickelt. Dieser Leitfaden beschreibt die wesentlichsten Einflussfaktoren und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche und effiziente Planung ähnlicher Anwendungen. Schlussendlich konnte Wien Energie mit dem Projekt wichtige Fragestellungen beantworten, nach welchen Kriterien und unter Einhaltung welcher Vorgaben zukünftige Anlagen zur Nutzung der dezentralen Abwärme aus Abwasser geplant, realisiert und betrieben werden können.

Nutzung des Abwassers für die Wärme- und Kälteversorgung einer Unternehmenszentrale

Die Rabmer Greentech GmbH arbeitet an der Realisierung einer innovativen energetischen Nutzung von Abwasser für Heizung und Kühlung als Beitrag zur Dekarbonisierung des urbanen Raumes am Beispiel der neuen Unternehmenszentrale von Wien Kanal in Wien-Blumental (ThermaFLEX Demonstrator Wien-Blumental [4]). Dabei kommt eine Kombination aus innovativen Wärmetauscher- und Wärmepumpensystemen kombiniert mit intelligentem Monitoring zum Einsatz. Dadurch soll die nachhaltige Energieversorgung des Headquarters sichergestellt werden.

Die zu erfüllenden Anforderungen sind die Bereitstellung von 215 bis maximal 450 kW für Heizung und Warmwasseraufbereitung sowie 400 bis maximal 500 kW für die Kühlung. Nach einer detaillierten Analyse der Abwasserkonditionen und Kanalkonfiguration wurden die einzusetzenden Wärmetauscherelemente hinsichtlich der Anforderungen an die jeweiligen Energiemengen spezifiziert. Die auf die vorherrschenden Bedingungen vorkonfigurierten Wärmetauscherelemente wurden direkt in den bestehenden Abwasserkanalstrang über eine Länge von rund 80 Metern integriert.

Ein zentrales Element bei der Konzeptionierung war die Sicherstellung einer hohen Flexibilität des Betriebes durch die Entwicklung eines innovativen Monitoring- und Steuerungskonzeptes, welches in dieser Form erstmals in Österreich zum Einsatz kommt. So wurde umfangreiche Sensorik und Messtechnik installiert, um beispielsweise die Temperaturen vor und nach den Wärmetauschern, die Füllstände im Kanal, die Druckverhältnisse in den Leitungen sowie die Durchflussmengen zu erfassen. Über das innovative Monitoringsystem erfolgt einerseits die Kontrolle des laufenden Betriebes zur Absicherung der notwendigen Heiz- und Kühlleistung in der Energiezentrale, andererseits wird damit der Einfluss auf den Kanalbetrieb (Temperaturänderungen, Hydraulik, Füllstand) beobachtet und analysiert.

Grundkonzept für eine externe Bypass Lösung. Quelle: Rabmer Greentech GmbH

Die bauliche Fertigstellung und Inbetriebnahme des Gesamtsystems erfolgte im Sommer 2021. Der Bezug der neuen Firmenzentrale von Wien Kanal ist für den Winter 2021/2022 vorgesehen und wird anschließend mit einer rund einjährigen Monitoring- und Bewertungsphase begleitet.

Verlegte Wärmetauscherelemente im Abwasserkanal. Foto: Rabmer Greentech GmbH

Ausblick und Multiplikationspotenzial

Allein in Österreich gibt es mehrere tausend Kanalisationseinheiten in unterschiedlicher Größe, Abwassermengen und Abwassertemperaturen. Dadurch ergibt sich ein sehr hohes Multiplikationspotenzial in vielen österreichischen aber auch europäischen Städten und Regionen sowie Industriebereichen für die Abwärmenutzung aus Abwasser als erneuerbare Energieform. Die effiziente Nutzung kann somit einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung des Wärmesektors und somit zum Klimaschutz und zur Energiewende beitragen. Aktuell könnten in Österreich rund 10 bis 14 Prozent der Gebäude mit dieser Technologie umweltfreundlich beheizt und gekühlt werden. Mit dem Programm Energie aus Abwasser fördert der Klima- und Energiefonds heuer erstmals in Österreich die Gewinnung von Energie aus Abwasser [5] mit einem Budget von einer Million Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK).

Das Leitprojekt ThermaFLEX wird aus Mitteln des Klima- und Energiefonds [6] gefördert und im Rahmen der Forschungsinitiative Green Energy Lab [7] als Teil der österreichischen Innovationsoffensive Vorzeigeregion Energie [8] durchgeführt.

Statement

"Technologien zur Nutzung von Energie aus Abwasser sind wirtschaftliche, effiziente und innovative Lösungen und absolut am Puls der Zeit! Über 50 % des weltweiten Energiebedarfs wird für das Heizen und Kühlen inklusive Warmwasseraufbereitung verwendet. Mit der Abwasserwärme steht uns ein riesiges Energiepotenzial zur Verfügung, welches mittels modernster Wärmetauscher- und Wärmepumpentechnologie dafür eingesetzt werden kann. Gemeinsam mit ThermaFLEX wollen wir diese erneuerbare Energieform laufend weiter entwickeln und dafür sorgen, dass neben unserem Projektpartner Wien Kanal künftig noch viele Anwender ihre CO2-Bilanz verbessern und damit einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten."

Ulrike Rabmer-Koller, Geschäftsführende Gesellschafterin Rabmer Gruppe (Foto: Rabmer)

Literatur / Weitere Informationen

https://thermaflex.greenenergylab.at

[1] https://thermaflex.greenenergylab.at/

[2] https://thermaflex.greenenergylab.at/e4a_demonstrator/demo-6/

[3] Das Kältemittel R1234ze(E) ist ein schwer entzündbares Kältemittel und besitzt ein Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) von weniger als 1.

[4] https://thermaflex.greenenergylab.at/e4a_demonstrator/renewable-heating-and-cooling-from-wastewater-vienna/

[5] https://www.klimafonds.gv.at/call/energie-aus-abwasser/

[6] https://www.klimafonds.gv.at/

[7] https://greenenergylab.at/

[8] https://www.vorzeigeregion-energie.at/

Autor*innen

Dr. Rainer Wiedemann ist Leiter Energie aus Abwasser und Technisches Consulting bei Rabmer Greentech GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dr. Rusbeh Rezania ist Abteilungsleiter für Entwicklung und Realisierung Neue und Erneuerbare Assets Thermisch bei Wien Energie GmbH. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. Ingo Leusbrock ist Leiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Joachim Kelz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich „Städte und Netze“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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