Zeitschrift EE

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Entscheidungshilfe zur Umsetzung von Maßnahmen in der energetischen Stadtentwicklung

Karl Höfler, Tobias Weiß, Stefan Wakolbinger, Johannes Österreicher, Barbara Kavsek, Klaus Steinnocher, Bernhard Skarbal

Ausgangssituation

Energieeffizienz ist ein wichtiges Kriterium moderner Stadtplanung und Optimierung. Bislang liegen stadtbezogene Daten in unterschiedlicher Qualität, Aktualität und räumlicher Auflösung fragmentiert bei verschiedenen Datenhaltern auf. Somit mangelt es an einer gemeinsamen Datenbasis konsolidierter und harmonisierter Datensätze. Aber sind überhaupt alle relevanten Informationen erfasst? Welche Datenerhebungen können sicherstellen, dass das Wissen um den tatsächlichen Energieverbrauch, das Nutzerverhalten, sowie die Verursachung - im Gegensatz zur zeitlich/räumlich vermengten Auswirkung - zeitnah und ortsbezogen berücksichtigt werden?

Abbildung: Schwachstellenanalyse mit räumlicher Verortung der Ergebnisse für das Bahnhofsquartier Gleisdorf (aus Datenschutzgründen anonymisierte Darstellung) Quelle AEE INTEC

In dem Projekt HOTSPOTS (Holistic thermographic screening of urban physical objects at transient scales), das AEE  INTEC, Siemens Österreich AG und AIT (Austrian Institute of Technology) durchführten, wurde das Ziel verfolgt, Städten Werkzeuge und wissenschaftlich fundierte Methoden in die Hand zu geben, um den aktuellen Zustand des Baubestandes hinsichtlich Energieeffizienz zu erfassen und Entscheidungsgrundlagen zu liefern, um Verbesserungsmaßnahmen vornehmen zu können.

Im Rahmen des geplanten Projektes sollte eine durchgängige Verfahrenskette erarbeitet und an der Modellstadt Gleisdorf validiert werden, die Städten zukünftig helfen soll, Optimierungspotenziale zu erkennen, zu bewerten und treffsicher zu adressieren. Künftige Auswahlverfahren im Bereich von baulichen Maßnahmen der Stadtentwicklung sollen auf eine nachvollziehbare und (mess-)datengetriebene Basis gestellt werden, die das Risiko von ad-hoc Entscheidungen oder Fehlinvestitionen reduziert.

Abbildung: RGB Orthophoto und thermische Aufnahme Quelle Siemens Österreich AG

Thermalkataster und Schwachstellenanalyse

Die Datengrundlage des Projektes bildet ein 3D-Thermalkataster, welcher aus Luftbildaufnahmen generiert wird. Aufgabe ist hierbei die flächendeckende Erfassung von Thermaldaten im Stadtgebiet. Die Einzelbilddaten werden zu einer holistischen stadtweiten Datenbasis verknüpft und in die dritte Dimension gehoben, indem 3D-Gebäudemodelle aus den Bilddaten abgeleitet werden.

Im 3D-Thermalkataster werden "Critical Spots" identifiziert. Als Critical Spots werden Infrastrukturzellen auf Distriktebene bezeichnet, die ein besonders großes Potenzial zur Optimierung aufweisen. Diese Bereiche werden in weiterer Folge im Detail analysiert.

Eine Detailanalyse dient der selektiven Verbreiterung der Datenbasis innerhalb einer ausgewählten Infrastrukturzelle. Sie umfasst eine mobile Datenaufnahme mit einem UAV (unmanned aerial vehicle), insbesondere zur detaillierteren thermischen Analyse und zur Generierung von 3D-Gebäudemodellen, aus welchen für Optimierungsmaßnahmen relevante geometrische Parameter abgeleitet werden können. Als weiterer Forschungsaspekt wurde die punktuelle Erfassung und Verdichtung der Daten im Sinne eines dreidimensionalen Luftgasschichtenmodells untersucht, das Aufschluss über die Luftgüte der Stadt liefern soll.

Basierend auf diesen Daten wurde dann eine gezielte Schwachstellenanalyse der eingeschlossenen Infrastrukturelemente durchgeführt. Abschließend erfolgte die Erstellung eines Effektivmaßnahmenkataloges, inklusive Einflussfaktoren für die definierten Critical Spots in der Stadt. Zusätzlich wurde ein Decision Support Instrument für die interaktive Auswahl, die Verortung von Energieeffizienzmaßnahmen und die Simulation der sich ergebenden Effekte zur Berechnung von optimalen Maßnahmenkombinationen für Teilräume eingesetzt.

Erfolgreiche Validierung der Ergebnisse und Verbesserungsmöglichkeiten

Die entwickelte Verfahrenskette wurde an realen Gegebenheiten getestet und die Ergebnisse erfolgreich validiert. Sanierungsbedürftige Gebiete („Critical Spots“) konnten identifiziert und sinnvolle Sanierungsmaßnahmen abgeleitet werden. Durch die Untersuchungen konnten einige Erkenntnisse gewonnen werden, die in Verbesserungsmaßnahmen einfließen werden.

So kann die Technologie Hinweise auf Critical Spots liefern, was auch verifiziert wurde. Trotzdem ist es wichtig, dass Fachleute eine Begehung der identifizierten Gebiete vornehmen, da Fachwissen nicht vollständig durch die Technologie ersetzt werden soll bzw. kann.

Hinsichtlich der Datenaufnahme gibt es einige Einschränkungen, die unbedingt beachtet werden müssen: Dazu zählen die Außentemperatur, der Wind  und der Bewölkungsgrad. Durch geschickte Wahl des Zeitpunktes der Befliegung stellt das zwar kein großes Problem dar, ein besser steuerbares Fluggerät (z. B. Helikopter) statt des verwendeten Heißluftballons würde aber zumindest die Anforderungen an den Wind deutlich verringern aber auch die kosten erhöhen.

Der abgeleitete 3D-Thermalkataster zeigt immer nur eine Momentaufnahme. Für klarere Aussagen sowie um temporäre Effekte zu eliminieren, sind mehrere Befliegungen bzw. Befahrungen notwendig.

Abbildung: 3D-Modellierung eines Einzelgebäudes, inkl. Thermal-Textur Quelle Siemens Österreich AG

Die Verwendung der Drohne für die Detailanalyse von Hotspots hat sich durchaus bewährt. Hier sind aber immer auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu betrachten. Im Projekt HOTSPOTS gab es zum Beispiel ein Limit von 5 kg für die Payload der Drohne, was eine gewisse Einschränkung bei der Auswahl der Sensorik speziell für die Luftgütemessung darstellte.

Positiv wurde das Zusammenspiel der Simulationsergebnisse und der Fachleute beurteilt. Erkenntnisse der Fachleute fließen wieder in das Simulationstool ein, es entsteht eine Feedbackschleife. Eine vollautomatische Ableitung von Sanierungsmaßnahmen ohne Einsatz von Fach- und Hintergrundwissen ist nicht das Ziel, es handelt sich um eine unterstützende Technologie.

Abbildung: Räumliche Verortung der Effektivmaßnahmen und Optimierungen aus dem Decision Support Tool Quelle: AEE INTEC

Bezüglich der Beurteilung der Luftgütemessungen hat sich herausgestellt, dass man eigentlich an mehreren Orten gleichzeitig messen müsste. Andernfalls beeinträchtigt der Tagesverlauf die Messungen – grundsätzlich stärker belastete Bereiche sind so schwieriger von kurzzeitigen Ereignissen wie z. B. dem Pendlerverkehr zu unterscheiden. Die Interpretation der Luftgütemessungen ist schwierig – während Schwefeldioxid recht eindeutig dem Hausbrand zuzuschreiben ist, sind die Ursachen für Feinstaub und Stickoxide nicht so einfach festzustellen. Luftgütemessungen alleine sind nicht ausreichend für die Detektion von Critical Spots, sie führen eher zu Einschränkungen bzw. bilden Randbedingungen in der Ableitung von Sanierungsmaßnahmen.

Ausblick

Die im Projekt entwickelte Verfahrenskette wurde am Beispiel der Stadt Gleisdorf evaluiert und die vorgeschlagenen Optimierungsmaßnahmen durch Begehungen verifiziert. Die entwickelten Methoden sind problemlos für andere Gemeinden und Städte anwendbar.

Die Datenaufnahme für die Berechnung des 3D-Thermalkatasters erfolgte in Gleisdorf durch eine Befahrung mit einem Heißluftballon. Dies erwies sich zwar grundsätzlich als praktikabel und kostengünstig, allerdings musste besonderes Augenmerk auf die vorherrschenden Wetter- bzw. Windbedingungen gelegt werden. In zukünftigen Untersuchungen könnten Datenaufnahmen auch per Leichtflugzeug oder Helikopter getestet werden, um Alternativen aufzuzeigen.

Zukünftige Anwendungsszenarien können dabei helfen, ein noch besseres Verständnis für die Interpretation von Thermal- und Luftgüteinformation zu entwickeln, vor allem hinsichtlich der Unterscheidung relevanter Information von irrelevanten, tagesabhängigen Umwelt- bzw. Wettereinflüssen.

Der Mehrwert der entwickelten Verfahrenskette wird vor allem dann noch deutlicher ersichtlich werden, wenn in Zukunft konkrete Sanierungsmaßnahmen auf Basis der Simulationen mit Eigentümern und Entscheidungsträgern besprochen bzw. umgesetzt werden.

Kontaktpersonen

Claudia Windisch ist Leiterin der Forschungsgruppe „VideoAnalytics Austria“ bei Siemens Corporate Technology Mittel-und Osteuropa (CT T CEE)
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DI Dr. Karl Höfler ist Leiter des Bereichs Bauen und Sanieren bei AEE  INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Projektpartnerinnen

AEE Institut für Nachhaltige Technologien
Siemens Österreich AG, Active Vision Technologies
Siemens Österreich AG, Process Analytics & Sensors
AIT Austrian Institute of Technology, Energy Department


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