Zeitschrift EE

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2008-02: Sommerkomfort im Büro- und Verwaltungsbau

Wassermanagement

Abbildung 1: Kelterei Possmann, ein Edelstahlbehälter wird nach Auslieferung des Apfelwein temporär für die Zwischenspeicherung von Regenwasser verwendet (Speicher mit blauem Schild)

Da Regenwasser auf jeder Liegenschaft anfällt, stellt sich die Frage, ob und wie Regenwasser für Kühlzwecke sinnvoll eingesetzt werden kann.

Kühlen mit Regenwasser

Von Mathias Kaiser*

Die Bundesregierung verfolgt im Kontext der Bemühungen um den Klimaschutz die Zielstellung den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020 um 40 % zu reduzieren. Dies erfordert in allen Bereichen gewaltige Anstrengungen zur Energieeinsparung.
Der überwiegende Teil der Kälteerzeugung wird heute elektrisch (rund 66.000 GWh) und nur ein kleiner Teil (11.000 GWh) nicht elektrisch erzeugt. Wegen des im Vergleich etwa zur Wärmeerzeugung immer noch niedrigen Wirkungsgrades bei der Stromerzeugung ist der Primärenergieeinsatz für die in Deutschland erzeugten 77.000 GWh Kälte- und Kühlleistung mit 236.000 GWh überproportional hoch. Er erreicht eine Größenordnung von rd. 5 % des Gesamtprimärenergieeinsatzes und verursacht rd. 46 Mio-t CO2-Ausstoß, was etwa 5,4 % des bundesweiten CO2-Ausstoßes ausmacht.
Prognosen der Europäischen Gemeinschaft zeigen ein weiterhin exponentielles Wachstum gekühlter (Gebäude-) Flächen auf. Es wird daher mit einer Steigerung allein des Energiebedarfes für die Raumklimatisierung von 2010 bis 2020 um 50 % gerechnet. Insgesamt wird ein Anstieg des Energieverbrauches für Kühlzwecke bis 2020 um das 2,6-fache erwartet.
Diese Entwicklung ist mit den o.g. Zielstellungen zum Klimaschutz nicht zu vereinbaren, sondern droht Erfolge bei der Energieeinsparung und Emissionsminderung in anderen Bereichen, wie etwa der wärmeschutztechnischen Gebäudemodernisierung oder dem Einsatz regenerativer Energieerzeugung aufzufressen.

Grundlage der Kühlung und Kälteerzeugung

Vom physikalischen Standpunkt aus gibt es keine Kälte, sondern nur ein Mehr oder Weniger an Wärme. Das heißt Kälte ist relativ und bedeutet „weniger warm als die Umgebung“. Für die Kühlung von Gebäuden gilt es daher zuerst, den Zustrom von Wärme möglichst zu verhindern (analog zum gebäudlichen Wärmeschutz, bei dem der Abstrom von Wärme zu verhindern ist).
Im zweiten Schritt ist dann die Wärme, deren Zustrom nicht verhindert werden kann, gezielt abzuführen.
Der Bereich Kühlung und Kälteerzeugung erstreckt sich auf ein breites Spektrum unterschiedlicher Anwendungen wie:

  • Raumluftkonditionierung (Büro, Produktion, Lagerhaltung)
  • Haltbarmachung von Nahrungsmitteln und anderen verderblichen Produkten
  • Abführung von Reaktionswärme z.B. chemischer Prozesse
  • Kühlung von Maschinen und Werkzeugen
  • Kühlung von elektronischen (EDV) und diagnostischen Geräten (Sensoren)

Neben den Temperaturniveaus und den Temperaturspreizungen zwischen Ist- und Solltemperaturen ist dabei der jahres- und tageszeitliche Verlauf des Kühlbedarfs je nach Nutzungsanforderungen sehr unterschiedlich. Insbesondere das angestrebte Temperaturniveau ist bei konventionellen Kühl- und Kälteerzeugungstechniken entscheidend für den energetischen Wirkungsgrad des Kühlsystems. So können mit einer Kompressionskältemaschine Tiefkühltemperaturen von –18°C und mehr erreicht werden. Allerdings ist hier das Verhältnis von eingesetztem Strom zu erzeugter Kälte mit einem Verhältnis von 1:3 wenig effizient. Die Kombination einer Kältemaschine mit einem Kühlturm (Verdunstungskälte) verbessert dieses Verhältnis auf 1:18. Der Einsatz dieser Technologie ist jedoch auf Temperaturniveaus von minimal +15°C beschränkt. Ein Kühlturm erreicht Wirkungsgrade von 1:100, ist jedoch erst ab Solltemperaturniveaus von +27°C alleine einsetzbar. Die große Spannbreite beim Energieverbrauch von Anlagensystemen zur Kühlung und Kälteerzeugung auf der einen und die für den Einsatz für Kühlzwecke besonders günstige Beschaffenheit von Regenwasser (wegen des hier gegenüber Trinkwasser aus dem Versorgungsnetz geringeren Anteils gelöster Stoffe kann eine Aufbereitung entsalzen – enthärten entfallen) gibt Anlass, nach Wegen des Einsatzes von Regenwasser zu suchen.
Die beiden im folgenden dargestellten Beispiele zeigen unterschiedliche Ansätze beim Ein-satz von Regenwasser zur Kühlung in Industrie und Gewerbe auf.

Abbildung 2: Firma Artech, Betriebsgebäude mit vorgelagerter Versickerungsanlage

Praxisbeispiel Firma Artech in Dortmund

Die Firma Artech stellt Gehäuse für Druckerpatronen im Kunststoffspritzgussverfahren her (siehe Abbildung 2). Dabei gelten hohe Anforderungen an die temperaturkonstante Kühlung der Spritzgussköpfe. Außerdem ist die sogenannte Hydraulikabwärme der Materialführungsmaschinen abzuführen und die Luft in den Produktionsgebäuden den Anforderungen des Arbeitsschutzes entsprechend zu konditionieren. Die dafür erforderliche Kühlleistung wurde ursprünglich mit Hilfe von Kompressionskältemaschinen erbracht. Im Rahmen der Bemühungen im Emschergebiet, die Niederschlagswasserabflüsse befestigter Flächen vom Kanalnetz abzukoppeln, wurde nach Möglichkeiten einer dezentralen Regenwasserbewirtschaftung auf dem Betriebsgrundstück gesucht.
Das Niederschlagswasser wird dabei in einer 250 m3 großen Zisterne gespeichert, als Kühlwasser in die Kühltürme eingespeist und dort verdunstet. Damit werden rd. 1.000 m3 Trinkwasser substituiert. Als besonderer Vorteil hat sich hier die gegenüber dem Einsatz von Trinkwasser weniger aufwändige Aufbereitung des eingesetzten Regenwassers herausgestellt. Es genügt eine mechanische Filterung und ein einfacher Aktivkohlefilter. Ein Entsalzen (Herauslösen gelöster Stoffe mit Hilfe des Einsatzes von Chemikalien) kann entfallen.
Das überschüssige, für Kühlzwecke nicht benötigte Regenwasser wird in ein nachgeschaltetes Mulden-Rigolen-Element abgeleitet und versickert. Neben Trinkwasserbezug und –aufbereitung wird auf diese Weise auch die bisher fällige Regenwassergebühr in Höhe von etwa 5.000,- € p.a. eingespart.

Abbildung 3: Kelterei Possmann, Gegenstromwärmetauscher Regenwasser – Apfelwein

Praxisbeispiel Apfelweinkelterei Possmann in Frankfurt am Main

Bei der Apfelweinhalterei Possmann wird das Regenwasser zur Kühlung des frisch gekelterten Apfelweins auf die Lagerhaltungstemperatur eingesetzt (siehe die Abbildungen 3). Dazu wird das Dachflächenwasser der rd. 5.000 m² großen Betriebshalle in einem 200 m³ großen Tank gespeichert. Der Apfelwein wird in einem Gegenstromwärmetauscher mit dem Regenwasser gekühlt. Das auf 30 – 38 °C erwärmte Regenwasser wird anschließend auf das mit einer speziellen Bepflanzung versehene Flachdach gepumpt. Das warme Regenwasser fließt bei einem zweiprozentigen Dachgefälle über den Pflanzenbewuchs bzw. lateral durch das Bodensubstrat rd. 40 m bis zur gegenüberliegenden Dachseite.
Auf dem Weg dorthin kühlt sich das Regenwasser in Abhängigkeit von Witterung und Tageszeit in den Sommermonaten auf 15 - 25 °C und im Winter auf unter 10 °C ab. Anschließend wird es über eine automatische Grobstoffabscheidung und einen Feinstofffilter wieder in den Speichertank zurück geleitet. In den Monaten Dezember bis März, wird bei einem Durchsatz von 120 m³ Regenwasser pro Stunde, die gesamte erforderliche Kühlleistung über dieses System erbracht. In den Monaten April bis November wird das System durch das phasenweise Hinzuschalten einer Kompressionskältemaschine ergänzt.
Wenn in den Wintermonaten die Apfelweinlagerbestände zurückgehen, wird in vier Apfelweintanks mit jeweils 200 m³ Fassungsvermögen ein Regenwasservorrat von insgesamt 1.000 m³ für den Sommerkühlbetrieb, bei dem ein erhöhter Verdunstungsverlust auftritt, angelegt.
Die Anlage ist seit 1991 erfolgreich in Betrieb und hat den Energieeinsatz zur Kühlung erheblich reduziert.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Nachfrage nach Gebäude- und Prozesskühlung, wird aller Voraussicht nach in Zukunft weiter hohe Wachstumsraten aufweisen.
Die zu erwartende Energiepreisentwicklung und politische Zielsetzungen zum Klimaschutz werden in noch stärkerem Maße als bisher energieeffiziente Systeme und Techniken auch im Kühlbereich einfordern. Die hohe Bedeutung von Wasser bei energieeffizienten Kühltechniken und das universelle Vorkommen von Regenwasser bieten günstige Voraussetzungen für den vermehrten Einsatz zur Kühlung.
Im Bereich konventioneller Techniken eignet sich der Einsatz von Regenwasser, wegen des geringen Gehalts an gelösten mineralischen Stoffen, die eine Aufbereitung (Enthärten, Entsalzen) oftmals überflüssig machen, besonders für den Einsatz in Kühltürmen.
Neu zu erschließende Potenziale sind im Bereich der passiven Kühlung zu sehen (siehe Kelterei Possmann). Hier sind jeweils Systeme zu entwickeln die differenziert auf die spezifischen Anforderungen vor Ort abgestellt sind und die objektspezifischen Potenziale zielgerichtet ausschöpfen.
Eine Vielzahl realisierter Projekte und experimenteller Forschungsvorhaben zeigen, dass sich diese neben der Industrie auch auf Gewerbe-, Büro- und Wohnnutzungen erstrecken.
Um diese Potenziale in der Praxis realisieren zu können, sind sowohl Klimatisierungs- und Kühlanlagenplanung als auch Regenwassernutzung aus dem Stand nachgeschalteter Technikplanungen herauszuführen und angepasste ressourcenschonende Konzepte in Zusammenarbeit mit Architekten und Fertigungsplanern in möglichst frühem Planungsstudium zu entwickeln.

Literatur

  • www.gertec.de, Probst, Jörg, Effizientes und solares Kühlen – Effizienzpotenziale in der Kälteerzeugung und –anwendung, Linz, 2005
  • www.rehsler.de, Rehsler Kühlsysteme, Moderne Energiesparkonzepte zur Reduzierung des Treibhauseffektes und optimale Nutzung unserer Primärressourcen, Lindau/B, 2007
  • Schmidt, Marco, Gebäudebegrünung und Verdunstung, in: Garten+Landschaft, Heft 1/2008, S. 15 -18
  • Kaiser, Mathias, Einsatz von Regenwasser zu Kühlung in Industrie und Gewerbe, in: Innovative Wasserkonzepte in Gewerbe und Industrie sowie im Gebäudebestand, Hrsg. Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e.V. (fbr), Darmstadt, 2008

*)Dr.-Ing. Mathias Kaiser ist seit 1994 selbstständig als Inhaber des INGENIEURBÜRO M. KAISER tätig und führt regelmäßig Gastvorlesungen und Seminare an verschiedenen Hochschulen und Technischen Akademien durch, www.buero-mkaiser.de [^]

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