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2007-03: Vorbei an Kioto

Thema

Quelle: EPA

Die ökonomische und die naturwissenschaftliche Sicht der Weltprobleme driften heillos auseinander. Warum die Prediger des Konsumverzichts in der Debatte um den Klimawandel einer Illusion aufsitzen.

Kioto und der Glaube an Wunder
Von den Tücken des Energiesparens im Anti-CO2 -Kampf und den Chancen

Von Hellmut Butterweck*

Künstler engagieren sich gegen den Klimawandel. Der ORF macht den Klimawandel zum Programmschwerpunkt. Der Bundeskanzler will einen Klimaschutzbeauftragten, daher wollen ihn ÖVP und Grüne nicht. In Wien fordern Plakate dazu auf, dem Klima zuliebe einen Tag pro Woche auf das Auto zu verzichten. Die Befürchtung, die Warner könnten Recht behalten und das Klima tatsächlich kippen, scheint sich zum Klimabewusstsein zu verdichten. Das Thema will und will nicht aus den Medien verschwinden. Auch das Klima selbst sorgt dafür, dass es nicht in Vergessenheit gerät. Immer mehr Einzelne spielen mit dem Gedanken, dem Klima zuliebe Konsumverzicht zu üben. Und wenn sie damit Ernst machen? Dann stehen wir schön da.
Wo bleibt das Wachstum der Reifenindustrie, woher soll die OMV das Geld zur Errichtung weiterer Tankstellen in Rumänien nehmen, wenn die Leute tatsächlich deutlich weniger fahren? Mit der Freisetzung weiterer 5000 Mitarbeiter ist es dann nicht mehr getan. Wo bleiben Mercedes und BMW, VW und Audi und Citroën und Fiat und, und, und, wenn immer mehr Leute ihre Autos nicht mehr einfach nur stehen lassen, sondern tatsächlich seltener ein neues kaufen? Wo bleiben dann die Arbeitsplätze der Zulieferer wie Magna und Steyr? Und wenn gar die Reichen vernünftig werden und sich die Benzin fressenden schweren PS-Giganten versagen, die derzeit der Autoindustrie die Butter aufs Brot liefern? Wo bleibt die Computerindustrie und der von den kurzen Produktzyklen lebende Handel, wenn tatsächlich immer mehr Konsumenten draufkommen, dass mehr Leistung mehr Stromverbrauch bedeutet und auch die Entsorgung des Elektronikschrotts klimaschädlich ist und man daher etwas für die Umwelt tut, wenn man den Laptop länger behält? Und wo bleibt die AUA, wo bleiben alle anderen Airlines, wo die ganze Tourismusindustrie, wenn sich immer mehr Menschen darauf besinnen, wie empfindlich die Atmosphäre ausgerechnet in jenen Höhen ist, in denen sich die Passagierjets tummeln und wieder öfter wie zu Omas Zeiten in die nahe gelegenen Sommerfrischen fahren? Wo, um Gotteswillen, bleibt dann das Wachstum dieses wichtigen Wirtschaftszweiges? Und wenn die endlosen Lkw-Kolonnen auf allen Autobahnen Europas tatsächlich dünner werden? Der Job des an ihnen vorbei in den Urlaub brausenden Pkw-Lenkers, der sich darüber freut, konnte nur zu bald wackeln, wo immer er auch arbeitet. Die Schwierigkeiten jedes wichtigen Wirtschaftszweiges wirken sich nämlich auch auf alle anderen aus.
An all das denken die vielen nicht, die jetzt an allerlei klimanützlichen Konsumverzicht denken. Sie denken ja auch nicht daran, dass das Geld, das sie sparen, statt ein neues Auto zu kaufen oder auf die Malediven zu fliegen, nicht nur bei der Gesamtnachfrage fehlt, sondern auch die Sparquote und damit das Kreditvolumen erhöht.
Dadurch steht noch mehr Geld für Investitionen, also auch für weitere Rationalisierungsmaßnahmen, noch höhere Produktivität und noch schnellere Arbeitsplatzvernichtung zur Verfügung und dies wiederum bedeutet die Notwendigkeit eines noch schnelleren Wachstums, wenn die Arbeitslosigkeit nicht explodieren soll. Klingt lustig?
Ist es aber nicht. Das Arbeitsplatzhemd ist uns nun einmal näher als der Klimarock. Also verantwortungsvoll auf Arbeitsplätze und Wachstum bedacht drauflos konsumieren? Geht auch nicht, siehe oben, das Klima. Verteufelt, verteufelt! Alles wird noch viel ungemütlicher dadurch, dass wir bekanntlich keinen Konsumrückgang brauchen, um wirtschaftlich in die Bredouille zu kommen. Ein zu geringes Wachstum genügt vollauf. Ein Wirtschaftswachstum ohne Mehrverbrauch von Energie und mehr CO2-Ausstoß hat aber leider noch niemand erfunden. Andererseits bedeutet bereits ein Wachstum des Energieverbrauches um nur 1,8 Prozent jährlich eine Verdoppelung binnen 19 Jahren. Wenn die Wirtschaft unablässig wachsen muss, kann man also auf längere Sicht die Kioto-Ziele vergessen.
Kernenergie als Ausweg? Damit bereits in der ersten Hälfte des nächsten Jahrhunderts überall, wo heute ein AKW arbeitet, deren vier, sechs, acht stehen? Bei den heutigen Wachstumsraten ist diese Vorstellung realistisch. Freude über neues Wachstum, Freude über jede Erholung des Arbeitsmarktes. Und in der selben „Zeit im Bild“, derselben Journalsendung, auf derselben Zeitungsseite, besorgt, alarmiert, kassandrisch: Das Klima, die Umwelt, der Gesamtzustand der Welt. Kein Wort davon, dass Wachstum zwangsläufig mehr Energieverbrauch, mehr Stahl, mehr Alu, mehr Bauen, mehr Autos und zwangsläufig mehr Treibhauseffekt bedeutet. Offenbar halten die meisten von uns nach wie vor Ursachen und Folgen in ihrem Bewusstsein so säuberlich getrennt wie der gläubige Chirurg seine Hantierungen an Herz oder Hirn vom Glauben an Wunder, den er in der Kirche bejaht, sich aber am Operationstisch verbietet. Auch das Bekenntnis zu den Kioto-Zielen ist, sollte es ehrlich gemeint sein, unter den gegebenen Umständen schierer Glaube an Wunder.
Das ökonomische System erfordert ein Wachstum, welches das ökologische System offenbar überfordert. Die ökonomische und die naturwissenschaftliche Sicht der Weltprobleme driften heillos auseinander. Die von der Naturwissenschaft vorgegebenen Strategien laufen für den hochindustrialisierten Teil der Welt nach wie vor auf das Rezept „Weniger von allem“ hinaus.
Wirtschaftlich gangbare Wege in dieser Richtung sind derzeit nicht erkennbar. Das Hauptproblem in Sachen Erderwärmung, Klima und Umwelt ist aber nicht dieses Dilemma, sondern die Tatsache, dass es nicht ausgesprochen wird.

*) Hellmut Butterweck ist Schriftsteller und Journalist und schrieb das Buch "Arbeit ohne Wachstumszwang" (Campus, 1995) [^]

Mit freundlicher Abdruckgenehmigung von "Der Standard", 3.3.2007

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