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2003-01: Solare Architektur

Titel

Braun MontCenis2 Das Bauwesen hatte sich gerade daran gewöhnt: dank scheinbar endloser, fossiler Ressourcen aus den Zwängen des lokalen Klimas befreit, ließen sich alle Kriterien der Behaglichkeit – Wärme, Kälte, Licht, Luftqualität – technisch den Wunschvorstellungen der Nutzer anpassen.

Solarenergienutzung in der Gebäudehülle

Von Peter Braun und Florian Lichtblau*


Friedlich konnte man sich als ArchitektIn dem hehren Ziel der Gestaltung hingeben - die Technik wird´s schon richten. Da erschreckt uns doch das Klima mit Stürmen, Hautkrebs und absaufenden Landflächen. Und damit nicht genug: kaum erreichen wir das heiß ersehnte neue Jahrtausend, da treten auch schon moderne Raubritter namens Ökosteuer und Benzinpreis an, uns mit weiteren lästigen Fakten wie Ressourcenverknappung, wachsender Weltbevölkerung und zunehmender Umweltbelastung endgültig die Suppe der baukünstlerischen Ansprüche versalzen zu wollen! Quo vadis, architectus?

Rückbesinnung und Vorausschau

Die industrielle Revolution hat unser gesamtes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem binnen zweier Jahrhunderte auf den Kopf gestellt: bis dahin selbstverständliche Bau- und Lebensweisheiten wurden zugunsten scheinbar vielversprechenderer, neuer Qualitäten über Bord geworfen. Der damit verbundene, immense Energiebedarf durch scheinbar endlose fossile Energieträger gedeckt. Mehr und mehr verabschiedet sich das traditionsbewusste Bauwesen vom Kenntnisstand des klimagerechten, regionspezifischen Bauens. Heute zeugen gläserne Bürobauten à la Mies van der Rohe von Helsinki bis Dubai von dieser immer noch vorherrschenden exzessiven Technikgläubigkeit.

Und obwohl gerade die Führungsriege der internationalisierten ArchitektInnenschaft das Wort der Ökologie und Nachhaltigkeit ständig im Munde führt, meint Solares Bauen doch etwas viel Weitgreifenderes: Integrale Planungskonzepte als Synonym für Solares Bauen und Sanieren zielen auf eine Minimierung von

  • induziertem Energie- und Landverbrauch im städtebaulichen Bereich bzw. landschaftspflegerischer Fragwürdigkeit,
  • herstellungs-/ transportbedingtem Energieverbrauch und entsprechenden Abfällen im konstruktiven Bereich,
  • Betriebsenergieverbrauch bei Nutzung der Gebäude und Einrichtungen bzw. Beeinträchtigung des Umfeldes,
  • Energieaufwand und Problemmüll bei Wiederverwendung / Downcycling / Entsorgung nach Um- oder Rückbau,
  • sowie von Belastung naturgegebener Stoffkreisläufe bei Materialauswahl oder regenerativer Energieerzeugung.

 

Doch Solare Architektur will noch mehr: sie will Gesundheit, Gemeinsinn und Gestaltqualität (zurück-) bringen, als Grundlage für eine neue, nachhaltige (Bau-) Kultur. Albert Einstein urteilte im vergangenen Jahrhundert: Unsere Zeit ist gekennzeichnet durch eine Vervollkommnung der Mittel und eine Verwirrung der Ziele. Gebraucht werden kompetente und unabhängige Planungsteams, phantasievoll, mutig und bereit, offensiv ein Stück gesellschaftlicher Verantwortung zu übernehmen, bzw. Folgegenerationen in ihre Entscheidungen mit einzubeziehen. Form follows evolution – fällt uns ArchitektInnen und IngenieurInnen hierbei nicht eine so zentrale wie soziale Rolle zu?!

Wir können hier nur versuchen, Ihre Aufmerksamkeit zu wecken für ein hochkomplexes Thema, das der nachhaltigen Versorgung von energetischen, verbunden mit physiologischen und gestalterischen Bedürfnissen gewidmet ist. Zu Beginn die glasklare Feststellung: erst dann, wenn unsere Planungen auf passivem Wege die spezifischen Möglichkeiten der energetischen und stofflichen Läuterung ausgeschöpft haben, besteht eine ökonomische Chance, den verbleibenden Restbedarf durch regenerative Techniken und Bauweisen zu decken. Oder anders: mit der fossilen Energie- und Stoffdichte ist es vorbei. Wie man jedoch in Neubau und Bestandssanierung eine synergetisch wirksame Integration passiver und aktiver Maßnahmen erreichen kann, das wollen wir in diesem Heft zumindest anreißen.

Mit neuer Energie ins dritte Jahrtausend...

Die Kür zeigte schon Anfang der Neunziger trotz mangelhafter gesetzgeberischer Vorgaben: zahlreiche Niedrigenergiehäuser sind bereits realisiert, viele Probleme allerdings noch ungelöst. Zumeist traf man auf teuren Ökokitsch, Solarkomponenten waren nicht Bestandteil gestalterischer Überlegungen; ökologische Trostpflaster dominierten das Geschehen.

Zehn Jahre später hat sich die Grundhaltung der Branche verändert. Solararchitektur contra Wärmedämmung: diese Polarisierung, vor 10 Jahren noch mit Vehemenz ausgetragen, ist in weiten Teilen der Fachwelt einem klaren Bekenntnis zum Miteinander gewichen. Wen wundert´s, denn ein Blick auf den gesamten Energiehaushalt lehrt (siehe Abbildung 1), dass dem Thema Heizenergie auf dem Niveau des Niedrigenergiehauses nur noch einen bestenfalls gleichwertigen Anteil am Gesamtenergiebedarf zukommt. Aber welche Waschmaschine, welcher Herd, welche Lampe ließe sich mit Wärmedämmung betreiben, ganz zu schweigen vom Duschen oder Baden? Und auch das Passivhaus auf der grünen Wiese kann sich dank der notwendigen Individual-Mobilität als Problem herausstellen. Globales Bilanzdenken ist angesagt!

Einige, wenige visionäre Architekten, Planer und Bauherren haben in einem für das Bauwesen unglaublich kurzen Zeitraum von 10 Jahren Revolutionäres vollbracht: mit großem Engagement haben sie es geschafft, Niedrigenergiehäuser trotz widriger Umstände zum Stand der Technik werden zu lassen. Dies auch noch unter zunehmendem Nachweis einer Ästhetik, die eher eine Befruchtung des Entwurfs durch diese Anforderungen aufscheinen läßt, als eine Beschränkung.

Das Solare Bauen, es stützt sich ganz wesentlich auf jüngste Entwicklungen in der Glastechnologie. Die ständig steigende Vielfalt an Gläsern, passiven und aktiven Fassadenbauteilen mit unterschiedlichsten, teils regelbaren Funktionen der direkten oder indirekten Solarenergienutzung erreicht fast schon die von Mike Davies Anfang der neunziger Jahre entwickelten Visionen der polyvalenten Wand [1].

Doch erst die projektspezifisch, individuell richtige Auswahl und vor allem das richtige Maß an Verglasungsflächen, verbunden mit einer je nach Erfordernissen flexiblen Durchlässigkeit, ausreichender Speicherfähigkeit bei gleichzeitig flexibler Nutzungsstruktur, ein ökonomisch vernünftiges Maß an Wärmedämmung ergänzt durch Energie gewinnende Fassadenbauteile, eine intensive Tageslichtnutzung bei gleichzeitiger Vermeidung sommerlicher Überhitzung im Zusammenspiel mit einer einfachen, sprich für ihre Nutzer verständlichen Technik, schafft im Idealfall Sommers wie Winters angenehme klimatische Verhältnisse gepaart mit niedrigen Energieverbräuchen als Voraussetzung für eine zukünftige regenerative Gesamtenergieversorgung. Dies verlangt ein hohes Maß an planerischer Kompetenz, die Bereitschaft zu interdisziplinärer Zusammenarbeit und einen souveränen Umgang mit neuen Technologien. Mit den alten Rezepten sind die neuen Herausforderungen nicht zu bewältigen!

Neu für die Bauszene dürfte sein, dass die Experimentierlust deutlich zugenommen hat. Beispiele, wie das Design-Center in Linz von Thomas Herzog, die Fortbildungsakademie Mont Cenis in Herne von Françoise Helène Jourda (siehe Abb. 3), das Audi-Entwicklungszentrum von Fink+ Jocher, jedes zu seiner Zeit ein Beispiel für eine nicht zwingend makellose, aber durchaus diskussionswürdige Bewältigung der Fülle der Anforderungen, zeigen, dass mit einer beschränkten Wahl der Mittel intelligente Lösungen für die Bauaufgaben der Zukunft gefunden werden können. Es entsteht eine neue, ganzheitliche Qualität von Architektur. Die planerische und stilistische Integration innovativer Baukomponenten (Solar- und Tageslichtsysteme, natürliche Lüftung, etc.) erlangt zunehmende Bedeutung und Anerkennung. Entscheidend jedoch für die viel zitierte - Intelligenz - eines Gebäudes ist die frühzeitige, interdisziplinäre Optimierung des Gesamtkonzepts unter konstruktiven, technischen, ökonomischen und ökologischen Fragen vor Abschluss der Gestalt bildenden Phase.

 

Abb. 1
Energiebedarf: Wohnbauten im mitteleuropäischen Durchschnitt

Das Schlachtgeheul der letzten Gallier der technischen Postmoderne klingt uns gelegentlich noch in den Ohren, doch der Gegenwind wird schwächer. Die meisten haben längst erkannt: der Blick über den Tellerrand zeigt eine faszinierende, manchmal gar verwirrende gestalterische Vielfalt, die Schreckensszenarien des fossilen Zeitalters zu überwinden. Nicht eine einzelne Technologie wird uns am Ende den Übergang vom fossilen in das Zeitalter der Nachhaltigkeit ermöglichen, es sind derer viele. Sie bereichern die Formensprache der Architektur und schaffen Räume mit hoher Lebensqualität. Jedoch: nicht die Fülle der eingesetzten Innovationen zeichnet ein zukunftsweisendes Konzept aus, sondern die individuelle Angemessenheit und hieraus darf durchaus auch eine völlig neue Regionalisierung von Alltagskultur entstehen.

Integraler Gedanke

Insgesamt dürfte dem Wertbegriff im Immobilienbereich eine radikale Veränderung bevorstehen, wenn wieder substantielle Qualitäten wirklicher Zukunftstauglichkeit ins Bewußtsein der Klientel rücken: Architektonisch vernetzte und gestaltete Merkmale wie ein naturnahes Umfeld, thermischer und visueller Komfort, Raumluftgüte und Strahlungsfreiheit, natürliche Materialien und Oberflächen, Flexibilität der Nutzung, sowie einfache Anlagentechnik mit niedrigsten Verbräuchen für eine hohe Versorgungssicherheit. Insider wissen längst: Gesundheit und Wohlbefinden werden letztendlich über die Wirtschaftlichkeit unserer Bauweisen entscheiden - wer hätte das gedacht.

Von diesen Maßstäben hat unser Bauwesen sich weit entfernt. Eine der gewaltigsten Anstrengungen der kommenden Jahrzehnte wird darin bestehen, die enormen Potenziale anzugehen. Von Ausschöpfen kann ohnehin nicht die Rede sein. Aber wir können damit beginnen, aus Überzeugung, mit Phantasie und Einsatzbereitschaft das vielleicht bedeutendste menschliche Vermögen unter Beweis zu stellen: unsere Lernfähigkeit! „Solares Bauen - stellt also keine „Alternative“ dar, sie wird zur existenziellen Notwendigkeit. Und das ist gut so!

Abbildung 2
Integration solarer Komponenten in zeitgemäße Architektur. Arch. Hermann Kaufmann, Schwarzach(A)

 

 

Abbildung 3
Fortbildungsakademie Mont Cenis in Herne (D), Arch: Françoise Helène Jourda (F)

Literatur
[1] Davies, Mike: Eine Wand für alle Jahreszeiten: die intelligente Umwelt erschaffen. in: Arch+104, 1990.

 

*) Prof. Dipl.-Ing. Peter O. Brun [^] ist Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, Fachbereich Architektur, und nebenamtlicher Geschäftsführer des Zentrums für Energie, Bauen, Architektur und Umwelt (ZEBAU) GmbH, Hamburg, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.pob-faq.de.
Dipl.-Ing. (Univ.)
Florian Lichtblau ist freier Architekt (BDA) und Lehrbeauftragter, München, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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