Zeitschrift EE

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2012-02

 

Industrielle Prozesse

Abbildung 1:Offene Sudpfanne während des Betriebs (Quelle: Newcastle Institute for Research on Sustainability (NIRES), Newcastle University,UK)

Aufgrund rapide steigender Energiekosten und der im Climate Change Act 2008 [1] festgelegten Verpflichtung zur Reduktion der CO2 Emissionen um 80 % bis zum Jahr 2050 und 34 % bis 2020, wird Energieeffizienz in der produzierenden Industrie zu einem zentralen Thema im Vereinigten Königreich. Um effiziente und nachhaltige Lösungen zu finden, sind interdisziplinäre Ansätze gefordert, die sämtliche beteiligte Interessengruppen in ihren Zielen vereinen.

Energieeffizienz in der britischen Lebensmittelindustrie

Von Barbara Sturm *

Im Jahr 2009 war die produzierende Industrie für rund 18 % (Abbildung 2 ) des Gesamtenergiebedarfes des Landes verantwortlich. 71 % -oder 34,6 Mtoe Erdölequivalent an Primärenergie- davon wurden zur Wärmeerzeugung (Abbildung 3) aufgewendet [2]. Dabei fielen geschätzte 11,4 TWh/a [4] ungenutzter Abwärme an, was ca. 5 % des Gesamtenergieverbrauches des Landes entspricht.
Zur Erreichung der ehrgeizigen Ziele zur Reduktion des Energieverbrauches ist es notwendig, über Systemgrenzen hinaus zu denken. Dabei spielt die Nutzung bislang vernachlässigter Potentiale eine wesentliche Rolle. Ein wichtiger Punkt dabei ist die gezielte Förderung von Forschungstätigkeiten in diesem Bereich sowie die Schaffung von Plattformen wie dem PRO-TEM Netzwerk zum Austausch zwischen Universitäten und der beteiligter Industrie, welches in diesem Artikel beschrieben wird.

Die britische Lebensmittelindustrie

Die Lebensmittel- und Getränkeindustrie ist mit ca. 400.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von ca. 72,3 Milliarden £ [4] einer der größten und wichtigsten Arbeitgeber im Vereinigten Königreich. Neben einigen großen und multinational operierenden Konzernen besteht dieser Industriezweig hauptsächlich aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Die Lebensmittelindustrie ist für 11 % des industriellen Energiebedarfes und ca. ¼ der anfallenden ungenutzten industriellen Abwärme verantwortlich (entspricht 2,8 TWh). Der größte Teil dieser Abwärme fällt in einem Temperaturbereich <100 °C an. Weiters wird die Mehrzahl der Prozesse im Satzbetrieb gefahren, oft mit mehreren Linien, die parallel geschaltet sind.
Im Rahmen eines vom Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) geförderten Postdoc Aufenthaltes an der Universität Newcastle und in Anlehnung an das Thermal Management in Industrial Processes (TMIP) Projekt wurden die Potentiale einer holistischen Prozessoptimierung in der britischen Lebensmittel- und Getränkeindustrie anhand mehrerer Beispiele untersucht.

Barrieren und Potentiale für Energieeffizienz

Im Falle vieler, vor allem kleiner, Unternehmen sind die Produktionsanlagen technisch veraltet und es wurden bisher keine oder nur sehr unzulängliche Maßnahmen zur Effizienzsteigerung durchgeführt. Die Messdatenerfassung ist sehr einfach und häufig werden ungeeignete Messgeräte verwendet, die zudem durchaus an der falschen Stelle im Prozess installiert sein können. Die erfassten Daten werden nur selten komplett ausgewertet und oftmals nur die für den Tagesbetrieb notwendigen Daten überhaupt erst wahrgenommen. Ein weiteres Problem entsteht dadurch, dass viele Firmen in Gebäuden sind, die nicht für die Produktionsprozesse ausgelegt wurden, oder „organisch“ gewachsen sind.
Die Unternehmensgröße und der daraus resultierende Umsatz erlaubt oft keine Energieberatung durch Experten oder gar die Einstellung firmeneigener Fachleute. In vielen Fällen sind einfache Maßnahmen wie Wärmedämmung oder Nutzung der Abwärme aus den Abgasen der Brennkessel nicht umgesetzt.

Abbildung 2: Verteilung des Energiebedarfes nach Sektoren [Quelle: DECC, 2011]

Abbildung 3: Verteilung des Energiebedarfes nach Verbrauchern [Quelle: DECC, 2011]

Viele kleine und mittlere Brauereien beispielsweise schlagen den entstehenden Dampf aus der Sudpfanne ab, ohne die darin befindliche Energie rückzugewinnen. Abbildung 1 zeigt die Situation in einer kleinen Brauerei. Bei ungünstigen Wetterlagen kann der Dampf nicht durch die Abgasleitung aus dem System austreten. In diesem Fall muss der Kessel geöffnet werden und der Dampf wird in die Brauhalle freigesetzt, was wiederum dazu führt, dass die Wärmedämmung in der Halle feucht wird.
Oft steht das nötige Kapital um kostenintensive Modifikationen vorzunehmen nicht zur Verfügung. Ein Hauptgrund dafür ist die generell angesetzte maximale Amortisationszeit für Investitionen von 2 Jahren und weniger.
Modifikationen im Produktionsablauf werden sehr skeptisch bewertet, selbst wenn anhand von Praxisbeispielen dargestellt werden kann, dass nicht nur die Energieeffizienz gesteigert sondern auch die Produktqualität verbessert werden könnte. Die Angst Kunden zu verlieren, die im Falle einer Veränderung beispielsweise des Produktgeschmacks durchaus berechtigt ist, kann hauptsächlich für diese Zurückhaltung verantwortlich gemacht werden. Oft werden dann die als Kern des Prozesses angesehenen Grundoperationen unverändert beibehalten, auch wenn der Rest der Anlage umgebaut wird. Die daraus resultierenden Auswirkungen werden somit nicht in die Planung mit einbezogen. Dadurch wird eine effiziente Abstimmung der Prozesse erschwert, wenn nicht gar verhindert.
Durch die Einführung zusätzlicher Wärme- und Kältekreisläufe kann die Energieeffizienz in der Lebensmittelproduktion deutlich gesteigert werden. Besonders, wenn dies mit einer Aufwertung der sehr niedrig temperierten Abwärme einhergeht. Dies ist jedoch mit signifikanten Investitionskosten verbunden und kann gerade bei „organisch“ gewachsenen Betrieben oft wegen deren Prozessstruktur nicht umgesetzt werden.
Für die Simulation von Batchprozessen sind andere Softwaretools und Herangehensweisen erforderlich als bei kontinuierlichen Prozessen. Vor allem die Energiespeicherung wird hier zu einem zentralen Thema. Soll ein Unternehmen hinsichtlich der Energieeffizienz verbessert werden, ist es sinnvoll bereits zu Beginn die Integration von erneuerbaren Energien, wie z.B. Solarthermie, in Betracht zu ziehen. Der Abwärmenutzung zur Kältegenerierung wird grundsätzlich positiv gegenübergestanden.

Einsatz erneuerbarer Energien

Die potentielle Nutzung von Produktionsabfällen zur Erzeugung von Biogas und dessen Nutzung hat sich als sehr positiv erwiesen und wurde in einigen Fällen bereits umgesetzt. Generell wird die Ökobilanz der Betriebe durch diese Maßnahmen deutlich verbessert, da erneuerbare Energien generell als CO2 neutral angesehen werden können. Bei kleinen Leistungen qualifizieren sich Blockheizkraftwerke oder Brennwertkessel für Feed In Tarif (FIT) und/oder Renewable Heat Incentive (RHI). Die Einspeisetarife werden im April 2012 grundlegend verändert. Die absehbaren Kürzungen können zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht quantifiziert werden.

Alternative Nutzung der entstehenden Abwärme

In Fällen, in denen es sich nicht lohnt die zur Verfügung stehende Abwärme aufzubereiten, ist es sinnvoll über eine alternative Nutzung nachzudenken. Die oft zitierten Gewächshäuser sind tatsächlich gute Wärmesenken. Eine effiziente Nutzung der Wärme ist jedoch bei weitem nicht so einfach umsetzbar, wie allgemein angenommen wird. Die Produktionsplanung muss angepasst werden, ggf. auch die Infrastruktur und es wird selbst dann nur möglich sein die Wärme wirklich effizient zu nutzen, wenn im Sommer weitere Wärmesenken zur Verfügung stehen und/oder Langzeitwärmespeicher in das System integriert sind. Langzeitwärmespeicherung mit Kapazitäten in der geforderten Größenordnung ist jedoch selbst bei hohen Preisen für fossile Brennstoffe nach wie vor deutlich zu teuer.
Wie schon erwähnt, ist es von großer Bedeutung, das Wissen und die Erfahrungen von verschiedenen Bereichen und Einrichtungen sowie der Industrie miteinander zu verknüpfen. Aus diesem Grund kann das schon angesprochene PRO-TEM Netzwerk in der Umsetzung der Energieeffizienz und der CO2 Reduzierung eine wichtige Rolle spielen.

Das PRO-TEM Netzwerk

Das PRO-TEM Netzwerk (http://research.ncl.ac.uk/pro-tem/index.php) konzentriert sich explizit auf die Untersuchung der Potentiale zur Steigerung der Energieeffizienz in der produzierenden Industrie und die Verbreitung dieser Ergebnisse. Das Netzwerk wurde als Bindeglied zwischen Industrie, akademischem Bereich, Behörden und Regierung (national und lokal) und nichtstaatlicher Organisationen entwickelt, um die Energierückgewinnung zu maximieren, die Produktionseffizienz zu verbessern, CO2 Emissionen zu reduzieren und sauberere und sichere Energiequellen zu nutzen.
Die Mitgliedschaft im Netzwerk ist kostenlos (http://research.ncl.ac.uk/pro-tem/register.php) und jeder Interessent kann ihm beitreten.
PRO-TEM organisiert unter anderem Konferenzen und Seminare für die beteiligten Interessengruppen. Unter dem Dach des PRO-TEM Netzwerkes wurden mehrere Verbundprojekte, die sich mit der effizienteren Nutzung von Energieträgern beschäftigen, zusammengefasst:

  • Entwicklung eines Werkzeugs zur Steigerung der Energieeffizienz in der Prozessindustrie -Design Toolbox for Energy Efficiency in the Process Industry (UC London)
  • Energieeinsparungen in Gießereien durch Einsatz neuartiger Schmelzprozesse - Energy Saving in the Foundry Industry by Novel Single Shot Melting Process (University of Birmingham)
  • Evaluierung eines energieintensiven großen Produktionsstandortes und Beurteilung des Potentials von zentralisierter versus lokaler Energieerzeugung - Evaluation of a large energy intensive site to determine if centralised electricity generation and steam distribution is preferable to local generation (Cardiff University)
  • Intensivierte Wärmeübertragung zur Energieeinsparung in der Prozessindustrie - Intensified Heat Transfer for Energy Saving in Process Industries (University of Manchester)
  • Optimierung von Wärmenutzung, -management und –rückgewinnung in der Prozessindustrie - Optimising Thermal Energy Recovery, Utilisation and Management in the Process Industries - OPTITHERM (Newcastle University, Brunel University)
  • PRO-TEM: Wärmemanagementnetzwerk der Prozessindustrie (PRO-TEM Network: Process Industry Thermal Energy Management Network (Newcastle University))
  • Reduktion des Energiebedarfs in der Papierindustrie durch den Einsatz von online-Regelungs- und Optimierungsverfahren - Reduction of energy demand in paper making using online optimisation and control (University of Cambridge, University of Manchester)
  • Wärmemanagement in der kommerziellen Brotbackindustrie - Thermal management in commercial bread baking (University of Leeds)
  • Wärmemanagement in der Polymerverarbeitung - Thermal Management in Polymer Processing (Queen’s University of Belfast, University of Bradford)
  • Wärmemanagement in industriellen Prozessen - Thermal Management of Industrial Processes (University of Manchester, Unistersity of Sheffield, Newcastle University)

Das Gesamtfördervolumen dieser Projekte beträgt 5,3 Mio £. Nähere Beschreibungen dieser und weiterer artverwandter Projekte können hier gefunden werden: http://gow.epsrc.ac.uk/NGBOChooseTTS.aspx?Mode=ResearchArea&ItemDesc=Energy+Efficiency+(End+use+Energy+Demand)
Zu den industriellen Partnern im Netzwerk gehören unter anderem Alstom Power UK Ltd, BP Chemicals, EON Engineering Ltd, M W Kellog, NEPIC, Pfizer Global R&D und Veolia ES Sheffield Ltd. Durch die rege Beteiligung der industriellen Partner ist es möglich gewesen, zielgerichtete Lösungsansätze für real bestehende Probleme zu entwickeln.

Fazit

Holistische Ansätze zur nachhaltigen Effizienzsteigerung in der Lebensmittelindustrie sind sehr vielversprechend und bedürfen eines interdisziplinären Herangehens. Dies kann jedoch nur funktionieren, wenn Know-how Träger aus Industrie und Forschung aber auch Wissenschaftler untereinander zusammenarbeiten. Das PRO-TEM Netzwerk bietet die ideale Plattform dafür.

Literatur

  • [1] DECC, Climate Change Act 2008. Department of Energy and Climate Change, 2008
  • [2] DECC, Energy consumption in the UK: 2011. Department of Energy and Climate Change, National Statistics, 2011
  • [3] R. Law, A. Harvey, D. Reay. Opportunities for low-grade heat recovery in the UK food processing industry. Sustainable Thermal Energy Management International Conference (SusTEM2011), Newcastle upon Tyne, 25.–27.10.2011
  • [4] FaD, Statistics at a glance. Food and Drink federation http://www.fdf.org.uk/statsataglance.aspx accessed 31/05/11

*)Barbara Sturm ist Thermal Energy Management Coordinator am Newcastle Institute for Research on Sustainability (NIRES), Newcastle University, (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!) [^]

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