nt 03 | 2020: Innovative Demonstrationsgebäude
Demoprojekte Solarhaus - Aggregierte Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung
Walter Becke, Veronika Hierzer, Marnoch Hamilton-Jones, Christian Fink, Reinhard Pertschy
2014 wurde vom Klima- und Energiefonds erstmalig ein Förderprogramm für Ein- und Zweifamilienhäusern mit mehr als 70 Prozent solarer Deckung in Bezug auf Heizwärme und Warmwasserbedarf aufgelegt. Zentrale Aufgaben der von einem Konsortium unter der Leitung von AEE INTEC durchgeführten wissenschaftlichen Begleitung sind einerseits verpflichtende Beratungsgespräche mit den FörderwerberInnen und andererseits eine messdatenunterstützte Analyse ausgewählter Projekte während des ersten Betriebsjahres.
Im Rahmen der sechs zwischen 2014 und 2019 ausgeschriebenen Förderprogramme wurden insgesamt 108 Beratungsgespräche für Solarhäuser mit einer Gesamtkollektorfläche von 4072 m² und einem mittleren solaren Deckungsgrad von rund 76 Prozent in drei Heizwärmebedarfs-Kategorien durchgeführt. Mit 72 Projekten entfielen die meisten Einreichungen auf Kategorie 1 (HWBRK ≤35 kWh/m²a). In Kategorie 2 (HWBRK ≤22 kWh/m²a) wurden 32 Projekte eingereicht und in Kategorie 3 (HWBRK ≤10 kWh/m²a) wurden vier Beratungsgespräche durchgeführt.
Von den insgesamt 108 beratenen Projekten wurden von einer internationalen ExpertInnenjury 43 Projekte für ein einjähriges Monitoring ausgewählt. Die Monitoringperiode wurde für 19 Projekte bereits abgeschlossen. Bei acht weiteren Projekten wurde das Monitoring gestartet.
Bei den gemessenen Wärmeverbräuchen für Raumwärme und Warmwasserbereitung wurden deutliche Unterschiede im Vergleich zu den prognostizierten Werten festgestellt. Bei rund der Hälfte der Projekte traten Mehrverbräuche über 20 Prozent, bei drei Projekten über 50 Prozent auf. Klimabereinigt ergaben sich bei 16 der 19 Gebäude mit abgeschlossenem Monitoring Heizwärme-Mehrverbräuche zwischen 20 Prozent und 150 Prozent. Eine genauere Betrachtung konnte die Unterschiede hauptsächlich auf einen Mehrverbrauch beim Heizwärmebedarf zurückführen. Die Gründe reichen von nicht vollständig fertiggestellten Gebäuden (z. B. nicht fertiggestellte Fassade) über Nutzungsänderungen (z. B. Einliegerwohnung statt Garage) und der von NutzerInnen gewünschten höheren Raumtemperaturen bis hin zu im Gebäude bzw. in Bauteilen verbliebenen Feuchtigkeit aus der Bauphase. Aus diesen Gründen ist ein unmittelbarer Vergleich zwischen Planung und Messung nicht möglich. In allen Fällen konnten innerhalb der Heizperiode Raumtemperaturen in den Wohnräumen über 21 °C erreicht werden. Der Median der Raumtemperaturen in der Heizperiode lag bei rund 23 °C.
Hinsichtlich solarem Deckungsgrad konnten acht Projekte 70 Prozent solaren Deckungsgrad erreichen bzw. überschreiten. Bei vier Solarhäusern lag der gemessene solare Deckungsgrad zwischen 60 und 70 Prozent und sieben Solarhäuser wiesen solare Deckungsgrade unter 60 Prozent auf. Der tatsächliche Wärmeverbrauch stellt dabei eine grundlegende Einflussgröße in Bezug auf den solaren Deckungsgrad dar. Teilweise lag eine für die Erreichung hoher solarer Deckungsgrade ungünstige Regelungsstrategie vor. So wurde beispielsweise bei einzelnen Gebäuden mit thermischer Bauteilaktivierung ein zu schmales Temperaturband gewählt, wodurch der geplante Speichereffekt nicht erreicht werden konnte. Die Prognose-Erwartungen für den spezifischen Solarertrag wurden in rund 60 Prozent der Fälle überschritten, wobei ein Zusammenhang zwischen Verbrauch und spezifischem Solarertrag deutlich feststellbar war. Im Mittel wurden spezifische Solarerträge von 312 kWh/m²a, bezogen auf die Aperturfläche, erreicht.
Speichertechnologien
Für die Erreichung hoher solarer Deckungsgrade haben sich auf dem Markt zwei Speichertechnologien etabliert: klassische Wasser-Pufferspeicher und thermische Bauteilaktivierung. Die eingereichten Solarhauskonzepte nutzen entweder eine dieser Speichertechnologien bzw. kombinieren beide Technologien. Auf Basis eines Vergleichs von Kubikmeter Beton zu Kubikmeter Wasser erfolgte eine Kategorisierung in „primär Bauteilaktivierung“ und „primär Pufferspeicher“. 36 der 108 eingereichten Projekte (33 Prozent) nutzen thermische Bauteilaktivierung als zentrale Speichertechnologie.
Zentrale Erkenntnisse
Durch Bauteilaktivierung als primärem Wärmespeicher- und Wärmeabgabesystem können die benötigten Wasserspeicher vergleichsweise klein dimensioniert werden. In 22 von 108 Gebäuden wurden Wasserspeicher bis maximal 1450 Liter geplant. Aufgrund der multifunktionalen Nutzung des Bauteils können damit Pufferspeichervolumina und verlustbehaftete Oberflächen reduziert werden. Gleichzeitig können verbaute Fläche minimiert und Kostenreduktionspotenziale erschlossen werden. Eines der betrachteten Solarhäuser mit einem spezifischen Heizwärmebedarf von 34 kWh/m²a und einer Energiebezugsfläche von 143 m² konnte mit konsequenter Bauteilaktivierung, einem 950 Liter-Pufferspeicher und 17 m² Brutto-Kollektorfläche eine gemessene solare Deckung von 77 Prozent erreichen. Im Zuge der Begleitforschung konnte bei zwei Häusern eine sehr hohe solare Deckung messtechnisch nachgewiesen werden. Das eine Gebäude mit einem spezifischen Heizwärmebedarf von 19 kWh/m²a und einer Brutto-Grundfläche von 265 m² wurde in Oberösterreich in einer grundsätzlich nebelreichen Gegend errichtet. Durch die Kombination eines 31 m³ großen Pufferspeichers mit Bauteilaktivierung und 40 m² Kollektorfläche erreichte es vollständige solare Deckung. Das zweite Gebäude mit einem spezifischen Heizwärmebedarf von 34 kWh/m²a und einer Energiebezugsfläche von 213 m² in Tirol erreichte mit einem 6 m³-Pufferspeicher und einer rund 50 m² großen, fassadenintegrierten Solaranlage einen solaren Deckungsgrad von 95 Prozent.
Mehr als die Hälfte aller Solarhäuser in der Begleitforschung nutzt eine biomassebasierte Nachheizung. Mehrheitlich kommen im Heizraum positionierte Scheitholzkessel zum Einsatz, knapp gefolgt von hydraulisch eingebundenen Wohnraumöfen. Die restlichen Solarhäuser verwenden entweder Wärmepumpen oder Strom-direkt-Heizungen (elektrische Durchlauferhitzer oder elektrische Heizstäbe) als Nachheizung.
Besonders vielversprechend aus ökologischer und ökonomischer Sicht sind Projekte, die eine Nutzung von sommerlichen Überschüssen ermöglichen. Innerhalb des Programms wurden neben Poolerwärmung auch Anlagen umgesetzt, die Mehrerträge gebäudeübergreifend nutzen können.
Im Verlauf des betrachteten Förderzeitraums wurden immer wieder Bestands- bzw. Sanierungsobjekte zur Förderung eingereicht, welche den Solarhaus-Standard erreichen konnten. Zwei derartige Gebäude befinden sich in der Begleitforschung.
Insgesamt wurden bei rund 21 Prozent aller eingereichten Solarhäuser zusätzlich Photovoltaik-Anlagen konzipiert, wobei in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme an PV-Anlagen festzustellen ist. Im Sinne eines ganzheitlichen Solarhaus-Ansatzes mit möglichst hohen solaren Deckungsgraden sowohl für den Wärme als auch den Strombedarf des Gebäudes, inklusive Strom für Elektro-Mobilität, ist diese Entwicklung als wissenschaftlich interessant zu bewerten. Auch im Kontext einer vollständig erneuerbaren, übergeordneten Gesamtenergieversorgung stellen diese Gebäude aufgrund ihrer großen Speichermassen ein spannendes Flexibilisierungspotential für öffentliche Energieversorgungsnetze dar.
Kosten und Verbreitung
Die Systemkosten der Anlagen der Begleitforschung (Solarthermieanlage inkl. Speicher und Montage) lagen zwischen 500 €/m² und 1.200 €/m². Bei größeren Anlagen ist ein deutlicher Skaleneffekt erkennbar.
Im Zuge der Aktivitäten der wissenschaftlichen Begleitung des Förderprogramms konnte eine Vielzahl an Erkenntnissen generiert und die Umsetzung zahlreicher Innovationen begleitet werden. Das Projektteam konnte die Ergebnisse der Begleitforschung in insgesamt 21 Fachbeiträgen (Veröffentlichungen bei Konferenzen, Fachveranstaltungen und weiteren Publikationen) vorstellen. Darüber hinaus wurden drei durch das Team der Begleitforschung betreute Masterarbeiten verfasst.
Solarhäuser mit 95 bzw. 100 Prozent solarer Deckung (Messwert). Fotos: Bauherr, AEE INTEC
AutorInnen
Dipl.-Ing. Walter Becke, Dipl.-Ing.in Veronika Hierzer und Marnoch Hamilton-Jones, MEng. sind wissenschaftliche MitarbeiterInnen des Bereichs „Technologieentwicklung“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Ing. Christian Fink ist Geschäftsführer von AEE INTEC.
Dipl.-Ing. Reinhard Pertschy ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Technisches Labor und Daten“ bei AEE INTEC.