Zeitschrift EE

nt 01 | 2023 Datengesteuerte Intelligente Gebäude

Revolutionieren digitale Gebäudezwillinge den Gebäudebetrieb oder bleiben sie ein ungenutzes Potenzial?

Der Einsatz von digitalen Zwillingen im Gebäudebetrieb eröffnet eine Vielzahl von Möglichkeiten. Ein digitaler Zwilling ist eine digitale Kopie eines realen Gebäudes, die in Echtzeit betriebliche Daten sammelt und analysiert. Dies ermöglicht es, Gebäudebetriebsprozesse präzise zu überwachen und zu optimieren, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten proaktiv durchzuführen und Ressourcen effektiver zu nutzen. Anwendungen des digitalen Gebäudezwillings für den Gebäudebetrieb werden derzeit stark von den technologischen Möglichkeiten getrieben, aber weniger vom Markt selbst nachgefragt[1]. Die meistgenannten Vorteile, „Pull-Effekte“, für digitale Gebäudezwillinge sind:

  1. Kosteneinsparungen durch Optimierung des Bauund Betriebsprozesses von Gebäuden
  2. Effizienzsteigerung durch die Verbesserung der Zusammenarbeit verschiedener Akteure im Bauprozess durch BIM (Building Information Modeling)
  3. Verbesserung der Nachhaltigkeit durch Analyse der Umweltauswirkungen von Gebäuden mit Hilfe digitaler Gebäudezwillinge
  4. Digitale Gebäudezwillinge ermöglichen es, die Wartung und Instandhaltung von Gebäuden zu planen und durchzuführen.
  5. BIM erleichtert es, die Compliance mit gesetzlichen Vorschriften und Normen zu erfüllen.
  6. Digitale Gebäudezwillinge können dazu beitragen, die Zufriedenheit und den Komfort von Nutzer*innen zu erhöhen, indem beispielsweise Raumnutzungen, Luftqualität und Temperatur in Echzeit analysiert und optimiert werden.

Dieser Artikel befasst sich mit den vier wichtigsten Anwendungsfällen von digitalen Zwillingen im Gebäudebetrieb, deren Nutzen und mit einer konkreten Umsetzung dieser Ideen im Rahmen des Projekts "buildingtwin.at".

Digitaler Zwilling - Buildingtwin.at. Quelle: AEE INTEC

Anwendungen von Gebäude-Zwillingen für den Gebäudebetrieb basieren in der Regel auf BIM-Modellen, die eine visuelle Darstellung des physischen Objekts mit statischen und dynamischen Daten enthalten und über standardisierte und skalierbare Benutzeroberflächen für verschiedene Anwender*innengruppen verfügen. Eine der größten Herausforderungen beim Betrieb digitaler Zwillinge ist es, das richtige Gleichgewicht zwischen ökonomischem Mehrwert und Zeitaufwand zu finden. Basierend auf unterschiedlichen Komplexitätsgraden wurden im Projekt „buildingtwin.at“ vier Kategorien von digitalen Zwillingen definiert, die von der einfachsten bis zur komplexesten reichen: (1) Der "As-built Digital Twin" besteht aus einer Plattform für die Einbindung von Subunternehmern/ausführenden Unternehmen, (2) das "3D-Business Intelligence Dashboard" beinhaltet die intuitive Echtzeitverarbeitung von Informationen über den Betriebszustand, (3) die "IoT-Data Aggregation Platform" verbindet und sammelt Betriebs- und Leistungsdaten bzw. visualisiert und interpretiert große Betriebsdatensätze und der (4) "Data-driven Digital Twin", der Daten zur Interpretation, intelligenten Rekalibrierung und Vorhersage für die Optimierung des Gebäudebetriebs nutzt.

Vier Ebenen von digitalen Zwillingen. Quelle: AEE INTEC

(1) As-Built Digital Twins - Einbindung von Unterauftragnehmern sowie ausführenden Unternehmen

Digitale Zwillinge basierend auf BIM-Modellen können als „Data Warehouse“ (Datenlager) betrachtet werden. Sie bestehen aus einem 3D-Modell mit einer zentralen Datenbank, die Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführt und verdichtet, und die den geplanten Zustand oder den Ist-Zustand eines Gebäudes darstellen. Im "As-built Digital Twin" werden Datensätze von der Planung bis zum Bau intuitiv aggregiert, integriert und im BIM-3D-Modell visualisiert. Diese zentrale Datenbank – „Single Source of Truth für Gebäudedaten“ – hat das Potenzial, die Basis für die Analyse und Optimierung von gebäuderelevanten Zusammenhängen und Abhängigkeiten zu werden. Entscheidend ist, dass die Projektdaten von einer Vielzahl von Baubeteiligten kohärent und ohne Inkonsistenzen in das Modell eingepflegt werden müssen. Eine Analyse verschiedener BIM-Modelle ergab aber, dass die BIM-Bestandsdaten in vielen Fällen ungenau, unvollständig oder inkonsistent sind. Das liegt daran, dass die IFC (Industry Foundation Classes)-Datenvorlagen üblicherweise sehr umfangreich sind und eine enorme Menge an Daten erfordern, oft ohne erkennbaren späteren Mehrwert. Je mehr Daten die Auftragnehmer manuell in ein BIM-Modell einpflegen müssen, desto ungenauer werden die Daten. Ein weiterer Grund ist, dass den ausführenden Unternehmen der Zugang zu den meist sehr teuren BIM Software-Werkzeugen fehlt. Spezifische, vereinfachte und konfigurierbare Zugriffsmöglichkeiten für ausführende Unternehmen sowie für Zulieferer, Dienstleister und Facility Manager*innen sind in der Regel nicht Bestandteil von BIM-Plattformen. BIM-Plattformen basieren auch auf BIM-spezifischen Fachbegriffen, die Bauunternehmer, Facility Management und Gebäudeeigentümer nicht verstehen. Unstrukturierte, fehlerhafte Daten können in weiterer Folge nicht automatisch vom Computer analysiert werden, was zu nicht skalierbaren Lösungen führt[2]. Ein einfacher Zugang zur Dateneingabe und die Verdichtung von Informationen sind von entscheidender Bedeutung. Denn je weniger Daten gepflegt werden müssen, desto höher ist die Qualität der Informationen.

(2) 3D Business Intelligence Dashboard - intuitive Echtzeitverarbeitung von Informationen über den Betriebszustand

Ein „3D-Business Intelligence Dashboard“ ist ein IT-gestütztes Werkzeug, mit dem durch laufende Betriebsdatenerfassung gewonnene Erkenntnisse visuell und leicht verständlich im BIM-Modell dargestellt werden können. Ein solches Dashboard zeigt den Status wichtiger KPIs (Leistungsindikatoren) und anderer relevanter Gebäudekennzahlen an. Ziel einer solchen Dashboard-Ergänzung von BIM-Plattformen ist es, die verschiedenen Kennzahlen und Metriken zusammenzuführen, zu verdichten und im 3D-BIM-Modell möglichst verständlich zu visualisieren. Außerdem können auch Daten aus externen Quellen verarbeitet und ausgewertet sowie Daten mit Benchmarks oder Planungswerten verglichen werden. So lassen sich beispielsweise Energieverbräuche, Raumtemperaturen oder Luftqualität auswerten und gleichzeitig Ausnahmezustände oder Optimierungspotenziale identifizieren.

(3) IoT-Datenaggregationsplattform - Verbinden und Sammeln großer Betriebsdatensätze

IoT (Internet of Things)-Sensoren können Daten über den Zustand von Gebäuden, wie Temperaturen, Luftfeuchtigkeit, Lichtintensität, Bewegung oder andere Arten von mechanischen oder physikalischen Informationen automatisch und in Echtzeit messen. Durch die Kombination von IoT mit BIM-Technologie kann eine Echtzeitverbindung zwischen den erfassten Daten im realen Gebäude und dem 3D-Modell hergestellt werden. Damit werden den Sensorwerten Bedeutung und richtiger Kontext verliehen. Die lokalisierten Daten können mit Schwellenwerten, Mustern und Benchmarks verglichen werden. Dadurch werden unvollständige und unstrukturierte Daten vervollständigt, vereinheitlicht und in einer BIM-Betriebsplattform in den räumlichen Kontext gestellt.

Visualisierung von Echtzeit-Sensor-Daten in der buildingtwin.at-Plattform. Quelle: AEE INTEC

(4) Datengesteuerter Digitaler Zwilling - Interpretation, intelligente Rekalibrierung und Vorhersage zur Optimierung des Gebäudebetriebs

IoT und Plattformen, in die intelligente Algorithmen integriert werden, haben das Potenzial, die Betriebskosten durch Automatisierung und Optimierung des Betriebs zu senken. Nachdem die Leistungsdaten der Anlagen über Sensoren und Messgeräte erfasst wurden, können Echtzeit-Simulationsmodelle oder Bibliotheken mit Benchmark-Daten und historischen Mustern angewendet, Analysen durchgeführt, potenzielle Betriebsoptimierungen vorhergesagt und aktiv in die Gebäudesteuerung eingegriffen werden. Ein datengesteuerter digitaler Zwilling unterstützt Simulationsmodelle und intelligente Algorithmen von Gebäuden, die unter Verwendung der verknüpften Sensordaten vom realen Gebäude selbstlernende vorausschauende Analysen, Fehlererkennung und Optimierungen der Gebäudeleittechnik in Echtzeit ermöglichen.

Die vier im Artikel beschriebenen Anwendungen von Digitalen Zwillingen haben alle das Potenzial den Gebäudebetrieb zu revolutionieren, da sie es vor allem ermöglichen, zeitaufwendige, manuelle Prozesse zu automatisieren, Risiken zu minimieren und dadurch Kosten und Energie einzusparen. Durch das Sammeln und Analysieren von Gebäudeinformationen in Echtzeit wird die Entscheidungsfindung erleichtert und das Erkennen und die Reaktionszeit auf Probleme drastisch verkürzt. Trotz dieser augenscheinlichen Vorteile sind digitale Gebäudezwillinge derzeit meist ein ungenutztes Potenzial, da die technischen Fä- higkeiten und Ressourcen für die Umsetzung fehlen. Dafür sind langfristige Investitionen und Know-howAufbau in Unternehmen nötig.

Im laufenden Projekt „buildingtwin.at“ wird daher eine webbasierte Plattform für Gebäudezwillinge entwickelt, mit dem Fokus die beschriebenen Einstiegsbarrieren zu reduzieren, die Datenverwaltung zu vereinfachen und IoT-Daten und andere Datenquellen einfach einzubinden. Dafür setzt die Plattform auf offene Standards und Protokolle wie IFC (Industry Foundation Classes). Durch die im Projekt erstellte Webanwendung erhalten Nutzer*innen einfachen Zugang zu allen BIM- und Gebäudebetriebsdaten des digitalen Zwillings, ohne teure Spezialsoftware verwenden zu müssen. Die einfache Zugänglichkeit soll die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren, wie Architekt*innen, Ingenieur*innen und Gebäudeverwalter*innen, verbessern und dazu beitragen, dass die Vorteile von digitalen Gebäudezwillingen genutzt werden. Dazu kann die Plattform auf unterschiedlichen Endgeräten wie Smartphones, Tablets oder Notebooks genutzt werden, um intuitiv Daten über das Gebäude und einzelne Gebäudeelemente abzufragen oder zu ergänzen. Nutzer*innen können Dokumente wie Datenblätter, Wartungsprotokolle oder Fotos hochladen und direkt mit den entsprechenden Gebäudeelementen verknüpfen. Außerdem können hinterlegte Eigenschaften und IoT-Sensordaten zeitlich und räumlich im 3D Gebäudemodell visualisiert werden. Die so geschaffene Datenbasis bildet die Grundlage für zukünftige intelligente Steuerungen und Analysen.

Digitale Zwillinge werden sich auf jeden Fall stark weiterentwickeln. Hier lässt sich klar ein Trend erkennen: zukünftige Gebäudezwillinge haben geringere Einstiegshürden für spätere Nutzer*innen, weniger manuellen Aufwand bei der Datenerfassung und nutzen intelligente schnittstellenoffene Technologien und immer kostengünstigere IoT-Sensorik, die im Digitalen Zwilling koexistieren und noch viel stärker zusammenwachsen werden, um das Verhältnis von Aufwand zu Nutzen zu verbessern.

Stellungnahme

"Die Anforderungen, die wir an unsere Gebäude stellen, werden immer größer und vielseitiger. Dabei ermöglicht uns die Digitalisierung Gebäude und Gebäudeverbünde, z. B. ihre Material- und Energieflüsse, als integrativen Bestandteil der Energiewende und Kreislaufwirtschaft zu verstehen. Durch die nationale Förderung der angewandten Bauforschung durch das BMK werden seit über 20 Jahren dementsprechende Lösungen entwickelt und in die Umsetzung begleitet."

Volker Schaffler, Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Sektion III/3 – Energie- und Umwelttechnologien. Foto: ÖGUT

Weiterführende Informationen

[1] R. Charef, H. Alaka, and S. Emmitt, "Beyond the third dimension of BIM: A systematic review of literature and assessment of professional views," J. Build. Eng., 2018, doi: 10.1016/j. jobe.2018.04.028.

[2] S. Lehtinen, "Die 5 größten Herausforderungen im Zusammenhang mit BIM-Daten für alle Bauunternehmen", 2022. [Online]. Verfügbar: https://simplebim.com/top-5-bim-data-related-challenges/.

Autoren

Dipl.-Ing. Dr. Tobias Weiß ist Leiter des Bereichs “Gebäude” bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Dr. Andreas Riffnaller-Schiefer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs “Gebäude” bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

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