Zeitschrift EE

nt 01 | 2023 Datengesteuerte Intelligente Gebäude

Betriebsoptimierung durch die Erstellung eines Digitalen Zwillings

Ziel des soeben abgeschlossenen „Stadt der Zukunft“-Forschungsprojekts „Digitaler Zwilling“ war es, einen Digitalen Zwilling eines Bürogebäudes und der Haustechnik dazu zu nutzen, den laufenden Betrieb zu optimieren und den Energieverbrauch zu senken. Dazu wurde das Simulationsprogramm IDA ICE so weiterentwickelt, dass es den Status des Gebäudes bzw. der Haustechnik in Echtzeit widerspiegelt. Die praktische Umsetzung des Konzepts erfolgte nach Labortests an einem Bürohochhaus in Wien, das von der OMV genutzt wird. Um den Anwendungsfall relativ überschaubar zu halten, wurde die Kälteversorgung des Gebäudes als Ganzes betrachtet sowie eine Büroetage.

Foto: OMV Aktiengesellschaft

Digitaler Zwilling zur Betriebsoptimierung

Der Digitale Zwilling, wie er im hier beschriebenen Projekt entwickelt wurde, basiert auf der Simulationssoftware IDA ICE, die bisher vor allem zur Gebäude- und Anlagensimulation in der Planungsphase verwendet wurde. Neu entwickelt wurde die Möglichkeit, Messdaten aus dem Gebäude, und auch Wetterdaten, in Echtzeit in die Simulation einzulesen. Außerdem kann das Simulationsmodell an die gemessenen Werte angepasst werden, sodass genaue Echtzeit-Informationen über den Gebäudezustand fortlaufend zur Verfügung stehen. Diese können beispielsweise für die Optimierung der Regelung verwendet werden. Hierfür stehen alle Parameter des Simulationsmodells als sogenannte virtuelle Sensoren zur Verfügung. Es ist also deutlich mehr Information verfügbar als nur mit physischen Sensoren. Andere Anwendungen des Digitalen Zwillings sind etwa ein vereinfachtes Facility Management mit Echtzeitvisualisierung oder das automatische Anpassen der Regelung an verändertes Nutzerverhalten beziehungsweise eine andere Nutzung der Räume, wenn Büros zum Beispiel in Besprechungsräume umgewandelt werden oder umgekehrt.

Schematischer Aufbau des Digitalen Zwillings (BAS: Building Automation System)

Case Study Bürogebäude

Beim Bürogebäude der OMV handelt es sich um ein 24-stöckiges Hochhaus mit Glasfassade. Die meisten Räume werden als Einzel- oder Großraumbüros oder als kleine bis mittlere Besprechungsräume genutzt. Die Kühlung erfolgt über Kühldecken, die von drei Kältemaschinen sowie einem Free-Cooling-Wärmetauscher auf dem Dach des Gebäudes mit Kälte versorgt werden. Die Aufgabenstellung im Projekt war es, die Kälteanlage mit ihren Abnehmern im Simulationsmodell abzubilden und die Regelung der vier Kälteerzeuger im Hinblick auf minimalen Stromverbrauch zu optimieren. Außerdem sollte ein Mustergeschoß mit knapp 1 000 m² mit einem Digitalen Zwilling abgebildet werden.

Optimierung der Kälte- und Lüftungsanlage

Das Kältesystem versorgt verschiedene Abnehmer im Gebäude, wie beispielsweise Kühldecken, Kühlregister in den Lüftungsanlagen und Fan Coils. Zur Kälteerzeugung stehen derzeit drei gesplittete luftgekühlte Kompressionskältemaschinen mit einer Nominalleistung von je 844 kW (6/16°C, 32°C) zur Verfügung. Die Kältemaschinen sind am Dach des Gebäudes situiert und versorgen einen 4 000-Liter Kältespeicher, der als hydraulische Weiche fungiert. Der Massenstrom der Abnehmerseite wird in Abhängigkeit des Kühlbedarfes geregelt, die Regelung der Kältemaschinen erfolgt in Abhängigkeit der benötigten Vorlauftemperatur der Abnehmer. Die Hauptabnehmer sind lediglich zu den Bürozeiten aktiv. Für die Serverräume je Stockwerk existiert eine Bandlast von rund 50 kW, die rund um die Uhr benötigt wird. Für jeden Abgang ist ein Wärmemengenzähler vorhanden, der Massenstrom, Vor- und Rücklauftemperatur, die aktuelle Leistung sowie den Energieverbrauch an das Gebäudeautomationssystem sendet.

Das Bürogebäude verfügt über eine kontrollierte Be- und Entlüftung. Die Lüftungsanlagen sind mit Wärmerückgewinnung als Vollklimaanlagen mit Heiz-, Kühl- und Nachheizregister sowie Befeuchtung ausgeführt. Für die Modellierung wurde eine Anlage mit zusätzlicher Messtechnik ausgestattet, um eine Modellvalidierung realisieren zu können. Die Kälteanlage und die Lüftungsanlage bilden zwei eigenständige Modelle in IDA ICE, die mit den Messwerten kalibriert wurden. Einerseits dient das kalibrierte Anlagenmodell als Detailmodell im Rahmen einer Co-Simulation, andererseits ist eine energietechnische Optimierung der Anlagen durch Sollwertveränderungen möglich.

Im Zuge der Validierung konnten bereits folgende Optimierungen durchgeführt werden:

  • Die Massenströme der Kältemaschinen wurden auf eine definierte Vorlauftemperatur angepasst.
  • Der Massenstrom im Fan-Coil-Kreis wurde reduziert und damit die Temperaturdifferenz zwischen Vor- und Rücklauftemperatur erhöht. Durch die Verringerung des Massenstroms konnte die Schichtung im Speicher verbessert werden. Dadurch taktet die Kältemaschine im Schwachlastbetrieb weniger.
  • Die Betriebszeit der Free-Cooling-Pumpe konnte durch eine Änderung in der Regelstrategie, welche die Austrittstemperatur berücksichtigt, auf die Zeiten mit positivem Kühlbeitrag reduziert werden.
  • Der Strombedarf der Ventilatoren der Lüftungsanlagen konnte durch die Einstellung der variablen Volumenstrom-Klappen in den einzelnen Geschoßen auf einen minimalen Volumenstrom reduziert werden.
  • Zudem konnten fehlerhafte Funktionen und defekte Komponenten, wie beispielsweise ein defektes Ventil beim Kühlregister der Lüftungsanlage Küche bzw. eine defekte Wärmerückgewinnung, entdeckt werden.

Beispielhafter Vergleich von gemessenen (schwarz) und berechneten (grün) Leistungsdaten für den Kühldeckenabnehmer des Kältemodells (WMZ 80, linke Abbildung), sowie das Kühlregister in einer Lüftungsanlage (Kühlregister L01, rechte Abbildung) für einen Tag.

Digitaler Zwilling eines Mustergeschoßes

Ein Mustergeschoß mit Glasfassaden, Wärme- und Kälteabgabe wurde in IDA ICE abgebildet. Da am Gebäude selbst keine Solarstrahlungsdaten gemessen werden, wurden für die Validierung Wetterdaten der ZAMG (seit Jänner 2023 GeoSphere Austria) vom Standort Hohe Warte, der etwa sechs Kilometer entfernt liegt, verwendet. Außerdem wurden in jedem Raum CO2-Sensoren installiert. Dadurch konnte der Anstieg der CO2-Konzentration verfolgt werden. Kritische Werte wurde nur extrem selten erreicht, sodass der Volumenstrom der Lüftungsanlage entsprechend heruntergefahren werden konnte. Die Tests hierzu dienten als Potenzialabschätzung für eine mögliche Reduktion des Luftvolumenstroms im gesamten Gebäude. Dabei wurde deutlich, dass durch die Maßnahme eine Reduktion des Stromverbrauchs erreicht werden kann.

Erkenntnisse durch vertiefte Datenanalyse

Einige Betriebsoptimierungen konnten bereits im Zuge der Modellvalidierung durchgeführt werden. Mit dem Modell besteht zusätzlich die Möglichkeit, ein energietechnisches Betriebsoptimum unter Einhaltung von definierbaren Nutzervorgaben zu ermitteln, wobei folgende Beispiele dafür genannt werden können:

  • Kaltwasseraustrittstemperatur in Abhängigkeit der Abnehmer (z.B. 6 °C bei Lüftungsanlagen nur im Entfeuchtungsfall). Dadurch kann die Free Cooling-Betriebszeit verlängert werden.
  • Massenströme in Abhängigkeit einer maximalen Rücklauftemperatur (Sollwerteingabe) bzw. einer Temperaturdifferenz
  • Kühlwassereintrittstemperatur in die Kältemaschine in Abhängigkeit der Außenlufttemperatur
  • Anpassung der Kältemaschinenleistung beispielsweise durch Sperren von Kältemittelkreisen oder Nutzung von geringeren Leistungsstufen.

Ausblick

Die Entwicklung des Digitalen Zwillings ist mit diesem Projekt noch nicht abgeschlossen. Weitere mögliche Anwendungen sollen getestet und deren Nutzen bewertet werden. Zum Beispiel ist geplant, Algorithmen zu entwickeln, die basierend auf der Echtzeitsimulation beispielsweise Sollwerte für Heizen und Kühlen vorschlagen und an die Gebäudeleittechnik übermitteln. Auch soll es möglich sein, Stellsignale für Heizen, Kühlen oder die Lüftung zu bestimmen.

Ein weiteres Ziel ist es, externe Services wie Wettervorhersagen einzubinden oder Belegungspläne für Büro- oder Besprechungsräume als Input für die Simulation zu verwenden und damit die Regelung der Gebäudetechnik genauer auf die tatsächlichen Randbedingungen anzupassen. Damit kann sowohl Energie eingespart, als auch der Nutzer*innenkomfort erhöht werden.

Die hier präsentierten Arbeiten wurden vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie innerhalb des Programms „Stadt der Zukunft“ gefördert (Projektnummer 867345). Das Projekt ist gleichzeitig eine der Case Studies im IEA EBC Annex 81.

Stellungnahme

"Für uns ist ganzheitliches Denken, weit über den Tellerrand hinaus, eine Selbstverständlichkeit. Dazu gehören Visionen für eine klimafitte Zukunft – jenseits der fossilen Lobby. Gerade in der Gebäudetechnik spielt die Digitalisierung eine entscheidende Rolle. Wir sind stolz, bei dem Projekt Digitaler Zwilling mitzuarbeiten und eine Vorreiterrolle in der Forschung einzunehmen und sind davon überzeugt, dass die Erkenntnisse daraus die Gebäude der nächsten Generationen noch intelligenter und effizienter machen werden und ein kluger und sinnvoller Umgang mit den Daten möglich wird."

Christian Steininger, Gebäudetechnikexperte bei Vasko+Partner. Foto: Aleksandra Pawloff

Autor*innen

Dipl.-Ing. Dagmar Jähnig, MSc. und Dipl.-Ing. Franz Hengel sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Bereichs „Gebäude“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Dipl.-Ing. Barbara Beigelböck und Dipl.-Ing. Dr. techn. Katharina Eder sind Mitarbeiter im Bereich Gebäudetechnik von VASKO+PARTNER INGENIEURE Ziviltechniker für Bauwesen und Verfahrenstechnik GesmbH.

Dr. Sven Moosberger ist CEO und Dipl.-Ing. Daniel Ruepp Mitarbeiter der EQUA Solutions AG, Schweiz

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