Neuer Auftrieb für Solare Prozesswärme
Forschungsgruppe der Internationalen Energieagentur
Wie wird der thermische Energiebedarf der Industrie in Zukunft gedeckt werden? Diese Frage stellen sich viele Industriebetriebe schon länger, am drängendsten nach den hohen Gaspreisen im Winter 22/23. Solare Prozesswärme gilt schon lange als Hoffnungsgebiet, das nicht immer erfüllt werden konnte. Doch immer mehr Industriefirmen haben klarere und härtere Dekarbonisierungsvorgaben. Es geht nicht mehr nur um Kosteneinsparungen, sondern um die Bedrohung des Kerngeschäfts, wenn CO2-Ziele von Kunden entlang der Lieferketten nicht eingehalten werden können.
In einer Forschungsgruppe der Internationalen Energieagentur zu solarer Prozesswärme (IEA SHC Task 64 / SolarPACES IV zu „Solar Heat in Industrial Processes“ - SHIP) wurde an Lösungen für die Solare Prozesswärme gearbeitet, aber auch an der Verbreitung von vorhandenem Wissen. Das Projekt wird im Rahmen der Internationalen Energieagentur (IEA) in den Technologiekooperationsprogramm Solar Heating and Cooling (SHC) und SolarPACES organisiert. Forschungsinstitute, Solarfirmen und Technologieanbieter aus 14 Ländern arbeiteten von 2020 bis Ende 2023 an einem gemeinsam definierten Programm, welches in fünf Subtasks organisiert war. Details zu den hier nur kurz umrissenen Ergebnissen können der Seite https://task64.iea-shc.org/publications entnommen werden.
1) Integrated Energy Systems
Die Kombination von Solarthermie und Wärmepumpen bietet die Möglichkeit einer 100-prozentigen Wärmeversorgung. Unter der Leitung der Universität Kassel wurden Parameterstudien durchgeführt, die Einblicke in Design und Betrieb ermöglichen.
2) Modularization
Die Schnittstelle zwischen Kollektorfeld, Speicher und Industriebetrieb ist oft eine Individuallösung. Im Projekt Modulus und in diesem Subtask arbeiteten verschiedene Solarfirmen und Forschungsinstitute an einem einheitlichen Balance-of-Plant-System, um die Kosten für diese Systemkomponenten zu reduzieren.
3) Simulation and Design Tools
Was ist wichtig bei Solarsimulationen? In einer breit angelegten Vergleichsstudie wurde identifiziert, welche Komponenten der Modellierung wichtig sind. Zum Beispiel führen die Nichtberücksichtigung der thermischen Massen in den Kollektoren und Leitungen sowie ein Speichermodell ohne Berücksichtigung der Schichtung in einem Knotenmodell zu den größten Fehlern in der Solarertragsabschätzung.
4) Standardization/Certification
Ein wichtiger Beitrag wurde für die ISO-Normen ISO 9488 (Solar Energy – Vocabulary) und ISO 24194 (Solar Energy – Collector Fields – Check of Performance) geleistet, indem die Terminologie für solare Prozesswärme vereinheitlicht und Leistungsprüfungen für große Kollektorfelder definiert wurden.
5) Guideline to Market
Dieses Aufgabengebiet wurde von AEE INTEC gemeinsam mit Fraunhofer ISE geleitet. Im Folgenden sollen einige Detailergebnisse hervorgehoben werden.
SHIP-Datenbank zeigt hunderte erfolgreiche Beispiele
Die Tatsache, dass SHIP bereits jetzt eine hundertfach erprobte Technologielösung ist, wird durch die von AEE INTEC betreute SHIP-Datenbank belegt. Unter ship-plants.info sind Details zu mehr als 500 der insgesamt 1 000 Anlagen weltweit einsehbar. Die Datenbank wurde vor acht Jahren erstmals ins Leben gerufen und im Rahmen des Tasks auf eine neue und moderne Plattform migriert. Die neuen Funktionen umfassen:
- Die Visualisierung der Anlagen auf einer navigierbaren Karte, die die Unterscheidung nach Kollektorarten und Größenkategorien ermöglicht.
- Filtermöglichkeiten nach Größenkategorien, Kollektorarten, Prozessintegrationspunkten, Solarfirmen und vielem mehr.
- Benutzerverwaltung für Solarfirmen zur eigenständigen Erfassung und Verwaltung ihrer eigenen Anlagen.
- Automatisierte Berichterstellung (Fact Sheets als PDF-Downloads).
- Die dynamische Erstellung von Diagrammen für die SHIP-Auswahl (basierend auf Filtern, geografischer Auswahl oder Gesamtdaten).
- Exportfunktionalitäten für registrierte Nutzer.
Die SHIP-Datenbank schafft eine Datengrundlage für verschiedene Interessengruppen in Bezug auf bestehende SHIP-Anlagen. Sie dient auch als Informationsquelle für die jährliche Weltmarktstatistik der Solarthermie1. Insgesamt sind mindestens 1 089 Anlagen mit einer Leistung von insgesamt 856 MWth (1,22 Mio m² Kollektorfläche) installiert.
SHIP-Outlook 2023-2026
Im neuesten SHIP-Outlook2 wurden 62 Anlagen identifiziert, die mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit in den Jahren 2023 bzw. im Zeitraum 2024-2026 umgesetzt werden. Die Leistungsangaben in den Grafiken berücksichtigen die Umsetzungswahrscheinlichkeit. So wird zum Beispiel die geplante 1,5 GW-Anlage, die ab 2024 von der US-Firma Glasspoint3 in Saudi-Arabien gebaut werden soll, nur mit 150 MW in die Auswertung einbezogen. Insgesamt soll die Leistung bis 2026 um 331 MWth zunehmen.
Der Trend zu Wärmelieferverträgen wird deutlich sichtbar. Zum einen zahlt sich bei größeren Anlagen der größere organisatorische Aufwand aus, zum anderen ermöglichen Wärmelieferverträge die Finanzierung von Großprojekten.
Wärmelieferverträge dominieren den SHIP-Outlook. Quelle: Solrico
Projektabschluss in Sevilla
Nicht nur der Outlook ist positiv, sondern auch die umgesetzten Projekte. Im Rahmen des IEA SHC Task 64 / SolarPACES IV Abschlussmeetings am 19. und 20.10.2023 konnte die zwei Monate davor in Betrieb gegangene Anlage bei der Heineken-Brauerei in Sevilla bestaunt werden (Titelbild). Die 43 000 m² Parabolrinnen (im Gruppenbild rechts) liefern Heißwasser bei 210 °C und 25 bar an eine Wärmeübergabestation mit acht Speichern, jeweils mit einem Volumen von 200 m³ (im Gruppenbild links). Damit können die solaren Erzeugungsspitzen von bis zu 30 MW geglättet werden, und der Brauereibetrieb kann in der Nacht für mehrere Stunden fortgesetzt werden. Das Ziel ist eine solare Deckung von 70 Prozent bei einem jährlichen Solarertrag von 25 000 MWh/a. Das Kollektorfeld wurde von Azteq/Solarlite errichtet. Die Gesamtanlage wird von Engie betrieben, und mit Heineken wurde ein 20-jähriger Wärmeliefervertrag unterzeichnet.
Conclusio
SHIP ist nach wie vor ein Markt mit enormem Potenzial und noch immer zu wenigen Umsetzungen. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass diese auch im großen Stil möglich sind und für die Industriefirmen große Vorteile mit sich bringen.
Für die Forschungs-, Solar- und Industrieexperten sind auf verschiedenen Ebenen Arbeiten notwendig, um den Weg für eine große Marktdurchdringung weiter vorzubereiten und zu begleiten. Die Schwerpunkt- Tätigkeiten für einen möglichen nächsten 4-Jahres- Task wurden im IEA SHC Task 64 / SolarPACES IV Abschlussmeeting gesammelt: Weitere Standardisierungen, Analyse und Simulation von 100-Prozent-Solarthermie- Lösungen, innovative Speicherlösungen, Sichtbarmachung von erfolgreichen Umsetzungen, Durchdringung von Heat-Delivery-Modellen und Finanzierungslösungen.
Quellen
- https://www.iea-shc.org/solar-heat-worldwide
- Solrico 2023 „Launch of Solar Industrial Heat Outlook 2023-2026“ www.solrico.com
- https://www.glasspoint.com/projects/maaden-solar
Autor
Dipl.-Ing. Wolfgang Gruber-Glatzl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Industrielle Systeme“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!