Zeitschrift EE

02 | 2023 Energiewende für Städte und Gemeinden

Handeln statt Kriminalisieren

Erklärung zur Unterstützung von Klimaaktivist*innen

Unterzeichnet von aktuell knapp 2000 Wissenschaftler*innen aus dem deutschen Sprachraum

Foto: Letzte Generation

Wissenschaft steht in der öffentlichen Verantwortung: Sie hat sich mit ihrer Expertise zu gesellschaftspolitisch drängenden Fragen zu äußern und auch Handlungsempfehlungen zu formulieren. Das betrifft gerade auch den menschengemachten („anthropogenen“) Klimawandel mit seinen katastrophalen Folgen.

Aktuellen Studien zufolge deutet die derzeitige Entwicklung bei den Treibhausgasemissionen auf einen Temperaturanstieg von etwa 2,75° C bis zum Jahr 21001 hin, wobei verstärkende Effekte durch das Überschreiten von Kipppunkten noch nicht berücksichtigt sind. Vor diesem Hintergrund warnte der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) im März dieses Jahres erneut, dass sich das Zeitfenster für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels schnell schließen wird2. Schon seit vielen Jahren ist klar, dass die Erderwärmung unser aller Leben massiv bedrohen wird. Dabei werden die verheerenden Folgen des Klimawandels sehr ungleich und ungerecht verteilt sein: Zwischen Alt und Jung, Arm und Reich sowie zwischen den Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens. Aufs Ganze gesehen werden diejenigen, die den lebensstilassoziierten Anstieg klimaschädlicher Gase am wenigsten verursacht haben, am stärksten betroffen sein. Das gilt umso mehr, wenn man künftige Generationen in den Blick nimmt.

Angesichts dieser wissenschaftlich fundierten Prognosen fordert etwa die „Letzte Generation“ – wie viele andere Gruppierungen und Einzelpersonen auch – ein rasches, zielgerichtetes und konkretes politisches Handeln im Einklang mit jenen Zielen, die sich die jeweiligen Regierungen in langen demokratischen und rechtsstaatlichen Prozessen selbst gesetzt und auf die sie sich international verpflichtet haben (Pariser Klimaabkommen von 2015). Die Aktivist*innen formulieren dabei auch symbolische Einzelziele, deren Umsetzung als Zeichen für das ernsthafte Bemühen der politisch Verantwortlichen verstanden werden kann. Mitunter wählen sie „störende“, gleichwohl gewaltfreie Widerstandsformen, um auf diese Ziele aufmerksam zu machen. Entscheidend ist: Sie haben dabei weder die Intention, das Vertrauen in gesellschaftliche Strukturen generell zu erschüttern noch den Rechtsstaat infrage zu stellen.

Vielmehr werden einzelne Ordnungswidrigkeiten und punktuelle Rechtsverletzungen gesetzt, um den Rechtsstaat an die Einhaltung der von ihm eingegangenen Verpflichtungen zu erinnern. Die Aktivist*innen weisen auf schwerwiegende staatliche Versäumnisse und soziales Unrecht hin, agieren offen, wählen friedliche Protestformen, verfolgen keine eigennützigen Ziele und setzen ihre Aktivitäten nicht leichtfertig, sondern als letztes Mittel („ultima ratio“) ein, um auf einen dringenden politischen Handlungsbedarf aufmerksam zu machen. Daher ist ihr Protest als ziviler Ungehorsam zu werten, welcher als Bestandteil jeder reifen politischen Kultur nicht nur legitim, sondern – in gewissen Situationen – sogar notwendig ist3. Da diese Menschen gewissensbestimmt handeln, es also als ihre unbedingte Verpflichtung verstehen, angesichts der drohenden Klimakatstrophe nicht untätig zu bleiben, ist anhaltender ziviler Ungehorsam nicht mit der Renitenz eines unbelehrbaren Wiederholungstäters zu vergleichen, sondern als prinzipiengeleitete Unbeugsamkeit und Unbestechlichkeit zu werten.

Ein Blick auf die Geschichte zeigt, dass Veränderungen, die wir im Nachhinein als wichtige Schritte hin zu einer gerechteren, friedvolleren und menschenwürdigeren Gesellschaft bewerten, aus derartigen Protestbewegungen hervorgegangen sind. Die Etablierung des Wahlrechts für Frauen, die Überwindung von Rassentrennung und Kolonialismus, die Bürgerrechtsbewegung in der DDR, die Samtene Revolution in der Tschechoslowakei, aber auch das Bewusstsein für die Erhaltung von Ökosystemen und den Artenschutz wurden erst möglich, nachdem ziviler Ungehorsam eine oft unreflektierte, aber hochproblematische Gesellschaftspraxis kreativ durchbrochen hatte.

Allen diesen Bewegungen war gemeinsam, dass sich die gesellschaftliche Empörung zunächst stärker gegen die Protestierenden als gegen das von ihnen bekämpfte Unrecht bzw. die von ihnen sichtbar gemachten Gefahren gerichtet hat. Das war und ist problematisch: Empörung kann das Potential für notwendige Veränderungen nur dann entfalten, wenn sie sich gegen die eigentlichen Probleme bzw. ihre Ursachen richtet, nicht aber gegen diejenigen, die auf diese Probleme aufmerksam machen. Allein der Fokus auf das eigentliche Thema kann einen konstruktiven Prozess in Gang setzen, in dem sich eine Gesellschaft ihrer Werte vergewissert und sich über das verständigt, was für sie schützenswert ist. Die Geschichte wichtiger gesellschaftlicher Entwicklungen, deren Notwendigkeit mindestens im Nachhinein kaum bezweifelt wird, zeigt, dass letztere erst dann gelungen sind, wenn die kritischen Stimmen nicht mehr pauschal marginalisiert, diffamiert oder gar kriminalisiert wurden.

Prof. Claudia Paganini. Foto: Hochschule für Philosophie München

Die Rolle der Medien ist es in diesem Kontext, gerade nicht auf Emotionalisierung, Dekontextualisierung und Verdrängung zu setzen, sondern auf der Sachebene die Dringlichkeit von effektiven Maßnahmen gegen die Klimakrise zu thematisieren. Anstatt die Klimaaktivist*innen als lächerlich, moralisch fragwürdig oder gefährlich darzustellen, müsste vor allem über ihre Beweggründe berichtet werden. Nur so wird der Öffentlichkeit bewusst, dass viele der Klimaaktivist*innen große persönliche Nachteile in Kauf nehmen, um sich für das Allgemeinwohl, nämlich die Abwendung der Klimakatastrophe, einzusetzen. Bedauerlicherweise wird dies gegenwärtig viel zu wenig kommuniziert. Stattdessen eskalieren täglich Hass und Gewalt gegen Klimaaktivist*innen. Angesichts dieser Situation ist es die Aufgabe der Politiker*innen, schützend dieser gefährlichen Dynamik entgegenzusteuern und die vereinbarten Klimaschutzmaßnahmen konsequent umzusetzen anstatt die Aktivist*innen direkt oder indirekt zu diskreditieren oder sogar zu kriminalisieren.

Wir möchten mit unserer Erklärung keinesfalls die Polarisierung vorantreiben. Vielmehr wollen wir unsere Unterstützung für die Klimaaktivist*innen zum Ausdruck bringen, die durch ihren persönlichen Einsatz Symbole für die fehlgeleitete Klimapolitik und deren Diskussion sind. Wir wollen insbesondere ihre Forderung nach entschlossenem und raschem Handeln unterstreichen und davor warnen, Menschen an den Rand der Gesellschaft zu drängen, die sich unter großem persönlichem Einsatz für den Fortbestand genau dieser Gesellschaft und ihrer zentralen Werte einsetzen.

Formular zum Unterzeichnen der Petition unter https://handeln-statt-kriminalisieren.com/

Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Initiative „Handeln statt Kriminalisieren“.

Redaktionelle Verantwortung Prof. Claudia Paganini, Hochschule für Philosophie München.
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, https://handeln-statt-kriminalisieren.com/

Literatur

1 https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2023-03/ipcc-bericht-klimawandelweltklimarat-zukunft

2 Climate Change 2023: Synthesis Report of the IPCC Sixth Assessment Report (AR6). Siehe https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr

3 Habermas, Jürgen: Ziviler Ungehorsam – Testfall für den demokratischen Rechtsstaat. Wider den autoritären Legalismus in der Bundesrepublik (1983). In: Ziviler Ungehorsam. Texte von Thoreau bis Occupy. Herausgegeben und eingeleitet von Andreas Braune. Stuttgart 2017, 209-228, 213.

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