Zeitschrift EE

03 | 2023 Integrationsvielfalt Wärmepumpe

Industrie ohne fossiles Gas: Transformation durch Innovation

Die Industrie in Österreich benötigte im Jahr 2020 116 TWh an Energie, zu deren Bereitstellung sie zu mehr als die Hälfte auf fossile Energieträger angewiesen war: Wärme, Strom, Bewegung und schlussendlich Produkte werden aus fossilen Energieträgern hergestellt, vieles geht in den Export und festigt Österreich als Wirtschaftsstandort. Erdgas hat hier einen großen Anteil (31 TWh) und war außerdem über einen langen Zeitraum relativ günstig. Warum also müssen wir raus aus der Komfortzone und uns über fossilfreie Alternativen in der Industrie Gedanken machen? Dafür gibt es zahlreiche, handfeste Gründe: Erstens, die Preise sind nicht mehr so günstig. Da die inländische Erdgasproduktion vergleichsweise gering ist, geht der Großteil des Geldes, das wir für Erdgas bezahlen, außerdem ins Ausland und vielfach in autokratisch regierte Länder. Zweitens wird die Versorgungssicherheit seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine komplett anders eingeschätzt als davor. Und drittens sind Methan und Kohlendioxid als Treibhausgase für die Klimaerhitzung hauptverantwortlich.

Eine Transformation der Industrie zu einer klimaneutralen Produktion ist daher notwendig. Doch ist das überhaupt möglich? Ja, durch Innovation – und dabei sind grundsätzlich mehrere Optionen denkbar.

Diese Pfade hat sich die Österreichische Energieagentur gemeinsam mit dem AIT Austrian Institute of Technology, der Montanuniversität Leoben und dem Energieinstitut an der Uni Linz im Rahmen eines Projektes des Klima- und Energiefonds angesehen („transform.industry“, Abschluss Sommer 2023). Auch AEE INTEC und die TU Wien waren an der Bearbeitung einzelner Themenbereiche beteiligt.

Wir haben Szenarien mit (realisierbaren) Möglichkeiten entwickelt und gezeigt, wann welche Energieträger und Technologien nötig sind und wie die Investitionen und volkswirtschaftlichen Effekte aussehen.

Foto: Österreichische Energieagentur

Vier Szenarien für eine klimaneutrale Industrie 2040

Im ersten Szenario wird davon ausgegangen, dass die Industrie ihre Verfahren und Prozesse nicht grundsätzlich zu ändern braucht. 100 Prozent grüner Strom und erneuerbare Gase ermöglichen die Klimaneutralität, der Ball wird hier komplett an die Energieversorger und die Transportinfrastruktur gespielt. Aber kommt der Pass an? Die besonders hohen Mengen an Grünstrom herzustellen, ist eine sehr große Herausforderung, erneuerbare Gase müssen wegen der beschränkten Potenziale zu einem größeren Teil importiert werden. Wir haben gezeigt, dass das nicht die effizienteste Option wäre.

Die Kreislaufschließung ist das zweite Szenario: Hier gelingt die Transformation durch eine gesteigerte Materialeffizienz und höhere Recyclingquoten, wodurch die energieaufwändige Grundstoffherstellung substanziell reduziert werden kann. Dies erfordert eine stärkere Integration der Wertschöpfungsketten auch zwischen Betrieben, erneuerbare Gase werden zu einem wichtigen Energieträger.

Industriebetriebe können auch stark auf Best-Available und Breakthrough-Technologien setzen, was wir in einem dritten, so genannten Innovationsszenario, betrachteten: Hier findet eine hohe Integration der Wertschöpfungsketten vor allem in den einzelnen Betrieben selber statt. Dieses Szenario ist deutlich effizienter als das erste und liegt vom Energiebedarf etwa gleichauf mit der Kreislaufschließung.

Unter dem Stichwort „Sektor-Kopplung“ haben wir als viertes Szenario einen Optimierungsansatz verfolgt, bei dem der inländische Primärenergieverbrauch auf Basis der nachgefragten Energiedienstleistungen minimiert und zu diesem Zweck Energie exergetisch optimal eingesetzt wird. Eine wichtige Technologie dabei – aber nicht nur in diesem Szenario - ist die Wärmepumpe.

Energieverbrauch steigt, Importe auch in Zukunft notwendig

In allen Szenarien steigt der Energieverbrauch des Industriesektors in Österreich bis 2040 um 15 bis 24 Prozent auf 132 bis 144 TWh an. Die Industrie wird – und das gilt für alle vier Szenarien - mehr Strom (plus 10 TWh) und mehr erneuerbare Gase (plus 23 TWh) brauchen, wie auch mehr Abwärme nutzen. Weitere 41 TWh kommen aus dem derzeit schon bestehenden Portfolio: 10 TWh feste Biomasse, 29 TWh Strom sowie 2 TWh Fernwärme. Dies zusammen (55 bis 60 Prozent je nach Szenario) sind die No-Regret-Optionen der Dekarbonisierung der Industrie - wir brauchen sie in jedem Fall.

Die verbleibenden 40 bis 45 Prozent der Energieträger sind szenariospezifisch und damit davon abhängig, in welche Technologien zur Dekarbonisierung in den Unternehmen und Branchen investiert und welche Energieträger durch die Energiewirtschaft erzeugt oder importiert werden. Die Transformation der leitungsgebundenen Infrastruktur (Ausbau Stromnetz, Umbau Gasnetz, Neubau Wasserstoffnetz) und der Ausbau an Speichern sowie die Ausgestaltung der Regulierungen und Förderungen werden hier ebenfalls eine große Rolle spielen. Generell sind zwei Pfade zur Dekarbonisierung zu erkennen, die entweder zu einem großen Teil auf dem Einsatz von erneuerbaren Gasen (Biomethan oder Wasserstoff) oder aber auf einem Mix aus Strom, Wasserstoff und Abwärme basieren.

Ein gewisser Anteil an prozessbedingten Treibhausgasen bleibt bei allen Szenarien übrig: Hier müssen Lösungen entwickelt und in der sicheren Anwendung zugelassen werden, um Treibhausgase effektiv und effizient abscheiden und deren Wirkung aus dem Kreislauf nehmen zu können. Auch für den Anteil an nicht prozessbedingten Emissionen der Industrie, die bis zur Dekarbonisierung anfallen, wird es Lösungen brauchen, um die noch verbleibenden Mengen an emittierbarem CO2 einzuhalten.

Notwendige Technologien bereits vorhanden

Wichtig für das Gelingen der Transformation ist auch: Wir kennen alle notwendigen technologischen Prinzipien bereits und müssen in keinem Szenario auf Technologien setzen, für die der Funktionsnachweis zumindest im Labormaßstab noch nicht zweifelsfrei erbracht ist - was bei einem Fahrplan bis 2040 auch grob fahrlässig wäre. In wichtigen Bereichen sind die notwendigen Technologien aber noch nicht marktreif und müssen daher konsequent und rasch mit der Unterstützung öffentlicher Mittel weiterentwickelt, demonstriert und in den Markt eingeführt werden. Das politische Ziel der Klimaneutralität ist klar, der Zeitpunkt unterscheidet sich in den einzelnen Volks- wirtschaften. Mit dem Jahr 2040 hat sich Österreich ein ambitionierteres Tempo vorgenommen, was wiederum die Chance auf Innovations- und Technologieführerschaften bietet. Der angestrebte Weg ist die Transformation mit möglichst viel Marktwirtschaft. Dazu müssen rasch die notwendigen Rahmenbedingungen und Spielregeln ausdiskutiert und vereinbart werden, Förderungen für die innovative Transformation eingeschlossen. Und wir müssen nicht zuletzt an die dafür notwendigen Fähigkeiten denken und sowohl Karrierepfade als auch Ausbildungsmöglichkeiten anpassen.

Ich halte es für sehr wichtig, dass wir mit klarem Blick den Ernst der Situation erkennen und uns von den großen Herausforderungen weder lähmen noch aufhalten lassen, sondern mit Zuversicht in die Zukunft blicken – denn Zuversicht ist durchaus angebracht.

Zum Weiterhören: Petajoule. Der Podcast der Österreichischen Energieagentur ist der erste österreichische Podcast zum Thema Energie. In mehreren aktuellen Folgen wird über eine klimaneutrale Industrie diskutiert, etwa in den Folgen S05E02, S05E06 und S05E08. Petajoule kann auf allen gängigen Apps sowie auf der Website gehört werden: www.energyagency.at/petajoule

Autor

Andreas Indinger ist Head of Center Research & Innovation bei der Österreichischen Energieagentur.

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