Zeitschrift EE

 04 | 2023 Serielles Sanieren

Entzauberter Gasfund

Der russische Überfallskrieg auf die Ukraine hat den Energiesektor Österreichs erheblich erschüttert, insbesondere die massive Abhängigkeit von russischem Gas wurde deutlich sichtbar. Diversifizierung wurde zur dringenden Notwendigkeit, und hier kam die OMV am 28. Juli dieses Jahres mit ihrer historischen Gasentdeckung scheinbar gerade rechtzeitig ins Spiel. Das heimische Gas wird als Rettung in der Not gefeiert: Berichten zufolge befinden sich beeindruckende 48 Terawattstunden in einer Tiefe von 5 000 Metern im Bezirk Gänserndorf, Niederösterreich. Leider ist die Euphorie verfrüht und die Bedeutung dieses Gasfunds relativiert sich schnell mit einem genauen Blick auf die Zahlen.

Foto: Paul Stender

48 TWh sind die Gesamtmenge an Gas, welche sich an besagter Stelle voraussichtlich fördern lässt. In der Regel geschieht das bei einem erschlossenen Gasfeld über einen Zeitraum von 25 Jahren. Großzügig gerechnet sind das also 2 TWh pro Jahr - rund 2 Prozent des jährlichen heimischen Gasbedarfs. Sicher mehr als nichts, und es würde die Abhängigkeit von Russland um 2 Prozent reduzieren. Doch wie sinnvoll ist es, Geld in die Gewinnung eines fossilen Energieträgers zu investieren, der in einer Welt, die auf Klimaneutralität hinarbeitet, ein Auslaufmodell ist? Vor allem, wenn es zweifellos bessere, erneuerbare sowie klimaneutrale Alternativen gibt. Immerhin liefert die Sonne in nur 4 Stunden genug Energie auf die gesamte Fläche Österreichs, um die unter der Erde vermuteten Gas-Reserven zu überflügeln.

Die 2 TWh Gas pro Jahr entsprechen gerade einmal der Energiemenge, welche 100 Windkraftanlagen pro Jahr produzieren können oder auf 12 km² PV-Fläche gewonnen werden kann. Denn moderne Windkraftanlagen haben eine Leistung von 7 MW und man rechnet damit, dass sie auf mittleren Standorten in Österreich aufgrund der größeren Rotorfläche etwa 3 000 Vollaststunden erreichen können. Sechs m² PV-Modulfläche liefern in Österreich bekanntlich durchschnittlich 1000 kWh pro Jahr (alle Kennzahlen abgeleitet aus praktischen Erfahrungswerten der Branche).

Würde das Gas aus Gänserndorf über 25 Jahre hinweg in modernsten Gaskraftwerken in Strom umgewandelt – mit einem Kraftwerkswirkungsgrad von 60 Prozent - so ergäbe das die gleiche Strommenge, die 60 moderne Windkraftanlagen oder rund 7,5 km² PV-Modulfläche jährlich erzeugen können.

Foto: Viktor Fertsak

Beim Einsatz in der Raumwärme schneidet das Gas noch schlechter ab. Wird mit Wärmepumpen dieselbe Menge an Energie für die Raumwärme bereitgestellt wie durch das pro Jahr gewonnene Gas der OMV in Gasheizungen, bräuchte es lediglich etwa 33 Windräder oder rund 4 Quadratkilometer Photovoltaikfläche – bei einem COP-Wert der Wärmepumpe von 3. Auch der aktuelle österreichische Bestand an thermischen Solarkollektoren vermag jährlich zumindest genau so viel Wärmeenergie an die Haushalte zu liefern, wie durch den Gasfund pro Jahr in Gasheizungen verfeuert bei den Kund*innen ankommen könnte. Und bei der Ausschöpfung des Potentials von Sonne, Wind, Wasser, Biogenen und Geothermie haben wir noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht!

Von historisch kann beim Gasfund der OMV keineswegs die Rede sein, denn es stellt sich die berechtigte Frage, warum die Förderung und Verbrennung endlicher fossiler Brennstoffe mit erheblichen Umweltauswirkungen und massiven Folgen für die Klimaerhitzung der Investition in erneuerbare und klimafreundliche Strom- und Wärmeerzeugung vorzuziehen sein sollte!

Vielleicht sollten wir uns in diesem Zusammenhang auch nochmals in Erinnerung rufen, was sich Österreich und die Europäische Union in Sachen Energiewende und Klimaschutz vorgenommen haben! Die verstärkten europäischen Klimaschutzambitionen erfordern von Österreich eine CO2-Reduktion von minus 48 Prozent bis 2030 in jenen Bereichen, die nicht dem Emissionshandel unterworfen sind. Das bedeutet eine Halbierung der Emissionen innerhalb der nächsten sieben Jahre. Gelingt das nicht, so drohen für Österreich Strafzahlungen in der Höhe von fast 5 Milliarden Euro. Die Umstellung der Energieversorgung von fossilen auf erneuerbare Ressourcen hat hierbei eine besondere Bedeutung. Aber auch hier ist Österreich säumig! Wie der Entwurf des Nationalen Klima- und Energieplans (NEKP) zuletzt deutlich machte, werden wir zur Erreichung von bilanziell 100 Prozent erneuerbarem Strom bis 2030 anstatt der ursprünglich angenommenen 27 TWh erneuerbarem Strom vielmehr 34 bis 39 TWh zusätzlich brauchen. Entsprechend dringlich ist natürlich auch der Bedarf, die Verteilinfrastruktur für Strom zu ertüchtigen. Zudem ist zur Erreichung der EU-Ziele in Österreich bis 2030 ein Anteil von 60 Prozent erneuerbarer Energie am Gesamtenergieverbrauch zu erreichen. Die statistischen Auswertungen zeigten zuletzt einen Anteil von etwa 36,5 Prozent. Also ist auch hier in den nächsten Jahren noch einiges zu tun. Es ist ein breites Feld, das es in Sachen Energiewende zu beackern gilt, es bietet viele wirtschaftliche Chancen und Investitionsmöglichkeiten.

Foto: Bundesverband Photovoltaic Austria

Auch die OMV täte gut daran, endlich ihr Geschäftsmodell auf neue Beine zu stellen, um die notwendige und unbedingt klimataugliche Diversifizierung unseres Energiesystems voranzubringen. Denn fossiles Erdgas ist ein Auslaufmodell. Investieren sollte man jedoch in die Zukunft! Anstatt in tausenden Metern Tiefe nach Gas zu bohren, sollte die OMV besser heißes Wasser aus dem Erdinneren fördern. Das tiefengeothermische Potential ist in Österreich noch sehr unzureichend genutzt. Dabei könnte die Wärme aus der Tiefe laut österreichischem Geothermieverband etwas mehr als die Hälfte der derzeit mit Erdgas versorgten Haushalte mit Raumwärme versorgen (vgl. www.geothermie-oesterreich.at). Ein beachtlicher Brocken auf dem Weg zur Unabhängigkeit von fossilem Gas. Zum Vergleich dazu: der Gasfund in Gänserndorf schafft gerade einmal einen Anteil von etwa 7 Prozent des Gases abzudecken, das derzeit für die Raumwärmeerzeugung in Österreich zum Einsatz kommt.

Die Aussichten des Gasfunds scheinen angesichts der Energiekrise im letzten Winter verlockend, doch bei genauerer Betrachtung wird deutlich: Lassen wir das Gas in der Erde und beschleunigen wir stattdessen den Übergang zu erneuerbaren Energien. Nur so können wir eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen gewährleisten und die Energieversorgung für Menschen und Wirtschaft langfristig sichern.

Autorin

Martina Prechtl-Grundnig ist seit 2020 Geschäftsführerin des Dachverbands Erneuerbare Energie Österreich. Im Fokus ihrer Arbeit steht die Schaffung zentraler politischer Rahmenbedingungen, die es für die Energiewende auf Bundes- und auf Landesebene in den Bereichen Strom und Wärme braucht. Von 2002 bis 2007 war sie Geschäftsführerin des Energieparks Bruck an der Leitha, bis sie 2007 die Geschäftsführung von Kleinwasserkraft Österreich übernahm.

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