nt 04 | 2020 Digitalisierung im Energiesektor
Energiemanagementsystem zur Nutzung dezentraler Speicher in Gebäuden
Hans Hennig, Rebekka Köll, Keith O´Donovan
Als Teil eines internationalen Konsortiums ist Siemens Niederlande seit 2018 als Technologiepartner am europäischen SCORES-Projekt beteiligt. Moderne Gebäudemanagementsysteme ermöglichen bereits die Optimierung der Gebäude-Energieeffizienz, berücksichtigen aber nur in geringem Ausmaß den EU-weiten Trend der Umstellung von einer zentralen auf eine dezentrale Energieversorgung. Statt weniger, großer Anlagen kommt eine Vielzahl an kleinen Anlagen mit unterschiedlichsten Systemkonfigurationen zur Anwendung. Die hohe Komplexität und Vielzahl an Möglichkeiten macht eine Standardisierung der Regelung schwierig und stellt daher eine besonders hohe Herausforderung an Energiemanagementsysteme, denn es gilt nicht nur die lokal erzeugte erneuerbare Energie optimal einzusetzen, sondern durch dezentrale Speicher auch die notwendige Flexibilität für das Energienetz der Zukunft bereitstellen zu können. Nur durch eine intelligente Regelung können neue Energieerzeugungs- sowie Speichertechnologien effizient und ressourcenschonend betrieben werden.
Demonstrationsgebäude am Standort in Frankreich. Foto: Heliopac SAS
Zur Nutzung von fluktuierenden Energieformen wie Solar- und Windenergie ist eine gute Energieplanung mittels Gebäudeenergiemanagementsystem (Building Energy Management System - BEMS) notwendig, das die Verfügbarkeit von Energiequellen innerhalb und in unmittelbarer Nähe des Gebäudes, Wettervorhersagen und prognostizierte Energiepreise bzw. die Höhe der Netzentgelte berücksichtigt. Auf dieser Basis wird die Anlage so gesteuert, dass entweder die Eigennutzung der vor Ort erzeugten Energie oder die Energiekosten optimiert werden.
Als "Intelligenter Energie-Manager" bestimmt ein Building Energy Management System selbständig, welche Energieerzeuger oder Speicher für die Versorgung der Gebäude mit Wärme oder Strom verwendet werden. Ziel des SCORES-Projekts ist es, bis zu 30 Prozent des Energiebedarfs aus dem Netz durch intelligente Nutzung von dezentralen Strom- und Wärmespeichern in Gebäuden einzusparen.
Theorie und Umsetzung
Die Theorie ist einfach: Ein Gebäudeenergiemanagementsystem prognostiziert den Energiebedarf der verschiedenen Verbraucher und den Ertrag der Energieerzeuger in Gebäuden für die nächsten Stunden. Das System ermittelt dann eine optimale Strategie, wobei geprüft wird, ob Energie am besten sofort genutzt oder für die spätere Verwendung gespeichert werden soll.
Die Umsetzung der Theorie ist ein wenig komplexer. Das Building Energy Management System kann wählen, welcher Erzeuger z. B. zur Wärmeerzeugung verwendet wird. Dies kann beispielsweise Fernwärme, eine Wärmepumpe oder ein anderes System sein. Effizienz und Nutzungsvoraussetzungen unterscheiden sich je nach System. Ein Beispiel: Das Building Energy Management System bekommt eine Wärmeanforderung vom Gebäude. Das System hat nun die Wahl, Wärme aus einem Wärmspeicher zu entnehmen, mit Hilfe einer Wärmepumpe Wärme direkt zu erzeugen und dabei Strom je nach Verfügbarkeit aus der lokalen PV-Anlage, dem Stromnetz oder aus einer Batterie im Gebäude zu entnehmen, oder einen anderen Wärmeerzeuger (z. B. Fernwärme) zu verwenden. Jede Entscheidung hat Konsequenzen hinsichtlich der Kosten und des Eigenverbrauchs. Wenn die Energie beispielsweise einer Batterie entnommen wird, steht diese zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung und muss zu dann aktuellen Kosten dem Stromnetz entnommen werden. Außerdem muss die Batterie im Voraus geladen werden, was über Photovoltaik oder das Stromnetz erfolgen kann. Wenn Photovoltaik zur Aufladung verwendet wird, können diese aufgrund ihrer begrenzten Kapazität keine zusätzliche Energie an die Wärmepumpen liefern. Durch diese vielfältigen Wechselwirkungen entsteht eine baumförmige Struktur von Entscheidungen und Konsequenzen, in der das Gebäudeenergiemanagementsystem ein Optimum sucht.
Schema des Gebäudeenergiemanagementsystems. Quelle: Siemens
Vielfältige Möglichkeiten und Herausforderungen
Gebäudeenergiemanagementsysteme bieten interessante Perspektiven sowohl für einzelne Gebäude als auch auf Quartiersebene. In einzelnen Gebäuden kann der Energieverbrauch nachhaltiger werden, wobei die Kosten sinken. Auf Quartiersebene können BewohnerInnen "virtuelle Gemeinschaften" einrichten, die Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen kaufen und selbst erzeugte Energie oder ungenutzte elektrische Netzkapazitäten auf dem Energiemarkt verkaufen können, was für einzelne Personen aufgrund der niedrigen Kapazitäten nicht möglich ist. Letztlich wird das Marktverhalten zu einer viel ausgewogeneren Nutzung des Energienetzes führen, was Kapazitätserweiterungen verzögern bzw. möglicherweise sogar nicht mehr erforderlich machen könnte.
Eine Herausforderung ist die Vielfalt der Gebäude und deren Nutzungen. Bürokomplexe, Hotels, Krankenhäuser und Einfamilienhäuser weisen unterschiedliche Verbraucherprofile auf. Darüber hinaus nutzen die Gebäude verschiedene Energiequellen: Während einige Komplexe nur Zugang zum Stromnetz haben, können andere selbst Strom bzw. Wärme vor Ort erzeugen. Diese Vielfalt muss ein Building Energy Management System verarbeiten können.
In Zukunft könnten Building Energy ManagementSysteme serienmäßig in das Gebäudemanagementsystem integriert werden. BEMS-Systeme befinden sich derzeit aber noch im Entwicklungsstadium und erfordern viele manuelle Anpassungen in ihrer Implementierung. Das ist teuer. Großflächige Anwendung dieser Systeme ist daher nur mit weitgehend selbstlernenden Systemen möglich, bei denen eine minimale Vorkonfiguration erforderlich ist. Darüber hinaus wird neben energiebezogenen Informationen eine Vielfalt an weiteren Informationen aus dem BEMS generiert, die beispielsweise für die Verbesserung des NutzerInnenkomforts oder die Anlagenoptimierung verwendet werden können.
Demonstrations-Standorte
An zwei Demo-Standorten des SCORES-Projekts in Österreich (Gleisdorf) und Frankreich (Agen) werden die Auswirkungen von Projektgröße und Energieerzeugung im Detail untersucht. Bei dem Standort in Gleisdorf handelt es sich um einen relativ kleinen Komplex mit Wohnungen und Büros, der an das lokale Fernwärmenetz angeschlossen ist und auch Energie vor Ort mittels PV erzeugt. Das Demonstrationsgebäude in Agen ist ein großes Mehrfamilienhaus mit Anschluss ans Stromnetz und lokal installierter PV. Die unterschiedliche Nutzung der Demo-Gebäude ist ein guter Test für die Robustheit des entwickelten Building Energy Management Systems.
Für die Implementierung eines Gebäudeenergiemanagementsystems müssen Vorhersagen über das Verhalten der Energieerzeugungsanlagen, Speicher und den Verbrauch (Gebäudespezifikation und NutzerInnenverhalten) erstellt werden. Dafür ist detailliertes Fachwissen und gute Situationskenntnis notwendig. Je größer ein Gebäude, desto geringer sind Spitzen im Energieverbrauch und desto besser ist die Prognosequalität. Die Beschaffung von aussagekräftigen Daten für die Analyse ist jedoch oft mit hohem Aufwand verbunden.
Simulationen
Bevor die Umsetzung des Gebäudeenergiemanagementsystems in den Demogebäuden erfolgt, wird die Regelung anhand einer Simulation getestet. Siemens arbeitet hier eng mit Simulationsexperten von AEE INTEC zusammen. Diese simulieren die Erzeugung und den Energiebedarf im Gebäude für die nächsten Stunden. Hieraus berechnet das Gebäudeenergiemanagementsystem die optimale Energiestrategie. Diese wird an die Simulation zurückgegeben und daraus das Energieprofil für die folgenden Stunden simuliert. Kurz gesagt, das BEMS-Modell und die Simulation sind ständig "im Gespräch". Es ist wichtig, dass das Gebäudeenergiemanagementsystem schnelle Entscheidungen treffen kann, wie es auch in der Praxis erwartet wird.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Siemens Niederlande steht im Rahmen des SCORESProjekts vor zahlreichen technischen Herausforderungen. Um bestmögliche Fortschritte zu erzielen und ein optimiertes Building Energy Management-System zu entwickeln, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb Siemens und mit dem Projektteam von entscheidender Bedeutung. In dem im Rahmen von Horizon 2020 geförderten Projekt SCORES arbeiten Experten aus unterschiedlichen Disziplinen (TechnologieexpertInnen, SimulationsexpertInnen, RegelungsexpertInnen, Stakeholder aus dem Energiemarkt, ...) und sieben Ländern zusammen. Durch die neuen Erkenntnissen kann eine steile Lernkurve durchlaufen werden und für Siemens Niederlande ist es sehr lehrreich und inspirierend, mit vereinten Kräften zu einem nachhaltigen europäischen Gebäudemarkt beizutragen. Siemens Niederlande beabsichtigt, den Einsatz der BEMS-Technologien in Gebäudeautomatisierungsprojekten nach Abschluss des SCORES-Projekts fortzusetzen. Der modulare Ansatz soll beibehalten und die Kombination von physikalischen Algorithmen und Regression/Vorhersage intensiviert werden. Das Ziel ist es, den KundInnen einen soliden positiven Business Case in Verbindung mit einer einfachen Implementierung zu bieten.
AutorInnen
Hans Hennig ist Energieingenieur, verantwortlich für die Entwicklung des Building Energy Management Systems und Teil des SCORES-Projektteams bei Siemens Niederlande.
Rebekka Köll, MSc. leitet die Forschungsgruppe „Thermische Energiespeicher“ bei AEE INTEC. Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Keith O’Donovan, MEng. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bereichs „Städte und Netze“ bei AEE INTEC.